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Neue Soziale Bewegungen PDF

169 Pages·2015·7.22 MB·German
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Neue Soziale F O R S C H U N G S J O U R N A L Bewegungen Abseits des Fußballs – Gesellschaftspolitische Dimensionen des Volkssports Nr. 1 Mit einem Sonderschwerpunkt zu „Bürgerschaftlichem Engagement in Ostdeutschland“ Heft 2 – Mai 2010 € 15,- IInnhhaalltt 1 EDITORIAL SONDERSCHWERPUNKT: .................................................................................................................................... BÜRGERSCHAFTLICHES 3 Abseits des Fußballs – Gesellschaftspoliti- sche Dimensionen des Volkssports Nr. 1 ENGAGEMENT IN OSTDEUTSCHLAND .................................................................................................................................... 85 Gespräch mit Dr. Carlo Jordan ESSAY Engagement in der ostdeutschen Bürgerbe- .................................................................................................................................... 8 Tissy Bruns wegung in den 1980er Jahren Schwarz-gelb und die neue Ungleichheit 88 Peter Ulrich Weiß Revolutionär auf Zeit THEMENSCHWERPUNKT Oppositionelles Bürgerengagement in Pots- .................................................................................................................................... dam im Herbst 1989 12 Gerald Hödl Going global 91 Thomas Gensicke Indikatoren zur Entwicklung der Zivilge- Die Fußballweltmeisterschaft in Südafrika sellschaft in Ostdeutschland und ihre Kosten 23 Kurt Wachter 96 Elena Demke Zwischen Überfrachtung und Unterschät- Entwicklung durch Fußball zung Die erste Fußball-WM in Afrika als Chance DDR-Geschichte, widerständiges Verhalten zur Überwindung neokolonialer Strukturen und Bildungsarbeit 36 Interview mit Christoph Biermann „Wissen steht nicht im Widerspruch zur Frei- 101Janka Kuball/Kerstin Engelhardt Bürgerschaftliches Engagement in Ost- heit“. Mit einer Einführung von Jörg Schlä- deutschland ger Fragestellungen und Erkenntnisse des For- 44 Mark Terkessidis schungsprojekts „Erinnerungskultur und Abschied von den deutschen Tugenden Zivilgesellschaft in Ostdeutschland – Lo- Kommerzialisierung, Nation und Migrati- kale Erfahrungen“ on im Fußball 104Andreas Wagner 52 Jonas Gabler Wismar – Ökumenisches Zentrum für Um- Der DFB und die Ultras – gemeinsam ge- weltarbeit (ÖZU) gen Rechtsextremismus im Fußball? 110 Janka Kuball 63 Sebastian Braun Fallstudie Brandenburg – Eigensinniges En- Die schönste Nebensache der Welt im Bil- gagement unter dem Dach des Kulturbun- dungspluralismus des Altlandsberg Thesen zum vereins- und verbandsorgani- sierten Fußball als zivilgesellschaftlichem 116 Armin Steil/Kerstin Palloks Fallstudie Sachsen – Von der Gegenkultur Mitspieler zur politischen Opposition 73 Richard Gebhardt Die Kleinstadt Aue im Erzgebirge Undogmatische Leibesübungen Ein Porträt des deutschen Alternativfußballs 2 Inhalt 123 Norbert Reichling Fallstudie Thüringen – „Wenn man diesen TREIBGUT ................................................................................................................................... Irrsinn einfach nur benannte...“ 143Materialien, Notizen, Hinweise Der oppositionelle ‚Montagskreis‘ in Mei- ningen LITERATUR ................................................................................................................................... 129 Armin Steil/Kerstin Engelhardt/Matthias Pfüller 148Fußball und Fans als soziologisches Phä- nomen (Stephanie Schmoliner) Forschungsergebnisse und Perspektiven 153Die Friedliche Revolution auf dem Bücher- PULSSCHLAG markt (Karin Urich) ................................................................................................................................... 