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Neue Wege der Wissenschaftsphilosophie PDF

204 Pages·1980·16.409 MB·German
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Wolfgang Stegmiiller NeueWege der Wissenschafts philo sophie Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 1980 Professor Dr. Dr. Wolfgang Stegmiiller Seminar flir Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie LudwigstraBe 31, D-8000 Miinchen 22 ISBN-13: 978-3-540-09668-9 e-ISBN-13: 978-3-642-61839-0 DOl: 10.1007/978-3-642-61839-0 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Stegmiiller, Wolfgang: Neue Wege der Wissenschaftsphilosophie/Wolfgang Stegmiiller. Berlin, Heidelberg, New York: Springer, 1980. Das Werk ist urheberrechtlich geschiitz!. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder iihnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Bei Vervielfliltigungen flir gewerbliche Zwecke ist gemiiB § 54 UrhG eine Vergiitung an den Verlag zu zahlen, deren Hohe mit dem Verlag zu vereinbaren is!. © by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1980 Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1980 Satz, Druck und Bindearbeiten: Briihlsche U niversitiitsdruckerei, GieBen 2142/3140-543210 Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . ............................ . 1. Das strukturalistische Theorienkonzept. Einfilluende Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2 2. Zu den Aufsatzen I bis VI .......................... 22 I. Theoriendynamik und logisches Verstandnis ................ 27 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 54 II. Eine ,subjektivistische' Variante des Begriffs der physikalischen Theorie . . . . . ............................ 56 1. Theorien und ihre empirischen Hypothesen ............. " 56 2. ,Normale Wissenschaft ohne Gefahren' .................. 68 3. Theorienverdrangung ohne Falsifikation . . . . . . . . . . . . . . . .. 77 Bibliographie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 84 III. Wissenschaft als Sprachspie\ .................... 87 Bibliograph ie . . . . . . . . . .. . ................... 102 IV. Akzidenteller Theorienwandel oder Theorienevolution und su bstantielle Theorienanderung oder Theorienverdrangung. Ein Beitrag zum besseren logischen Verstandnis gewisser Phanomene in der Theoriendynamik ..................... 104 1. Die Spannungen zwischen systematischen und historischen Methoden in der Wissenschaftsphilosophie ............... 104 2. Das strukturalistische Theorienkonzept: Theorien, empirische Behauptungen von Theorien und das Verftigen tiber eine Theorie ....................... 109 3. ,Normale Wissenschaff und ,Subjektivismus' .............. 112 4. Rationalitat und Fortschrittsverzweigungen in der normalen Wissenschaft ... . ..................... 115 5. Holismus der empirischen Hypothesen. F orschungsprogramme. Theorien beladenheit der Beobachtungen ................. 116 6. Theorienverdrangung ohne FalsifIkation. Die dreifache Immunitat von Theorien. Theorienwahl und Rationalitat ............. 120 7. Holismus von Theorien und ,Propaganda'. Die Rolle der Werturteile . . ................. 126 V 8. Der Relativismus-Einwand und seine Uberwindung. F ortschrittliche Revolu tionen ........................ 1 28 9. Sind Fortschrittsgabelungen bei revolutionaren Theorienver- drangungen mbglich? Der ,Evolutionsbaum' .............. 132 Bibliographie ................................... 134 V. Ein kombinierter Zugang zum Verstandnis der Theoriendynamik ... 136 1. Vorbemerkungen ............................... 136 2. Der Theorienbegriff nach strukturalistischer Auffassung ...... 137 3. Zur dreifachen Unterscheidung zwischen Theorien, empirischen Behauptungen von Theorien und dem Verfiigen iiber eine Theorie ............................... 144 4. Paradigmen. das Verfiigen iiber eine Theorie und die ,norm ale Wissenschaff ............................ 147 5. ,Theorienbeladenheit' der Beobachtungen. Holismus und Rationalitat ................................ 