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Mythendämmerung: Richard Wagner im frühromantischen Kontext PDF

173 Pages·2008·0.988 MB·German
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Frank · Mythendämmerung Manfred Frank Mythendämmerung Richard Wagner im frühromanischen Kontext Wilhelm Fink Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. © 2008 Wilhelm Fink Verlag, München (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Anna Braungart, Tübingen Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-4439-4 INHALT 1. Einleitung................................................................................................ 7 2. Vom „Bühnenweihefestpiel“ zum „Thingspiel“. Zur Wirkungsgeschichte der ‚Neuen Mythologie‘ bei Nietzsche, Wagner und Johst.................................................................................... 25 3. „Weltgeschichte aus der Sage.“ Wagners Widerruf der ‚Neuen Mythologie‘............................................. 55 4. Heilsverfehlung und Liebesverbot. Richard Wagners Fliegender Holländer im Motiv-Kontext der endlosen Fahrt................................................................................... 93 5. „Romantische Ironie“ als musikalisches Verfahren. Am Beispiel von Tieck, Brahms, Wagner und Weber............................... 119 6. Ein Welterlöser in der Rolle des Anarchisten. Zum 150. Entstehungsjahr von Richard Wagners Jesus von Nazareth....... 142 7. Siglenverzeichnis...................................................................................... 157 8. Literaturverzeichnis.................................................................................. 159 1. EINLEITUNG Dies sind Aufzeichnungen eines musikalischen Dilettanten. Nicht eines Bärs von geringem Verstand, aber doch eines Liebhabers, keines in der Materie ausgewie- senen Gelehrten. Was immer ich auf diesem Gebiet wage (vor allem im 5. Text), verdanke ich dem Gespräch mit und der Belehrung von sachverständigen Mento- ren, denen ich freilich meine eigenen und penetranten Fragen stellte: allen voran Carl Dahlhaus, dem ich mehrmals während der Treffen der Gruppe Poetik & Hermeneutik in der Bad Homburger Reimers-Stiftung begegnete und der mir am Flügel an Beispielen demonstrierte, was mir an Nuancen in der Partitur entgan- gen war. Dann den musikologischen Experten und Freund(inn)en, die ich seit Langem die Freude habe, regelmäßig bei den Bayreuther Generalproben zu sehen und zu sprechen: Otto und Elisabeth Kolleritsch aus Graz, Theo Hirsbrunner aus Bern, eine Weile auch Lydia Goehr von der Columbia University, NY. Von Be- deutung sind auch die Namen Agnes Heller, die ich seit einem Semester an der New School for Social Research, NY (1998) kenne und eine Weile auch in Bay- reuth und auf einem Wagner-Kongress wiedersah, sowie Richard Klein aus Frei- burg, den ich als Berater der Stuttgarter Ring-Aufführung kennen und schätzen gelernt hatte und mit dem – und einigen Mitarbeitern der von ihm herausgege- benen Zeitschrift Musik & Ästhetik – ich seither verbunden geblieben bin. Ich hatte die meisten der nachfolgenden Aufsätze schon geschrieben, als ich gemein- sam mit dem Tübinger Musikologen Manfred Hermann Schmid ein auf zwei Semester angelegtes Wagner-Seminar durchführte. Wir gingen erst einige Texte zur frühromantischen ‚Neuen Mythologie‘, dann Wagners Dresdener und Züri- cher Theorie-Texte und schließlich exemplarisch den Ring durch. Vor allem in der zweiten Hälfte habe ich viel gelernt. Freilich: In Wagners theoretischen Schriften kannte ich mich aus. Ich hatte sie gründlich studiert, seit ich Ende der 70er Jahre begonnen