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Nahöstliche Panzerschuppen aus dem Apollon- Heiligtum in Didyma PDF

16 Pages·2016·0.73 MB·German
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Nichts als Schrott? Nahöstliche Panzerschuppen aus dem Apollon- Heiligtum in Didyma Marek Verčík Abstract: Die zahlreichen Eisenfunde aus den griechischen Heiligtümern, der primären Quelle zur materiellen Kultur des archaischen Griechenlands, erfuhren bislang nur wenig Beachtung, denn ihr häufig schlechter Erhaltungszustand ermöglichte es nur selten, sie kunsthistorisch anzusprechen. Erst die jüngsten Aufarbeitungen der Fundkomplexe aus Olympia zeigten ihre Aussagekraft. In diesem Kontext ist auch die geplante Vorlage der Eisenfunde aus dem Apollon-Heiligtum von Didyma zu verstehen. Unter ihnen verdienen 20 spezifische Plättchen rechteckigen Formates erhöhte Aufmerk- samkeit – sie wurden allesamt als Panzerschuppen neuassyrischen Typus identifiziert. Ihr ursprüng- lich funktionaler sowie statuskennzeichnender Charakter, als eine für assyrische, schwerbewaffnete Eliteneinheiten bestimmte Panzerung, ist jedoch nicht mit dem Fundkontext als Weihung innerhalb eines ionischen kultischen Bezirks in Einklang zu bringen. Im Folgenden wird daher versucht, mit- hilfe des Ansatzes der Objektbiographien die einzelnen, chronologisch versetzten Deutungsebenen dieser Gegenstände zu dekonstruieren und gleichzeitig die damit verbundenen sozio-kulturellen Räume zu konzeptualisieren. „Unansehnliche Fundstücke aus Eisen füh- lichen Verwendung von Eisengegenständen ren in Publikationen bedeutender Grabungs- im profanen sowie sakralen Bereich – als plätze Griechenlands und Italiens in aller Werkzeug, Ausrüstung, Kultgerät oder Vo- Regel ein Schattendasein“. Mit dieser Fest- tive – erscheint aber eine solche „stiefmüt- stellung eröffnete H. Baitinger1 seine Ab- terliche“ Behandlung dieser Funde sehr handlung zu eisernen Werkzeugen und Ge- merkwürdig. Das zeigen in aller Deutlich- räten aus Olympia und skizzierte somit tref- keit die wenigen, immer noch singulären fend den aktuellen Mangel in der archäolo- Publikationen, welche konkrete Auskunft gischen Erforschung der ägäischen Region über das wirtschaftliche, kultische oder so- des 1. Jahrtausends v. Chr. Zu einseitig ziale Leben griechischer Städte2 und Kultor- wurde bislang der Fokus bei der Auswer- te3 geben. Es stellen sich weitere Fragen, tung der Metallfunde auf die aus Bronze wenn man die Aussagekraft dieser Objekte oder verschiedenen Edelmetallen gefertigten in Bezug auf ihre Relevanz innerhalb der Gegenstände gelegt. Die zahlenmäßig am unterschiedlichen, untereinander kommuni- häufigsten überlieferten Objekte aus Eisen zierenden sozio-kulturellen Räume betrach- erfuhren dagegen kaum eine detailliertere tet. In diesem Rahmen ist auch die hier prä- Beachtung, da ihr meist schlechter Erhal- tungszustand eine kunsthistorische Analyse 2 Korinth (Davidson 1952); Pergamon und Priene nur selten ermöglicht. Angesichts der alltäg- (Gaitzsch 2005); Olynth (Robinson 1941). 3 Delos (Deonna 1938); Olympia (Baitinger 1 Baitinger 2009, 1. 2001, 2009); Philia (Kilian-Dirlmeier 2002). 12 Verčík, Nichts als Schrott? sentierte Behandlung von ausgewählten Ei- gelte.5 Der nach der Mitte des 6. Jahrhun- senfunden aus dem ionischen Heiligtum von derts v. Chr. errichtete Apollon-Tempel, Didyma zu verstehen.4 Sie hat zum Ziel, welcher zu den größten Sakralbauten seiner nicht nur den Gebrauch der Eisenobjekte Zeit gehörte, ist entsprechender Ausdruck und die Dauer sowie die Intensität ihrer der Blütezeit dieser Orakelstätte. In dieser Nutzung zu erläutern, sondern zugleich den Periode war das Heiligtum in den Händen Wandel ihrer Bedeutung von der Herstel- des Priestergeschlechtes der Branchiden und lung zur Konsumption bis hin zu ihrer Nie- blieb es bis in die Zeit der Perserkriege.6 