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Muttersprache — Vaterland: Die deutsche Nation und ihre Sprache PDF

240 Pages·1994·5.421 MB·German
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Claus Ahlzweig Muttersprache - Vaterland Claus Ahlzweig Muttersprache - Vaterland Die deutsche Nation und ihre Sprache Westdeutscher Verlag Aile Rechte vorbehalten ISBN 978-3-531-12243-4 ISBN 978-3-322-94137-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-94137-4 © 1994 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt ins besondere fiir Vervielfaltigungen, Dbersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Biirkle, Darmstadt Gedruckt auf saurefreiem Papier Fur Katharina, Maren, Frank ond Gesine Inhaltsverzeichnis Vorwort 11 1. Einleitung 15 2. Die Frtihgeschichte des W ortes Muttersprache 26 3. Muttersprache und die Auswirkungen der Reformation 39 4. Von der Volks-zur Nationalsprache 54 4.1 Die Gelehrten des 17. lahrhunderts 54 4.2 Die luristen des 17. und 18 lahrhunderts 76 5. MuttersprachbewuBtsein im 18. lahrhundert 92 6. Die Emotionalisierung und Ideologisierung der Muttersprache 127 7. Muttersprache und Nationalismus 154 8. Muttersprache und Gemeinschaftsideologie 183 Fazit 215 Literaturverzeichnis 218 7 "Hier wird die Wortgeschichte zur Farce. Man nimmt ein Wort, schreibt ihm eine Bedeutung zu, die es nicht hat, konstruiert eine Bedeutungsentwicklung, die nicht existiert und zieht daraus kulturhistorische Schliisse. (K. Jaberg 1926, 16) Nicht nur die traditionelle Sprachanalyse bleibt Formen der Aneignung gesellschaftlicher Praxis verhaftet, ohne sie an den Mechanismen zu deren Produktion kontrollieren zu konnen - die Konnotation selbst, als die gelemte kulturelle Folie, das Mitgesagte jeder AuBerung, ist eine Kategorie der Aneignung der sozialen Praxis durch deren Subjekte; auch wenn sie weiter reicht als das jeweils aktuelle Wissen der Handelnden urn ihre Praxis, so bleiben ihre Bestimmungen doch als solche eines durchlaufenden biographischen Prozesses bewuBtseinsfahig, als Bedeutung der Zeichen, an denen sie festgemacht sind, im Gedachtnis zumindest latent prasent. Das gilt so nicht fur die vermittelten gesellschaftlichen (nicht nur, aber insbesondere: Herrschafts-) Beziehungen, die die soziale Praxis von ihrer Produktionsseite her bestimmen - und damit erst recht nicht flir die Spannung, das Auseinanderfallen von Produktion und Aneignung von Erfahrung als der Crux politischer Sprachwissenschaften. (Utz Maas 1985, 88f.) Vorwort Den AniaB zu dieser Arbeit gab ein Seminar, das ich 1986 zum Problem "Sprache und Nationalismus" abhielt. In diesem Seminar behandelten wir unter anderem die Entstehung von Sprachbezeichnungen fUr die deutsche Sprache. Wir zogen dazu auch die "Kurze Deutsche Wortgeschichte" von Ernst Schwarz heran. Dort heiBt es: "Das Wort Muttersprache ist im 11. Jh. von einem Kleriker in Lothringen in der Grenzzone der beiden VOlker geschaffen worden. 1m 16. Jh. zieht es in die Hochsprache ein."1 In den Anmerkungen erfolgt dann zwar noch ein Hinweis auf Leo Weisgerber und Karl Heisig, aber kein unvoreingenommener Leser kann die sem Text entnehmen, daB es sich um ein lange nur lateinisch belegtes Syntagma handelt. Hier wurde also eine Hypothese Weisgerbers bzw. deren Modifikation durch Heisig, die beide so vorgehen, daB die eingangs zitierten Worte Jabergs ihre Arbeitsweise treffend charakterisieren, unter der Hand zu einem sprachgeschichtlichen Faktum. Diese DarsteHung Schwarz' ist fUr weitere Kreise gedacht, und da etwa der Brockhaus in der Auflage von 1955 sehr ahnlich verfahrt, woHte ich in einem Aufsatz diesen "RezeptionsprozeB" aufzeigen, der in vielem ein Gegenbeispiel zu den Rezeptionsweisen darbietet, die Erika Bauer fUr die Ubernahme ihrer AusfUhrungen zu dem Syntagma "gemein teutsch", das sie neu datieren und lokalisieren kann, dokumentiert. Wahrend ihre Nachweise nur zogernd und in einem zeitlichen Abstand von zehn bis fUnfzehn Jahren in die fachwissenschaftliche Literatur, in die Neubearbeitungen von Sprachgeschichten etc. ubernommen wurden und aus arbeitstechnischen Grunden zuerst als Literaturhinweis auftauchen, liegt ftir das Wort Muttersprache uberhaupt kein Beleg vor - dennoch wird diese Spekulation