152 6. Forschungsprogramme ............................ 154 7. Revolutionare Wissenschaft und Theorienverdrangung ....... 155 8. Revolutionarer Fortschritt und intertheoretische Relationen ... 158 9. Kumulativita t und Linearita t. F ortschrittsverzweigung und die Rolle von Werturteilen ......................... 164 10. Mbgliche weitere Verbesserungen des Zusammenwirkens von Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie: Einbe ziehung wissenschaftlicher Gemeinschaften und historischer Zeitintervalle in den Begriff des Theoriennetzes ........... 167 11. Methodologische Regeln und rationale Rekonstruktion ...... 170 Bibliographie .................................. 172 VI. Die strukturalistische Auffassung von Theorien: Uberblick, neueste Entwicklungen und Antworten auf einige Kritiken ....... 175 Bibliographie .................................. 192 Namenverzeichnis ..................................... 194 Sachverzeichnis ...................................... 195 VI Einleitung Der vorliegende Band enthalt sechs teilweise stark iiberarbeitete Aufsatze, die in der Zeit zwischen der Niederschrift des Buches Theorienstrnkturen und Theoriendynamik, Springer-Verlag 1973, im folgenden mit [Theoriendynamik] bezeichnet, und der Monographie The Strncturalist View of Theories. A Pos sible Analogue of the Bourbaki Programme in Physical Science, Springer-Ver lag 1979, im folgenden kurz [Strnkturalismus] genannt, entstanden sind. In diesen Abhandlungen werden jeweils gewisse Aspekte des strukturalistischen Theorienkonzeptes behandelt. Am starksten iiberarbeitet wurden die Auf satze II, IV, V und VI, die urspriinglich in englischer Sprache erschienen waren. Vier der sechs Arbeiten, namlich I, III, IV und VI, bilden auBerdem erweiterte Fassungen von Vortragen. Obwohl das zweite Buch [Strnkturalismus] durch P. Feyerabends ausftihr liche Diskussion der strukturalistischen Auffassung im British Journal for the Philosophy of Science, Dezember 1977, angeregt worden ist, stellt es seinem Ansatz und Aufbau nach eher den Versuch einer systematischen Kurzdarstel lung des strukturalistischen Vorgehens nach seinem letzten Stande dar. Dem gegeniiber entstanden die hier verOffentlichten Artikel stets aus einem ganz be stimmten AnlaB. Diese Anlasse konnte man schematisch in drei Klassen unter teilen: Entweder ging es darum, eine anschauliche intuitive Ein/iihrnng zu lie fern (I und V); oder die Aufgabe bestand darin, die Beziehung zu anderen philosophischen Positionen. wie z.B. derjenigen L. Wittgensteins, H. Putnams, K. Poppers oder T.S. Kuhns. zu analysieren (II. III und IV); oder es sollte zu den wichtigsten und bis dahin verOffentlichten Kritiken Stellung bezogen wer den (wie in VI). Zwangslaufig ging dadurch immer etwas an Vollstandigkeit und Priizision verloren. Dieser Verlust wird aber vielleicht ausgeglichen durch einen Charakter von Unmittelbarkeit, Spontaneitat und impressionistischer Atmosphare, welche die Phantasie anregt und den geistigen Zugang zu den Neuerungen verschiedenster Art weniger anstrengend macht. Unter synchronischem Gesichtspunkt betrachtet, kommen in diesen Auf satzen die philosophischen Akzente gegeniiber den Biichern starker zur Gel tung. Vom diachronischen Standpunkt aus schildern sie die Wandlungen, Er ganzungen und Verbesserungen der strukturalistischen Theorienauffassung wahrend der letzten Jahre. 1m folgenden soll das neuartige Konzept kurz charakterisiert werden, wo bei zur Verdeutlichung bisweilen auf kritische AuBerungen anderer Autoren eingegangen wird. AnschlieBend will ich einige Erlauterungen zu den Aufsat zen in der Reihenfolge geben, in der sie hier abgedruckt sind. 1. Das strukturalistische Theorienkonzept. Einftihrende Bemerkungen Die herkommliche Auffassung von Theorien solI das Aussagenkonzept (englisch: 'statement view') von Theorien genannt werden. Sneed, auf den die hier vorgetragene andersartige Auffassungzurtickgeht, hatte sein methodisches Vorgehen ursprtinglich als 'non-statement