Im derlegung oder ihres Recyclings zu erfassen. Zuge der Niederschlagung des Ionischen Somit soll ein Beitrag zur besseren Wahr- Aufstandes7 oder des Rückzuges der Perser nehmung einer Fundgattung geleistet wer- aus Griechenland unter Xerxes8 wurde der den, die einen zentralen Teil der materiellen archaische Tempel ausgeplündert und zer- Kultur aus der griechischen Oikumene dar- stört.9 Danach scheint ein Bedeutungsverlust stellt. stattgefunden zu haben und erst 160 Jahre später, in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhun- derts v. Chr., wurde der Kultbetrieb im Hei- ligtum wieder aufgenommen – diesmal je- doch unter der Vorherrschaft der Stadt Mi- let.10 Obwohl die Orakelstätte von Didyma nach Ausweis der schriftlichen Überlieferung vor allem in der archaischen Zeit von weitrei- Abb. 1 Didyma. Der jüngere, hellenistische Apollon-Tempel von Osten (nach Slawisch 2013, chender Bedeutung gewesen sein muss, fehl- Abb. 1). ten bis vor wenigen Jahren archäologische Zeugnisse aus der Frühzeit des Heiligtums.11 Das extraurbane Heiligtum von Didyma liegt an der Westküste Kleinasiens, etwa 20 km südlich von Milet (Abb. 1). Sein Zent- rum bildete die Orakelstätte des Apollon, 5 So wurde das Orakel von dem lydischen König dessen ältester Kultbau um 700 v. Chr. am Kroisos (Hdt. 1, 146) und dem ägyptischen Ort einer den Kult konstituierenden heiligen Pharao Necho II. (Hdt. 2, 159) aufgesucht. 6 Hdt. 1, 46, 2. 1, 92, 2. 1, 157, 3. 1, 159, 4. 2, Quelle errichtet wurde. In kürzester Zeit 159, 3. 5, 36, 3. 6, 19, 2–3. erlangte das Orakel einen überregionalen, 7 Hdt. 6, 19. durch Schriftquellen bezeugten Bekannt- 8 Strab. 14, 1, 5. 18, 1, 43. 9 Dagegen Tuchelt 1988, 434, der aufgrund feh- heitsgrad, der sich auch in den kostbaren lender archäologischer Befunde für die Per- Weihungen fremder Herrscher widerspie- serzerstörung diese an sich infrage stellte. 10 Zur Diskussion, ob die Orakelstätte bereits vor den Ereignissen der Perserkriege zu Milet ge- 4 Für die Möglichkeit der Aufarbeitung der Ei- hörte oder die Verwaltung von den Milesiern senfunde aus dem Apollon-Heiligtum in erst danach übernommen wurde s. Tuchelt Didyma will ich mich bei der Grabungsleiterin, 1988, 430–433; Breder u. a. 2012, 181 mit wei- Prof. Helga Bumke (Martin-Luther-Universität terer Literatur. Halle-Wittenberg) und dem vorigen Grabungs- 11 Die zahlreichen Kleinfunde der Grabungen in leiter, Prof. Andreas E. Furtwängler, bedanken. den Jahren 1905–1913 sind größtenteils vor ih- Die Vorlage der Eisenfunde erfolgt als Bestand- rer Bearbeitung verloren gegangen. Daher teil einer zusammenfassenden Publikation der konnte bei dieser Frage bislang nur auf einige beiden Grabungen (s. u.) in den kommenden Baureste im Tempelareal und zumeist stark Jahren. fragmentierte Skulpturen ohne bekannten Auf- Distant Worlds Journal 1 (2016) 13 Abb. 2 Didyma. Topographischer Übersichtsplan (nach B umke 2013, Abb. 1). Abb. 3a–d Didyma, „Taxiarchis-Hügel“. Rechteckige Panzerschuppen neuassyrischen Typs. Oben: MM09–29 (Vorder- und Rückseite) – unten: MM09–242 (Vorder- und Rückseite) (Zeichnungen und Fotos der Didyma-Grabung). stellungskontext verwiesen werden. Zusam- menfassend dazu s. Tuchelt 2007. 14 Verčík, Nichts als Schrott? Erst die erneuten Untersuchungen im Areal tion und einen ausgesprochen fragmentari- des monumentalen, bis in die Spätantike schen Erhaltungszustand auf, welche typisch aufrecht stehenden Apollon-Tempels12 und für den sog. Heiligtumsabfall sind. Dieser auf dem nahe gelegenen sog. Taxiarchis- setzt sich vor allem aus alten bzw. abge- Hügel13 brachten zahlreiche Votive archai- räumten und absichtsvoll zerstörten Weih- scher Zeit hervor (Abb. 2). Diese übertref- gaben zusammen, die als Eigentum der fen nicht nur in ihrer Zahl die bislang be- Gottheit im Heiligtum verbleiben mussten. kannten Fundkomplexe aus Didyma, son- Nicht