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Myrmekonymia Europaea Ein wortgeschichtlicher Streifzug auf den Spuren der Ameisen PDF

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© Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Myrmekonymia Europaea Ein wortgeschichtlicher Streifzug auf den Spuren der Ameisen Hans Christian LUSCHÜTZKY Abstract: Names for insects considered to be injurious or a pest are prone to undergo irregular phonetic variation and lexical sub- stitution in most languages and dialects. In this article, the onomasiological diversity of designations for ants in the languages of Europe and adjacent areas is surveyed, with special regard to semantics and etymology. Key words: Zoonymy, entomonymy, etymology, lexicology, formicidae. Einleitung sprünglich ‘Gebärerin’) und Schaf (ursprünglich ‘Ge- schabtes’, d.h. ‘Geschorenes’), bis zum karikierend-cha- Die Etymologie, die Lehre von Wortursprung und rakterisierenden, wie im Fall von Maus (ursprünglich Wortgeschichte, hat im Bereich der Zoonyme (Tierbe- ‘Stehlerin, Diebin’ [GRIEPENTROG 1995]) und Schmet- zeichnungen) ein unermessliches Betätigungsfeld. Vom terling(ursprünglich ‘Rahmliebhaber’), um hier nur ei- Mammut bis zur Amöbe geht die Zahl der benannten nen Teil der Möglichkeiten anzudeuten (weitere Bei- Gattungen und Arten in die Millionen, und viele Tier- spiele bei RIEGLER[1907] und CARL[1986]). bezeichnungen weisen fachsprachliche, poetische, volkstümliche und dialektale Sonderformen auf, deren Ursprünge oftmals schwer zu eruieren, manchmal leider Etymologie1 auch unerfindlich sind. Das besondere Verhältnis des Im Fall von Ameise ist die Deutung des Wortur- Menschen zur Tierwelt, die ihm einerseits nahe steht sprungs insofern mit Unsicherheit behaftet, als zwar als belebter Kosmos, als dessen Krönung er sich selbst kein Zweifel über den dem Zoonym zugrundeliegenden empfindet, andererseits verschlossen bleibt durch seine Wortstamm besteht, sehr wohl jedoch über die Wort- Sonderstellung als erkenntnisfähiges und reflexionsbe- form: es gilt zu entscheiden, ob es sich ursprünglich um gabtes Wesen, sowie die Mannigfaltigkeit der Bezie- eine Bezeichnung für den Ausführenden einer Tätig- hungen, in die sich der sprechende und benennende keit gehandelt hat (Nomen agentis) oder um eine Be- Mensch zu den ihn umgebenden Tierarten gestellt fin- zeichnung für den Träger einer auf dem Ergebnis eben- det, bringen es mit sich, dass im Bereich der Zoonymie dieser Tätigkeit beruhenden Eigenschaft. unterschiedlichste Benennungsmotive zur Anwendung kommen, vom onomatopoetischen (lautmalerischen) Das im Mittelhochdeutschen (Mhd.) als āmeiʒe Prinzip, wie im Fall von Kuckuck und Zilpzalp bis zum (auch in den Varianten ambeiʒe, ämbeʒ, onmeiʒ, om- tabuistisch verhüllenden, wie im Fall von Bär (ur- maiʒ, emeiʒe, aimsche, eimessesowie in der Verkleine- sprünglich ‘der Braune’) und Fuchs (ursprünglich ‘der rungsform emesselin [LEXER 1872]), im Althochdeut- Buschige’ – gemeint ist der Schwanz), und vom ökono- schen (Ahd.) als meiʒa(auchameʒaund andere Vari- misch-funktional inspirierten, wie im Fall von Sau(ur- anten, Plural: ameiʒūn[LLOYD& SPRINGER1988]) und im Gotischen alsēmaitja belegte Wort ist eine Zusam- mensetzung aus ā- ‘ab’ und meiʒan ‘schneiden’. Die 1 Da in der Sprachwissenschaft die Sprache sowohl Kommmuni - Ameise wäre demnach entweder ‘die Abschneiderin, kationsmittel als auch Bezugsobjekt ist, bedarf es einiger Konventio- nen, um die Ebenen nicht zu vermischen. Im Folgenden sind sämtliche Nagerin’, die ihre Beute zerteilt, oder aber ‘die Abge- Wortbeispiele kursiv gesetzt, während bloße Wortbedeutungen zwi- schnittene, in Abschnitte gegliederte’, ein durch mar- Denisia 25, schen einfachen Anführungszeichen stehen. Doppelte Anführungszei- chen werden wie allgemein üblich verwendet (Zitate, distanzierungsbe- kante Einschnitte zwischen Kopf, Mittelleib und Hin- zugleich Kataloge der oberösterreichischen dürftige Ausdrücke und dergleichen). Ein Asterisk (*) steht vor rekon- terleib charakterisiertes Insekt (“ein behendes, schön- Landesmuseen struierten Wortformen oder Sprachelementen, ein Kreuz (†) vor außer Neue Serie 85(2009): Gebrauch gekommenen Wörtern. gelenkes Thier” [GRIMM& GRIMM1854]). Ameisewäre 53–66 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at nach letzterer Deutung synonym mit den lateinischen Althochdeutschen jedoch als mīʒa‘Mücke’ noch belegt und griechischen Gattungsbegriffen insecta (Singular: ist. Im Niederländischen liegt mit mijt‘Zecke’ eine for- insectum) und éntoma(Singular: éntomon), denen eben- mal genaue Entsprechung davon vor (mittelniederlän- falls ein Wort für ‘schneiden’ (secare bzw. témnein) zu- disch und mittelniederdeutsch mīte, DE VRIES 1997), grunde liegt (vgl. den aus der griechisch-lateinischen wobei die semantische Variationsbreite der Belege ange- Terminologie übersetzten deutschen Begriff Kerbtiere), sichts der onomasiologischen Schwankungen in der En- doch ist éntomakein volkssprachlich entwickelter Aus- tomonymie nicht weiter überrascht. druck, sondern ein von Aristoteles als Ordnungsbegriff Im etymologischen Wörterbuch der Duden-Reihe bewusst geprägtes Kunstwort und lat. insecta lediglich wurde dem Benennungsmotiv ‘Abschneiderin’ für eine Lehnübersetzung hiervon (zuerst bei Plinius dem Ameise in der ersten Auflage (DROSDOWSKI 1963) die Älteren belegt). Die Volkssprache kennt keine solchen Beobachtung zugrunde gelegt, dass Ameisen Blätter und systematischen Ordnungsbegriffe: auch Säugetier, im 18. Holzteilchen abschneiden, während man in späteren Jh. gebildet nach lat. mammale(bei Aristoteles tò gálak- Auflagen (AUBERLE2001, ALSLEBEN2007) zur alternati- ti tréphon zôon‘das sich von Milch ernährende Tier’), ist ven Deutung als ‘Abgeschnittene’ bzw. ‘aus Abschnitten kein Wort der Volkssprache, die für derartige Klassifizie- Bestehende’ übergegangen ist. Derselbe Meinungsum- rungen keinen Benennungsbedarf hat und sich eher schwung ist in dem von Friedrich Kluge begründeten nach augenfälligen oder funktionalen Generalisierun- etymologischen Wörterbuch des Deutschen zu beobach- gen richtet – so wird der Wal zum “Fisch”, die Biene zum ten. War Walther Mitzka (KLUGE1975) in seiner Bear- “Vogel” (mundartlich Beinvogl) und dergleichen mehr. beitung der 21. Auflage noch von einer agentivischen Sprachhistorisch