Annette Doll· Mythos, Natur und Geschichte bei Elfriede Jelinek Annette Doll Mythos, Natur und Geschichte bei Elfriede Jelinek Eine Untersuchung ihrer literarischen Intentionen M~ VERLAG FUR WfSSENSCHAFT UNO FORSCHUNG Die vorliegende Arbeit ist von der Philosophischen Fakultat der Universitat zu Koln als Dissertation angenornrnen worden. Referent: Professor Dr. phil. Walter Pape Korreferent: Professor Dr. phil. Volker Neuhaus Tag der mtindlichen Priifung: 14. November 1992 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Doll, Annette: Mythos, Natur und Geschichte bei Elfriede Jelinek: eine Untersuchung ihrer literarischen Intentionen / Annette Doll. - Stuttgart: M und P, VerI. fill Wiss. und Forschung, 1994 Zug!.: Kbln, Univ., Diss., 1992 ISBN 978-3-476-45056-2 ISBN 978-3-476-45056-2 ISBN 978-3-476-04213-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-04213-2 Dieses Werk ist einschlieBlich aller seiner Teile geschtitzt. Jede Verwertung auBer halb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustirnrnung des Ver lages unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fill Vervielfaltigungen, Uber setzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung in elektronischen Systemen. M & P Verlag fill Wissenschaft und Forschung ein Verlag der]. BMetzlerschen Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart © 1994 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprilnglich erschienen bei J. B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 1994 Inhaltsverzeichnis Seite I. Voriiberlegung l. Spurensuche 9 2. Gegenstand, Methodik, Zielsetzung 19 II. Von den Himmelsmachten Dichtung und Musik l. Weibliche Kunstproduktion: Die Frau als Zitat-Klinstlerin 43 2. Die Klavierspielerinnen: Die Frau als Kunst-Interpretin 69 3. Exk:urs zur Psychologie der Klei- dung in Elfriede Jelineks Roman Die Klavierspielerin 78 4. "Die Liebe liebt das Wandem" (Schubert) Musik in der Schreibweise Elfriede Jelineks 86 III. Natur statt Geschichte l. Die "Konvertierung der Natur in Unnatur" 100 IV. Dissonanzen l. HaBlichkeit und Gewalt im Werk Jelineks 124 2. Sexualitat und Gewalt im Werk Jelineks 152 V. Zusammenfassung 179 VI. Bibliographie 183 Siglenverzeichnis A Die Ausgesperrten, Roman, Reinbek b. Hamburg (Rowohlt) 1980. AX Ich schlage sozusagen mit der Axt drein, in: Theater-Zeit-Schrift (1984) H. 7, S. 14-16. BA Der Krieg mit anderen Mitteln, Uber Ingeborg Bachmann, in: Die schwarze Botin (1983) H. 21, S. 149-153. BU Burgtheater, Posse mit Gesang, in: Theaterstticke, hrsg. und mit einem Nachwort von Ute Nyssen, KOln (Prometh) 1984, S. 102- 150. B bukolit, h6rroman, mit bildern von robert zeppelsperl, Wien (Rhombus) 1979. C Clara S., Musikalische Trag6die, in: Theaterstticke, hrsg. und mit einem Nachwort von Ute Nyssen, K61n (Prometh) 1984, S. 63-101. FF Der Jreie Fall der Karper, in: Zeit-Magazin 15, 1989, S. 6-8. GO Der ewige Kramp!, Zwei Arsenleichen (weibl.) in der Literatur, in: Wespennest (1981) H. 44, S. 32-36. HA wir steeken einander unter der haut, konzept einer television des innen raums, in: protokolle (1970) H. 1, S. 129-134. JU Die Komponistin, Wortmaterial in den Kompositionen Jungers, in: Hans Werner Henze (Hrsg.), Die Chiffren, Musik und Spra che, Frankfurt a. M. (Fischer) 1990, S. 211-218. (= Neue Aspekte der Musikalischen Asthetik. IV.) K Die Klavierspielerin, Roman, Reinbek b. Hamburg (Rowohlt) 1983. KM = Krankheit oder Moderne Frauen, hrsg. und mit einem Nachwort versehen von Regine Friedrich, Ki:iln (Prometh) 1987. L Lust, Reinbek b. Hamburg (Rowohlt) 1989. LH Die Liebhaberinnen, Roman, Reinbek b. Hamburg (Rowohlt) 1975. (= das neue buch. 64.) LV wir sind lockvogel baby!, roman, Reinbek h. Hamburg (Rowohlt) 1970. M Michael, Ein Jugendbuchfilr die Infantilgesellschaft, Reinbek b. Hamburg (Rowohlt) 1972. (das neue buch. 12.) MD = Das zweite Gesicht, in: Die Zeit, 15.5.1992, S. 75n6. PL Sylvia Plath, "Die Glasglocke", in: Wespennest (1985) H. 61, S. 51-53. SG Schamgrenzen? Die gewohnliche Gewalt der weiblichen Hygie ne, in: Konkursbuch, Zeitschrift fiir Vernunftkritik (1984) H. 12 (Frauenmacht), S. 137-139. SO Der Sinn des Obszonen, in: Frauen & Pornographie, hrsg. von Claudia Gehrke, Tiibingen (konkurs buch verlag) o. J., [19881, S.102-103. UN Die endlose Unschuldigkeit, Prosa, Horspiel, Essay, Schwifting (Schwiftinger Galerie-Verlag) 1980. W Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr, Prosa, Reinbek b. Hamburg (Rowohlt) 1985. WO = Wolken.Heim., Gi:ittingen (Steidl) 1990. (= Rander. 