Weisgerbers und Heisigs in populare DarsteHungen aufgenommen; nicht auf Grund neuer Erkenntnisse kommen diese DarsteHungen zustande, sondern durch die Dominanz einer sprachwissen schaftlichen Schule, einer wissenschaftspolitischen Seilschaft, die weitverbreitete Schriften zur Propagierung ihrer Auffassungen instrumentalisieren kann. Diese Zusammenhange woHte ich in einem kurzen Text darsteHen, aber bei der Lekttire der Veroffentlichungen, die sich mit Weisgerbers Deutungen auseinander setzen, muBte ich feststeHen, daB auch die Weisgerber-Kritiker, die sich teilweise mit Vehemenz und guten Argumenten gegen seine Spekulationen wenden, in ihren grundlegenden Kategorien und Sprachauffassungen sich von Weisgerber kaum unterscheiden. Auch Weisgerber-Kritiker wie Leo Spitzer transponieren die 1 Schwarz 1967,81 1 1 sprachlichen und metasprachlichen Verhaltnisse des 19. Jahrhunderts in entfemte Vergangenheiten, auch flir die Kritiker liegt auf dem Wort seit seiner Entstehung ein "weicher Hauch", auch flir sie driickt dieses Wort eine emotionale Beziehung zur Sprache der Mutter aus etc. Auf der anderen Seite haben vor aHem Sprachwissenschaftler aus der ehemaligen DDR eine fundierte Kritik an der Weisgerberschen Sprachauffassung und seiner Art der Sprachgeschichtsschreibung gelibt, in der DDR-Sprachwissenschaft sind differenzierte Versuche zur Bestimmung von "Sprachgemeinschaft" und derartigen Termini versucht worden2, aber diese Kollegen gebrauchen das Wort Muttersprache ohne jeden erkennbaren Vorbehalt; der Zitatcharakter dieses Wortes, der tatsachlich die Weisgerbersche Theorie konnotiert, stellt flir sie offensichtlich kein Problem dar. Selbst klirzeste Darstellungen der deutschen Sprachgeschichte, ob sie in der BRD oder in der ehe maligen DDR erschienen sind, verzichten nicht auf die Erwlihnung des Erstbeleges flir Muttersprache. Diese Befunde machten flir mich die Uberflihrung einer Auseinandersetzung mit einem Weisgerberschen Ideologem in eine Untersuchung der Wortgeschichte von Muttersprache unabdingbar. Spatestens bei der Lektlire sprachdidaktischer Schriften zur "muttersprachlichen Bildung" wurde mir dann klar, daB eine isolierte Wortgeschichte, die den Begriffsinhalt durch Kontext- und Wortfeldanalyse zu bestimmen sucht, zur Losung meines Problems nicht ausreichend sein kann. So gab es im 19. Jahrhundert eine sprachpadagogische Kontroverse zwischen Duden, Heyse und Burgwardt, in der etwa Burgwardt darauf hinwies, daB der Deutschunterricht nicht die Muttersprache der Kinder als Voraussetzung und Ziel zu bestimmen habe, son dern eine "Kunstsprache" und deshalb der Ausdruck "muttersprachlicher Unterricht" den Sprachplidagogen in die Irre fiihre. Nun wird auch von den Vertretern des Kunstsprachencharakters des Deutschen Muttersprache im Sinne einer ganz bestimmten sprachwissenschaftlichen Auffassung gebraucht; Muttersprache ist hier die Chiffre flir die gesamte sprachliche Sozialisation, die dazu noch "natlirlich" verlaufen solI. So wird an die ser Stelle deutlich, daB die Wortgeschichte von Muttersprache nicht unabhangig von der Geschichte der Sprachauffassungen und des SprachbewuBtseins, das mit diesem Wort bezeichnet wird, geschrieben werden kann. Eine Wortgeschichte von Muttersprache muB also zeigen, welchen charakteristischen Aspekt von Sprache dieses Wort im Unterschied zu anderen metasprachlichen Ausdrlicken hervorhebt 2 Dies schlligt sich etwa in dem von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von W. Hartung 1976 verfaBten Buch "Sprachliche Kommunikation und Gesellschaft" nieder; vgl. vor aHem Kap. 5. 12 und wie sieh dieser bezeiehnete Aspekt verschiebt, wenn das Inventar der Sprachbezeiehnungen, das "Wortfeld", umstrukturiert wird, etwa wenn die Ausdrticke anerborenes Deutsch oder deutsche Haupt- und Heldensprach obsolet werden. Somit muBte die Wortgeschichte von Muttersprache eine Geschiehte der Sprachauffassungen im "deutschsprachigen" Gebiet voraussetzen. Hierbei stellt sieh allerdings heraus, daB eine Verlinderung der Sprachauffassungen und des Bezeiehnungsinventars nicht notwendig zu einer neuen Bestimmung des Begriffs Muttersprache fiihrt, sondern daB vielmehr dem Wort neue Bedeutungsschiehten zuwachsen, ohne daB die traditionellen