view' bezeichnet. Mein Freund Y. Bar-Hillel, der das neue Programm durch mein Buch [Theoriendynamik] ken nenlernte und sich sogleich enthusiastisch datUr begeisterte, hatte kurz vor seinem plotzlichen Tod den Vorschlag gemacht, diese unschOne negative Kenn zeichnung durch eine positive zu ersetzen und datUr die Bezeichnung "struk turalistische Auffassung von Theorien", kurz: "Strukturalismus", zu verwen den, selbst auf die Gefahr hin, daB dieses Wort zunachst AnlaB zu allerlei MiB verstandnissen geben werde. Sneed, ich und andere Mitarbeiter an dem Projekt haben diesen Vorschlag dankbar aufgegriffen. Ich werde schon in dieser Ein lei tung davon Gebrauch machen und also davon sprechen, daB dem Aussagen konzept die strukturalistische Auffassung von Theorien entgegengesetzt wird. (Dabei sehe ich hier allerdings noch von jeder detaillierteren Darstellung abo In [Strukturalismus] habe ich zu zeigen versucht, daB man streng genommen zwi schen vier verschiedenen Bedeutungen von 'statement view'und den entspre chenden Gegenpositionen unterscheiden mul.), urn Verwirrungen in Einzelfra gen zu vermeiden. Es macht niimlich einen Unterschied aus, ob man Betrach tungen im Rahmen der allgemeinen oder der speziellen Wissenschaftstheorie anstellt; ferner, ob man die sog. Ramsey-Satz-Methode akzeptiert odernicht; und schlieBlich auch, ob man den Weg nachzeichnen mochte, den mathema tische Strukturen nehmen, wenn sie Eingang in empirische Hypothesen finden; vgl. dazu [Strukturalismus], § 1, § 3 und § 7.) Der Hauptunterschied zwischen dem Aussagenkonzept auf der einen Seite und dem Strukturalismus auf der anderen liegt nicht, wie oft irrttimlich ange nommen, darin, daB bei der ersten Deutung der Begriff der Aussage oder der Hypothese im Vordergrund steht, bei der zweiten dagegen nicht. Vielmehr ist die Aussagenauffassung dadurch charakterisiert, daB ihre Vertreter bei der Un tersuchung von Mikrostrukturen ansetzen und demen tsprechend Mikroanaly sen zu geben versuchen, wabrend der Strukturalist mit der Untersuchung von globalenStrukturen von Theorien beginnt. Da ein genaueres Verstandnis dieser Behauptung bereits eine tiefere Kenntnis der strukturalistischen Auffassung voraussetzt, sei der Unterschied vorlaufig am Beispiel des Begriffs ,Term' er Mutert. 2 Wenn ein Physiker seine Theorie aufbaut, so sind die Entitiiten, mit denen er es zu tun hat, vorzugsweise quantitative Begriffe, d.h. Funktionen. Also werden Bezeichnungen von Funktionen zu seinen Grundtermen gehoren. Der Wissenschaftsphilosoph, der das Aussagenkonzept akzeptiert, tibernimmt diese Denkweise. Wenn er au~erdem, wie z.B. Camap, ein Vertreter der formal sprachlichen Methode ist, wird er in seine Kunstsprache eigene Symbole zur Bezeichnung solcher Funktionen, namlich sogenannte Funktoren, mit aufneh men. Ein Funktor, der eine bestimmte physikalische Gro~e, z.B. die Energie, reprasentiert, ist ein typisches Beispiel fUr einen atomaren Term in der mikro analytischen Betrachtungsweise. Auf was fUr Terme sto~en wir demgegentiber, wenn wir, wie wir soe ben sag ten, ,globale Strukturen' einer physikalischen Theorie untersuchen? Urn diese Frage beantworten zu konnen, mtissen wir voraussetzen, d~ die fragliche Theo rie genau beschrieben ist. (Auf welche Weise dies geschehen kann, solI sogleich zur Sprache kommen.) Wesentlich ist fUr uns im Augenblick allein dies, d~ es uns hier zunachst nur urn die form ale Seite einer physikalischen Theorie geht und d~ diese formale Seite in einer mathematischen Struktur besteht. Hat man diese mathematische Struktur genau beschrieben, so kann man dazu tiber gehen, einen Namen fur die Menge derjenigen Entitaten einzuftihren, die eine solche Struktur besitzen. Dieser Name sei etwa "M". Wir sagen: Der Term "M" bezeichnet die Menge aller Modelle der Theorie. "M" ist ein typisches Beispiel fUr einen atomaren Term innerhalb des strukturalistischen Vorgehens. Ein Vertreter der herkommlichen Wissenschaftsphilosophie wird eine sol che Denkweise als geradezu wahnsinnig