Schreiber/Wolffsohn Nahost Friedrich Schreiber Michael Wolffsohn Nahost Geschichte und Struktur des Konflikts + Leske Budrich Opladen 1988 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schreiber, Friedrich: Nahost: Geschichte u. Struktur d. Konflikts / Friedrich Schreiber; Michael Wolffsohn. - Opladen: Leske und Budrich, 1987. ISBN 978-3-663-00032-7 ISBN 978-3-663-00181-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-00181-2 NE: Wolffsohn, Michael: © 1987 by Leske Verlag + Budrich GmbH, Opladen Satz und Umbruch: Leske Verlag + Budrich GmbH Vorwort Geschichte ist oft die in der Gegenwart wirksame Vergangenheit. Unsere Absicht ist es, die in der Gegenwart wirksame Vergangen heit im palästinensisch-zionistischen/israelischen Konflikt zu zeigen. Wir werden uns daher sowohl mit der Vergangenheit als auch mit der Gegenwart beschäftigen und bei der Betrachtung der Gegenwart auf die Kontinuitätsstränge hinweisen. In das Chaos der Ereignisse, Personen und Tatsachen wollen wir etwas Ordnung bringen, damit sich auch und besonders der allgemein interessierte Leser zurecht finden kann. In bezug auf den Nahen Osten kursieren zahlreiche Legenden. Diese Legenden wollen wir erwähnen und richtigstellen. Oft sind diese Legenden politisch motiviert. Dieses Buch wendet sich nicht an Nahost-Spezialisten. Dennoch - oder gerade deswegen - darf der Spezialist keine Fehler ent decken. Der Text wird durch Fotos, Abbildungen, Dokumente und Karten ergänzt, damit der Leser den Stoff auch optisch besser erfassen kann. Zahlreiche Dokumente, die sonst nur in vielen verschiedenen, oft nicht-deutschsprachigen Veröffentlichungen zu finden sind, haben wir gesammelt und ins Deutsche übersetzt. Interviews mit Betroffenen und Zeitzeugen, oft waren es betrof fene Zeitzeugen, sollen den Leser nicht nur mit den sachlich nüchternen, sondern zugleich auch mit den gefiihlsbezogenen Seiten des Konfliktes vertrauter machen. Hier und dort wird der Leser thematische Überschneidungen fin den. Dies ist darauf zurückzuführen, daß dieselben Ereignisse und Entwicklungen aus der Sicht der verschiedenen Akteure unter schiedlich gesichtet und gewichtet werden müssen. Das Buch will keine umfassende Gesamtdarstellung des N8host Konfliktes versuchen. Entwicklung und Entstehung des Konfliktes 5 sollen in ihren GrundzUgen verdeutlicht werden. Das Buch ist daher eher eine Einführung in den Konflikt. Wer Näheres über die Geschichte der Palästinenser oder über Ent stehung sowie Entwicklung des jüdischen Gemeinwesens seit dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert erfahren möchte, sei - in al ler (Un)Bescheidenheit - auch auf die von uns verfaßten Bücher verwiesen. Zur Thematik dieses Buches hat der Bayerische Rundfunk im No vember 1987 eine dreiteilige Dokumentationsserie ausgestrahlt. Daß sie gerade 1987, und dann im November gesendet wurde, war kein Zufall. Im Jahre 1987 jährten sich viele bedeutsame "Siebener'~ Ereignisse im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt: 1897 trat der erste Zionistenkongreß in Basel zusammen. Die Balfour Deklaration trägt das Datum des 2. November 1917. 1937 legte die britische Peel-Kommission einen Plan vor, der die Teilung Palästi nas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorsah. Am 29. November 1947 beschloß die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Teilung tatsächlich. 1957 zogen sich israelische Trup pen aus der Sinai-Halbinsel zurück. 1967 fand der Sechs-Thge-Krieg statt, der einen völlig neuen Nahen Osten schuf, territorial und da mit auch politisch. Am 19. November 1977 traf der ägyptische Präsi dent Sadat zu seinem bahnbrechenden Besuch in Jerusalem ein. Grund genug, sich dieser Daten im Jahre 1987, und zwar vor allem im November, zu erinnern, meinten wir. Die Fernsehserie und dieses Buch haben eine Vorgeschichte. Wir führten sowohl an der Universität der Bundeswehr München als auch an der Ludwig-Maximilians-Universität München Lehrveran staltungen durch, in denen wir die verschiedenen Fernsehdokumen tationen über den Nahost-Konflikt der zeitgeschichtlichen for schung zu diesem Thema gegenüberstellten. Im Dialog mit unseren Studenten erkannten wir, wie sehr ein ein führendes Buch fehlt, das sowohl die wichtigsten Ereignisse und