135Simon Teune 156Der Dritte Sektor Europas im Überblick Generationswechsel im Arbeitskreis Sozia- (Mirko Schwärzel) le Bewegungen 159ABSTRACTS 136Tobias Quednau ................................................................................................................................... Mehr Koordinierung in der Engagement- 168IMPRESSUM forschung ................................................................................................................................... 140Tagungsankündigung Redaktionsarbeit in wissenschaftlichen/po- litischen Fachzeitschriften 141Call for Papers Mit Linksreformismus aus der Krise? Forschungsjournal NSB, Jg. 23, 2/2010 3 Abseits des Fußballs macht der Funktionäre und Sponsoren. Dieser Gesellschaftspolitische Dimensionen Ballsport ist für seine Liebhaber eine existenti- des Volkssports Nr. 1 elle Angelegenheit. Kein anderes Zitat illustriert dabei dramatischer, dass Fußball more than a Fußballbücher gibt es in unüberschaubarer An- game ist, als der längst zum Klassiker avancier- zahl, und kaum ein Kreisligateam der Republik te Ausspruch der Liverpooler Trainerlegende versäumt es, Triumphe und Drangsale der Ver- Bill Shankley: „Es gibt Leute, die denken Fuß- einsgeschichte in einer Chronik für die Nach- ball ist eine Frage von Leben und Tod. Ich mag welt zu dokumentieren. Auch im Vorfeld der diese Einstellung nicht. Ich kann ihnen versi- Weltmeisterschaft in Südafrika 2010 säumen chern, dass es noch sehr viel ernster ist.“ (Rid- hunderte Neuerscheinungen die Auslagen der der 2006) Buchhandlungen. Jahrzehntelang dominierten jedoch Bild- und Tabellenbände, die über den Fußball als ‚Spiegel der Gesellschaft‘? ewigen Tabellenstand oder zurückliegende Meis- terschaftsfeiern Auskunft gaben. Literatur da- Der Massensport Fußball – präziser: der deut- gegen, die sich explizit mit dem Verhältnis von sche Männerfußball – dient nicht den nur Fans, Fußball und Gesellschaftspolitik befasst, bilde- Funktionären und Feuilletonisten als Sinnbild te die Ausnahme. Dabei hatte der als Arbeiter- für sozialphilosophische Betrachtungen. Hoher sport etikettierte Fußball zahlreiche intellektuel- Beliebtheit erfreut sich nach wie vor die Rede- le Liebhaber, darunter auch der Doyen des bun- wendung, wonach Fußball ein ‚Spiegel der desrepublikanischen Linksliberalismus, Walter Gesellschaft‘ sei; eine Volte, die meist dann an- Jens. Der Literaturwissenschaftler betonte das geführt wird, wenn die soziale Realität außer- leidenschaftliche Verhältnis zu seinem Lieblings- halb des Rasens in die Stadien dringt. Ein Bei- verein, dem TV Eimsbüttel: „Wenn ich den letz- spiel: Kurz nach dem Selbstmord des deutschen ten Goethe-Vers vergessen habe, werde ich den Nationaltorwarts Robert Enke im November Eimsbütteler Sturm noch aufzählen können.“ 2009 sendete der Deutschlandfunk einen Kom- Ahlers, Rohwedder, Panse, Mohr und Maack mentar, der die medialen Reaktionen analysie- hießen die hanseatischen Helden, deren Name ren wollte. In der Tat stilisierte die Presse die Jens gerne und ehrfürchtig zitierte (Steinle 2006). private Tragödie des Keepers von Hannover 96 Dass das Fußballspiel Teil der politischen tagelang zum nationalen Großereignis. Vermut- Kultur und zugleich Matrix für die individuelle lich konnten deshalb auch in (medien-)kritischer Sozialisation ist, wurde in den letzten Jahren Absicht verfaßte Beiträge nicht mit Superlati- eindringlich beschrieben. „Wenn Du am Spiel- ven sparen: „Die den Deutschen geläufigste tag beerdigt wirst, kann