empfinden. Er wird etwa sagen: Einen Uberblick tiber die Menge alIer Modelle einer ganzen physikalischen Theorie konnen wir doch erst am Ende unserer Untersuchungen gewinnen! Wie kann jemand so verrtickt sein, seine Analyse mit dieser Modellmenge - und mit einer Reihe iihnlicher Mengen oder sogar noch voraussetzungsreicherer Entitaten, wie die Betrachtung des strukturalistischen Vorgehens zeigt - zu beginnen! Die folgenden Betrachtungen sollen dazu dienen, diese Frage zu beantworten. Hier schalten wir nur eine kurze Zwischenbetrachtung ein, einerseits, urn ein mog liches Miliverstiindnis zu beseitigen, und andererseits, urn eine Andeutung dartiber zumachen, wie die weiteren Schritte verlaufen. Zunachst zu dem Mili verstandnis: Die eben formulierte Frage enthiilt eine unzutreffende Unterstel lung. Die genannte Menge Mist nicht etwas, womit einfach ,begonnen' wird. Wir hatten oben vorausgesetzt, daft eine gewisse mathematische Vorarbeit be reits geleistet sei, namlich die Beschreibung der mathematischen Struktur der fraglichen Theorie. Nur unter dieser Voraussetzung kann diese Menge und der sie designierende Term "M" eingeftihrt werden. Bekanntlich bildet man aus Termen Satze, und zwar zunachst atomare, spater dann kompliziertere. So auch hier. Au~er ,)d" werden noch einige weitere Terme eingefUhrt. Danach kann man dazu tibergehen, Atomsiitze zu formulieren. Jeder derartige Atomsatz driickt den gesamten empirischen Gehalt einer physikalischen Theorie zu einer bestimmten Zeit aus. Wenn wir fmgieren, dieser Satz lie~e sich im Rahmen des 3 Aussagenkonzeptes reproduzieren - wir werden erkennen, warum es sich bei dieser Annahme wirklich nur urn eine Fiktion han del t -, so ist dies ein unglau b lich komplizierter und unglaubIich langer Satz mit einem fast untibersehbaren Gewirr von Quantoren und anderen logischen Zeichen, nlimIich das, was tibIi cherweise als ,Ramsey-Satz der fraglichen Theorie' bezeichnet wird. Dies also passiert, wenn man einen ,makrologischen' Atomsatz ,mikrologisch' nachzu zeichnen versucht. Der Leser solI nun eine Beantwortung der obigen Frage erhalten. Wenn wir den Kern der Frage herausschlilen, so handelt es sich urn folgendes: Wie kann man tiberhaupt dazu gelangen, sich in praziser Weise mit ,globalen Strukturen' von Theorien zu beschliftigen? Die Antwort wird am besten in zwei Telle zer legt: Der erste Tell der Antwort ist von P. Suppes bereits vor tiber 20 Jahren gegeben worden. Der zweite Tell der Antwort wurde von Sneed vor ca. acht Jahren gegeben, oder, vorsichtiger ausgedrtickt: Sneed hatte damals damit be gonnen, diesen zweiten Teil der Antwort zu formuIieren. Der Ubergang vom ersten zum zweiten wurde erleichtert durch einen interessanten Gedanken, den E.W. Adams in seiner unverOffentlichten Dissertation, Stanford 1955, li~erte. Suppes war der erste Philosoph, der zwei Dinge zu vereinigen begann, die bis dahin von den in der empiristischen Tradition arbeitenden Wissenschafts philosophen fur unvertrliglich gehalten worden waren: eine priizise Axiomati sierung physika/ischer Theorien zu liefem, dabei aber gleichzeitig auf das Ar beiten mit formalen Sprachen, wie es z. B. flir Camap charakteristisch war, voll kommen zu verzichten. Der Meinungsunterschied in bezug auf den zweiten Punkt gegentiber den ,Formalisierem' bestand nicht in der grundslitzlichen Ein stellung zur modernen Logik, tiber die Suppes selbst eines der meistgelesenen Lehrbticher verfaBt hatte. Der Grund war vielmehr, so k6nnte man sagen, ein pragmatisch-psychologischer: Eine wirklich interessante physikalische Theorie in einer formalisierten Sprache zu formulieren, tibersteigt bei weitem unsere heutigen menschlichen M6glichkeiten. Die ,Formalisierer' sahen sich deshalb gen6tigt, statt mit wirklichen Beispielen aus der physikalischen Theorie mit stark vereinfachten fiktiven Beispielen zu arbeiten. 