vorauszusetzen ist für Ameise je- Bedeutung ausgegangen, so weist Elmar Seebold (KLUGE denfalls ein urgermanisches *āmaitōn, wobei für das 2002) in seiner Bearbeitung der 24. Auflage darauf hin, Präfix ā- parallele Bildungen wie mhd. āschrōt ‘Abge- dass der in Ameise vorliegende Ableitungstyp im Ger- schnittenes’ und āswinc ‘Abfall von Flachs’ angeführt manischen Bezeichnungen für Dinge bildet, die aus dem werden können. Das Verbum, dessen urgermanische im Grundwort genannten Material bestehen und das Form als *maitananzusetzen ist, erscheint im Gotischen Wortgebilde Ameisesomit als ‘die aus Abschnitten Be- unverändert als maitan (‘schneiden, hauen’), im Altnor- stehende’ zu paraphrasieren sei. Die Annahme, dass die- dischen als meita. Ahd. meizan, mhd. meiʒen ‘schnei- se Bezeichnung durch eine artspezifische Verhaltenswei- den, meißeln’ ist jedoch im Neuhochdeutschen als Ver- se (das Abschneiden von Pflanzenteilen oder das Zer- bum nicht weiter fortgesetzt, sondern nur in einer nomi- schneiden von Beutestücken) motiviert ist, wäre hinge- nalen Ableitung, der Werkzeugbezeichnung Meißel gen weniger wahrscheinlich, da dies bei im deutschen (ahd. meiʒil, mhd. meiʒel; das Verbum meißeln, mhd. Sprachraum einheimischen Ameisenarten weniger üb- meiʒeln, ist seinerseits wieder vom Nomen abgeleitet). lich sei. Das dritte umfassende Etymologikon des Deut- Das Ornithonym (der Vogelname) Meise (im Engli- schen (PFEIFER 1997) lässt beide Möglichkeiten offen, schen sekundär an das Wort für ‘Maus’ angeglichen: tit- während das etymologische Wörterbuch von HIERSCHE mouse) gehört übrigens aus lautlichen Gründen nicht (1986), das zwar über drei schmale Lieferungen nicht hierher, denn urgermanisches s in Meise (ahd. meisa) hinausgekommen ist, dank der alphabetischen Abfolge lässt sich mit urgermanischem tin Ameisenicht in Ein- der Lemmata jedoch einen Eintrag zu Ameise enthält, klang bringen. Zwar ist der Ansatz eines urgermani- ebenfalls die Interpretation als Nomen agentis vertritt, schen Adjektivs *maisa- mit der Bedeutung ‘klein, allerdings aus rein semantischen Erwägungen. Das ety- schmächtig’ (OLSCHANSKY 1999) durch einzelsprachli- mologische Wörterbuch des Althochdeutschen (LLOYD che Belege nicht gut abgesichert, doch spricht neben & SPRINGER 1988) gibt ebenfalls der Deutung als No- der lautlichen Unmöglichkeit auch semantisch nichts men Agentis den Vorzug und fixiert die Bedeutung von für eine lexikalische Identifikation des Vogelnamens dort für das Urgermanische rekonstruiertem *amaitjon Meisemit einem Wort für ‘schneiden, hauen’. Ebenfalls als “‘die Abschneiderin’, d.h. ‘das Holzteile, Nadeln und nicht mit Ameise in Verbindung zu bringen (hingegen Gräser abschrotende Insekt’”. vielleicht mit Meise) ist das Ornithonym Amsel (mhd. Der in der älteren Literatur bevorzugten Deutung amsel, ahd. amsla). des Zoonyms Ameiseals Bezeichnung eines Handlungs- Von der auf die westgermanischen Sprachen be- trägers (Nomen agentis), also ‘Abschneiderin’ (so etwa schränkten Benennung der Ameise nicht zu trennen ist bei WASSERZIEHER 1935), steht somit eine neuere An- hingegen das im Englischen noch lebendige mite für sicht entgegen, wonach auf Grund der Tatsache, dass ‘Milbe’ (dt. Milbe, ahd. miliwa, milwa, gehört zu Mehl, die germanischen Ableitungen (bzw. Stämme) auf wie schon ANDRESEN [1876] richtig erkannte), das im *-jōn aus Materialwörtern Bezeichnungen für solche Neuhochdeutschen keine Entsprechung mehr hat, im Dinge bilden, die aus diesem Material bestehen, Ameise 54 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at wortbildungssemantisch als ‘aus Abschnitten Bestehen- Mundartliches de’ zu interpretieren sei. Das dem Zoonym Ameise zu- Manche dialektalen Varianten des Worts für ‘Amei- grunde liegende morphologisch-semantische Muster se’ sind lexikalisch erweitert um den Begriff der chemi- wäre demnach dasselbe, das etwa in den Wörtern Bürs- schen Wehrhaftigkeit dieser Insektenart: Seichameise te (aus Borsten bestehend), Würze (aus Wurzeln beste- (fränkisch, rheinisch, pfälzisch und hessisch, neben hend), Sülze(aus Salzbestehend) und dergleichen vor- Emetzebzw. rheinisch Emseek, hessisch Imse), Seichämse liegt (WILMANNS1899, KRAHE1969). Diese Annahme (thüringisch, sächsisch, neben Emetz und Hameisel), stützt sich ferner auf das außersprachliche Argument, Piss ämse (sächsisch, KNOOP & MÜHLENHORT 1997). dass die nord- und mitteleuropäischen Ameisen eher Auch die ältere Bezeichnung Miere (siehe darüber im keine Pflanzenteile abschneiden, sondern diese nur ein- nächsten Kapitel) geht derartige Verbindungen ein in sammeln: “Die Annahme der Bezeichnung nach dem den Komposita Pissmiere, Pissmier(niederdeutsch, neben Abschneiden von Blatt-Teilen ist weniger wahrschein- Emigge, Emke, Emkenund einfachem Miere). Die Zusam- lich (da bei einheimischen Ameisen weniger üblich)” mensetzungen mit piss- sind typisch für das niederdeut- (KLUGE2002, beim Stichwort Ameise). sche Sprachgebiet, wo im Spätmittelalter die Entleh- Argumente zugunsten der älteren Deutung als No- nung von pissenaus frz. pisser(afrz. pissier, aus vulgärlat. men agentis scheinen dennoch zu überwiegen, und zwar pissiāre) stattgefunden hat, während das aus dem Indo- aus einem lautgeschichtlichen Grund: wie LÜHR(1982) germanischen ererbte Verbum seichen(ursprüngliche Be- gezeigt hat, würde die Annahme eines *-jōn-Suffixes für deutung: ‘rinnen lassen’) in den mitteldeutschen Dialek- ahd. ameizabedeuten, dass in diesem Wort die westger- ten zum Einsatz kommt (Parallelen des Benennungsmo- manische Konsonantengemination hätte eintreten müs- tivs im Ostseefinnischen, Baltischen und Slawischen se- sen. Belege für eine Geminierung des stammauslauten- hen LEWY [1913] und NEPOKUPNYJ [2004]). Auch im den Konsonanten fehlen im Deutschen jedoch völlig oberdeutschen Dialektgebiet wird von der Ameise ge- (zum Unterschied vom Altenglischen, wo ǣmette ne- sagt, dass sie soacht, doch sind entsprechende Komposita ben ǣmete vorkommt), und somit kann statt *-jōn ein hier seltener. Dass die Giftapplikation der Ameise mit Suffix *-ōnangesetzt werden. Ableitungen auf *-ōn sind dem Vorgang des Urinierens gleichgesetzt wird (nicht nun aber agentivisch, und folglich ist Ameisenach die- nur in deutschen Mundarten, wie unser linguistischer ser Interpretation baugleich mit Zoonymen wie Fliege Rundgang