ich leider nicht kom- Form von Transzendenz heißt heute Fußball. men“, hat der Journalist Christoph Biermann Im Fußball feiert das Volk Kommunion, im Fuß- seine 1995 zuerst erschienene Erkundung der ball vermittelt es sich eine Vorstellung von hö- Welt der Fußballfans genannt (Biermann 1995). heren Werten, und nicht von ungefähr werden Lustvoll berichten der Autor und seine Ge- die Stars dieses Sports auch Fußballgötter ge- sprächspartner von Siegen und Tragödien im nannt. Nicht erst die WM vor drei Jahren hat Stadion, von Ritualen und Absonderlichkeiten gezeigt, wie sehr der Fußballsport zur Religion ihres Alltags, in dem der Fußball weitaus mehr geworden ist: ein Spielfeld aller möglichen Er- ist als eine moderne Variante von Brot & Spiele. griffenheitsbedürfnisse und Heilserwartungen, Stadien sind auch politische Handlungsräume, inklusive der patriotisch gefärbten.“ (Müller- zum Beispiel als Aktionsfelder gegen die All- Ulrich 2009) 4 Editorial Auch ohne pathetische und quasi-religiöse pekte aufgreifen, die im Rahmen der Erforschung Überhöhung wird in jeder Saison deutlich, dass der neuen sozialen Bewegungen bislang ver- Fußball weitaus mehr als ein Spiel ist. Da gerät nachlässigt worden sind. Dabei sollte der oft ein Interview des Bayern-Spielers Philip Lahm, widersprüchlichen Mannigfaltigkeit der Verbin- in dem dieser zaghafte Kritik an der Vereins- dungen zwischen Fußball und Gesellschafts- führung übt, zum Lackmustest für die Mei- politik Rechnung getragen werden. Denn wie nungsfreiheit. Da provoziert die seit Jahrzehn- wusste bereits Giovanni Trapattoni? „Fußball ten ebenso stimmungsvoll wie sinnfrei gesun- ist ding, dang, dong. Es gibt nicht nur ding.“ gene Hymne des FC Schalke 04 („Mohammed Gerald Hödl untersucht, welche Auswirkun- war ein Prophet, der vom Fußballspielen nichts gen die WM 2010 auf die soziale und politische versteht / Doch aus all der schönen Farben- Situation Südafrikas haben wird. Er analysiert pracht, hat er sich das Blau und Weiße ausge- die ökonomischen Zusammenhänge und sondiert dacht“) Phantomdebatten über religiöse Tole- die Proteste, die mit den Exklusionstendenzen ranz. Im Rahmen dieser Affäre bestellte der Tra- im Rahmen der Vorbereitungen vor Ort einher- ditionsverein gar einen Islamexperten, dessen gehen. Kurt Wachter analysiert die Situation und Dossier zu dem Ergebnis kam, dass der Pro- Spezifika des Fußballs in Afrika. Im Mittelpunkt phet schon aus historischen Gründen kein Ken- steht dabei, welche Rolle Fußballschulen und jene ner der Abseitsregel sein konnte. Programme in diesem Prozess spielen, in denen Egal, ob bei den Themen homosexuelle Spie- Fußball ein Teil der Entwicklungspolitik ist. Kri- ler und Schiedsrichter, Ultra-Fankulturen und tisch wird gefragt, welche kolonialen Traditio- Gewalt im Stadion oder bei der Betrachtung der nen in diesem Beziehungsgeflecht zum Ausdruck juristischen Grundlagen von Stadionverboten kommen und welche emanzipatorischen Elemente gegen Ultragruppierungen: Der gesellschafts- zur Überwindung von Abhängigkeitsverhältnis- politische Aspekt der ,schönsten Nebensache sen dort sichtbar sind. der Welt‘ ist offenkundig. Ob als medial ange- Christoph Biermann berichtet im Interview, feuertes kollektives Psychodrama, religiöser wie die ‚Verwissenschaftlichung‘ des Fußballs Ritus, nationale Tragödie oder tägliche soap das Spiel der Zukunft verändern wird und gibt opera mit wechselnden Darstellern in den Rei- Auskunft über die gesellschaftspolitische Be- hen der Spieler und Spielerfrauen, gehört der deutung der ‚schönsten Nebensache der Welt‘. Massensport Fußball zum politischen Theater Mark Terkessidis untersucht mit Blick