Bedeutungen verlorengehen; tiber die konkrete, aktuelle Bedeutung entscheidet dann vielmehr die Einbettung in einen spezifischen Diskurs und das Argumentationsziel desjenigen, der das Wort gebraucht. Gerade die Verankerung in einer Vielzahl von Diskursen und in vielen Kontexten macht dann seine vielseitige ideologische Verwendbarkeit aus, denn die anderen Verwendungsweisen bleiben ja auch bei einem sehr bestimmten Gebrauch in einem spezifischen Kontext immer prasent. Ais metasprachlicher Ausdruck ist Muttersprache nieht nur ein Ausdruck der "Umgangssprache", sondem eben so ein Ausdruck des gelehrten Reflektierens tiber Sprache, wie dies ktirzlich Hubert Ivo und Eva Neuland in ihrem Aufsatz "Grammatisches Wissen"3 noch einmal gezeigt haben, und so muB die gegenseitige Beeinflussung von "normalsprachlichem" und wissenschaftliehem Diskurs eben falls in eine Untersuchung dieses Wortes mit eingehen. Nun beziehen sich Alltagswissen und Wissenschaft aber nieht einfach auf die gleiche Realitat "Sprache", sondem beide richten sieh auf einen unterschiedlichen Objektbereich. Zusatzlich sind Alltagswissen und Wissenschaft historisch veranderlieh, aber noch weiter hat sich das soziale Objekt Sprache, auf das sieh beide Diskurse in unter schiedlicher Weise beziehen, in fast 1000 Jahren verandert, und die Veranderungen im Wissen von Sprache und in der Sprache selbst verlaufen nieht synchron. Voraussetzung fUr die Wortgeschichte von Muttersprache ist also nicht nur die Darstellung der Geschichte des SprachbewuBtseins, sondem auch eine Darstellung der Sprachgeschichte selbst. Und spatestens hier ist der Augenblick gekommen, in dem eine derartige Arbeit von einem einzelnen, besonders unter den Bedingungen des heutigen Universitatsbetriebes, nieht mehr geleistet werden kann, zumal die Sprachgeschiehtsschreibung vor aHem durch die historische Soziolinguistik, aber auch durch die Schriftlichkeitsforschung und andere sprachwissenschaftliche Teildisziplinen in eine Phase der produktiven Neubesinnung eingetreten ist und 3 IvolNeuland 1991 1 3 nicht auf eine allgemein anerkannte Darstellung der deutschen Sprachgeschichte umstandslos zuruckgegriffen werden kann. Auch wenn ich hier keine geschlossene Geschichte der deutschen Sprache vorlegen kann, auf die sich das SprachbewuBtsein beziehen lieBe, das sich im Gebrauch des Wortes Muttersprache niedergeschlagen hat, habe ich doch wie jeder, der sprachge schichtlich arbeitet, eine Vorstellung von Sprachgeschichte, und ich hoffe, daB die wesentlichen Teile dieser Auffassung von Sprachgeschichte auch in diesem Rahmen deutlich werden und flir einen Nachvollzug meiner Argumentationen aus reichen. Ich kann hier keine einigermaBen erschopfende Wortgeschichte vorlegen. Gerade flir das hier interessierende Wort ist das Belegmaterial yom 17. bis zum 20. Jahrhundert so reichhaltig und gleichzeitig derart nuanciert, daB es nicht erschOpfend dargestellt werden kann. Klaus-Hinrich Roth hat aus eben diesen Grunden seine voluminose Untersuchung zur neueren Wortgeschichte von "Deutsch" auch bescheiden als "Prolegomena zu einer Wortgeschichte" verOffent licht, und ich will hier gar keine Vollstandigkeit beanspruchen, sondem nur einige Entwicklungen aufzeigen, die mir angesichts der deutschen Geschichte und der Geschichte der deutschen Sprachwissenschaft zentral erscheinen und die in den ge genwartigen Diskussionen vemachlassigt werden. Ein derartiges Vorgehen schlieBt nattirlich subjektive Wertungen ein. Angesichts der Aufgaben, die zu lOsen sind, handelt es sich - trotz der Hille der Publikationen, die zu diesem und verwandten Problemen erschienen sind und die hier ja auch zu einem groBen Teil verwertet worden sind - bei dieser Arbeit urn einen ersten Versuch, bei dem auch noch durch die Veranderungen in den Zielsetzungen die einzelnen Teile unterschiedlich ausfiihrlich ausgearbeitet worden sind. Dennoch hoffe ich, daB durch diese Arbeit einige Entwicklungslinien deutlicher hervortreten werden, als dies durch die Vielzahl der Einzelstudien bisher geschehen ist, und damit die Konkurrenz je aktueller Wortverwendungs- und Lesweise und der damit verbundenen Sprachideologien deutlich wird. 14

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