zuletzt treten als besonders prägnante dern lassen auch die „überregionalen“ Kli- Form intentioneller Zerstörung zahlreiche entel und Kontakte der Kultstätte innerhalb gefaltete und verbogene Metallgegenstände des mediterranen Kommunikationsraumes in Erscheinung. Unter diesen verdienen 20 deutlich erkennen.14 Aufgrund der Beschaf- rechteckige, aus dünnem Eisenblech gefer- fenheit und des Spektrums der Funde kann tigte Plättchen mit charakteristischer Mittel- zudem davon ausgegangen werden, dass es rippe eine erhöhte Aufmerksamkeit: Denn sich – zumindest bei den Befunden auf dem sie können allesamt als Panzerschuppen Taxiarchis-Hügel15 – durchgehend um „Hei- einer neuassyrischen Schutzrüstung identifi- ligtumsinventar“ handelt. So weisen die aus ziert werden, welche bislang aus der grie- den versiegelten archaischen Schichten16 chischen Oikumene nicht bekannt war (Abb. geborgenen Votivreste eine hohe Konzentra- 3 a–d). Bei den besagten Panzerschuppen handelt es 12 Die archäologische Untersuchung wurde in den Jahren 2004 – 2007 von Prof. Andreas E. Furt- sich um rechteckige Plättchen länglicher wängler (Martin-Luther-Universität Halle / Form, mit höchstwahrscheinlich standardi- DAI Istanbul) durchgeführt. Vorläufige Zu- sierten Maßen. Trotz der fragmentierten sammenfassungen in Furtwängler 2009, Sla- Erhaltung lässt sich bei allen Exemplaren wisch 2013. 13 Die Grabungen fanden im Rahmen des Projek- eine Länge von rund 50 mm und eine Breite tes „Kulte im Kult“ der Nordrhein- von 18–20 mm nachweisen; nur zwei Objek- Westfälischen Akademie der Wissenschaften te weichen mit ihrer Breite um 25 mm von und der Künste in den Jahren 2000, 2001, 2003 und 2009 unter der Leitung von Prof. Helga dem restlichen Fundspektrum ab.17 Das her- Bumke statt. Dazu s. zuletzt Bumke 2013. vorstechende Merkmal dieser Plättchen ist 14 Unter den Funden ist der Anteil von sog. im- die massive, zentral angebrachte Längsleis- portierten Weihungen relativ hoch. Dazu zählen die attische, korinthische, lakonische, chiotische te, die jedoch nicht bis zu den beiden Kurz- sowie lydische und etruskische Keramik, eben- seiten hineinreicht. In dem so entstandenen so wie zypriotische und nahöstliche Kleinfunde Zwischenraum befanden sich jeweils zwei und Aegyptiaca. Zu Funden aus dem Taxiar- chis-Hügel s. Bumke 2008a, 91–94; zu „frem- oder drei durchgestanzte Löcher, die bei der den“ Artefakten aus der Tempel-Grabung vgl. Freilegung in der Regel durch den Rost ver- zuletzt Slawisch 2009. schlossen wurden. Sie dienten zur Befesti- 15 Bumke 2013, 337. 16 Während die Funde aus dem Areal des Apol- gung der Plättchen auf einem organischen, lon-Tempels aus den Planierungsschichten oder aus Leder oder Leinen bestehenden Unter- Auffüllungen der späteren Bauten stammen, teil.18 Alle Exemplare wurden entweder aus wurden die archaischen Schichten auf dem Ta- xiarchis-Hügel in der ersten Hälfte des 5. Jahr- hunderts v. Chr. durch eine zur Befestigung der Gelände eingebrachte Kalksteinblockage regel- 17 Es handelt sich um die Panzerschuppen mit den recht verschlossen und vor den späteren Ein- Inventarnummern 05-AC-KFX und 05-AB. griffen aufbewahrt. Zur Stratigraphie vgl. die 18 Reste organischer Unterlagen sind bislang nur vorläufige Beschreibung in Bumke 2013, 335, aus dem Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres 336 Abb. 2. bekannt. Dazu vgl. Černenko 2006, 9. Distant Worlds Journal 1 (2016) 15 einem Blechstück geschmiedet, wobei die bildungen, schriftliche Quellen sowie Funde gewölbte Mittelleiste direkt ausgehämmert erlauben es, diese bis in das 16./15. Jahr- wurde, oder sie bestanden aus einem flachen hundert v. Chr. datierte, östliche Rüstungs- Korpus und einer zusätzlich angebrachten gattung gut zu rekonstruieren.22 pyramidenförmigen Rippe.19 In beiden Fäl- Zum Beginn des 1. Jahrtausends v. Chr. er- len war diese Gestaltung rein