auf den der Republik. vielfach vorhandenen Migrationshintergrund von Profifußballern das Verhältnis von Fuß- ball, Kommerzialisierung und Migration und Fußball und Gesellschaftspolitik kritisiert konventionelle Vorstellungen von na- Wer einen Themenschwerpunkt zu ‚Fußball und tionaler Identität. Jonas Gabler widmet sich der Gesellschaftspolitik‘ herausgibt1, wird frontal umstrittenen Fangruppierung ‚Ultras‘ und be- mit einer überbordenden Vielfalt an möglichen richtet über deren Entstehungsgeschichte. Im Themen und Fragestellungen konfrontiert. Eine Mittelpunkt steht dabei das Politikverständnis Reduktion ist deshalb schmerzhaft, aber unver- der ‚Ultras‘ und deren – mitunter widersprüch- meidlich. Das Heft versammelt Analysen und liches – Agieren. Gabler kommt zu dem Schluss, Essays, die aktuelle internationale Bezüge her- dass entgegen der in den Medien wiedergege- stellen, sportpolitische Akteure einer sozialwis- benen Darstellung von ‚Ultras‘ diese beispiels- senschaftlichen Kritik unterziehen und dabei weise im Kampf gegen Rechtsextremismus und gegen den Mainstream argumentieren oder As- Fremdenfeindlichkeit im Stadion eine durchaus Editorial 5 gewichtige Rolle spielen können. Sebastian miert.“ (Theweleit 2006: 120) Abgerundet wird Braun untersucht, wie der vereins- und ver- der Blick auf die gesellschaftspolitischen Bezü- bandspolitisch organisierte Fußball als zivilge- ge des Fußballs mit einer Rezension zur politi- sellschaftliche Kraft agiert. Er sieht die Not- schen Soziologie des Fußballs und zur Betrach- wendigkeit einer fundierten ,engagementpoliti- tung der Fankultur im Literaturteil. schen Konzeption‘, die Vereine und Verbände allerdings bislang vermissen lassen. Richard Richard Gebhardt (Aachen/Köln), Jan Roh- Gebhardt porträtiert in seinem Essay den Mitte werder (Aachen) der 1970er Jahre entstandenen deutschen Alter- nativfußball und begreift die Bunten bzw. Wil- Zu unserem Sonderschwerpunkt den Ligen ebenfalls als zivilgesellschaftliche 20 Jahre nach der friedlichen Revolution – Akteure, die zudem eine interessante wie kaum ein Blick auf das bürgerschaftliche Engage- beachtete Nähe zu den neuen sozialen Bewe- ment in Ostdeutschland gungen der Bundesrepublik aufweisen. Auch wenn das vielzitierte Bonmot vom Der vorliegende Sonderschwerpunkt wagt 20 ‚Fußball als Spiegel der Gesellschaft‘, wie auch Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR die Beiträge an vielen Stellen verdeutlichen, nicht zunächst einen Blick zurück auf Motive und immer haltbar ist, besitzen der Fußball und sei- Ziele der Auflehnung der AkteurInnen der Bür- ne Vereine und Verbände große gesellschafts- gerbewegung in der DDR im Herbst 1989 ge- politische Relevanz. Der Topos ‚Spiegel der gen die SED-Diktatur. Durch die unglaubliche Gesellschaft‘ impliziert, gesellschaftliche Ver- Dynamik, die dieses Engagement in der Masse hältnisse würden sich im Fußball schlicht ab- entwickelt hat, gelang es, die Diktatur zu stür- bilden. Das Beziehungsgeflecht ist jedoch – wie zen. Der Sonderschwerpunkt fragt aber in ei- die Beiträge zeigen – widersprüchlicher und nem zweiten Schritt auch danach, wie es heute, komplizierter: „Wer mitbekommt, was sich im 20 Jahre nach der friedlichen Revolution, um Fußball wann und wie verschiebt, ist über an- die Zivilgesellschaft und das bürgerschaftliche dere Gesellschaftsbereiche osmotisch infor- Engagement in Ostdeutschland bestellt ist. 6 Editorial Der Sonderschwerpunkt dokumentiert Zwi- tiert worden. Die wichtigsten Beiträge dieser schenergebnisse des Forschungsprojekts ‚Er- Konferenz werden im ersten Teil des Sonder- innerungskultur und Zivilgesellschaft in Ost- schwerpunkts