noch zeigen wird), dürfte daran liegen, dass (zu fliegen) und Spinne(zu spinnen). Zum Außersprachli- dieselbe auf Grund der Kleinheit des Angreifers (bzw. chen ist überdies anzumerken, dass nord- und mitteleu- Verteidigers) nicht als Stich empfunden wird, wie bei ropäische Ameisenarten zwar vielleicht keine Pflanzen Biene oder Wespe. Erst durch die nachfolgende flächige Haut irritation wird der Eindruck eines Vorgangs ähnlich zerteilen (zum Unterschied etwa von den amerikani- dem Versprühen einer ätzenden Flüssigkeit hervorgeru- schen Blattschneiderameisen – doch siehe den im fen. Im Fall der Waldameise ist die Charakterisierung der nächsten Kapitel behandelten Dialektausdruck Sprock- Absonderungsform als ‘urinieren’ auch insofern berech- imm), sehr wohl aber ihre Beute in transportable Portio- tigt, als diese Gattung über keinen Stachel mehr verfügt nen zerlegen (z.B. Regenwürmer). und ihr ameisensäurehältiges Gift aus dem Hinterleibs - Ameise ist in der neuhochdeutschen Standardspra- ende verspritzt. Eventuell spielt hier auch der Geruch che zur alleinigen Bezeichnung der Familie Formicidae der zum Einsatz kommenden Substanzen eine Rolle. geworden. Außerhalb des Deutschen erscheint sie mög- Andere dialektale Varianten rücken in Form von licherweise in dem französischen Dialektwort masette Zusammensetzungen die mechanische Wehrhaftigkeit (Berrichon, Mundart des zentralfranzösischen Départe- in den Vordergrund, z.B. hessisch Petzemese(mit einem ments Berry). Daneben existiert jedoch im Niederdeut- Verbum petzen für ‘kneifen, zwicken’) oder tirolisch schen mit Miere (und zahlreichen Varianten hiervon) Klemmūmesn (KRANZMAYER 1965). Wieder andere be- noch eine ältere, auf eine voreinzelsprachliche zurück- ziehen sich auf das Transportieren und Anhäufen von gehende indogermanische Bezeichnung (zu deren Ety- Pflanzenteilen, z.B. schwäbisch Hagameise, Hagelmeise, mologie siehe das Kapitel: ‘Ameise’ in den germani- Agelmeise (neben Emois, Ämse, Emse; mit einem Aus- schen Sprachen). druck für stachelige Pflanzenteile, der urverwandt ist mit lat. acus‘Nadel, Granne’). Im Alemannischen rückt ein dem Nasalabglitt ent- wachsener parasitärer Plosiv die so entstandenen Formen Ambeizund Ambeisin die Nähe volksetymologischer An- schlüsse an die Verben beißen und beizen (Letzteres ist Kausativum zu Ersterem) – allerdings nicht auf dortigem 55 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Dialektboden, da im Alemannischen die neuhochdeut- Ob münsterländisch Ampl auf einer Wortkreuzung sche Diphthongierung nicht eingetreten ist und daher die aus Ameiseund Immeberuht, kann hier nicht entschie- betreffenden Verben mit langem gesprochen werden. den werden. Lexikalische Kombinationen des Ameisen- worts mit dem Bienenwort scheinen jedenfalls in nieder- In einigen niederdeutschen Mundarten wird zur Be- deutschen Dialekten vorzukommen (z.B. dithmarschisch zeichnung der Ameise ein Zoonym für ‘Biene’ herange- Mireim‘Ameise’, falls nicht aus *Miegereimsynkopiert). zogen (vgl. den entomologischen Fachterminus Stechim- me), verbunden mit einem Verbstamm für ‘urinieren’: Beim Hinterglied des Kompositums Miegelitzken Miegimm, Miegemp, Miegamp u. dgl. (GRIMME 1910). dürfte es sich wohl um eine Ableitung zu lütt ‘klein’ Diese Komposita sind in etymologischer Hinsicht be- handeln, somit bedeutet Miegelitzkenetwa ‘urinierendes merkenswert, da hier ein in der Standardsprache ausge- kleines Lebewesen’. Unklar bleibt die Form des Hinter- storbenes Verbum †miegen‘urinieren’ fortlebt, das sonst glieds in den Zusammensetzungen Miegreem(synkopiert nur mehr in der nominalen Ableitung Mist vorkommt aus *Miegereem?), während Mieghammeke ein weiteres und dessen etymologische Verwandte nicht nur in alt- Entomonym ins Spiel bringt, und zwar das Heimchen, germanischen Dialekten zu finden sind (altnordisch dessen Deminutivform erst im Neuhochdeutschen ihre mīga, angelsächsisch mīgan), sondern in der ganzen in- derivationelle Grundlage verloren hat und das heutigen dogermanischen Sprachfamilie (Wurzel *meigh-). Von Sprachbenutzern meist nur noch in der Wendung Heim- den zahlreichen Belegen sei hier nur lat. mingere‘urinie- chen am Herd geläufig ist. Mittelhoch- und -nieder- ren’ erwähnt (mit Nasalinfix, neben mēiere). deutsch ist undeminuiertes heime belegt, ein Maskuli- num, das im Althochdeutschen als heimo und im Alt- Im Alt- und Mittelhochdeutschen ist imbi, imbe, wie englischen monophthongiert als hāma erscheint. Im auch altenglisch imbe, zunächst ein Ausdruck für ‘Bie- Ahd. lauteten die Deminutivformen heimilī und hei- nenschwarm’, z.B. bezeugt im “Lorscher Bienensegen” milīn, mhd. heimelīn, im Mittelniederdeutschen heim- aus dem 10. Jh.: imbi ist hucze‘der Schwarm ist heraußen ekeund hemeke(Hammekeist auch als Familienname in (= ausgeflogen)’ (BRAUNE1969); erst später wird daraus Nordrhein-Westfalen bezeugt). Das oben erwähnte ost- eine Benennung für Einzeltiere. Eine Benennungsun- mitteldeutsche Hameisel mit anscheinend spontaner schärfe im Bereich von Ameisen und Bienen (wie in Anlautaspiration könnte also auch aus einer Wortkreu- niedersächsisch Iemeck ‘Ameise’) ist im Hinblick auf zung hervorgegangen sein. Ein dialektal nicht lokalisier- auffällige Gemeinsamkeiten wie chemische Wehrhaftig- tes Heemschen ‘Ameise’ verzeichnet auch das Wörter- keit, massenhaftes Auftreten und ähnlichen Körperbau buch von ADELUNG(ADELUNG1793, dort nicht als ei- (bei geflügelten Ameisen) nicht weiter verwunderlich. genes Lemma, sondern unter dem Stichwort Ameisean- Aus dem Niedersächsischen sind allerdings auch Aus- geführt). Was die Bedeutung betrifft, so ist mit der drücke für ‘Ameise’ belegt, in denen anscheinend das Gleichsetzung von Ameise und ‘Hausgrille’ (Acheta do- Entomonym Hummel zum Einsatz kommt (in diversen mesticus, Heimchen) zwar ein kühner Sprung in der en- lautlichen Varianten wie z.B. mieghommel, -hömmel, tomologischen Systematik impliziert, denn Langfühler- -hammel), sofern hier nicht ein umgedeutetes -ammel schrecken und Ameisen gehören verschiedenen Ord- (aus amsel < ameisel) oder -immel zugrunde liegt (mieg- nungen der Klasse Insecta an, doch muss dies für die hummel ist auch in niederländischen Dialekten be- volkstümliche Taxonomie kein Hemmnis darstellen zeugt). An außergermanischen Entsprechungen zu ahd. und ist füglich auch für die Etymologie in