1m tibrigen beschrankten sie sich darauf, mit dem Aufbau einer formalen ,empiristischen Wissenschafts sprache' zu beginnen und dadurch die bloBe Vorarbeit fur eine kunftige priizise Wissenschaftsphilosophie zu leisten. Auf diese komrnende Wissenschaftsphilo sophie Mtte man noch eine endlos lange Zeit zu warten, was sich allein schon daraus ergibt, daB bisher selbst nur ein sehr kleiner Teil von mathematischen Theorien, die der heutige Physiker ben6tigt, in formalisierter Gestalt vor liegt. Suppes orientierte sich dagegen am Vorgehen derjenigen Mathematiker, die sich unter der Bezeichnung "Bourbaki" zusamrnengefunden hatten. Ftir das vorIiegende Problem bedeutet dies: Suppes bentitzte keine formalisierte Logik und Mengenlehre, sondern informelle Logik und informelle Mengenlehre, fur die Zwecke der Axiomatisierung physikalischer Theorien. DaB man trotz die ses Verzichtes auf Formalisierung fur aIle praktischen Zwecke eine hinreichen- 4 de Priizisierung edangen kann, war von Bourbaki flir zahlreiche mathematische Theorien demonstriert worden. Aber besteht nicht ein grundlegender Unterschied zwischen mathematischen und physikalischen Theorien? Erstere abstrahieren von den Anwendungen und damit von allen mit diesen auftretenden speziellen Problemen; flir die letzteren stehen dagegen gerade die Anwendungen im Vordergrund. Trotzdem besteht in einer Hinsicht eine vollkommeneParallele: Auchjede physikalische Theorie arbeitet mit einer fur sie charakteristischen mathernatischen Struktur. Dem Axiomatiker geht es vor aHem darum, diese mathematische Struktur genau zu beschreiben. Suppes wiihlte dabei das - tibrigens im letzten Kapitel seines Logikbuches genau beschriebene - besonders elegante Verfahren der Axioma tisierung durch Einfilhrung eines mengentheoretischen Priidikates. Wer die Theorie der Halbordnung axiomatisiert, defmiert das mengentheoretische Pra dikat ,,ist eine Halbordnung". Analog kann man die Tatigkeit der Mathemati ker, welche die Gruppentheorie, die Theorie der Vektorraume oder die Wahr scheinlichkeitstheorie axiomatisch aufbauen, so deuten, d~ sie die Pradikate "ist eine Gruppe", "ist ein Vektorraum" oder "ist ein Wahrscheinlichkeits raum" definieren. Die sogenannten Axiome sind dann nichts anderes als be stimmte Bestandteile im Definiens des fraglichen Pradikates. In einer ktihnen, aber doch sehr naheliegenden Verallgemeinerung dieser Idee tibertrug Suppes diesen Gedanken aufTheorien der mathematischen Physik. ,Die klassische Par tikelmechanik axiomatisieren' heiEt dann, das mengentheoretische Pradikat "ist eine klassische Partikelmechanik" definieren. Die Quantenmechanik axio matisieren heiEt, das mengentheoretische Pradikat "ist eine Quantenmechanik" definieren. In jedem dieser Faile wird also ein mengentheoretisches Pradikat "S" defi niert, welches eine ganz bestimmte mathematische Struktur festlegt. Wurde eine Theorie T - "Theorie" hier im vorexplikativen Sinn verstanden - durch Einfuhrung eines Pradikates "S" axiomatisiert, so ist das, was wir oben die Menge M der Modelle dieser Theorie nannten, nichts an de res als die Extension des Priidikates "S". Ob man vom Pradikat "S" oder von der korrespondieren den Menge M spricht, lauft auf dasselbe hinaus, nur d~ man sich im ersten Fall auf eine linguistische Entitat bezieht, im zweiten Fall dagegen auf deren Umfang. Festzuhalten ist nur, daB es sich dabei urn ein mathematisches Gebil de handelt, wie immer man es darstellt. Wer an naheren Einzelheiten tiber die Methode von Suppes sowie deren Grenzen interessiert ist, sei auf § lund § 2 von [Strukturalismus] verwiesen sowie auf den glanzend geschriebenen Essay von C.-U. Moulines und J.D. Sneed: "Suppes' Philosophy of Physics" in: Profiles, Bd. I, Radu J. Bogdan (Hrsg.), Patrick Suppes, Dordrecht/HoHand 1979, S. 59-91. Einige Philosophen, denen es auch urn Prazisierung zu tun ist und die - in dieser Hinsicht mit Suppes und mit Camap - der Dberzeugung sind, d~ es flir eine Philo sophie der Physik nicht au sreicht, sich an den physikalischen Texten zu orientieren, haben das Vorgehen von Suppes begrillk Aber sie blieben der 5

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