Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik Andreas NetzlerlMichael Opielka (Hrsg.) Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik Leske + Budrich, Opladen 1998 Gedruckt auf saurefreiem und altersbestlindigem Papier. ISBN 978-3-8100-2204-2 ISBN 978-3-322-95090-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95090-1 © 1998 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBeri der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulassig und st bar. Das gilt insbesondere fur Vervielfliltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Eins] cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Leske + Budrich Inhalt Vorwort ................................................................................................... 9 Zur Einleitung ...................................................... ...... ............ ................. 11 Matthias Pechstein Familiengerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit 1. Einleitung ................. ......... .............. .................... ........ ........... ...... 17 2. Die Ausgangslage . ................ ...................................... ..... ............. 18 2.1 Die wirtschaftliche Situation der Familien ................................... 18 2.2 Grundforderungen an familiengerechte Sozialgestaltung ............ 22 2.3 Der Zusammenhang von Familiengerechtigkeit und Sozialstaatlichkeit .................... ........ ............................ ....... .... ... ... 23 3. Der verfassungsrechtliche Rahmen .............................................. 24 4. Familiengerechte Reform der Alterssicherungssysteme .............. 28 4.1 Grundsatzliches ............................................................................ 28 4.2 MaBnahmen im Rahmen der Gesetzlichen Rentenversicherung .. 29 5. SchluB ........................................................................................... 31 Literatur ................................................................................................... 32 Ilona Ostner Frauengerechtigkeit und Familienpolitik 1. Einleitung .......... ............... ....... ................ ............ ......................... 35 2. Geschlechterordnung und Wohlfahrtsstaat .................................. 35 3. Einfache Gleichheit oder die Freiheit zu bleiben / zu gehen ........ 37 4. Giltekriterien komplexer Gleichheit ............................................. 38 4.1 Vermeidung von Verarmung und Armut ..................................... 38 4.2 Vermeidung ausbeutbarer Verwundbarkeit ................................. 39 4.3 Gleichbehandlung ........................................................................ 39 4.4 Vermeidung von Marginalisierung .............................................. 39 4.5 Vermeidung von Androzentrismus .............................................. 39 4.6 "Universalisierte Ernahrer-Rolle" und "Gleichwertigkeit der Sorge" ..................................................................................... 40 6 Inhalt 5. Ausblick ...................................................................................... . 42 Literatur .................................................................................................. . 42 Andreas Netzler Verteilungsstrukturen und Aquivalenz der Familienarbeit 1. Gegenstand und Annahmen der Analyse .................................... . 47 2. Ausgewahlte empirische Daten als Hintergrund zur Diskussion . 51 3. Normen, Wertungen und wertende Annahmen zum soziokulturellen Stellenwert der Familienarbeit in der sozialen Sicherung ........... . 52 3.1 Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann als alleinige Wertungsbasis ............................................................................. . 55 3.2 Die familienspezifische Norm: Familienarbeit als ein aoziokulturell aquivalentes Lebenskonzept ................................. . 56 3.3 "Wirtschaftslogik": 1st Familientatigkeit generell wie Erwerbstatigkeit zu behandeln? .................................................. . 60 4. SchluB: Reformziele fUr das System sozialer Sicherung ............. . 