Erwägung zu imbi steht anklangsweise nur das griechische empís ziehen. ‘Stechmücke’ zur Verfügung, das jedoch besser inner- griechisch zu erklären ist als Ableitung zu em-pī́nō‘has- Wie eine Verballhornung oder eine ursprüngliche tig trinken’ (FRISK1960). Aus der Abwesenheit besserer Scherzbildung wirkt auf den ersten Blick der Dialektaus- Vergleichsglieder ist somit für dt. Imme auf einen Fall druck Kramentsl(Sauerländisch), doch ist hier ein Rest von lexikalischem Substrat zu schließen, mit allen un- des ursprünglichen Wortkörpers von emette erhalten, befriedigenden Implikationen dieser Folgerung. und zwar das -ent- (emette synkopiert zu emte, sodann apokopiert und assimiliert zu ent), eingerahmt von dem Interessant ist im Hinblick auf die im Kapitel Ety- verbalen Kompositionsvorderglied kram- (kramen im mologie erörterte Frage nach der Kategorialbedeutung Sinne von ‘zusammenscharren’) und dem Suffix -sel(wie von Ameiseder niederdeutsche Dialektausdruck Sprock- in Häcksel, Füllsel, hier wohl mit Deminutivfunktion) – imm, denn sprockenbedeutet ‘Holz abschneiden, abbre- das Wortgebilde bezieht sich also auf die Anhäufung von chen, sammeln’, bezieht sich also auf eine objektbezoge- Pflanzenteilen (mit dem Ergebnis des Ameisenhaufens). ne Tätigkeit der Ameisen. Aus der Zusammensetzung ist allerdings nicht erkennbar, ob das Vorderglied verbal In Summe ergibt der dialektologisch-wortgeographi- oder nominal ist (als Substantiv bedeutet Sprock‘dürres sche Befund, von dem hier nur Streiflichter präsentiert Holz, Reisig, Leseholz’). werden können (mehr Beispiele bei SCHUMACHER1955, 56 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at 1963), dass als Benennungsmotiv für die Ameise das nen ersten Band seines Bayerischen Wörterbuchs aus ei- Verhalten im Vordergrund steht und nicht der Körper- ner literarischen Quelle den Satz “Do sloz die frauwe lei- bau, was der Deutung von Ameise als ‘Abschneiderin’ se uf die tür und gie zu irm ameise hin für” (SCHMELLER (und nicht ‘aus Abschnitten Bestehende’) zusätzliche 1827). Plausibilität verleiht. Sehr detaillierte und online ver- fügbare Informationen, allerdings (vorläufig) nur über ‘Ameise’ in den germanischen Sprachen das westmitteldeutsche Dialektareal, vermittelt der Di- gitale Verbund von Dialektwörterbüchern (http://ger- Im Niederdeutschen und in den westgermanischen mazope.uni-trier.de/Projects/DWV). Sprachen finden sich genaue Entsprechungen zu dt. Ameise: mittelniederdeutsch āmete(auch ēmete, ēmte), Ausgangspunkt nicht nur volksetymologischer Deu- mittelniederländisch āmete. Angelsächsisch ǣmete tungen ist der scheinbare Zusammenhang von Ameise (auch ǣmette) wird im Mittelenglischen über amete und seiner dialektalen Varianten mit dem Adjektiv em- (auch emeteund amote) zu amte, woraus das heutige ant sig(HECKMANN1987). Selbst Hermann Paul hatte noch entstanden ist, neben dem älteres emmet als Archaismus eine etymologische Identität für möglich gehalten weiterbesteht (BARNHART 1988, HOAD 2003, KLEINED- (PAUL1908, Ausgabe letzter Hand; in späteren Bearbei- LER 2006). Daneben setzen sowohl das Niederdeutsche tungen wurde entsprechend aktualisiert, zuletzt PAUL als auch die anderen westgermanischen Sprachen ein 2002). Das Adjektiv emsig ist jedoch, schon im frühes- aus dem Indogermanischen ererbtes Wort für die Amei- ten Althochdeutsch bezeugt als amaʒʒīg, emiʒʒīg, eine se fort (urgermanisch *meur-/maur-), das im Mittelnie- Ableitung zu einem germanischen Verbstamm *am(a)- derdeutschen und Mittelniederländischen als mīre be- mit der Bedeutung ‘bedrängen, sich anstrengen, jeman- legt ist und im Niederländischen, Flämischen und Afri- dem zusetzen’ (vgl. die ahd. Frequentativbildung kaans als mier erscheint. Das friesische miammel gehört emezōn‘sich fortwährend beschäftigen’ und das Adverb hingegen zu den im vorigen Abschnitt behandelten nie- emizis ‘immer’). Hierzu gehört vielleicht auch bairisch derdeutschen Ausdrücken vom Typ miegamp. amern ‘verlangen’ und amerig ‘begierig’. Dass ameiza in einigen Mundarten durch Lautwandel zu Emse wurde, Im Neuenglischen kommt mirenur mehr in der Zu- rückt die beiden Wörter in zufallsbedingte Nähe, aus der sammensetzung pismire vor (im 14. Jh. als pyssmourre sich keine etymologischen Schlussfolgerungen ergeben. und pissemyrebelegt), während im Mittelenglischen mi- Hessisch Imse wurde übrigens von Goethe literarisch re noch als selbstständiges Wort existierte (vermutlich verewigt in dem Vers “Pygmäen, Imsen, Däumerlinge aus dem Skandinavischen entlehnt [SKEAT 1911]). Die und andre tätig kleine Dinge” (Faust II, 7885f.). Zusammensetzung mit einem Wort für ‘urinieren’ An Ableitungen vom Substantiv Ameise kennt die braucht vom Benennungsmotiv her nicht näher erläu- Volkssprache etwa die Bezeichnung Ameiser (auch tert zu werden (vgl. die im vorigen Kapitel behandelten Ameisler) für Sammler von Ameiseneiern (HUTTERER Dialektausdrücke aus dem deutschen Sprachgebiet). et. al1987) – dazu gehört vielleicht der steirische Hof- Wie deutsch pissenist englisch pisseine Entlehnung aus bzw. Vulgoname Hochamesser (LOCHNER VON HÜTTEN- dem Französischen, woraus sich ergibt, dass der Aus- BACH 2008) sowie diverse Familiennamen: Ameiser im druck pismire nicht älter sein kann als die französisch- östlichen Oberbayern, Amesser in Niederösterreich; englischen Sprachkontakte im Gefolge der normanni- man vgl. hierzu den namenkundlichen Beitrag von Eli- schen Eroberung. sabeth Schuster (SCHUSTER2009). Aus der altnordischen Entsprechung maurr sind die In der Volksmedizin ist die Ameise auf Grund der Wörter für ‘Ameise’ der skandinavischen Sprachen ent- nach ihr benannten Säure von Bedeutung, z.B. wurde standen: isländisch und norwegisch maur (isländisch Ameisengeist (ein Hyperämie erzeugendes Destillat von auch migamaur, mit dem im vorigen Abschnitt bespro- zerstoßenen Waldameisen, Weingeist und Wasser [JÜH- chenen Wort für ‘urinieren’ zusammengesetzt), färöisch LING1900]) seit dem frühen Mittelalter als Liebesmittel meyra,schwedisch myra, dänisch myre(auch pissemyre). eingesetzt (REGER1985). Auch aus dem sogenannten Krimgotischen, einer im 18. Jh. erloschenen, vermutlich ostgermanischen Sprache, ist Nicht zum Zoonym Ameise gehört der Ausdruck mit mieraein Ausdruck für ‘Ameise’ überliefert, der den Ameis für ‘Liebhaber’ (dazu das Femininum Ameie). Es übrigen germanischen Belegen entspricht (FEIST1939). handelt sich um eine Entlehnung aus dem Altfranzösi- schen (amisaus lat. amīcus), und dementsprechend liegt Im Jiddischen lautet das Wort für Ameise muraschke die Betonung auf der zweiten Silbe (Améis). Johann An- (מוראשקע, LÖTZSCH 1990) und ist somit eindeutig aus dreas Schmeller, der aus Bayern stammende Begründer dem Slawischen entlehnt (weißrussisch muraška, siehe der deutschen Mundartkunde, zitiert im 1827 erschiene- unten im folgenden Kapitel). 