Entwicklungen beschreibt und analysiert als auch Dokumente, Kar ten, Fotos und Aussagen wichtiger Akteure und Zeitzeugen zeigt. Unseren Mitarbeitern gilt unser herzlicher Dank: Andreas Bönte ist an erster Stelle zu erwähnen, mit dem wir seit vielen Jahren an der Universität und im Fernsehen zusammenarbeiten. Für Hilfe bei der Vermittlung von Interviews bei der PLO danken wir Abdallah Franji, für Hilfe bei den Recherchen in Israel und den besetzten Gebieten danken wir Deborah Eden und Schlomo Raz. 6 Dank gilt auch Dr. Gabriel Sheffer vom Leonard Davis Institute for International Relations der Hebräischen Universität Jerusalern, der auch mit Michael Wolffsohn bei dem von der Stiftung Volkswagen werk geförderten Forschungsvorhaben "Deutsch-Israelische Bezie hungen nach 1948" eng zusammenarbeitet. Marylin Kulik, der Leiterin des Jüdischen Filmarchivs an der He bräischen Universität Jerusalern, kann gar nicht genug für viele wertvolle Hinweise und Ratschläge gedankt werden. Auch Yigal Lossin vom Israelischen Fernsehen (mA), der durch seine neun zehnteilige Fernsehdokumentation über die Geschichte des Zionis mus, "Feuersäule", für unsere Arbeit hervorragende Maßstäbe ge setzt hat, sind wir zu besonderem Dank verpflichtet. Mit Rat und Tht haben uns geholfen: Bilha Segal von der Israel Broadcasting Autho rity, Mitarbeiter des israelischen Militärarchivs in Givatajim, des Jabotinsky-Instituts in Tel Aviv, des Imperial War Museum und von "Visnews" in London. Daß unsere israelischen und palästinensi schen Interviewpartner zu Gesprächen bereit waren, obwohl oder gerade weil auch "die jeweils andere Seite" des Konfliktes bei uns zu Worte kommt, verstehen wir als einen Hoffnungsschimmer in ei nem ansonsten recht hoffnungslos scheinenden Konflikt. Wir möch ten es jedenfalls so bewerten. München, im Herbst 1987 7 Inhalt Vorwort ...................................................... 5 Einleitung: Zwei Nationen - ein Land ................ 13 Teil A: Der Weg in die Teilung Palästina vor der Gründung Israels .................. 17 I. Palästina als Spielball der Großmächte: Großbritan nien und Frankreich beerben das Osmanische Reich, den "Kranken Mann am Bosporus" .................... 19 Fazit und Ausblick ........................................ 39 II. Der Jischuw - Die jüdische Gemeinschaft in Palä- stina .......................................................... 44 1. Der alte Jischuw: die orthodoxen Juden 44 - 2. Der neue Jischuw: Die Zionisten 46 III. Die Entstehung der Palästinensischen Nationalbewe- gung ......................................................... 54 IV. Britische Politik in den zwanziger Jahren ............. 66 V. Antijüdischer Terror 1928/29 ............................ 77 VI. Der Nahe Osten im Schatten von Faschismus und Na- tionalsozialismus ........................................... 83 VII. Radikalisierung und Panislamisierung der Palästinen- sischen Nationalbewegung ............................... 87 1. Radikalisierung der Palästinensischen Nationalbe wegung 87 - 2. Die panislamische Politik des Groß mufti 89 - 3. Der Machtwechsel in der Palästinensi schen Nationalbewegung 89 VIII. Der arabische Aufstand ................................... 94 1. Die Rebellion von 1936 94 - 2. Der Teilungsplan der Peel-Kommission CJ7 - 3. Die Rebellion von 1937 bis 39101 IX. Britische Politik am Vorabend des Weltkrieges ....... 104 X. Der Zweite Weltkrieg ..................................... 112 XI. Der zionistische Kampf gegen die britische Mandats- macht ........................................................ 120 9 Teil B: Der Kampf ums heilige Land. Der ara bisch/palästinensisch-israelische Konflikt 1948 - 1973 .......................................................... 133 XII. Der erste arabisch-israelische Krieg von 1948/49 .... 135 1. Die politische und militärische Ausgangslage 135 - 2. Teilung und Guerilla 140 - 3. Die Invasion der ara bischen Staaten 144 - 4. Die israelischen Offensiven 148 - 5. Die Spaltung des arabischen Lagers 150 XIII. Flucht und Vertreibung ................................... 152 Das Schicksal der in Israel verbliebenen Palästinenser 162 XlV. Israel festigt und "orientalisiert" sich ................. 168 XV. Nasserismus und Baath ................................... 