funktional: scheint parallel zur alten eine neue Kon- Durch die Leiste, die sich durchgehend 2–3 struktion des Schuppenbesatzes, die den mm über den mittleren Teil der dünnen starren Rüstungen mehr Flexibilität verlieh. Plättchen hebt, wurde die strukturelle Integ- Die abgerundeten Plättchen mit Mittelleiste rität der kritischen, für einen Bruch anfälli- werden nun miteinander und nur in einzel- gen Stelle verstärkt. nen, durch enge organische Leisten getrenn- Eine erste Durchsicht der Vergleichsstücke ten Reihen auf der Unterlage befestigt. Für birgt in Bezug auf die Herkunft der Funde die Rekonstruktion der Panzer mit solchem eine verwirrende Vielfalt an Möglichkeiten. Besatz sind, neben den wenigen nahöstli- Kommen doch die mit einer Mittelleiste chen Funden, insbesondere die Palastreliefs versehenen, eisernen Panzerschuppen be- aus assyrischen Residenzen im nördlichen reits ab dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. in Mesopotamien von großem Wert (Abb. mehreren Regionen des östlichen Mittel- 4a).23 meerraumes vor. Aus der Ägäis waren bis- lang dagegen nur die bronzenen Pendants dieser Schutzrüstung bekannt, die allesamt in den Zeitraum vom 14.–9. Jahrhundert v. Chr. datiert sind, und in ihrer Form denen aus dem Nahen Osten ähneln.20 Daher be- tonte A. Snodgrass21 zu Recht den östlichen Einfluss bei ihrer Entstehung. Die massiven, bronzenen Panzerschuppen weisen ein sehr ähnliches, rechteckiges Format mit einer abgerundeten Kurzseite und einer kurzen Zentralleiste auf. Sie wurden auf der Unter- lage mithilfe der auf beiden Kurzseiten oder in der Mitte angeordneten Löchern starr befestigt. Dadurch bildeten die einzelnen Besatzteile eine relativ steife Panzerrüstung, die häufig bis zum Knie hinabreichte und optional mit langen oder kurzen Ärmeln versehen wurde. Zahlreiche nahöstliche Ab- 19 Welche Technik beim Schmieden von Panzer- Abb. 4a Assyrische Bogenschützen mit Schup- schuppen verwendet wurde, und ob sie aus penbesatz, Nimrud, Palast des Assurnasirpal II Stahl oder aufgekohltem Roheisen bestehen, (nach Dezsö 2012, Pl. 28.90). lässt sich erst nach den entsprechenden archäo- metallurgischen Analysen feststellen. 20 Katalog der einzelnen Orte mit weiteren Litera- 22 Dezsö 2004. turangaben in Jarva 1995, 38. 23 Funde und Reliefs zusammenfassend mit weite- 21 Snodgrass 1964, 85. rer Literatur in Dezsö 2004, 322. 16 Verčík, Nichts als Schrott? Denn die Darstellungen von Kriegszügen der neuassyrischen Könige vermitteln uns nicht nur die Form der Schutzrüstung, ihre Größe und Gebrauch, sondern lassen auch auf ihre weitere waffentechnische Entwick- lung schließen. Anstelle der langen Schup- penpanzer, welche die Bogenschützen zu Fuß und die Streitwagenschützen in der Zeit des Assurnasirpal II. (883–859 v. Chr.) und des Salmanassar III. (858–824 v. Chr.) tru- gen, sind ab der zweiten Hälfte des 8. Jahr- hunderts v. Chr. auf den Darstellungen schwerbewaffnete Einheiten mit einem neu- en, kürzeren Panzer abgebildet (Abb. 4b–c). Es handelt sich um eine Kompositrüstung, die aus mehreren, unterschiedlich großen organischen Streifen besteht, welche die einzelnen Reihen von jetzt ausschließlich rechteckigen Plättchen ergänzen24 – die Än- derung der Konstruktion ging also parallel mit der Anpassung der Form der Panzer- schuppen einher. Spätestens nach der Mili- tärreform des Sanherib (705–680 v. Chr.) ersetzte der leichtere Kompositpanzer die ältere, massive Schuppenrüstung, die so- wohl aus bronzenen als auch eisernen Pan- zerplättchen bestand. Nunmehr wurde bei der Herstellung der Panzerrüstung der neu- assyrischen königlichen Einheiten (kişir šarrūti) allein das Eisen verwendet, wobei die bronzenen Schuppenpanzer zumindest bei den Provinzialeinheiten weiterhin im Gebrauch blieben.25 24 Der singuläre Fund eines jüngeren und morpho- Abb. 4b–c Assyrische Schild- und Speerträger logisch leicht geänderten Panzers aus Gordion mit Kompositrüstung, b: Ninive, Palast des San- dokumentiert diese Konstruktion, auch wenn herib; c: Ninive, Palast des Assurbanipal (nach die organischen Teile sich nicht mehr erhalten Dezsö 2012, Pl. 32.102; Pl. 35.117). haben. Der Panzer wird in das 5. Jahrhundert v. Chr. datiert. Vgl. Young 1956, Taf. 86, 22. 