dokumentiert. Die Grundidee die- deutschland – Lokale Erfahrungen‘. Dieses Vor- ser Tagung war es, das bürgerschaftliche Enga- haben wurde in den Jahren 2008 bis 2010 vom gement in Ostdeutschland in seinen historischen Beauftragten der Bundesregierung für die neu- Wurzeln, in seinem aktuellen Zustand und in en Bundesländer gefördert. Das Projekt unter- seinen Perspektiven zu diskutieren. suchte Formen des bürgerschaftlichen Engage- Der erste thematische Schwerpunkt der Ver- ments und von Zivilcourage in der DDR, die anstaltung führte – dem 20. Jahrestag der fried- mehr oder weniger unabhängig von den staat- lichen Revolution angemessen – in die ostdeut- lich normierten und kontrollierten gesellschaft- sche Geschichte. Selbstbestimmtes Engagement lichen Aktivitäten stattgefunden haben. Im Zen- abseits der verordneten ‚gesellschaftlichen Ak- trum der Betrachtung standen vor allem bisher tivität‘ von Bürgerinnen und Bürgern hat es in weniger bekannte und erforschte Erscheinungs- der DDR in vielen Formen auch unterhalb der formen solchen Engagements, die in ausgewähl- Schwelle offenen Protestes und Widerstandes ten Beispielen beschrieben, analysiert und do- gegeben. Dieses Engagement hatte durchaus kumentiert wurden. Das Projekt wurde vom For- einen politischen und, wenn es selbstbestimmt schungsverbund SoPro e.V. gemeinsam mit dem war, oftmals einen emanzipatorischen Charak- Verein Politische Memoriale Mecklenburg-Vor- ter. Es bot eine Möglichkeit, sich für eine Öff- pommern e.V. (Schwerin), dem Bildungswerk nung und Demokratisierung der gesellschaftli- der Humanistischen Union e.V. (Essen) und der chen Verhältnisse einzusetzen. Je konkreter und SOCIUS Organisationsberatung gGmbH (Ber- selbstbewusster dies geschah, umso größer lin) durchgeführt. wurden allerdings auch die Konflikte mit der Ein Anliegen des Projekts war es, die Er- Staatsmacht. Der Spannungsbogen reichte vom gebnisse mit kommunalen PartnerInnen vor dem Arrangement mit den Zwängen der Diktatur bis Hintergrund der aktuellen Entwicklung des bür- hin zu einem selbstbestimmten Leben. In einem gerschaftlichen Engagements in Ostdeutschland solchen Zwischenraum lebten mehr Ostdeut- zu diskutieren. Angesichts nachgewiesener Un- sche, als in vielen öffentlichen Diskursen heute terschiede in der zivilgesellschaftlichen Kultur wahrgenommen wird. Von diesem Engagement zwischen Ost und West stellt sich die Frage, ob berichtet Dr. Carlo Jordan im Gespräch mit und inwiefern diese Differenzen auf unter- Forschungsjournal-Redakteurin Dr. Karin schiedlichen kulturellen Prägungen der Vergan- Urich. Jordan gehörte zu den Mitbegründern genheit beruhen und welche Ansatzpunkte und der Umweltbibliothek in der Zionsgemeinde in Möglichkeiten dafür existieren, vorhandene Be- Berlin, war einer der führenden Aktivisten im reitschaftspotenziale in Ostdeutschland stärker Öko-Netzwerk Arche und gründete 1989 mit zu aktivieren. anderen Mitstreitern die Grüne Partei in der DDR. Der Beitrag von Peter Ulrich Weiß be- schreibt das oppositionelle Engagement in Pots- Konferenz zum Engagement in Ost- dam und macht an diesem Beispiel deutlich, dass deutschland das lang andauernde Engagement einzelner Zwischenergebnisse des Projekts sind im Ver- Oppositioneller Voraussetzung für die Massen- lauf der Konferenz ‚Engagement in Ostdeutsch- mobilisierung war. Ohne dieses Engagement land. Traditionen und Perspektiven der Zivilge- einzelner wäre insbesondere in der Region jen- sellschaft‘ am 4. Juni 2009 in Potsdam disku- seits der großen Städte wie Berlin, Leipzig oder Editorial 7 Dresden keine Massenprotestbewegung gegen rInnen 2008 und 2009 im Rahmen von zwei die SED-Herrschaft