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Naturwissenschaft als subjektlose Macht?: Nietzsches Kritik physikalischer Grundkonzepte PDF

252 Pages·1991·8.024 MB·German
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Klaus Spiekermann Naturwissenschaft als subjektlose Macht? w DE G Monographien und Texte zur Nietzsche-Forschung Begründet von Mazzino Montinari · Wolfgang Müller-Lauter Heinz Wenzel Herausgegeben von Ernst Behler · Eckhard Heftrich Wolfgang Müller-Lauter · Heinz Wenzel Band 24 1992 Walter de Gruyter · Berlin · New York Naturwissenschaft als subjektlose Macht? Nietzsches Kritik physikalischer Grundkonzepte von Klaus Spiekermann 1992 Walter de Gruyter · Berlin · New York Anschriften der Herausgeber: Prof. Dr. Ernst Behler Comparative Literature GN-32 University of Washington Seattle, Washington 98195, U.S.A. Prof. Dr. Eckhard Heftrich Germanistisches Institut der Universität Münster Domplatz 20-22, D-4400 Münster Prof. Dr. Wolfgang Müller-Lauter Klopstockstraße 27, D-1000 Berlin 37 Prof. Dr. Heinz Wenzel Harnackstraße 16, D-1000 Berlin 33 Redaktion: Johannes Neininger, Ithweg 5, D-1000 Berlin 37 Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Spiekermann, Klaus: Naturwissenschaft als subjektlose Macht : Nietzsches Kritik physi- kalischer Grundkonzepte / von Klaus Spiekermann. — Berlin ; New York : de Gruyter, 1992 Zugl.: München., Univ., Diss., 1990 u. d. T.: Spiekermann, Klaus: Nietzsches Kritik naturwissenschaftlicher Grundkon- zepte ISBN 3-11-012832-2 © Copyright 1991 by Walter de Gruyter & Co., D-1000 Berlin 30 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover- filmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: W. Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer, Berlin Vorwort Die "Herrschaft über die Natur", notiert Nietzsche im Sommer 1880, sei "die fixe Idee des 20. Jahrhunderts". Dieses Buch wäre nicht geschrieben worden, wenn ich Nietzsches tiefgründende Ambivalenz in seiner Be-Wertung der Naturwissenschaften, ihrer philosophischen, historischen und vitalen Bedeutung, nicht auch noch für die unsere aktuelle hielte. Nietzsches aversiv-faszinierte Nähe zur (Natur-)Wissenschaftlichkeit wird immer noch unterschätzt. Immerhin nennt der theoretische Physiker und Philosoph C.F. v. Weizsäcker die Entdeckung des Machtfaktors in den physikalischen Grundkonzeptionen die originäre Leistung Nietzsches. Was der Mensch in der Naturwissenschaft erreicht, ist nicht Herr- schaft über die Natur, sondern Macht in der Natur, und oft gegen sie. Der Glaube an die Wertfreiheit des Unternehmens ist vielleicht im Schwinden begriffen, seine Machtförmigkeit aber ungebrochen. Keine von Menschen gemachte politische und ökologische Katastrophe unseres Jahrhunderts, kein Krieg gegen Menschen oder die Natur, wozu nicht wert-vergessene Wissenschaftler die wirksamen Instrumente geliefert hätten. Die machtförmige Interpretation von Natur und Wirklichkeit, im Namen 'objektiver Wahrheitssuche', verleiht ihren Protagoni- sten das saubere Gewissen ('sie benutzten es nie') und bestimmten Kulturen/ Gesellschaften, die diese Macht 'wertneutral' und immoralistisch ausspielen, die technologische Überlegenheit - die dann implizit der moralischen Rechtfertigung von sozialen Ungleichheiten, neokolonialer Ausbeutung und imperialen Akten der Menschenvernichtung dient (wie jüngst erlebt). Nietzsche wollte, wie er im Nachlaß 1887/88 sagt, "die Geschichte der nächsten zwei Jahrhunderte" erzählen, in denen er ein "Zeitalter der Barbarei" heraufziehen sieht: und "die Wissenschaf- ten werden ihm dienen" (so 1880/81). Insofern geht die Entdeckung des Machtfaktors, des Praxischarakters schon in den theoretischen Grundkonzepten der Naturwissenschaft, d.h. schon im Entschluß, Natur einer objektivierenden Perspektive zu unterwerfen, über die Tragweite der physikalischen 'Grundla- genkrise' weit