175 XVI. Die Gründung der PLO .................................. 184 1. Das Ende des arabischen "Palästina" 184 - 2. Guerilla und Anti-Guerilla in den fünfziger Jahren 185 - 3. Palästinensische Studenten in Beirut und Kairo 1874. Die arabische Liga gründet die PLO 190 XVII. Der Sechstagekrieg 1967 ................................. 193 XVIII. Machtwechsel in der PLO ............................... 204 1. AI-Fatah beginnt den Guerillakrieg 204 - 2. Folgen des Sechstagekrieges 205 - 3. Die Schlacht von Ka rarne 207 - 4. Die Fedajin übernehmen die Macht in der PLO 210 - 5. Panarabische PLO-Gruppen 211 - 6. Marxistische PLO-Gruppen 213 XIX. Die Wende im Schwarzen September .................. 216 1. "Volkskrieg" gegen König Hussein 216 - 2. Die Konfrontation zwischen der PLO und König Hussein 218 - 3. Der Schwarze September und das Ende des Panarabismus 222 Teil C: Auf der Suche nach dem Frieden. 1973 - 1987 ..... 225 xx. Der Krieg zum Frieden 1973 ............................. 227 XXI. Die PLO zwischen Terror und Politik ................. 239 1. Die neue Kampfbasis Libanon 240 - 2. Der "Schwarze September" 242 - 3. Terror über den Wolken 244 - 4. Terror gegen Israel 248 - 5. Israels Anti-Terrorpolitik 250 - 6. Die internationale Aner kennung der PLO 251 XXII. Begin und Eretz Israel .................................... 255 XXIII. Das Abkommen von Camp David ...................... 257 10 XXIV. Begins Siedlungspolitik ................................... 270 XXV. Der Angriff auf die palästinensische Identität ........ 278 1. Die Politik der Arbeitspartei (1967 -l'T17) 279 - 2. Die Politik des Likudblocks (l'T17 -1982) 282 - 3. Die Vertreibung der PLO aus Beirut 285 XXVI. Die jordanische Option ................................... 300 1. Der Reagan-Plan 300 - 2. Palästinenser unter ha schemitischer Herrschaft 302 - 3. Die Versöhnung zwischen Arafat und Hussein 303 - 4. Der Fahad Plan und der Fes-Plan 305 - 5. Der Schulterschluß Arafat-Hussein 306 - 6. Die Spaltung der PLO 308 Schlußbetrachtung ......................................... 315 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Register ................................................................ 327 11 Einleitung Zwei Nationen - ein Land Nicht zwei Religionen, sondern zwei Nationen kämpfen um das "Heilige Land". Zwei Nationen ringen um ein und dasselbe Land, um "ihr" Land. Jede Seite behauptet, dieses Land sei ihr Land. Jede Seite beruft sich dabei auf die Geschichte, die - versteht sich - ihre jeweilige Ansicht bestätige. Jede Seite beruft sich dabei auch auf die Religion, doch keineswegs nur auf die Religion, und die Re ligion ist dabei oft nicht mehr als lediglich politisches Argument oder Instrument. "In Türkisch-Asien", schrieb im Jahre 1905 der arabische Natio nalist Nejib Azouri, "stehen sich zwei bedeutende Bewegungen ge genüber: Das Erwachen der Arabischen Nation und die Anstren gungen der Juden, das alte Königreich Israel wieder zu errichten. Beide stehen vor einem ständigen Kampf, bis eine die andere über wunden hat". Zwei Nationen, die um ein und dasselbe Land kämp fen: Dies ist die Quintessenz des Nahostkonflikts. Wann begann dieser Konflikt, den der im Pariser Exil lebende Wahlpalästinenser Azouri prognostizierte? Mehrere historische Er eignisse bieten sich dafür an: rein regional gesehen z.B. die erste Einwanderungswelle zionistischer, das heißt nationalistisch geson nener, Juden im Jahre 1882 oder die ersten größeren Auseinander setzungen zwischen Juden und Arabern in Palästina im Jahre 1920. ßf!ltpolitisch gesehen beginnt der Nahostkonflikt mit jener offiziel len Erklärung der britischen Regierung, die später dem jüdischen Volk "die Schaffung einer öffentlich-rechtlich gesicherten Heim stätte in Palästina" ermöglichte. Diese von den geistigen Schöpfern des Judenstaates heiß ersehnte "Charter" wurde am 31. Oktober 1917 vom britischen Kabinett verabschiedet und am 2. November von Außenminister Balfour dem britischen Zionisten Lord Roth schild übermittelt. "Seiner Majestät Regierung", hieß es in der so genannten Balfour-Deklaration, "betrachtet die Schaffung einer na tionalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina mit Wohlwol- 13
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