entstanden. großen Konferenzen in Berlin und Potsdam zur Den Blick in die Zukunft richten Dr. Tho- Diskussion. Die ausführlichen Projektergebnis- mas Gensicke und Elena Demke mit ihren bei- se werden bis Herbst 2010 auf der Homepage den Beiträgen. Gensicke erläutert die Erkennt- www.engagiert-in-ostdeutschland.socius.de nisse des Freiwilligensurveys, der die Dekade abrufbar sein. von 1999 bis 2009 betrachtet hat, und kommt Der 20. Jahrestag des Mauerfalls und der zu dem Schluss, dass sich die Zivilgesellschaft Blick auf die Bürgerbewegung in der DDR in dieser Zeit weiterentwickelt hat und insbe- werden außerdem in der Literaturrubrik aufge- sondere die Bereitschaft zu bürgerschaftlichem griffen mit einer Sammelrezension zu ausge- Engagement deutlich gestiegen ist. Elena Dem- wählten Neuerscheinungen zum Jubiläum. ke untersucht, inwieweit es ein Lernen aus der Geschichte gibt und wie die DDR-Geschichte Kerstin Engelhardt (Berlin), Ansgar Klein und das widerständige Verhalten heute vermit- (Berlin), Karin Urich (Mannheim) telt werden können, um die Zivilcourage der jungen Menschen zu stärken. Anmerkung 1Wir danken Bernd Müllender, Jörg Schlä- Vier Regionalstudien ger und Alban Werner für die Bereitstellung von Der zweite Teil des Sonderschwerpunkts prä- Archivmaterial sowie Anregungen und Kritik. sentiert Fragestellungen und Erkenntnisse des Forschungsprojekts ‚Erinnerungskultur und Literatur Zivilgesellschaft in Ostdeutschland‘. Das For- schungsprojekt untersuchte Formen bürger- Biermann, Christoph 1995: Wenn Du am schaftlichen, nonkonformen Engagements in den Spieltag beerdigt wirst, kann ich leider nicht 1980er Jahren in der DDR, die bislang kaum kommen. Die Welt der Fußballfans. Köln: Kie- bekannt sind. Darüber hinaus fragten die For- penheuer & Witsch. scherInnen, die an den Forschungsverbund Müller-Ulrich, Burkhard 2009: Der Torwart SoPro e.V. angedockt waren, nach der Entwick- und die Medien. Die Tragödie von Robert Enke. lung dieses Engagements nach 1990 und danach, Kommentar für den Deutschlandfunk, was aus den Aktiven geworden ist. Im Rahmen 14.11.2010. Online im Intenet: www.dradio.de/ von vier exemplarischen Fallstudien in Bran- dlf/sendungen/themenderwoche/1069802/ denburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen [01.04.2010]. und Thüringen interviewte das Forschungsteam Ridder, Michael 2006: Angstlust beim Bou- ExpertInnen sowie ZeitzeugInnen und wertete letten-Ballett. Fußball und Fernsehen: Die 15. Dokumente und Literatur aus. Umrahmt wer- Marler Tage der Medienkultur. In: Epd-Medi- den die vier Regionalstudien von einem einfüh- en, 12.4.2006, 3. renden Text und einer Zusammenfassung der Steinle, Bernd 2006: Was ist an Fußball ei- wichtigsten Erkenntnisse. Diese Ergebnisse gentlich so toll? In: Frankfurter Allgemeine Sonn- trägt das Team weiterhin in die Kommunen zu- tagszeitung (FAS), 4.6.2010, B12. rück, außerdem wurde ein Bildungsleitfaden für Theweleit, Klaus 2006: Tor zur Welt. Fuß- die Bildungs- und Geschichtsarbeit in den Kom- ball als Realitätsmodell. 1. erweiterte und über- munen erarbeitet. Den Forschungsansatz und arbeitete Auflage, Köln: Kiepenheuer & die Zwischenergebnisse stellten die Forsche- Witsch. 