25 Die Militärreform des Sanherib betraf ebenso die generelle militärische Doktrin wie die Stan- dardisierung der Waffen und Ausrüstung und die Einführung von neuen Waffengattungen. Dazu vgl. Dezsö 2012, 102–103. Distant Worlds Journal 1 (2016) 17 Eine andere Befestigungsart weisen zu guter struktion ermöglichte zudem, den Schup- Letzt kleine, bronzene oder eiserne Panzer- penbesatz mit organischen Materialien bes- schuppen mit Mittelleiste auf, welche ab ser zu kombinieren, womit die Flexibilität dem 7./6. Jahrhundert v. Chr. besondere der Kompositrüstung zusätzlich verstärkt Beliebtheit im nördlichen Schwarzmeerge- wurde. Dies präsentieren die in der zweiten biet erlangten. Obwohl sie lange Zeit mit Hälfte des 6. Jahrhunderts v. Chr. einsetzen- nomadischen Völkern der Kimmerer und den Darstellungen der griechischen Vasen- Skythen in Verbindung gebracht wurden26, malerei anschaulich.32 Auf ihnen ist der stammen sie wohl aus dem medisch- griechische Kompositpanzer mit charakte- persischen Raum, von wo aus sie sich ristischen Schulterklappen (epomides) und schnell im ganzen Nahen Osten und Ägyp- Schuppenbesatz versehen.33 Er besteht aus ten verbreiteten.27 Ihr Vorkommen in Ly- kleinen beweglichen Panzerschuppen, wel- dien28 und Phrygien29 steht dabei ausschließ- che die am meisten gefährdeten Bereiche – lich im Zusammenhang mit der persischen Brust und Hüften – schützen. Die Plättchen Expansion. Grund für die rasche Verbrei- sind mit oder ohne Mittelrippe dargestellt tung waren die verbesserten Eigenschaften und ihre Farbigkeit lässt auf die Verwen- der aus solchen Panzerschuppen bestehen- dung von unterschiedlichen Metallen schlie- den Schutzrüstung angesichts der gestiege- ßen. Dies bestätigen auch die früheren, ver- nen Durschlagkraft der neuen Komposit- einzelten Funde bronzener und silberner Reflexbögen.30 Im Unterschied zu vorigen Panzerschuppen aus Olympia und Delphi, Formen wurden diese Panzerschuppen mit- die nicht später als ins 5. Jahrhundert v. Chr. hilfe der Durchbohrungen nur auf einer der zu datieren sind.34 Kurzseiten befestigt. Dadurch war eine An- Zusammenfassend lässt sich sagen, dass, ordnung der Panzerschuppen in mehreren ausgehend von den morphologischen und horizontalen, sich aber gleichzeitig überlap- funktionellen Eigenschaften der in Didyma penden Reihen möglich, ohne dass der so gefundenen Panzerschuppen, folgende Ver- entstandene Besatz starr wäre. Ein so gefer- gleichsbeispiele infrage kommen: Zum ei- tigter, beweglicher Schutz bestand man- nen sind es die Darstellungen auf den assyri- chenorts aus drei Metallschichten. Die Zahl schen Reliefs35 der „Imperialen Periode“ der Schichten sowie die eigentliche Form (745–612 v. Chr.) sowie die Exemplare aus und Größe der Panzerschuppen hingen von den städtischen Kontexten des 8./7. Jahr- der Position und Funktion des Panzerbesat- hunderts v. Chr. aus Kuyunjik36 und Nim- zes ab, wie es die Originalfunde aus dem skythischen Bereich in aller Deutlichkeit zeigen.31 Während die rechteckigen Plätt- chen den Oberarm-, Schulter- oder Hüftbe- 32 Darstellungen des Schuppenbesatzes der grie- reich schützten, bildeten die Schuppen mit chischen Panzer mit weiterer Literatur in Muth 2008, Abb. 14. 26. 31. 41. 45. 54. 66. 68–69. abgerundetem Unterteil den Besatz der 83. 86. 88. 128. 132. 135. 140. 144. 161a. 163. Brust und des Rückenpanzers. Diese Kon- 188. 195–196a. 201. 215. 219–220. 222–223a. 236. 239. 266. 270. 275. 290–291a. 294. 295. 318. 355. 396. 400. 424. 428. 26 Zusammenfassend s. Snodgrass 1999. 