57 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Abb 1: (a) Manuskriptseite aus einer Handschrift der Atharvaveda-Saṃhitā(Paippalāda-Rezension, Śāradā- Variante der Brahmi-Schrift, Kaschmir, 15./16. Jh. [?], Rötelsaft auf Birkenrinde [betula papyrifera], aufbewahrt in der Universitätsbibliothek Tübingen, Faksimile publiziert von Bloomfield & Garbe 1901). (b) Strophe (Sukta) 1.8 aus der Edition der Atharvaveda- Saṃhitāvon Vira (1979). (c) Vers 1.8.4 aus der Edition der Atharvaveda-Saṃhitāvon Vira (1979), mit Transliteration und Übersetzung ‘Ameise’ in den übrigen indogermanischen Sprachen Ein einheitlicher indogermanischer Wortstamm lässt sich für das im Deutschen als Miere erscheinende Etymon nicht rekonstruieren (WIJK 1913, SCHRADER 1923, MALLORY & ADAMS 1997). Als Grund für diese Unsicherheit wird allgemein tabubedingte oder apotro- päische (abwehrende) Lautvariation angenommen, wie sie auch bei anderen Entomonymen vorkommt (z.B. bei den Wörtern für Floh und Laus [vgl. WOOD1920, HA- VERS1946]), und es ist dieser communis opinioin Erman- gelung neuerer Einsichten hier nichts hinzuzufügen oder gar entgegenzusetzen. Die einzelsprachlichen Ausprä- gungen im Indischen, Iranischen, Griechischen, Latei- nischen, Germanischen, Keltischen, Slawischen und Armenischen lassen als gemeinsamen Nenner auf ein a Etymon mit o-Vokalismus schließen, das ein renthalten haben muss und in der Silbenschale labiale Sonoranten aufwies, somit also *moru̯-,*u̯orm- oder *morm-gelau- tet haben dürfte. Schon die altindischen Belege sind in sich unein- heitlich, indem neben vedischem vamrás ‘Ameise’ (maskulin, fem. vamrī́) mit Vibrant (r) ein Wort für ‘Ameisenhaufen’ vorkommt, das einen Lateral (l) auf- weist, aber in umgekehrter Reihenfolge in Bezug auf den Nasal: valmī́kas (MAYRHOFER 1996). Jedoch ließe sich auch ohne innerindische Fluktuation für das Indoirani- sche keine einheitliche Grundform rekonstruieren, denn im Anlaut steht indischem v- iranisches m- gegen- über (BARTHOLOMAE 1904): vedischem vamrī́ ent- spricht im Awestischen maoiriš(jungawestisch). Die we- nigen Stellen im Vidēvdāt (dem “Gesetz gegen die Daēvas”, die übelwollenden Zauberer bzw. Dämonen), b an denen Formen dieses Entomonyms belegt sind (im Genetiv Plural: maoirinąm), werfen auf die Ameisen kein günstiges Licht: als xrafstra (eine Sammelbezeich- nung für Schadinsekten) dem bösen Geist entstam- c mend, verschleppen sie Getreidekörner, sind übelrie- chend und sollen nach Möglichkeit in großem Stil ver- upajīkā ud bharanti samudrād adhi bheṣajam | arusyānam asy ātharvaṇaṃ rogasthānam asy ātharvaṇam tilgt werden (auch als Sühneopfer). Was den als Attri- but für Ameisen verwendeten Ausdruck dānō-karša- “Die Ameisen bringen diese Arznei aus den Fluten empor. Denn dies ist das Heilmittel gegen Durchfall, es hat die Leiden gelindert.” ‘Körner (ver)schleppend’ betrifft, hat Julius Pokorny in 58 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at seinem Indogermanischen etymologischen Wörterbuch eingehalten. Einige der in jüngeren Sprachstufen des (POKORNY 1959) angenommen, dass mit ‘Körner’ hier Altindischen vorkommenden Wörter für ‘Termite’, wie die Ameiseneier gemeint gewesen sein dürften, doch ist etwa puttikā(ein Lehnwort aus dem Drawidischen, z.B. die Tätigkeit der sogenannten Ernteameisen aus dem Gondi puttī ‘Ameisenhügel’) oder matkoṭaka (ohne Textzusammenhang wohl ein plausibleres Benennungs- klare Etymologie) werden auch zur Benennung von motiv. Ameisenarten herangezogen (z.B. makoṛā ‘schwarze Ameise’ im Westpandschabischen). Vereinzelt kommt In den altpersischen Inschriften kommt das Wort die Überschneidung der Begriffe lexikalisch klar zum nicht vor; die mittel- und neupersische Form ist mōr Ausdruck, wie in mittelindischem markoṭa-pipīlikāfür bzw. mōrče (HORN 1893), ebenfalls mit anlautendem eine kleine schwarze Ameisenart. In den drawidischen Nasal, wie in allen neuiranischen Sprachen (z.B. ta- Sprachen Südindiens, die nicht indogermanisch sind, dschikisch murča). Eine eingehendere lexikologische sondern einen eigenen Sprachstamm bilden, sind die Studie hätte allein im Bereich des Iranischen eine ver- Ausdrücke für ‘Ameise’ und für ‘Termite’ außerordent- wirrende Fülle von Details zu verarbeiten. So verzeich- lich mannigfaltig, und auch hier herrscht ein eher lo- net beispielsweise MORGENSTIERNE (1974) in seinem ckeres Verhältnis in Bezug auf die zoologische Systema- etymologischen Wörterbuch der Shugni-Dialekte (einer tik: ein Wort, das in der einen Sprache ‘Ameise’ bedeu- der Zweige der Pamir-Sprachen im äußersten Nordosten tet, kann in einer anderen ‘Fliege’, ‘Heuschrecke’ oder des iranischen Sprachgebiets) neben den Varianten des Wortes für ‘Ameise’ (mūrǰak usw.) auch ein Lemma ‘Wurm’ und dergleichen bedeuten (BURROW & EME- můrax mit der Bedeutungsangabe “‘parasitic insect NEAU1984). (flee, nit, louse, bug)’” und verweist auf einen Ausdruck Die neuindischen Sprachen gehen lexikalisch teils můr ‘madig’ im Yazghulami (einem anderen Zweig der ganz eigene Wege: Marathi muṅgīund munglā(Ersteres Pamir-Sprachen). für eine kleine, Letzteres für eine größere Spezies), Gu- jarati kēdi (zu keḍa ‘Stöckchen, Zweig’?), Hindi und Das Altindische kennt neben vamrás und vamrī́ Urdu cīnṭībzw. cyū̃ṭī(von einem Verbum für ‘zwicken, noch weitere Ausdrücke für ameisenartige Insekten, die sich jedoch einer etymologischen Erklärung im Rahmen kneifen’, mit weiteren Spezifizierungen wie kālā cīntā des Indogermanischen entziehen. Eines davon, pipī́likā ‘schwarze Ameise’), Nepali kamilā(von einem Verbum (feminin für kleine Arten, maskulin pipīlakafür die gro- für ‘fleißig sein, arbeiten’) usw. stehen mit den im Altin- ßen schwarzen), im Vedischen pipīlás(belegt in einem dischen belegten Wörtern für ‘Ameise’ in keinem er- Hymnus an Agni, worin er gebeten wird, von Raubvö- sichtlichen Zusammenhang (TURNER 