8 Forschungsjournal NSB, Jg. 23, 2/2010 Tissy Bruns Schwarz-gelb und die neue Ungleichheit Staaten seien doch nichts als große Räuberban- – und wenn man, zum Beispiel, an die Kar- den, wenn sie die Gerechtigkeit preisgeben. Sehr stadt-Beschäftigten und ihren Ex-Manager Tho- weit entfernt von der jahrhundertealten Sicht- mas Middelhoff denkt, kann man das lebhaft weise des Augustinus ist die praktische Alltags- nachempfinden. Dass die Globalisierung den vernunft der Gegenwart nicht. Die Frage nach Wirtschaftseliten ein erpresserisches Druckpo- der Gerechtigkeit hat in den westlichen Demo- tential gegenüber den Beschäftigten und den kratien Karriere gemacht, parallel zu einer Er- Staaten in die Hand gegeben hat, ist ein weit scheinung, die Demoskopen dort überall ver- verbreitetes Alltagswissen. Seine Wirkungs- zeichnen: der Politikverdrossenheit. Die Bun- macht bezieht es unter anderem aus dem Wider- desrepublik, die mit der sozialen Marktwirtschaft spruch zum Ton der öffentlichen Eliten aus Po- ein Spitzenprodukt des europäischen Sozial- litik und Medien, die in den allfälligen Talk- staatsmodells hervorgebracht hat, zeigte zu de- shows im Zeitgeist der Deregulierung Chancen ren besten Zeiten auch Höchstwerte der Identi- und neue Freiheiten noch gefeiert haben, als am fikation der Bürger mit dem politischen Sys- 15. September 2008 die Bilder der zusammen- tem. Bei der berühmten ‚Willy‘-Wahl von 1972 brechenden Lehman-Investmentbank um die wählten 92 Prozent der Wahlberechtigten und Welt gingen. Die Normalos wussten da schon über 90 Prozent von ihnen gaben ihre Stimme längst, dass nicht jeder 20 Prozent Rendite ma- staatstragenden Parteien, nämlich CDU, CSU, chen kann, und sie hatten selbst erlebt, dass die FDP und SPD. Die breite Akzeptanz der markt- globalisierte Welt Chancen und Risiken äußerst wirtschaftlichen Grundkonstruktion der Gesell- ungleich verteilt. Als das gewaltige Risikopo- schaft ließ sich bis weit in die 1980er Jahre tential einer entgrenzten, regellosen Marktwirt- ablesen an der hohen Zustimmung zur Allens- schaft offensichtlich geworden war, fürchteten bach-Frage, ob die Bürger ihr persönliches Wohl diese Menschen in den Staatseingriffen keiner- mit dem Erfolg der Wirtschaft verknüpft sehen. lei Gefahr für die freie Marktwirtschaft. Aber Der Fall der Mauer und der Untergang der sozi- ihr Glaube an deren sozialen Charakter war lan- alistischen Planwirtschaft basierten wesentlich ge vorher und bleibt nachhaltig erschüttert. Und auf der Attraktivität einer Marktwirtschaft, die ist das nicht eine durch und durch realistische das Versprechen von Gerechtigkeit einlösen Sicht? konnte. Es hat sich herumgesprochen, wie sehr die Die siegreiche Marktwirtschaft hat diese Globalisierung das alte Unbehagen am Kapita- Vorzüge allerdings schnell unter ihre Räder ge- lismus wieder belebt hat, das die europäischen bracht. Längst schon findet die Mehrheit der Sozialstaaten und – auf gar nicht so ganz andere Bundesbürger nicht mehr, dass es ihnen selbst Art, die angloamerikanische Welt – durch Wohl- gut ginge, wenn es der Wirtschaft gut geht. Den stand, Teilhabe und Aufstiegsmöglichkeiten lan- Begriff der ‚Räuberbande‘ würden relevante ge erfolgreich widerlegen konnten. Welche Wir- Bevölkerungsgruppen für die führenden Finanz- kung dieses Unbehagen auch auf das politische manager (wohlgemerkt solche aus demokra- System der Demokratie entfaltet, verschwindet tisch-rechtstaatlichen Ländern) nicht ablehnen dagegen hinter dem Nebelvorhang, den die po- Schwarz-gelb und die neue Ungleichheit 9 litischen Führungen nach der Finanzkrise über Dieser Fortschritt ist aber auch die Quelle ihr Versagen gesenkt haben. In Deutschland eines neuen Unvermögens, Balance, Ausgleich besteht der Versuch, das Primat der Politik und Zusammenhalt der Gesellschaft vernünftig wieder zu gewinnen, hauptsächlich in einer zu gestalten. Nicht nur die Kluft zwischen oben wortreichen Beschwörung des Geistes der so- und unten ist größer geworden, auch die Diffe- zialen Marktwirtschaft. Die allerdings ist durch renzierungen der Schichten dazwischen sind die Realität so