33 Zum griechischen Kompositpanzer s. Jarva 27 Ivantchik 2001, 257–258; Černenko 2006. 1995, 37. 28 Waldbaum 1974, 40. 34 Snodgrass 1964, 85; Jarva 1995, 38. 29 McClellan 1988, 125. 35 Index der Reliefs mit weiterer Literatur s. 30 Ivantchik 2001, 258. Dezsö 2012. 31 Černenko 2006, 1–59. 36 Dezsö 2004, 323. 18 Verčík, Nichts als Schrott? rūd37 in Mesopotamien. Zum anderen wur- gene Auswertung der Funde es nur bedingt den Parallelstücke in den mit Assyrern asso- ermöglichte. Fragt man aber gezielt nach der ziierten Schichten im ägyptischen Memp- Bedeutung der Artefakte, welche über ihre his38 sowie im Zerstörungshorizont von La- Materialität hinausgeht, und ihre damit ver- chisch in Syrien,39 und im urartäischen Has- bundenen Nutzungen innerhalb eines sozio- anlā40 gefunden. Die kleinen beweglichen kulturellen Raumes, eröffnen sich neue In- Plättchen auf den attischen Vasendarstellun- terpretationsmöglichkeiten, wie es die Stu- gen der spätarchaischen Zeit lassen sich im dien zur Materialität der Dinge und insbe- Hinblick auf ihre Konstruktion nicht mit den sondere der Objektbiographie im vergange- didymäischen Funden verbinden. Es ist des- nen Jahrzehnt in aller Deutlichkeit zeigten.43 halb vertretbar zu behaupten, dass die recht- Dabei kommt die Schlüsselrolle den Kon- eckigen, dünnen, aus Eisen gefertigten Pan- texten zu, in denen die Funde zutage treten. zerschuppen mit Mittelleiste aus Didyma die Weil die Bedeutungen einzelner Objekte in Reste von Kompositpanzern nahöstlichen archäologischen Befunden nicht erhalten Typus darstellen. Für die Annahme, dass die geblieben sind, müssen sie über die Überres- Metallschuppen nicht den Besatz von aus- te von Handlungen bzw. von Konventionen schließlich einer Schutzrüstung bildeten, die im Umgang mit den Dingen erschlossen gewöhnlich aus mehreren Tausend Plättchen werden. Auf diese Weise ließe sich eine bestehen konnte,41 spricht ihre Verteilung „agency“ der Objekte erkennen, die stets über alle Fundschichten auf dem Taxiarchis- inhärent sozial ist.44 Dadurch spiegelt sie Hügel. Auf welchen Wegen und aus wel- nicht nur die Absicht des jeweiligen Ak- chen Gründen die aus Osten stammenden teurs, des Herstellers oder des Verbrauchers, Panzer ins „fremde“ Apollon-Heiligtum von wider, sondern sie erlaubt auch, die gesell- Didyma kamen, soll im zweiten Teil des schaftlichen Bindungen innerhalb oder zwi- Beitrages erörtert werden. schen verschiedenen sozialen Gruppen zu- mindest zu skizzieren.45 Darauf aufbauend Aussagen zur Bedeutung und Intention der soll im Folgenden versucht werden, die Niederlegung von Artefakten im Kontext „Lebenszeit“ der Panzerschuppen von eines Kultortes erwiesen sich in der bisheri- Didyma in den jeweiligen chronologischen gen archäologischen Forschung immer als und räumlichen Kontexten zu dekonstruie- besonders schwierig oder kontrovers und ren und gleichzeitig damit ihre sozio- wurden nicht selten vermieden.42 Zumal der kulturelle Bedeutung zu konzeptualisieren. Charakter der archäologischen Quellen, die uns häufig als fragmentierte Artefakte zur Die aus Eisen gefertigten, rechteckigen Pan- Verfügung stehen, dies nur selten gestattet, zerschuppen bildeten, wie oben in aller Kür- oder aber die gewöhnliche, materialbezo- ze dargestellt, den Besatz der Schutzrüstung von schwerbewaffneten Einheiten im neu- 37 Zerstörungsschicht des 7. Jahrhunderts v. Chr., s. Stronach 1958, Taf. 34, 4. 38 Dezsö 2004, 323. 43 Hoskins 1998; Langdon 2001; Knapp – van 39 Datiert ins 8. Jahrhundert v. Chr., s. Tufnell Dommelen 2010; Steel 2013. 1953, Taf. 58, 11–12. 44 Strathern 1988, 178–9; dazu vgl. auch Bourdieu 40 Hasanlu, Schicht IV. Vgl. Muscarella 1988, 1972. Abb. 62. 