64 Literatur .................................................................................................. . 67 Petra Buhr Armut durch Kinder - zur Logik der Benachteiligung von Familienarbeit im Sozialstaat 1. Einleitung .......... .............................. ........ ....... ....... ............. .......... 71 2. Welche Wege fUhren in die Armut von Familien? ....................... 71 2.1 Kinder als direkte Armutsursache ........... ....... .... ... ............. .......... 72 2.2 Kinder als Zusatzrisiko .. ............................ ........ .... ......... .... .......... 77 3. Gibt es Wege aus der Armut? ...................................................... 78 4. Fazit und Ausblick ....................................................................... 81 Literatur . ...... ....... ........ .............. ............. ...... ........... ......... ... .............. ....... 82 Michael Opielka Bezahlte Elternschaft. Voraussetzungen und Folgen einer monetiiren Anerkennung der Erziehungsarbeit durch ein Erziehungsgehalt 1. Einleitung .............. .... ..... ...... .... .............. .............. ............. ...... ..... 87 2. Der wirtschaftliche Wert der Familienarbeit und ihr mangelnder Reflex im W ohlfahrtsstaat ........... .... .... .... ....... ... ........... ...... .......... 89 3. Sozialpolitische Folgen (und Nebenfolgen) eines Erziehungsgehaltes ... ............... ........ .......... ............ ............. ... ....... 99 4. Zielsetzungen eines Erziehungsgehaltes ...................................... 103 4.1.1 Erziehungsgehalt I (Kinder bis 7 Jahre bzw. Schuleintritt) .......... 104 4.1.2 Die Phasen der Einfiihrung des Erziehungsgehalts 2000............. 105 4.1.3 Erwerbszeitunabhangige und erwerbszeitabhangige Ausgestaltung ............................................................................... 106 4.1.4 Variante: Zeitkonto bei Erziehungsgehalt I .................................. 108 Inhalt 7 4.1.5 Besteuerung .................................................................................. 108 4.1.6 Erziehungsgealt II (Kinder tiber 7 Jahre) - Grundsicherung fUr Eltem ...................................................................................... 109 4.2 Sozialpolitische Einbettung des Erziehungsgehalts ..................... 110 4.3 Erwerbstiitigkeit ........................................................................... 112 4.4 AuBerhausliche Kinderbetreuung (Subjekt-statt Objektforderung) .......................................................................... 112 4.5 Finanzierung ................................................................................. 114 4.6 Diskussion von einigen struktureIlen, institutionellen und politischen Aspekten des Vorschlags Erziehungsgehalt 2000 ..... 115 4.6.1 Das Grundprinzip: Beitrag oder Steuer? Gehalt oder Transfer? ...................................................................................... 115 4.6.2 Niveau eines Erziehungsgehalts? ................................................. 117 4.6.3 Erweiterte Finanzierungsgrundlage: Steuerfinanzierung oder Abgaben? ..................................................................................... 117 4.6.4 Verhaltnis zum Arbeitsmarkt: SoIl das Erziehungsgehalt den Rtickzug der Frauen vom Arbeitsmarkt fOrdem? ......................... 117 4.6.5 Hausliche und auBerhliusliche Kinderbetreuung: die Idee des Erziehungsgutscheins ................................................................... 118 4.6.6 Verhliltnis zur Alterssicherung ..................................................... 119 5. Zum systematischen und ordnungspolitischen Stellenwert eines Erziehungsgehalts ........................................................................ 120 Literatur ... .................. ................. ............................... .............................. 121 Thomas Bahle Familienarbeit und Typen der Familienpolitik in Europa 1. Familienpolitik als soziale Ordnungspolitik ................................. 125 2. Unterschiedliche Formen der Familienpolitik in Europa ............. 127 3. Familienpolitische Profile bei Kinderbetreuung und Betreuung und Pflege lilterer Menschen ........................................................ 