1931, 1966). Als geln, Schlangen, Schakalen und Ameisen verursachte Beispiel für die Vielfalt der Bezeichnungen seien hier Wunden zu heilen), ist wahrscheinlich ein nichtindo- die Einträge aus einem Marathi-Wörterbuch (MOLES- germanisches Substratwort (MAYRHOFER1996). Ein an- WORTH1857) aufgezählt: kāḍamuṅgī(eine nicht näher deres, upajíhvikā(mit Varianten wie upadī́kā, unpräfi- beschriebene Ameisenart), ghāṇērīmuṅgī (eine stin- giert dehikā usw., die allesamt tabuistisch umgestaltet kende Spezies), cācaḍa(große rote Ameise), tēlamuṅgī erscheinen [MAYRHOFER 1992]), bedeutet wahrschein- (Holz bewohnend, klein, schwarz, bissig), vāḷaṃvā(ro- lich ‘Termite’, denn an einer Textstelle im Rigveda te Ameise, dieser Ausdruck wird jedoch auch für Termi- (8,102,21, ebenfalls ein Hymnus an Agni) steht es ne- ten verwendet), humalā (rot, auf Bäumen lebend, bis- ben vamrás und wird als ‘nagend’ charakterisiert, wäh- sig), huraṇa (eine nicht näher beschriebene Ameisen- rend die Ameise ‘kriecht’: yád átti upajíhvikā / yád art), huḷahuḷī muṅgaḷī (sehr kleine schwarze Ameise; vamró atisárpati / sárvaṃ tád astu te ghr̥tám‘Was die das Bestimmungswort huḷahuḷa ist ein onomatopoeti- Termite benagt, worüber die Ameise kriecht, all das soll sches Verbum mit der Bedeutung ‘kribbeln’). dir zu Schmalz werden’ (GELDNER 1951). Eine lautlich In den verschiedenen Romani-Varietäten sind teil- naheliegend erscheinende Verbindung mit dem altindi- weise Einflüsse aus europäischen Sprachen zu verzeich- schen Wort für ‘Zunge’ (jihvā́-) scheitert an der Seman- nen (WOLF1987): für bravenkakommt als Gebersprache tik (wobei nicht unerwähnt bleibe, dass das indogerma- wohl am ehesten das Tschechische in Frage (siehe un- nische Wort für ‘Zunge’, *dn̥ǵhuh -, selbst ein Fall von 2 ten), für hand’a das Ungarische (siehe nächstes Kapi- irregulärer Anlautvariation ist). An einer Stelle im At- tel). Daneben ist ein altindisches Wort kīṭafür ‘Wurm’ harvaveda (Textschicht vermutlich aus dem frühen 1. (ohne klare Etymologie, vielleicht drawidisch) zu einer Jahrtausend v.Chr.) wird den Ameisen bzw. Termiten in den Romani-Varietäten weit verbreiteten Bezeich- Heilkraft zugesprochen, siehe Abb. 1. nung für ‘Ameise’ geworden: kirja, cria, djiraund zahlrei- Die Unterscheidung zwischen Ameisen und Termi- che andere lautliche Varianten stehen unter den neuin- ten, so begründet sie zoologisch auch immer sein mag, dischen Sprachen am nächsten dem hindustanischen wird in der volkstümlichen Taxonomie nicht immer kīṛā ‘Insekt’ (TURNER 1966; in manchen neuindischen 59 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Sprachen wird dieser Wortstamm auch für die Benen- nica), teils von einer Verkleinerungsform abgeleitet, wie nung der Seidenraupe herangezogen). in italienisch formicolare ‘wimmeln’ (neben formicare). Im Spanischen jedoch ist hormigar mit der Bedeutung Auch im Griechischen ist keine einheitliche Wort- ‘künstlichen Dünger bereiten’ eine Neubildung. gestalt auszumachen, wie man auf Grund von neugrie- chisch mirmíngi annehmen könnte: neben dem altgrie- Nach den romanischen Sprachen richtet sich übri- chischen mýrmēks, das die Grundlage für die fach- gens mit ormiko‘Ameise’ auch die Plansprache Esperan- sprachliche Bezeichnung der Ameisenkunde liefert to, wobei der Anlaut dem Spanischen und der Rest des (Myrmekologie) und der Variante mýrmossind bei dem Wortes (abzüglich der Universalendung -o) dem Italie- spätantiken Lexikographen Hesych auch Formen mit zu nischen entnommen zu sein scheint. rekonstruierendem Halbvokal u̯- im Anlaut bezeugt: In den keltischen Sprachen hat das indogermani- býrmaks, bórmaks und hórmikas (FRISK 1970). Letzteres sche Ameisenwort nicht nur lautliche Umgestaltungen, ist dem Ableitungstyp nach ein etymologisches Binde- sondern teilweise auch lexikalische Substitution erfah- glied zu lateinisch formīca(GRAMMONT1895, SOLMSEN ren: altirisches moirb (auch moirbant, VENDRYES et al. 1897), dessen Ursprung bereits in der Antike Gegen- 1960) wurde im Neuirischen und Schottisch-Gälischen stand volksetymologischer Deutungen war, indem durch das auch schon im Altirischen belegte seangán er- formīca, als ‘Kornträgerin’ interpretiert, auf ferre ‘tra- setzt (manx sniengan). Dieses ist aus dem Indogermani- gen’ zurückgeführt wurde. Vom Benennungsmotiv her schen nicht erklärbar und daher vermutlich ein Sub- ist diese Deutung zwar nachvollziehbar, denn die auffäl- stratwort (WAGNER1976). Im britannischen Zweig des ligsten Ameisen im Mittelmeerraum sind die sogenann- Inselkeltischen liegen durchwegs Fortsetzungen der in- ten Ernteameisen, deren artspezifisches Verhalten darin dogermanischen *moru̯i-Variante vor: mittelkymrisch besteht, Sämereien einzutragen, doch ist aus derivati- myr und mōr, neukymrisch myrion und morgrug (mit onsmorphologischen Gründen an eine Ableitung von -grugvon crug‘Haufen’), kornisch murrian, moryon, bre- ferreebensowenig zu denken wie an die ebenfalls vorge- tonisch merien. schlagenen Verbindungen mit forāre ‘(durch)bohren’ (wohl wegen der Erdlöcher) oder formāre ‘gestalten’ Die slawischen Sprachen setzen wie das Iranische (wohl wegen der Hügelnester). Aus semantischen Erwä- und das Keltische eine als *moru̯i- rekonstruierbare gungen reizvoll, aber wortbildungsmorphologisch eben- Grundform fort, die im Altkirchenslawischen nicht be- falls unplausibel ist ein Anschluss an die in lat. mordēre zeugt ist, aber im Russisch-Kirchenslawischen als mravi- ‘beißen’ vorliegende Wurzel (FAY 1906, 1919; weitere ji erscheint (VASMER1955, KIPARSKY1975). Abgesehen ältere Deutungsversuche referiert bei WALDE & HOF- von der Variation des Stammvokals und verschiedenen MANN 1938). An sonstigen Bildungen ist für das Grie- Suffixbildungen ist der Wortstamm in allen slawischen chische noch die von einem Verbum sknī́ptō (auch Sprachen gleich: russisch muravej, ukrainisch muravel’ skenī́ptō, skēnī́ptō) mit der Bedeutung ‘kneifen, zwi- und muraxa, weißrussisch muraška, bulgarisch mravka, cken’ abgeleitete Bezeichnung knīps (mit der Variante makedonisch mrava, kroatisch und serbisch mrav, bur- sknīps) zu erwähnen (FRISK 1970). Es handelte sich genländischkroatisch mravacoder mrahunac(PALKOVITS hierbei nach Aussage der antiken Autoren offenbar um 1987), slowenisch mravlja, polabisch morvĕ, tschechisch eine Ameisenart, die süße Nahrungsquellen wie Honig- mravenec (mundartlich auch brabenec, brablenec; MA- waben oder Feigen annagt bzw. um ein unter Baumrin- CHEK1971), slowakisch mravec, polnisch mrówka(BORYŚ de lebendes Insekt. 