45 So auch Hoskins 1998, 9: „Biographical objects 41 Černenko 2006, 12. share our lives with us, and if they gradually 42 Zur Diskussion über die Waffenfunde in grie- deteriorate and fade with the years, we recog- chischen Heiligtümern vgl. Frielinghaus 2011; nize our own aging in the mirror of these per- Baitinger 2011. sonal possessions.” Distant Worlds Journal 1 (2016) 19 assyrischen Reich während der „Imperialen Heiligtümern archaischer Zeit zu sehen.49 Zu Periode“ (745–612 v. Chr.). Die gepanzerten diesen gehören zahlreiche Metallgefäße sy- Bogenschützen, Lanzenträger, Schleuderer ro-phönizischer bzw. zypriotischer Her- und die Reiterei stellten die schlagkräftigste kunft, Bronze- und Elfenbeinfiguren, bron- Truppe der assyrischen Könige dar und zene Glocken sowie einzelne Militaria wie wurden, wie man aus den Reliefs in Nimrūd, assyrische oder assyrisch beeinflusste Keu- Horsābād und Niniveh entnehmen kann, in len50, Pferdegeschirr aus Samos51, Rhodos52 einem königlichen Korps organisiert. Sie und dem milesischen Athenaheiligtum.53 Sie wurden einheitlich ausgerüstet, trainiert und alle weisen auf die engen Kontakte zwischen ihre Mitglieder waren professionelle Krie- der Ägäis und dem östlichen Mittelmeer- ger.46 Im Unterschied zu regulären und auxi- raum und Mesopotamien hin, die sich ab liaren Einheiten wurden sie als Eliteeinheit dem 9. Jahrhundert v. Chr. allmählich inten- nah der Residenzstadt stationiert und direkt sivierten. Im extraurbanen Heiligtum von dem König untergeordnet, zumal sich aus Didyma kommen die frühesten „östlichen“ ihnen die königlichen Leibwächter und die Importe, eine bronzene Besstatuette und der niedrigeren Offiziere und Verwaltungsbe- Rest eines Bronzebeckens mit Lotushenkeln, amte rekrutierten.47 Dies belegen mehrere bereits in den ältesten, spätestens ins 7. Tausend Panzerschuppen, die in der Resi- Jahrhunderts v. Chr. datierten Schichten am denzstadt Nimrūd freigelegt wurden.48 Dar- Apollon-Tempel vor.54 In den gleichen zeit- über hinaus dokumentiert dieser Fund in lichen Kontext sind auch die frühesten Fun- aller Deutlichkeit auch die enge Verbindung de der Panzerschuppen (MM09-242) aus zwischen einer sozialen Gruppe mit hohem dem Taxiarchis-Hügel zu setzen, die im ers- gesellschaftlichem Status im assyrischen ten der drei dominierenden Bodenhorizonte Reich und der einzig von deren Angehöri- (hellbraun-sandige Schicht) freigelegt wur- gen getragenen Rüstung. Es lässt sich daher den. Es handelt sich demnach um einen Be- postulieren, dass die eisernen Schuppenpan- fund, der neben den zahlreichen Angaben zer eine ähnliche, mit Status behaftete Aura der schriftlichen Überlieferung nun als wei- umgab wie ihre Träger. Sie wurden zum teres archäologisches Zeugnis für die über- Statussymbol und somit definierten sie und regionalen Kontakte und Bedeutung des bildete die innerhalb Assyriens gültige sozi- didymäischen Heiligtums im 7. und 6. Jahr- ale Differenzierung ab. hundert v. Chr. gelten kann. Es wäre freilich falsch, anhand der Funde Darüber hinaus werfen die Funde assyri- rechteckiger Panzerschuppen mit der cha- scher Panzerschuppen im Kontext des Hei- rakteristischen Mittelleiste in Didyma die ligtums eine Frage auf, wie die inhaltliche Anwesenheit von neuassyrischen Truppen Beziehung zwischen diesen Gegenständen an der westlichen Küste Kleinasiens zu be- und ihrem Auffindungsort zu deuten ist. Die gründen. Vielmehr sind diese, eindeutig als nahöstlich zu identifizierenden Objekte, im 49 Dazu s. Kilian-Dirlmeier 1985; Klebinder-Gauß Kontext weiterer qualitätsvoller Kleinfunde 2007; Mylonopoulos 2008; Bumke 2008a; gleicher Provenienz aus den ostgriechischen Crielaard 2015, 358 Anm. 41. 50 Liste der orientalischen Keulen, mit weiterer Literatur, s. Slawisch 2009, 198 Anm. 29. 51 Kyrieleis – Röllig 1988. 46 Dezsö 2012, 23. 52 Donder 1980, 28–32. 47 Dezsö 2012, 119. 144. 53 Held 2000, 131–134. 48 Dazu s. o. Anm. 37. 54 Bumke 2008b, 88–89. 