1.) I. Voriiberlegung 1. Spurensuche Elfriede Jelinek, ein umstrittener Name in der deutschsprachigen Literatur. Preisgekront, von den einen verworfen und von den anderen annektiert. "Sie irritiert und fordert Widerspruch heraus. Kalte, HaB und Zynismus werden ihr attestiert". Die Scharfe ihres Blicks, mit dem sie angeblich "aufs Ab griindige in Herr Jedermann starrt", wird ihr nicht immer verziehen.' Die Literaturkritik nahert sich ihr nur vorsichtig und zogemd, Interesse und manchmal auch Zustimmung wird besonders dort geauBert, wo von Jelineks Sprachbegabung die Rede ist. Wissenschaftliche Untersuchungen zum Werk der Osterreicherin, die tiber ktirzere Aufsatze zu Einzelaspekten hinausge hen, sind noch selten' und stehen zahlenmaBig in krassem MiBverhaltnis zu Bildmaterial, Feuilletonkommentaren und Interviews, die nicht nur Kartei kastchen fleiBiger Dissertantinnen fUllen.3 Selten hat eine Autorin derart ins mediale Geschehen urn eigene personne und personnage eingegriffen. Der Medienrummel urn Jelinek ist daher wenig erstaunlich. Selten hat eine Schriftstellerin so tatkraftig die eigene Legende L5ffier, Spezialistin fiir den HaS, S. 83. 2 Zu erwlihnen sind in diesem Zusammenhang zwei Aufsatzsammlungen, die wesentliche Aspekte von Jelineks Werk aufgreifen. Das ist zum einen das von Christa Gurtler herausgegebene Blindchen Gegen den schOnen Schein, Frankfurt a M. (Verlag Neue Kritik) 1990, das neben Gtirtlers und Kochs bemerkenswerten Beitragen zu Lust interessante Aufsatze von Janz, Meyer und von Hoff zu Jelineks Theaterarbeit enthiilt. Kurt Bartsch und Gunther HOfler haben 1991 eine Aufsatz sammlung E/friede Jelinek als Dossier 2 der Buchreihe uber osterreichische Auto ren im Droschl Verlag herausgegeben, die lesenswerte Beitrage gerade zu Jelineks neueren Arbeiten enthiilt. Die Zusammenstellung einiger Rezensionen zu Jelineks gesamten Werk ist fiir den Einstieg zur literaturwissenschaftlichen Beschliftigung mit den Texten Jelineks ebenso hilfreich. 3 Selbst im Deutschen Literaturarchiv in Marbach haufen sich Photos, Interviews und Kurzkommentare von und mit der Autorin und uber sie, eben well es wissen schaftliche Untersuchungen kaum gibt. 9 mitgestaltet, indem sie die Medien bereitwillig mit stereotypen Bildem zu ihrem Leben und Werk bediente. Das meint einige wenige Versatzstticke, mit denen Autorin und Medien im inzwischen gut eingetibten Wechselspiel virtuos jonglieren. Ais "Bekenntnisse" sind diese Versatzstticke meist etiket tiert, ob es urn das Bekenntnis zu Mordgeltisten: urn das Bekenntnis zur Scham vor dem eigenen schriftstellerischen Produkt,S oder urn das Einge stlindnis einer unstillbaren Femsehsucht geht, der die Autorin im Htitteldor fer Heim exzessiv front.6 Ein tiberschaubares Ensemble von Photographien und Selbstaussagen Jelineks sind lange schon zum ktinstlichen OberfHi chenbild arrangiert, das von Zeitschriften und Magazinen millionenfach in Hochglanzaufmachung Lesem und Leserinnen prasentiert wird. "Sensibler Vampir", "Weltdame und Marxistin"7, die "Einsame, Scheue und Schutzbe dtirftige'" , aber auch die Domina' - so lauten die gelaufigsten Etikettierun gen eines tiberschaubaren Katalogs, dessen Bilder auch ftir das nachste Me dienspektakel jederzeit verftigbar sind. Die synthetische 'Ktinstlerbiogra phie', die seit Jahren geduldig von Autorin und Medien aus nur wenigen Teilen montiert wird, wird gleich mitgeliefert. Da gibt es einen mit Goethe Gedichten genahrten Saugling namens Elfriede, eine kalte und grausame 'Kunsteislaufmutter', einen geisteskranken Vater, einen fruhen Nervenzu sammenbruch der Autorin und schlieBlich die aufgekllirte Ehe mit Gottfried, dem Informatiker,IO der in dieser Eigenschaft eines Tages gar zum Vermitt ler zwischen Apple und Autorin avancierte.11 Biographie als das Produkt ei- 4 Biron, Wahrscheinlich ware ich ein Lustmorder. 5 Presber, Die Kunst ist weiblich, S. 128/129. 6 Biron, Wahrscheinlich ware ich ein Lustmorder. 7 Riedle, They call her Elfie, S. 8. 8 Karin Kathrein, Mit Feder und Axt. 9 Brigitte Lahann, Manner sehen in mir die groj3e Domina. 10 Vgl. Presber, Die Kunst ist weiblich, S. 117-123. 11 Jelinek schreibt seit einigen Jahren am Computer, fiir dessen Software und Wartung Ehemann Gottfried Hiingsberg fiir zustlindig erklan wird. 10