Ludwig A. Pongratz· Michael Wimmer· Wolfgang Nieke Jan Masschelein (Hrsg.) Nach Foucault Schriftenreihe der Kommission Bildungs und Erziehungsphilosophie der DGfE Ludwig A. Pongratz· Michael Wimmer wolfgang Nieke . Jan Masschelein (Hrsg.) Nach Foucault Diskurs- und machtanalytische Perspektiven der Padagogik I VS VERLAG FOR SOZIALWISSENSCHAFTEN - + III = VI VI_LAG FOIt SOllAlWISSIEHSCHAFTIEN VS Verlag fur Sozialwissenschaften Entstanden mit Beglnn des Jahres 2004 aus den beiden Hausern Leske+Budrich und Westdeutscher Verlag Die breite Basis fur sozialwissenschaftliches publizieren Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publtkation In der Deutschen Nationalbibliografle, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber <http://dnb.ddb de> abrufbar. 1. Auflage Oktober 2004 Aile Rechte vorbehalten © VS Verlag fur Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2004 Der VS verlag fur Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer SClence+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk etnschlieBlich alier seinerTeile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur vervielfiiltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspel cherung und verarbeitung in elektronischen Systemen Die wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, warenbezeichnungen usw tn diesem werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften. Umschlaggestaltung KunkelLopka Medlenentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem papier ISBN-13: 978-3-531-14377-4 e-ISBN-13: 978-3-322-80625-3 DOl: 10.1007/978-3-322-80625-3 Inhalt Vorwort _______________________________________________________________________________________________ 7 Jan Masschelein, Kerlyn Quaghebeur, Maarten Simons Das Ethos kritischer Forschung _____________________________________________________________ 9 Christiane Thompson Foucaults Zu-schnitt von Kritik und Aufkliirung __________________________________ 30 Jenny LiMers Bildung im Diskurs. Bildungstheoretische Anschliisse an Michel Foucault ____________________________ 50 Malte Brinkmann Die geheime Anthropologie des Michel Foucault ___________________________________ 70 Alfred Schafer "Die Seele: Gefiingnis des Korpers" _____________________________________________________ 97 Agnieszka Dzierzbicka, Elisabeth Sattler Entlassung in die ,Autonomie' - Spielarten des Selbstmanagements 114 6 Inhalt Ola/Sanders Deleuzes Foucault - Bildung in Kontrollgesellschaft und popuUirer Kultur ......................... 134 Sabine Andresen Kindheit a1s Dispositiv ....................................................................... 158 Sabine Reh Die Produktion von Bekenntnissen: Biographisierung als Professionalisierung ........................................... 176 Michael A. Peters Why Foucault? New Directions in Anglo-American Educational Research .......................................................................... 195 AutorInnenverzeichnis ...................................................................... 220 Vorwort Dieser Sammelband dokumentiert die Vortr1ige, die wlihrend der Herbsttagung 2003 der DGtE-Kommission Bildungs- und Erziehungsphilosophie in Universi t1itskolleg Bommerholz gehalten wurden. Zus1itzlich aufgenommen wurden ei nige Beitr1ige, die diese Tagung zweifellos bereichert h1itten, aufgrund des be grenzten Zeitrahmens jedoch nicht mehr berUcksichtigt werden konnten. Daran l!isst sich ablesen, wie groB die Resonanz war, die das Tagungsthema "Nach Foucault - Diskurs- und machtanalytische Perspektiven der P!idagogik" - vor allem unter jUngeren Erziehungswissenschaftlerinnen und Erziehungswissen schaftlern -auslOste. In dem breiten thematischen Spektrum, das dieser Sammelband dokumen tiert, spiegelt sich die intellektuelle Spannweite und bohrende Unruhe Foucault schen Denkens, das auch heute, rund zwanzig Jahre nach Foucaults plotzlichem frUhen Tod, nichts von seiner auf- und anregenden Wirkung verloren hat. Auch wenn sich die deutschsprachige bildungsphilosophische Diskussion zun!ichst eher zogerlich auf die Irritationen und Provokationen der Diskurs- und Macht analysen Foucaults einlieB, war eine intensive Auseinandersetzung a la longue unausweichlich. Der vorliegende Band demonstriert, wie sehr Foucault inzwi schen als inspirierendes und kritisches Potenzial erziehungswissenschaftlicher und bildungsphilosophischer Theoriebildung aufgegriffen wurde: W!ihrend die Beitr!ige von Masscheleinl Quaghebeur/ Simons und Thompson sich vor all em mit Foucaults Zuschnitt von Forschung und Kritik auseinandersetzen, konzent rieren sich Brinkmann, Ltiders und Sch!ifer auf bildungstheoretische und anth ropologische Implikationen des Foucaultschen Oeuvres. Dzierzbicka! Sattler und Sanders rticken kultur- und gesellschaftskritische Fragestellungen ins Zent rum ihres Interesses. Andresen und Reh wiederum bedienen sich des Foucault schen Blicks, urn p!idagogische Entwicklungsprozesse in eine neue Perspektive zu rticken. 8 Vorwort Peters schlieBlich schUigt mit seinem Beitrag eine BrUcke zum anglo amerikanischen erziehungswissenschaftlichen Diskurs fiber Foucault. In der Aufuahme dieses englischsprachigen Artikels kommt eine Intention zum Aus druck, die fUr die Kommission zunehmend an Bedeutung gewinnen wird: die Europiiisierung bzw. Intemationalisierung des bildungsphilosophischen Diskur ses. Es dUrfte kein Zufall sein, dass dieser Band Beitriige von Erziehungswis senschaftlerinnen und Erziehungswissenschaftlem aus fUnf europiiischen Llin dent (Belgien, Deutschland, GroBbritannien, Osterreich und Schweiz) versam melt. Diese Offnunyg des Diskursfeldes ist zweifellos ein Teil des Foucault schen Erbes, das die erziehungswissenschaftlichen Diskussion auch weiterhin nachhaltig beeinflussen wird. Darmstadt, im August 2004 Ludwig A. Pongratz Wolfgang Nieke Michael Wimmer Jan Masschelein Das Ethos kritischer Forschung Jan Masschelein, Kerlyn Quaghebeur, Maarten Simons EiDleituDg Theoretische und philosophische Debatten tiber padagogische Forschung be schaftigen sich haufig mit methodologischen ProblemeD uDd mit Fragen der Gtiltigkeit ("validity") uDd Reliabilitat ("reliability") von Forschungsergebnis sen. In diesen Debatten tritt der Forscher selbst meistens nicht in den Blick. Das Hauptanliegen unseres Beitrages hingegen liegt in einer Erkundung padagogi scher Forschung (und vor aHem: kritisch-padagogischer Forschung), die den Forscher zum Ausgangspunkt nimmt. Das heiBt aber weder, dass wir eine psy chologische Betrachtung bzw. ein psychologisches Profit vorstellen wollen, noch dass wir eine Typologie von Forschem aus soziologischer oder kultureller Perspektive versuchen. Vielmehr ist es unsere Absicht, eine kleine Analyse der Figur des kritisch-padagogischen Forschers in ethisch-politischer Hinsicht zu bieten. Dazu mochten wir zuerst verdeutlichen, was wir in diesem Kontext unter ,Ethik', ,Politik' und deren Verbindung verstehen wollen. I Ethik weist hier nicht auf eine Menge an Regeln und Werten oder Normen hin, sondem auf die Art und Weise, in der Menschen sich zu sich selbst (oder zu ihrem Selbst) verhalten. Diese Weise, sich zu sich selbst zu verhalten, dieses Selbstverhaltnisses, ist nicht einfach gegeben, sondem immer Ergebnis einer Arbeit an sich selbst ("work upon the self'). Durch die Geschichte hindurch - und wahrscheinlich auch durch die Lebenszeit hindurch - konnen wir Transfor mationen dieses Selbstverhaltnisses wahmehmen. Ein Beispiel eines ganz be stimmten Selbstverhaltnisses ist das Selbst als eine Menge von Trieben, die eine MaBigung erfordem. Ein anderes Beispiel ist, dass man sich kontinuierlich be mtiht, sein ,wahres' oder ,echtes' Selbst aufzudecken und versucht, in Oberein stimmung damit so authentisch wie moglich zu den ken und zu handeln. In ei- Hier sind wir Foucault viel schuldig - dabei mllchten wir aber gleich darauf aufmerksam machen, dass wir keine ,richtige' Foucault-Leseweise, keine Exegese also, beanspruchen und auch Fou cault nicht ,anwenden' wollen, sondem lediglich mit einigen seiner Gedanken arbeiten. IO J. Masschelein, K. Quaghebeur, M. Simons nem mehr allgemeinen Sinn erlaubt diese Perspektive, Konzepte wie Individua litat und Identitat nicht in irgendeinem essentialistischen Sinn zu verstehen, sondem sie als Teil einer eher spezifischen Problematisierung und Objektivie rung seines Selbst (und anderer) zu betrachten. Wenn man Ethik in dieser Weise versteht, dann bietet sich die M6g1ichkeit, eine Geschichte des Subjekts oder eine Geschichte des VerhlUtnisses zu sich selbst (zum eigenen Selbst) zu schrei ben. So gesehen bedeutet fUr uns eine Formulierung wie: ,den Forscher in ethi scher Hinsicht verstehen', dass wir auf ihre/seine Subjektivitat fokussieren: die Art und Weise, in der erlsie sich zu sich selbst (und in Verbindung damit: zu anderen und zur Welt) verhalt. Nun ist aber eine wesentliche Erkenntnis des spaten Foucault, dass Fragen der Ethik und Fragen der Politik eng verbunden sind. Allerdings ist hier ,Politik' auf eine bestimmte Weise zu verstehen: Politik verweist nicht auf das Problem politi scher Institutionen oder auf Legitimations probleme. Die Frage der Politik wird eher aufgefasst als eine Frage der Gouver nementalitat, worunter wir das Feld von strategischen Machtbeziehungen ver stehen, die sich auf das (Sich-)FUhren von Menschen ("the conduct", "la condui te" - die "FUhrung von FUhrungen" - Foucault) auswirken. Das heiBt, dass urn der Wirksamkeit und Effektivitiit gouvernementaler (FUhrungs-)Beziehungen willen Menschen dazu aufgefordert werden, sich selbst auf eine spezifische Weise zu fUhren. Anders gesagt: damit Menschen gefUhrt werden k6nnen, mUs sen sie sich selbst auf eine spezifische weise fUhren. Es ist genau diese Verb in dung zwischen FUhrung und SelbstfUhrung, die zum Ausdruck bringt, wie Ethik und Politik miteinander verbunden sind. Sie sind keine getrennten oder entge gengesetzten Gebiete, sondern sie implizieren einander (vgl. Foucault 1981, 1982). Diese sehr rudimentaren Andeutungen erlauben uns zu erlautern, was wir meinen, wenn wir von einer ethisch-politischen Analyse der Figur des kritisch padagogischen Forschers sprechen. Wir beschranken uns nicht auf eine Analyse der (individuellen) Subjektivitat der Forscher, sondem untersuchen deren Sub jektivitat, soweit sie TeiI eines FUhrungsregimes ist. D.h. uns interessiert der Forscher aIs "fUhrbare" Subjektivitat. Wir behaupten also nicht nur, dass For scher-sein ein bestimmtes Verhaltnis zu sich selbst erfordert, sondem auch, dass diese Subjektivitat oder SelbstfUhrung Teil eines FUhrungsregimes ist (eines Regimes der Gouvemementalitat). Den Begriff der ,Figur' verwenden wir, urn auf diese Verbindung zwischen FUhrung und Selbst-FUhrung hinzuweisen. In diesem Beitrag beschranken wir uns auf eine erkundigende Kartographie von zwei Figuren, die bezogen sind auf das Forschungsfeld der ,modernen Schule': Dabei ist die eine Forschungsfigur in einem pastoral en und die andere For-