128 4. Soziologische und familienpolitische SchluBfolgerungen ........... 135 Literatur ................................................................................................... 137 Rosemarie von Schweitzer Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik - Probleme und Perspektiven 1. Die Berucksichtigung der Leistungen der farnilialen Lebensformen durch eine "neue Familienorientierung" in der Gesellschaftspolitik ............................................................ 141 2. Die Pluralisierung der Lebensformen, ein Zeichen sich verandemder familialer Solidaritatspotentiale ............................. 144 3. Das Zeitbudget und die gesellschaftliche Bedeutung und Bewertung der Aktivitaten ........................................................... 148 8 Inhalt 4. Die F6rderung der Geschlechter- und Generationensolidaritat als vorrangige Herausforderung fUr die Familienpolitik als Gesellschaftspolitik in modernen Staaten .................................... 154 Literatur ................................................................................................... 158 Die Autoren ............................................................................................. 159 Vorwort Der hier vorgelegte Reader geht auf eine yom Staatsinstitut fUr Familienfor schung an der Universitat Bamberg durchgefUhrte Fachtagung zuruck. Die einzelnen Beitrage enthalten die erweiterten Versionen der vorgeleg ten und im Rahmen der Tagung diskutierten Beitrage. Diese geben neben den Ergebnissen wissenschaftlicher Analysen und Befunde die Einschatzung der einzelnen Autoren zur Bedeutung der zu erwartenden Effekte zu familienpo litischen MaBnahmen wieder, die aus der Neubewertung der Familienarbeit in der Familienpolitik resultieren. Die Bedeutung des Themas und unsere Einschatzung, daB die Ergebnisse eine groBere wissenschaftliche und nichtwissenschaftliche Offentlichkeit er reichen sollten, haben uns veranlaBt, die Manuskripte nicht in den instituts eigenen Publikationsreihen (ifb-Forschungsberichte und ifb-Materialien) son dem in der vorliegenden Form zu publizieren. Besonders danken mochten wir dem Bayerischen Staatsministerium fUr Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit fur die gewlihrte Forderung sowie den Herausgebem dieses Bandes, Herm Dr. Andreas Netz ler und Herm Dr. Michael Opielka, die fUr die Organisation der Fachtagung verantwortlich waren. Laszlo A. Vaskovics Leiter des Staatsinstitut fUr Familienforschung an der Universitat Bamberg Zur Einleitung Die W ohlfahrt einer Gesellschaft wird ganz wesentlich von den Lebenssitua tionen und Leistungen der Familien bestimmt. Familientatigkeit schafft priva tes und gesellschaftliches (der Gemeinschaft zugute kommendes) "Human kapital". Aus der Familienokonomie und -politik stammende Berechnungen zum Humankapital durch Kindererziehung quantifizieren den wirtschaftli chen Wert der Familientatigkeit auf eine GroBenordnung, die mindestens der gesamten Lohn- und Gehaltssumme der bundesdeutschen Gesellschaft ent spricht. Zugleich zeigt die Verteilungsforschung, daB z.B. Familie zu leben und Familientatigkeit zu leisten ein wesentlicher - in Deutschland der we sentlichste - Armutsfaktor ist. Die sozialpolitische Absicherung von Famili entatigkeit ist trotz ihrer immensen Bedeutung gegeniiber Erwerbstatigkeit gering (Erwerbszentriertheit der sozialen Sicherung). Dies fUhrt bei unglei cher Verteilung von Kindem in Haushalten und Familientatigkeit zu einer strukturellen Riicksichtslosigkeit gegeniiber Familien und solchen Frauen, die noch immer vorwiegend Erziehungsarbeit leisten. Familientatigkeit be dingt z.B. im FaIle einer Scheidung massiv benachteiligende okonomische Kurz- und Langzeitfolgen fUr die Partner gegeniiber Kinderlosen - und Geld verteilt gesellschaftlich immer noch am nachhaltigsten Lebenschancen. Das Familienrecht hat bis heute im Ergebnis keine der Erwerbstatigkeit entspre chende Absicherung der Familientatigkeit geregelt. Die Familienpsychologie beschreibt u.a. die Belastungen durch Familientatigkeit und sie hat schon lange das pauschale Vorurteil