hatte, über das Thema der ‚Neuen Mythologie‘ nachzuden- ken. Wie aber bin ich in diesen Kontext geraten, zu dem meine Fachausbildung mich so wenig disponierte? Wieder ohne eigenes Verdienst: Im Frühjahr 1993 erhielt ich einen unversehenen Anruf von Gudrun Wagner. Sie sprach mich zu- nächst auf eine Rede an, die ich in der Paulskirche am 9. November 1992 zur Kommemoration der Reichspogromnacht gegen Fremdenhass, Antisemitismus und die Asylrechts-Ausdünnung gehalten habe (Frank 1992a, 1993a, 1993b). Die Rede hatte mir damals nicht nur aus der konservativen und rechten Szene medienwirksam rüde Kritik, ja Bedrohung eingebracht. Sie hatte auch durchaus mit dem Thema der hier abgedruckten Aufsätze zu tun, indem sie nach den legi- timatorischen Grundlagen eines demokratischen Gemeinwesens fragt und auf frühromantische Stellungnahmen rekurriert. Frau Wagner bemerkte, dass sie und 8 EINLEITUNG ihr Mann über die Jahre beobachtet haben, dass solche Fragen an Richard Wag- ners Werk in meinen Publikationen eine Rolle gespielt haben, und lud mich schließlich zu einem größeren Beitrag fürs Programmbuch ein, der Kirchners und Rosalies neue Ring-Inszenierung begleiten solle. So entstand Text 3. Er steht sei- nerseits in einer gedanklichen Folge anderer und früherer Aufsätze, die meinem Fachgebiet ungleich näher lagen als die Musik-Theorie, und hier zögerte ich nicht. Die Einladung wurde der Auslöser für alle folgenden Texte, die ich speziell über Aspekte von Wagners Werk geschrieben habe und die hier – mit einigen Zusätzen, Kürzungen oder Korrekturen – versammelt sind (Texte 3, 4 und 6). Ich kann diese Aufsätze nicht erwähnen, ohne dankbar der hilfreichen Unterstüt- zung des Bayreuther-Festspiele-Presseamt-Leiters Peter Emmerich zu gedenken. Am 28. Nov. 2007 starb Gudrun Wagner jäh – Ihr sind meine Aufsätze ge- widmet. I. Seit dem Ende der 70er Jahre war ich aufmerksam darauf geworden, welch un- geheure wirkungsgeschichtliche Macht die frühromantische Fantasie einer ‚Neu- en Mythologie‘ aufs 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgeübt hatte. Es schien, als trete hier ein Problem so lange auf der Stelle, als seine Lösungsbe- dürftigkeit verdrängt wird. Dadurch schien es zum Indikator pathologischer De- formationen des Modernisierungsprozesses prädestiniert. Ihm war nicht anders beizukommen als durch Ernstnehmen der Not, die es wortreich beschwört. Denn: „Die Wunde schließt/ der Speer nur, der sie schlug“ (SSD X, 375). Aus den Forschungen, die ich in meiner Düsseldorfer Antrittsvorlesung (vom Herbst 1977) über „Die Dichtung als ‚Neue Mythologie‘“ antizipiert hatte (Frank 1979), sind die beiden Teile meiner Vorlesungen über die ‚Neue Mythologie‘ hervorgegangen: Der kommende Gott (Frank 1982) und Gott im Exil (Frank 1988, zus. mit Rolf Kauffeldt und Gerhard Plumpe). In beiden spielt auch Ri- chard Wagner eine wesentliche Rolle. Er schien mir ein Prüfstein, an dem die Idee einer ‚Neuen Mythologie‘ sich hart zu bewähren hatte – oder an dem sie scheitern musste. Für beide Vermutungen liefere ich im Folgenden Belege. (Ich übernehme einige Abschnitte aus Frank [1979] in diese Einleitung.) Das treibende Interesse hinter solchen Erkundungen war die Frage nach den Basen für die Legitimierung eines Gemeinwesens unter Bedingungen vollendeter Säkularisierung. Dabei wurde – mit einigen Frühromantikern – als Prämisse an- genommen, in vormodernen Zivilisationen haben Mythen (bzw. – um 1800 se- mantisch noch nicht durchgehend streng geschieden – Hochreligionen) genau diese Funktion erfüllt. Insbesondere Schelling wollte den Ausdruck ‚Mythos‘ ge- rade so verstanden wissen, nämlich