2005), obersorbisch mrowja, niedersorbisch mroja. In den Dialekten kommen allerdings auch andere Benenn- Die romanischen Sprachen setzen das lateinische nungsmotive zum Tragen, z.B. russisch sikljaxa‘Ameise’ formīcadurchwegs fort, mit den entsprechenden lautli- (in der Mundart um Pskov, davon abgeleitet sikljašnik chen Weiterentwicklungen (MEYER-LÜBKE 1935): spa- ‘Ameisenhaufen’), eine expressive Agentivbildung vom nisch hormiga, portugiesisch, galizisch, katalanisch und Verbum sikat’‘urinieren’; Ähnliches im Weißrussischen okzitanisch formiga, französisch fourmi, italienisch formi- (sikau̯kaund dergleichen, FASMER1987). ca, rumänisch furnică, um hier nur die wichtigsten Schriftsprachen anzuführen. Dem Ursprung von abwei- In den baltischen Sprachen erscheint das Entomo- chenden Dialektausdrücken wie dolomitenladinisch car- nym für ‘Ameise’ lexikalisch geneuert, denn mervà garaoder teciora(neben formia) kann hier nicht nachge- (auch marvà) bedeutet im Litauischen ‘Bremse’ (FRAEN- gangen werden (siehe hierzu KRAMER1989, 1990, 1996). KEL1962; daneben vaȓmas‘Mücke, Bremse’ und dialek- Auch das schon im Lateinischen gebildete Verbum tales varmai‘fliegende Ameisen’, FRAENKEL1965), wäh- formīcāre für ‘kribbeln, jucken’ ist in den romanischen rend der Ausdruck für ‘Ameise’ im Litauischen Sprachen großteils beibehalten, teils erweitert um die skruzdėlėund im Lettischen skudrabzw. skruzdalautet, Bedeutung ‘wimmeln’ (z.B. frz. fourmiller, rumänisch fur- was wahrscheinlich zu litauisch skudrùs / skaudrùs, let- 60 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at tisch skaudrs‘flink’ gehört und, so es zutrifft, ein weite- Form dheu) könnte dheulëabgeleitet sein; Benennungs- rer Beleg dafür wäre, dass ein Tier wie die Ameise ono- motiv wäre somit das Habitat (Erdnest). Das mizëin mi- masiologisch eher nach seinen Verhaltensmerkmalen zë dheu‘Ameise’ ist ein Wort für ‘Fliege’; mizë dheube- benannt wird als nach seinem Körperbau. In dieselbe deutet somit wörtlich ‘Erdfliege’, ebenso wie mizë toke, Richtung weisen die litauischen und lettischen Dialekt- mit einem anderen Wort für ‘Erde’. Möglicherweise zu ausdrücke, in denen das Wort für ‘Ameise’ vom Verbum lateinisch anguis gehört das in der Standardsprache als für ‘urinieren’ abgeleitet ist: litauisch mìžnė, saȓta- thnegël kodifizierte Wort für ‘Ameise’, wenn eine Vor- myžnė (saȓtas ‘hellrot’), lettisch mīzelene, mīzelnīca, form *tsangulārichtig angesetzt ist; eine etymologische mīža(litauisch męžù/ myžù, lettisch mīzt‘urinieren’ ist Entsprechung hierzu wäre im Deutschen Engerling etymologisch identisch mit dt. †miegen, lat. mingere (mhd. engirinc‘Larve’, ahd. angar‘Kornmade’). An den usw., siehe oben, Kapitel Mundartliches). Varianten thënegullë und thënëjegëllist der etymologische Zusammenhang mit anguis leichter ersichtlich. Zu er- Armenisch mrǰiun/ mrǰimn ‘Ameise’ ist innerarme- nisch schwierig, von der etymologischen Grundlage her wähnen sind ferner noch aus dem Griechischen ent- jedoch eindeutig auf eine mit den bisherigen Einzelspra- lehntes merimangë, (Varianten: merimagë, mirëmangë, chen kompatible indogermanische Grundform zurück- milimangë), das jedoch ‘Spinne’ bedeutet, und das daraus führbar (OLSEN 1999). Die sich hierauf beziehenden deformierte, sowohl ‘Ameise’ als auch ‘Spinne’ bedeu- Worte Georg Renatus Soltas in seinem Buch über die tende milingonë (MEYER 1891, OREL 1998). Onomasio- Stellung der armenischen Sprache (SOLTA 1960) kön- logische Übergänge zwischen Ameisen und Spinnen nen, wie unser etymologischer Rundgang zeigt, allge- kennt allerdings auch das Griechische, mit mýrmēks meine Geltung beanspruchen: “Bei einem Worte dieser ‘Ameise’ neben myrmḗkeion ‘eine giftige Spinnenart’. Bedeutungskategorie wird man von vorn herein keines- Schließlich ist noch der vermutlich onomatopoetisch- falls ein exaktes Funktionieren der Lautgesetze erwar- expressive Ausdruck buburrec zu erwähnen (auch bu- ten: es muss hier mit Tabuwirkung ebenso wie mit dem brec), der sowohl für ‘Ameise’ als auch für Asseln, Ka- Spieltrieb gerechnet werden” (S. 53). kerlaken und ähnliche „wimmelnde“ Insekten verwen- det wird (NOCENTINI1994). Im Volksglauben und in der Magie ist die Ameise zu- sammen mit anderen Insekten als Kandidat für tabuisie- Westtocharisch warme‘Ameise’ wirft die Frage nach rende Vorstellungen und damit allenfalls einhergehende dem Zusammenhang der hier besprochenen Entomony- Lautverfremdung in beschwörenden Sprüchen einschlä- me mit dem dt. Wurmzugrundeliegenden Etymon auf – gig ausgewiesen, wie das Handwörterbuch des deutschen ein Problem, das die Indogermanistik der Zukunft noch Aberglaubens (BÄCHTOLD-STÄUBLI & HOFFMANN- beschäftigen wird, hier aber nur angedeutet werden KRAYER2006) an mehreren Stellen darlegt: “Der germa- kann (Näheres bei ADAMS 1999). Urgermanisches nische Medizinmann verwandte die kriechenden Tiere *wurmiz beruht auf einer schwundstufigen Bildung zur (Krebs, Spinne, Assel, Laus, Ameise, Eidechse, Kröte, Verbalwurzel idg. *u̯er- ‘drehen, krümmen’, die auch der Natter) […] für seine Heilexperimente” (unter dem Variante *u̯ormo- des Ameisenwortes zugrundeliegen Stichwort Fetischismus, Band 2, Spalte 1371); “Als See- könnte. lentiere gelten namentlich Hummel, Heimchen, Biene, Aus den anatolischen Sprachen (vornehmlich He- Horniß, Schmetterling, Spinne, Ameise”, “Der Glaube, thitisch) ist kein semantisch einschlägiges Wortmateri- daß im Gehirn vorhandene Insekten Ursache von Geis- al überliefert. tesstörungen sind, ist uralt und allgemein verbreitet […]. Die häufigsten dieser ‘Gehirntierchen’ sind: Made, En- Zusammenfassend ergibt sich für die indogermani- gerling, Ameise, Käfer, Horniß, Hummel, Wespe, Raupe, schen Sprachen eine Verteilung, die keinen der sonst Schmetterling, Motte, Fliege, Mücke, Zikade, Grille, bekannten Isoglossenverläufe entspricht (MALLORY & Küchenschabe” (unter dem Stichwort Insekt, Band 4, ADAMS 2006). Das Keltische, Slawische und Iranische Spalte 698); zusammen mit Kuckuck, Kröte, Salaman- scheinen eine Grundform *moru̯i- fortzusetzen, das der, Frosch, Wurm, Fledermaus, Maus und Ratte gehört Griechische und Lateinische die Varianten *mormo- die Ameise zu den “elbischen Pißdämonen” (unter dem und *u̯ormo-,deren Letztere auch im Altindischen und Stichwort Tiergestalt, Band 8, Spalte 836). Tocharischen vorliegt, während die germanischen Be- Im Albanischen ist das indogermanische Wort für funde auf einen Stamm *mou̯ro- (ablautend *meu̯ro-) die Ameise als morr fortgesetzt, jedoch mit der Bedeu- zurückzuführen sind. Die Zahl der für künftige For- tung ‘Laus’ (es kommen für morraber auch andere ety- schung stehen bleibenden Fragezeichen ist beträchtlich, mologische Deutungen in Frage). Für ‘Ameise’ treten und angesichts der Natur der Fragestellung muss be- hier zwei nicht ganz durchsichtige Neubildungen in Er- fürchtet werden, dass manche dieser Fragezeichen das scheinung. Von einem Wort für ‘Erde’ (dhe, definite Blickfeld auf Dauer verstellen werden. 