hinaus. Diese aber, die Erschütterung des objektiven Wahrheitsanspruchs im mecha- nistischen Weltbild, den zur Zeit von Nietzsches Tod vehement einsetzenden ' Paradigmenwechsel', nahm er - und nicht nur die Auswirkungen für Welt-Bild und Lebensgefühl, sondern auch z.B. die Rolle der Zeitlichkeit im elementaren Quanten-Geschehen - wie übrigens kaum ein Denker oder Physiker seiner Zeit, VI Vorwort intuitiv in Gedanken-Experimenten vorweg. Es könnte sich zeigen, daß Nietz- sches Grundlagenkritik auch für eine veränderte Wirklichkeitsauffassung in Relativitäts- und Quantentheorie höchst bedenkenswert und an-stößig bleibt. Er weist die Sprach-, Geschichts- und Subjektabhängigkeit einer Wissenschaft nach, die immer schon ein 'anthropomorphes', metaphorisches Handeln, Praxis ist: auch und gerade, wo sie die Wirklichkeit logisiert und mathematisiert, d.h. aber semiotisiert, und ihre Zeichen-Welt mit Wahrheit über Natur verwechselt. Nietzsche hält den 'Atomisten' seiner Zeit vor, in ihrem Interpretieren das Subjekt zu vergessen (Nietzsches 'Interpretation' soll selbst ein 'subjektloser Vorgang' sein). Bedeutende Vertreter und Interpreten der Quantentheorie heute halten ihre Deutung nur für konsistent, wenn nicht nur der abstrakte Beobachter, sondern reale, ganzheitliche Subjekte und ihre Geistigkeit vorausgesetzt werden. Die naturwissenschaftliche Methode eliminiert aber systematisch alles Individuelle, Subjektive, Historische. Auch Nietzsche kritisiert wissenschaftliche 'Wahrheit', die 'mechanistische Unsinnigkeit alles Geschehens* (GM 11,12) vom leibhaft- lebendigen Subjekt her - dessen ontologisch-existentielle Eigenständigkeit und Unhintergehbarkeit er philosophisch leugnet: das Subjekt selbst ist nur subjektive Interpretation! - Kommen wir aber aus der 'fortgesetzten Zeichen-Kette von immer neuen Interpretationen und Zurechtmachungen' heraus? Naturwissenschaft als geschichtliche Gestalt und Praxis ist wie jede Sache, die sich in einer Art Einheit 'kristallisiert' hat, 'schwer zu analysieren' oder zu definieren: "alle Begriffe, in denen sich ein ganzer Prozess stmiotisch zusammenfasst, entziehen sich der Definition; definirbar ist nur Das, was keine Geschichte hat" (I.e.). Exakt definierbar sind quantifizierende physikalische Kategorien; als 'letztgültige Wahr- heit' aufgefaßt, gehören sie zum szientistischen Selbstmißverständnis. Naturwis- senschaft ist wie der Mensch, der sie handhabt, selber Teil der Natur, ein bemächtigender Interpretationsprozeß. Nietzsches Grundlagenkritik und ihre kritische Analyse müßte die geschlossene Kette von semiotischen Zeichen (in der etwa die poststrukturalistische, dekonstruktive Nietzsche-Lektüre gefangen bleibt), den Interpretationszirkel in der Wissenschaftsbewertung und in der Nietzsche- Interpretation durchbrechen. Von wo her aber könnte einer verselbständigten, hybriden Technologisierung aller Lebensbezüge Widerstand erwachsen, von wem könnte eine "Gegenbewe- gung" gegen den "immer ökonomischeren Verbrauch von Mensch und Mensch- heit, zu einer immer fester in einander verschlungenen 'Maschinerie' der Interessen und Leistungen" (N.Herbst 1887 10[17]) ausgehen, wenn nicht von verantwortlichen Subjekten - als den Trägem einer möglichen 'Moralität' der Wissenschaft? "Je vollkommener die Maschine, desto mehr Moralität macht sie nötig" (schreibt Nietzsche Sommer 1875). Nur entzieht Nietzsche, dank seines zwiespältigen Gegensatzdenkens über Macht und Moral und seiner Leugnung aller Wahrheit und Ordnungsstrukturen in der Natur und der Sprache, seiner eigenen Kritik das mögliche ethische und logische Fundament... wodurch aber seine Kritik und ebenso seine Frage nach einem 'neuen Wozu?' aller Wissenschaft nichts an Relevanz und Aktualität für uns einbüßen muß! Auch als Naturwissen- Vorwort VII schafts-Kritiker sah er - wie Max Frisch sich ähnlich über Brecht äußerte - viele Dinge so unerbittlich scharf, weil er so viele andere Dinge unerbittlich nicht sah.