20 Verčík, Nichts als Schrott? einzelnen Panzerschuppen, die ursprünglich Gemeinschaft verkörperte. Die geweihten zweifelllos komplette Rüstungen bildeten, Objekte trugen zugleich zur Steigerung des treten in Didyma neben anderen zahlreichen individuellen, persönlichen Ansehens als Waffenfunden stark intentionell beschädigt auch des Heiligtumes selbst bei. So ist die und durchgehend in allen archaischen Bedeutung der Weihung des Leinenpanzers Schichten auf.55 Aus diesem Grund können durch Pharao Necho II. nach der Schlacht sie ohne jeden Zweifel als Weihung be- bei Megiddo 609 v. Chr. in das Heiligtum zeichnet werden, wodurch sich für die wei- von Didyma im Werk Herodots ersichtlich.58 tere Interpretation gleichzeitig zwei mögli- Auch wenn bei den eher unscheinbaren Pan- che, sich überlappende Deutungsebenen zerschuppen zwar nicht davon ausgegangen eröffnen. Zum einen bezeugen die Weihge- werden kann, dass sie eine ähnliche Wir- schenke die Dankbarkeit für die Gunst und kung hatten, so ist aber zumindest ein hoher Gaben der Gottheit. Da das extraurbane Hei- sozialer Stellenwert der Panzerschuppen für ligtum von Didyma eine Orakelstätte des den Weihenden zu vermuten. Denn die ent- Apollon war, liegt es nahe, die große Zahl sprechenden Mittel für und das Interesse am an Waffenweihungen mit dem dort ansässi- Erwerb von nahöstlichen Produkten waren gen Orakel zu verbinden. Diesen Umstand in der archaischen Zeit stark limitiert. Be- bezeugen nicht nur weitere, besonders waf- trachtet man zudem den inhaltlichen Kon- fenreiche Kultstätten des Apollons in Delphi text der Panzerschuppen als eine Waffen- oder Kalapodi, sondern er lässt sich auch an weihung, so wird ihre prestigetragende zahlreichen Weihinschriften privater und Funktion noch sichtbarer; sie stellen eine staatlicher Herkunft ablesen.56 Damit nimmt dynamische, distinktive Komponente dar, das Heiligtum in Didyma eine besondere mit der die Selbstwahrnehmung der Söldner Stellung unter den Kultstätten an der ostägä- ausgedrückt und ihre Stellung in der Gesell- ischen Küste ein, wo Waffenweihungen nur schaft allgemein sowie im Rahmen eines selten vorkommen, und ähnelt mit seinem agons innerhalb der aristokratischen Krie- Fundspektrum eher den peloponnesischen gerelite aktiv gestaltet wurde. Ob sich Heiligtümern. In diesen stellten die Waf- dadurch auch Informationen zur Identität fenweihungen in erster Linie persönliches der Weihenden gewinnen lassen, soll im Besitztum dar, die zur Steigerung des Pres- letzten Teil erörtert werden. tiges einer Kriegerelite geweiht wurden.57 Betrachtet man den Fund der Panzerschup- Somit wird die zweite wichtige Rolle der pen im Apollon-Heiligtum von Didyma im Kultstätte angedeutet: die Selbstdarstellung Kontext der überregionalen Kontakte zwi- eigener Frömmigkeit im öffentlichen Raum, schen dem östlichen Mittelmeerraum und den das Heiligtum als zentraler Ort einer der Ägäis in der archaischen Zeit, so stellen 55 Pfeilspitzen, die gerne in der Forschung als sich umgehend Fragen nach ihrem Charak- Indikator der kriegerischen Auseinandersetzun- ter. In der Forschung geht man diesbezüg- gen verwendet wurden, kommen in Didyma lich fast immer davon aus, dass Händler verstärkt erst in der Ascheschicht auf dem Ta- xiarchis-Hügel vor. diesen Transfer geleistet haben müssen.59 56 Baitinger 2011, 158. Wie jedoch Iris von Bredow60 in ihrer Studie 57 Zur Sitte der Waffenweihgaben in Griechen- zu Transportrouten von „östlichen“ Impor- land vgl. zuletzt Baitinger 2011. Generell konn- te Baitinger 2011, 155–156 beobachten, dass die Waffenweihungen in Ostgriechenland einen 58 Hdt. 2, 159. geringeren Stellenwert als in Mittel- und Süd- 59 Boardman 2000, 61; Papadopoulos 2014. griechenland hatten. 60 Von Bredow 2012.

Description:
(hellbraun-sandige Schicht) freigelegt wur- den Il mestiere delle armi nel mondo greco antico: età arcaica e classica (Rom 2013). Boardman 2000.
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