yom Privileg der Kindererziehung und -be treuung gegeniiber einer vermeintlich entbehrungsreicheren Erwerbstatigkeit widerlegt. Familientatigkeit ist ein auBerordentlich hochrangiges Gut (auch fUr Kinderlose) und zugleich ist sie sozialpolitisch deutlich weniger beriick sichtigt als Erwerbstlitigkeit. Vnter dem Titel ,,Neubewertung der Familienarbeit in der Sozialpolitik - Probleme und Perspektiven" veranstaltete das Staatsinstitut fUr Familienfor schung an der Vniversitat Bamberg (ifb) am 24. und 25. Oktober 1996 eine Fachtagung in Bamberg, deren Beitrage in iiberarbeiteter Form dem vorliegen den Band zugrundeliegen. Aus soziologischer, okonomischer, juristischer und pactagogischer Sicht werden die Spannungen zwischen gegebenen und erfor derlichen Bewertungen der Familienarbeit analysiert und Konsequenzen fUr ei nen Vmbau des Sozialstaats gezogen. Bei aller Vnterschiedlichkeit der von den 12 NetzlerlOpielka Autorinnen und Autoren gewiihlten Normen und Situationsdiagnosen ist allen Beitragen ein Ergebnis gemeinsam: Der hohe soziokulturelle Stellenwert der Familienarbeit wird in der (deutschen) Sozialpolitik teils dramatisch unterbe wertet. Er kann nicht als Nebenprodukt eines immer starker der globalen Kon kurrenz unterliegenden Wirtschaftslebens erwartet werden. Dennoch ist die an gemessene Beriicksichtigung der Familienarbeit in allen Beitragen Ziel und in tegraler Bestandteil einer zukunftsorientierten Gesellschaftspolitik. Eine sozial politische Neubewertung der Familienarbeit erscheint daher unverzichtbar. Sie ist nicht nur Erganzung und Anhangsel der Erwerbsarbeit, sondern ein eigener, gemeinschaftlicher Lebensbereich, der aquivalent lebbar sein muB. Familien und insbesondere die noch immer hauptsachlich Erziehungsarbeit leistenden Frauen gehoren aufgrund ihrer Risiken und EinkommenseinbuBen zu den groBten Risikonehmern in der heutigen Gesellschaft. Die sozialpolitisch erfaBten Risiken - Arbeitslosigkeit, Alter, Krankheit oder Pflege - betreffen Familien in besonderem MaBe. Wahrend vor EinfUhrung der modernen sozial staatlichen Sicherungssysteme Kinder und Familienbindungen oft den einzigen Schutz vor diesen allgemeinen Lebensrisiken geboten haben, hat sich die Si tuation heute geradezu auf den Kopf gestellt: Kinder und damit Familie werden selbst zum - zumindest wirtschaftlichen - Risiko. Wiihrend der Erwerbswirt schaft die Notwendigkeit veriaBlicher Rahmenbedingungen durch machtvolle Interessengruppen das Wort geredet wird, hat Familienarbeit keine vergleichba re Lobby. Aber das moderne Leben mit seinem Leistungs-, Ertrags-, Flexibili sierungs- und Gewinndenken geht an den Familien nicht vorbei. Die relativen Kosten und Risiken dieser Lebensform nehmen zu. Bereits der Begriff der Familienarbeit kann miBverstandlich sein: 1st damit die Arbeit gemeint, die z.B. professionelle Sozialpadagogen gegenuber Pro blemfamilien erbringen? Oder ist das ein in Familien geleistetes "freiwilliges soziales Jahr"? 1st es nur die unbezahlte Tatigkeit der Eltern, insbesondere der Mutter in der Familie? Familienarbeit bezeichnet hier die Gesamtheit aller un entgeltlich erbrachten Leistungen und Tatigkeiten der Eltern gegenuber ihren Kindern in Form von Erziehung, Betreuung, Bildung und Ausbildung, also alle Dienstleistungen fur ein korperlich und seelisch und geistig gesundes Wachsen und Reifen. Ware da aber nicht der Begriff ,,Familientatigkeit" bzw. ,,Neubewertung der Familientatigkeit" praziser, ware Familientatigkeit also keine Arbeit? Was unterscheidet Tatigkeit von Arbeit? SchlieBlich bezeichnen wir die Erwerbsarbeit auch als Erwerbstatigkeit, wiihrend fUr Familientatigkeit der Begriff der Familienarbeit wenig verbreitet ist. Dahinter steht nicht einfach nur ein nachlassiger Umgang mit Begriffen, sondern wirken gewohnte Sicht weisen, welche die sozialpolitische Anerkennung von Familienilitigkeit als Ar beit schon sprachlich ausgrenzen. Ein Erklarungsansatz ist: Erwerbstatigkeit wird nicht als Selbstzweck gesehen, sondern dient dem Erwerb der wirtschaftli chen Lebensgrundlagen, ist also nur Mittel zum Zweck, wahrend Familienta tigkeit unmittelbar der Selbstverwirklichung der Eltern dient. Bei naherem Hin-