als normative Rechtfertigung eines sozialen Brauchs, der sich dadurch in einen Kult oder in ein Ritual verwandelt (Gaier 1971; Frank 1982, 2. Vorl.). Schauen wir zunächst auf einige Eigentümlichkeiten des mythischen Genres. Erst aus ihnen wird verständlich, warum Macht habende Mythen sich zur Rechtfertigung sozialer Gebilde in besonderer Weise eignen. EINLEITUNG 9 Man zählt den Mythos zu den nicht-bezeichnenden, nämlich zu den symboli- schen Ausdrucksformen (Cassirer 1977). Im Gegensatz zum Zeichen ist das Sym- bol nicht eindeutig; es ist nicht kodiert und hat keinen festen Verweisungsbezug. Dan Sperber hat vorgeschlagen, es als ein ungebundenes Zeichen zu definieren, dem sein Sinn nicht aufgrund einer systematisch geregelten Beziehung von materi- ellem Ausdruck und intelligiblem Sinn(gehalt) zugewiesen ist, sondern zum Aus- druck in einer ursprünglichen Stiftung hinzuerfunden werden muss (Sperber 1975). Dieser Ausdruck mag als Zeichen welche Bedeutung auch immer innehaben: Das christliche Symbol des Kreuzes z. B. besteht völlig unbeschadet der semiologi- schen Funktion des Zeichens „Kreuz“ und ist aus ihr nicht abzuleiten. Symbolische Interpretationen können – wie das Beispiel zeigt – durchaus von rituellen Verrich- tungen oder gesellschaftlichen Zeremoniells her motiviert worden sein: Das We- sentliche ist (und damit ist ein Einwand gegen Lévi-Strauss formuliert, der Mythen als Zeichensysteme untersucht), dass der symbolische Vollzug den Sinn an sein zei- chenhaftes Substrat magisch anbindet. Im Ritual (z. B. dem Abendmahl) deutet die sinnlich ausgeführte Bewegung nicht auf eine der Handlung äußerliche Idee, son- dern ist diese Idee. Der Hut, dem Tell seine Reverenz verweigert, oder die bei De- monstrationen mitgeführte rote Fahne sind unmittelbar die Staatsgewalt bzw. deren Herausforderung, und das vermöge einer ritualisierten interpretatorischen Zuspre- chung, durch welche die Akteure ihre Zusammengehörigkeit befestigen. Derglei- chen imaginäre Identifikationen zählen nicht unter die Möglichkeiten des gewöhn- lichen Zeichengebrauchs, in welchem die Ausdrucks- und die Sinnebene im Rah- men ihrer Beziehung immer zugleich analytisch gesondert bleiben. Was ein Zeichen – insofern es dem virtuellen System einer Sprache (langue) zu- gehört – bedeutet, kann man wissen. Symbolische Zusammenhänge werden ge- glaubt. Symbole bleiben, selbst wenn sie verstanden werden, vieldeutig und treten nur im Übergang zum Imaginären hervor (Sartre 1940). Die Imagination aber ist eine Bewusstseinshaltung eigener Art: Sie nimmt das Zeichen oder eine Kette von Zeichen zum Anlass von Sinnprojektionen, die deren gewöhnliche Bedeutung un- sichtbar überlagern. Darin kommen Ritual und Dichtung überein. Beide gehen mit dem Sinn im Zustande seiner Latenz – vor oder jenseits seiner Kodierung – um. Tatsächlich ist jedoch diese strenge Abgrenzung von Zeichen und Symbol eine künstliche Abstraktion. Denn ein Zeichensystem bleibt – wie jeder Apparat von Handlungsanweisungen und Rezepten – stumm, wenn es nicht interpretiert wird. Auffälligerweise entspricht ja der Spielregel als solcher kein einziger Zug im Spiel selbst. Vor allem darum, weil die Zeichen (wie Ch. S. Peirce gezeigt hat), um unter einer bestimmten Hinsicht auf Objekte sich beziehen zu können, eines Kommentars oder einer Interpretation bedürfen, die sich nicht als Ergebnis einer einfachen Deduktion aus ihrer Grammatik begreifen lässt. Deduktionen lassen sich grundsätzlich nur im gleich gearteten Feld der Struktur (dessen, was Peirce idea oder object nennt) und nicht des angewandten Zeichens (des interpretierten representamen) geben. Die