wenig gedeckt wie die Sonntags- immens. Neben der großen Spaltungslinie zwi- reden von der Chancengleichheit durch Bildung schen denen ‚drinnen‘ – Menschen, die in an- und sozialen Aufstieg. strengenden Arbeitsverhältnissen ihr Leben in Der harte Kern der seit fast zwei Jahrzehn- die Hand nehmen können – und der wachsen- ten um sich greifenden Politikverdrossenheit ist den Schicht ‚draußen‘, die keinen Fuß in die das Unvermögen der Politik, das Gerechtigkeits- Tür bekommen, gibt es unzählige feine Unter- versprechen des Sozialstaats einzulösen. Die schiede und soziale Lagen, die prekär sind oder Globalisierung hat alte Fragen des vordemo- so empfunden werden. kratischen Kapitalismus wieder auf die Tages- Die neue Ungleichheit ist offensichtlich an- ordnung gesetzt: die Privilegierung der Wirt- strengend, nicht nur für die Verlierer. Personal- schaft vor anderen sozialen Gruppen. Die Be- chefs, Pfarrer, Psychologen können ein Lied deutung der Herkunft für den Lebenserfolg. Die davon singen. Die Befunde der Meinungsfor- mehr und mehr auseinander gehende Schere scher belegen bei Alt und Jung die Sehnsucht zwischen ganz oben und ganz unten. Kurzum: nach Familie und Zusammenhalt. Belegschaf- die große Ungleichheit. ten und Unternehmer träumen von mehr Team- Doch Gerechtigkeit und soziale Balance geist. Doch die erlebte Realität sind Beschleu- müssen unter ganz neuen Bedingungen gefun- nigung und die Verdichtung der Arbeit, Anstren- den werden. Einmal wegen ihrer globalen Na- gungen, die auf den Familien lasten, Solidarität tur: Die reichen Nationen können die Kosten und Teamgeist in den Arbeitsbeziehung schwer ihres Wohlstands nicht mehr in die armen aus- machen und neue öffentliche Konkurrenzen lagern. Nationalstaatlich verfasste Politik kann hervorbringen, zum Beispiel um die besten Bil- die globalisierte Marktwirtschaft nicht wirk- dungschancen für die Kinder. Die hohe Diffe- sam gestalten; das Politikversagen vor und renzierung suggeriert Chancen. Doch tatsäch- nach der Krise ist deshalb eine prekäre Mixtur lich legt die soziale Herkunft heute mehr fest als aus subjektiver Unfähigkeit und objektivem vor zwanzig oder dreißig Jahren. Die Zugehö- Unvermögen. Massiv verändert haben sich rigkeit zum obersten Fünftel der Gesellschaft auch die internen Verhältnisse der demokrati- wird vererbt wie die zum untersten. Weil das schen Gesellschaften. Anders als die des vor- alle wissen oder ahnen, findet in der Kluft zwi- demokratischen Kapitalismus und die aufstei- schen Verheißungen und Wirklichkeit ein Pro- genden Wohlstandsgesellschaften kennen sie zess der Ent-Solidarisierung statt, eine Ent-So- keine Sozialstrukturen mehr, die benachteilig- lidarisierung wider den Willen und hinter dem te Klassen oder Schichten zur Solidarität Rücken der meisten Menschen. ebenso verdammt wie sie gemeinsamen Kampf In der schwarz-gelben Bundesregierung, und kollektive Anstrengungen belohnt haben. könnte ein Zyniker sagen, hat diese Gesellschaft Der größte Erfolg der Demokratie ist die Indi- ein adäquates Spiegelbild gefunden. Die von vidualisierung, die Möglichkeit und Befähi- ihren führenden Protagonisten herbeigesehnte gung des Einzelnen, den eigenen Weg zu ge- Koalition hat einen Anfang geliefert, der in sei- hen. nen dramatischen Fehlleistungen beinah rätsel-

Description:
ähnlich breit verankerte Bewegung ist Abahlali. baseMjondol (Shack .. Dass Fußball in fak- tisch allen 53 postkolonialen Nationalstaaten zur populärsten Sportart avancierte, ist ein akzeptiertes Erbe des kolonialen Kulturimpe- rialismus. niertheit des Spiels durch den ethnischen Fak- tor festhi
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