61 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Ausblicke (Aserbaidschanisch, Turkmenisch, Usbekisch und Ui- gurisch), in anderen nur der letztere Typus, der am wei- Auf die nichtindogermanischen Sprachen Europas testen verbreitet ist, z.B. kirgisisch qumursqa, tatarisch kann hier nur ein flüchtiger Blick geworfen werden. Ein qırmısqa. Das dritte Etymon ist im Alttürkischen (Altui- Panorama weiterer Benennungsmotive in den tausen- gurischen) als čümelibelegt und kommt nur in einer ge- den Sprachen der Welt wäre wünschenswert, müsste je- ringen Zahl von Einzelsprachen vor, z.B. Usbekisch doch viel weiter ausholen, als es im Rahmen einer knap- čumɔli(RÄSÄNEN1969). pen Skizze wie der hier vorgelegten möglich ist, und es würden dabei wohl auch viel größere Schwierigkeiten Im Arabischen ist die Wurzel n-m-l Basis für eine begegnen, als sie dem Verständnis sprachgeschichtli- Fülle von Ableitungen: namila‘kribbeln; erstarrt, einge- cher Vorgänge im Bereich der gut dokumentierten und schlafen sein’, naml ‘Ameise’ (maltesisch nemla), gründlich erforschten indogermanischen Sprachen namlīya ‘Fliegenschrank’, namal ‘jucken, kribbeln’, na- schon entgegenstehen. mil‘kriechend, krabbelnd; voll von Ameisen; flink, ge- wandt’, unmula‘Fingerspitze’, manmūl‘voll von Amei- Das ungarische hangya‘Ameise’ geht auf einen fin- sen’ (KRAHL1986, WEHR1956). Es handelt sich um ei- nisch-ugrischen Wortstamm *kuńće oder *kuće ‘Urin’ ne semitische Wurzel, die schon im Akkadischen be- zurück, der auch dem finnischen kusiainen‘Ameise’ (Va- zeugt ist (namalu/ namlu, neben kulbābu, das in den an- riante kusilainen) und dem estnischen kuzikas zugrunde deren semitischen Sprachen nicht vorkommt) und auch liegt (finnisch-ugrisches *kwird im Ungarischen lautge- im Hebräischen erscheint (nemalah, Lautwert nǝmālā), setzlich zu h, vgl. finnisch kala neben ungarisch hal wie die zwei Stellen des Alten Testaments erweisen, an ‘Fisch’ [ZAICZ 2006]). Daneben erscheint in fast allen denen von Ameisen die Rede ist: “Geh zur Ameise, du ostseefinnischen Sprachen ein aus dem Germanischen Fauler, betrachte ihr Verhalten und werde weise!” (eher nicht aus dem Slawischen) entlehntes Wort für (Sprüche Salomos 6, 6); “Die Ameisen sind kein starkes die Ameise: Finnisch muurahainen (mundartlich auch Volk und besorgen sich doch im Sommer ihr Futter” myyriäinen, mauriainen) und estnisch murelane(mit wei- (Sprüche Salomos 30, 25; beide Zitate nach der Ein- teren Varianten, MÄGISTE 1982b) verweisen auf die heitsübersetzung). Daneben sind in den semitischen oben (Kapitel: ‘Ameise’ in den germanischen Spra- Sprachen noch einige Entomonyme verbreitet, die chen) behandelten nordgermanischen Ausprägungen ebenfalls Ameisen benennen, zum Teil mit der schon in von urgermanisch *meu̯r-/mau̯r- (KYLSTRA 1996). Im anderen Gebieten beobachteten onomasiologischen Estnischen sind zwei weitere Wörter für ‘Ameise’ von Unschärfe: arabisch gašlat ‘Ameise’, habbūr ‘kleine Bewegungsverben abgeleitet: sipelgasvon einem Verbum Ameise’ (ungeminiertes habūrbedeutet ‘Spinne’), sum- siplema mit der Bedeutung ‘zappeln’ (MÄGISTE 1982c) sum ‘rote Ameise’, daba ‘kleine Heuschrecke oder und kuklane von einem Verbum für ‘laufen’ (MÄGISTE Ameise’ und dimmat ‘Laus, Ameise’, amharisch gwande 1982a). ‘kleine rote Ameise’ und bilbilla‘geflügelte Ameise’. Im Türkischen ist karınca‘Ameise’ von einem Wort Das Baskische bereitet etymologischen Nachfor- für ‘Bauch’ oder ‘Leib’ abgeleitet: karın bedeutet, auf In- schungen die Schwierigkeit, dass es keine mit ihm ver- sekten bezogen, explizit den ‘Hinterleib’ (CLAUSON wandten Sprachen gibt, an denen die vergleichende 1972; das Verbum karışmak ‘(ver)mischen’ hat damit Methode Anhaltspunkte finden könnte, und so muss es wohl nichts zu tun). Wie TIETZE(1952) berichtet, wur- hier mit der bloßen Erwähnung von txingurri ‘Ameise’ de im Türkischen durch volksetymologische Adaptie- (Guipuzkoanisch, andere dialektale Varianten: xinaurri, rung eines undurchsichtigen Fremdworts das italieni- zinaurri, inurri) sein Bewenden haben. sche carozza ‘Kutsche’ über die Zwischenstufe karaca ‘Reh’ durch karınca‘Ameise’ ersetzt in dem Ausdruck at- Mag die Fülle der hier erwähnten lexikalischen Be- lı karıncafür ‘Karussellpferd’ (wörtlich: ‘berittene Amei- lege für die Benennung der Ameise in den Sprachen se’). Charmant ist auch der türkische Ausdruck karınca Europas und im näheren Umkreis dieses Areals auch belli für ‘Wespentaille’ (wörtlich: ‘ameisenschlank’). In verwirrend wirken, so muss dennoch betont werden, einigen Turksprachen (z.B. turkmenisch ġarınža) ist die dass das Thema in diesem Beitrag nur angerissen und Bedeutung nicht ‘Ameise’, sondern ‘Zecke’. Es handelt keinesfalls erschöpfend behandelt werden konnte. So sich hierbei um eines von insgesamt drei in den Turk- wurde beispielsweise auf die vielen metaphorischen und sprachen vorkommenden Wörtern für ‘Ameise’, mit un- metonymischen Verwendungen des Wortes für ‘Ameise’ terschiedlicher Verbreitungsdichte (SEVORTJAN & gar nicht eingegangen, wie etwa den dänischen Aus- GADŽIEVA 1980, SEVORTJAN & LEVITSKAJA 1989, SE- druck myrepatter, wörtlich ‘Ameisentitten’, für ‘Gänse- VORTJANet al.1997, 2000). Das zweite davon ist im Tür- haut’ (patterist ein Slangausdruck für ‘Brüste’; standard- keitürkischen nur dialektal als komursğa vertreten. In sprachliches gåsehudentspricht genau dt. ‘Gänsehaut’), einigen Turksprachen kommen beide Ausdrücke vor oder ‘Ameisenhaufen’ für das Wimmeln von Bildpunk- 62

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