struktural-horizontale Beziehung des Zeichens zu allen anderen Zeichen und zu ihren Objekten wird von einer weiteren, gleichsam ver- tikalen Beziehung gekreuzt: der der Zeichen zu ihren Benützern. Das Zei- 10 EINLEITUNG chensystem funktioniert auf der Ebene des gesprochenen Worts nur, wenn eine Interpretationsgemeinschaft seinen Verwendungssinn zuvor festgelegt, d. h. das Abbildungsverhältnis zwischen den kodierten Zeichen und ihren Gegenständen von Grund auf hervorgebracht hat, um es im Lauf der Geschichte permanent neu fest zu setzen (vgl. Frank 1985, 334 ff. und 345 ff.; ferner Frank 1982, 107 ff.). Auf diese Weise bleibt – um eine These darauf zu pfropfen – der abendländische Logos, z. B. in der Gestalt der Semiologie, rückgebunden an symbolische Hand- lungen und axiomatische Entscheidungen, die von der Ebene der sozialen Inter- aktion ihren Ursprung nehmen und die ich in einer ersten Annäherung als my- thisch bezeichnen möchte. – In diesem Sinne wäre der Mythos nicht das Gegen- teil, sondern die Kontrolle des analytischen Logos im Namen einer Totalität. Mythen teilen ja mit Sprachen zunächst die Eigenschaft, soziale (und mithin synthetische) Gebilde zu sein; es ist ebenso widersinnig, sie als Privat-Ver- anstaltungen zu denken, wie die Idee einer Privatsprache widersinnig ist. Sie ha- ben überdies – und das unterscheidet sie von reinen Grammatiken – heuristische oder Modell-Funktion: Sie teilen mit Metaphern und wissenschaftlichen Model- len die Eigenschaft, Paradigmata oder Vorschläge zu einer allgemeinen und sy- stematischen Weltdeutung an die Hand zu geben1 (Ricœur 1976, bes. 52 ff.). Was sie von wissenschaftlichen Modellen unterscheidet, ist nicht ihre Un- oder Vorwissenschaftlichkeit (das wäre eine tautologische Behauptung), sondern die Tatsache, dass sie mit der Einsetzung von Axiomen zu tun haben, die im Bereich der analytischen Wissenschaften unbefragte und unhinterfragbare „Urevidenzen“ bleiben müssen. Mythen sind ferner narrative Formen, in denen Deutungen von gesellschaftlichen Ritualen gegeben werden, ohne dass diese Formulierung eine unumkehrbare Zeitfolge zwischen Ritus und Mythos behaupten möchte. Im All- gemeinen sind die mythischen Erzählungen triadisch organisiert, da sie den Kampf des Menschen zwischen einem schuldhaft verwirkten und durch eine Art metánoia wiedereröffneten Zustand der Einigkeit mit dem Göttlichen (dem Nu- minosen, dem Mana) berichten. Ödipus muss eine Tabuverletzung, Siegfried ei- nen Eidbruch, Parsifal eine Verstocktheit des Herzens büßen, um der Gnade der Überirdischen wieder würdig zu werden. Lévi-Strauss erzählt zahlreiche Mythen aus dem Amazonasgebiet, die diese Struktur aufweisen. Alle erzeugen den Schein einer Ordnung und liefern teleologische Rechtfertigungen des Lebens sowohl der Individuen wie der Gesellschaften, indem sie institutionalisierte Gratifikationen für kulturell anerkannte Bedürfnisse bereitstellen. Der Mythos ist die „feste Burg“, oder, wie Hegel sagt, das „gesicherte Asyl“ (Hegel 1955, 1084), in dessen symbolischer Gewissheit die allgegenwärtige Tragik intersubjektiver Kollisionen und die Auflösung aller menschlichen Begebenheiten und Verhältnisse erst er- träglich werden. Schelling nennt, einer pythagoreischen Tradition eingedenk, je- nen mythischen Ort, an welchem das menschliche Bewusstsein in seinem Urzu- stande, d. h. vor seinem Fall, „wie geborgen in einer unzugänglichen Burg“, wohnt, das „göttliche Verwahrsam“ (SW, II/2, 157-159). In ihm ist aufbewahrt 01Diese These wurde vor allem von Max Black (1962) und Mary B. Hesse (1966) vertreten.

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