- Nietzsche ist antiszientistisch, nicht antiwissenschaftlich eingestellt; er bekämpft den Realitätsverlust durch eine 'Machinalisierung der Menschheit', die 'Verklei- nerung und Anpassung der Menschen an eine spezialisierte Nützlichkeit', den 'ökonomischen Optimismus' (N. Herbst 1887 10[17]). Trotz der proklamierten Eliminierung des Subjekts verteidigt er den reicheren Lebens-Anspruch der Individuen, die seiner Interpretation nach im Altertum freier waren, doch in den unendlichen mathematischen Horizonten des modernen naturwissenschaftlichen Weltbildes gehemmt und verkürzt erscheinen. So lesen wir in 'Homer's Wett- kampf' (1872): "Der moderne Mensch ist dagegen überall gekreuzt von der Unendlichkeit, wie der schnellfüßige Achill im Gleichnisse des Eeleaten Zeno: die Unendlichkeit hemmt ihn, er holt nicht einmal die Schildkröte ein" - der moderne Achill löst das Paradox auf seine Weise, indem er, mit 'Unendlichkeits-Chimären' rechnend und mit der Macht seiner praktikablen Formeln die 'Natur vergewalti- gend', die Konkurrentin, die Schildkröte ausrottet... Was Nietzsche von den Besitzenden und der 'Gefahr im Reichtum' sagt, müßte a fortiori für den Besitzer machtvoller Technologien gelten: "Nur wer Geist hat, sollte Besitz haben: sonst ist der Besitz gemeingefährlich" (MA 11,310). Das vorliegende Buch ist die etwas überarbeitete Fassung meiner Disserta- tion, die 1990 von der philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians- Universität in München angenommen wurde: die entscheidende Anregung und Ermunterung zu deren Entstehung verdanke ich Herrn Prof.Dr.Dr. Reinhard Low. Wesentlich sind für meine Arbeit außerdem das exemplum und die Interpretatio- nen eines Lehrers der frühen Jahre, des nunmehr bald neunzigjährigen Ernesto Grassi geworden: seine Verteidigung des individuellen Lebens gegen eine sich verselbständigende, bildlos-verarmte Wissenschafts-Rationalität, aus dem Geist einer existentiell verbindlichen, erneuerten Deutung der humanistischen Tradition ( - in der Möglichkeiten zur Rettung des Subjektiven bereitlägen, die Nietzsche, trotz vergleichbar intensiver Suche nach einer schöpferischen und inventiven, phantasie-entsprungenen Philosophie, letztlich ablehnte bzw. ignorierte). München/Kempten, Sommer 1991 K.S. Inhalt Vorwort V Einleitung 1 I. Sinnkrise der Naturwissenschaft: Nietzsches ambivalente Stellung und seine kritische Methode 7 II. Erkenntnisnihilismus und Erkennbarkeit der Natur 16 ΠΙ. Kritik der Begriffe: Sprache als vermeintliche Wissenschaft 28 IV. Anthropomorphismen der Naturwissenschaft 44 V. Naturwissenschaft als Interpretation 73 Pathos der Vorplatoniker 73 Der Glaube an die materielle Wirklichkeit und der Naturforscher als interpres 77 Interpretation als biologische Nötigung 83 VI. Bemächtigende Interpretation - ohne Interpreten? 93 Theoriebeladenheit der Fakten: Nietzsches Perspektivismus und der Beobachterstandpunkt 93 Wer interpretiert in der Naturwissenschaft? Das Subjekt des Inter- pretierens 101 Der Machtfaktor und die Werte im naturwissenschaftlichen Inter- pretieren 113 Wissenschaftliche Interpretation als Macht- und Selbststeigerung 121 VII. Wirklichkeitsbild und Zeichenschrift: 124 Der wirkliche Vorgang hinter den Phänomenen 124 Naturwissenschaft als Zeichenschrift 134 χ Vni. Losgelöste Abstraktion: Die Logisierung der Wirklichkeit 139 Kritik des logischen Optimismus - pragmatischer Erfolg einer Zei- chen-Convention 139 Die dichterisch-logische Macht in den Wissenschaften 162 Ordnungen in der Natur 166 Intuition und logische Prozesse 169 DC. Die Mathematisierung der Natur 173 X. Machtquanten, Subjekt und Quantentheorie 199 XI. Folgerungen und Kritik 211 Bibliographie und Abkürzungsverzeichnis 221 Personenregister 233 Sachregister 236

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