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Mutter-Tochter-Beziehungen in der Migration: Biographische Erfahrungen im alevitischen und sunnitischen Kontext PDF

291 Pages·2009·1.712 MB·German
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Asiye Kaya Mutter-Tochter-Beziehungen in der Migration Beiträge zur Regional- und Migrationsforschung Herausgegeben von Thomas Geisen Migrationsprozesse sind eng mit den Bedingungen regionaler Kontexte verbunden. Migration und Region bilden daher einen komplexen Zusammenhang, in dem sich Fragen nach Ursachen, Formen und Auswirkungen von Migrationsprozessen mit denjenigen regionaler Mobilitätsbedingungen verschränken. Die Schriftenreihe „Beiträge zur Regional- und Migra - tionsforschung“ greift diese Verbindung von Migration und Region auf. Die Beiträge unter - suchen die Vielschichtigkeit der regionalen Bedingungen der Entstehung von Mobilität, analysieren ihre unterschiedlichen Formen und thematisieren Kontexte und Folgen von Migrationsprozessen. Die Schriftenreihe verfolgt das Ziel, in Monografien und Sammelbänden die wechselseitige Bedeutung und Verbindung von Migrationsprozessen und regionalen Entwicklungen aufzuzeigen. Die Bände 1 bis 8 sind beim IKO Verlag erschienen. Die Reihe wird ab 2009 im VS Verlag fortgeführt. Asiye Kaya Mutter-Tochter- Beziehungen in der Migration Biographische Erfahrungen im alevitischen und sunnitischen Kontext Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Hans-Böckler-Stiftung und des Fonds National de la Recherche Luxembourg 1. Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Katrin Emmerich | Tanja Köhler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes istohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbeson - dere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Ein- speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Satz: www.rundumtext.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-16875-3 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................. 9 1.1 Der Entstehungsprozess des Forschungsthemas ...................................... 10 1.2 Forschungen zur Mutter-Tochter-Beziehung in der Türkei ..................... 13 1.3 Türkische Mutter-Tochter-Beziehung in der deutschen Migrationsforschung ................................................................................ 15 1.4 Fragestellungen der Untersuchung .......................................................... 17 1.5 Aufbau der Arbeit .................................................................................... 19 2 Sunniten und Aleviten in der Türkei ................................................... 21 2.1 Vorbemerkungen ..................................................................................... 21 2.2 Das türkische Sunnitentum ...................................................................... 24 2.2.1 Der orthodox-sunnitische Islam nach der Begründung der türkischen Republik ................................................................................................... 25 2.2.2 Die Stellung der Frau in der sunnitisch-islamischen Religion ................ 29 2.2.3 Die Frau im rechtlichen Wandel in der Türkei ........................................ 31 2.2.4 Ihre Stellung im sozialen Wandel in der Türkei ...................................... 34 2.3 Alevitentum ............................................................................................. 36 2.3.1 Zur Definition des Alevitentums .............................................................. 36 2.3.2 Glauben, Glaubensgemeinschaft und Ritual ........................................... 38 2.3.3 Gesellschaftliche Marginalisierung und Pogrome gegen Aleviten .......... 41 2.3.4 Die Stellung der Frau im Alevitentum ..................................................... 46 3 Alevitinnen und Sunnitinnen in Deutschland ..................................... 51 3.1 Migration der Frauen aus der Türkei nach Deutschland .......................... 51 3.2 Sunniten in Deutschland .......................................................................... 54 3.2.1 Türkisch- Islamische Institutionen in Deutschland ................................. 56 3.3 Aleviten in Deutschland .......................................................................... 59 3.4 Bilder über türkische Frauen und Mädchen in Deutschland .................... 63 4 Methodisches Vorgehen und Forschungsdesign ................................. 71 4.1 Allgemeine Vorbemerkungen .................................................................. 71 4.2 Biographische Forschung über Migrationsverläufe in Deutschland ........ 72 4.3 Anwendung der Methode ........................................................................ 75 6 Inhaltsverzeichnis 4.3.1 Die Reflexion über den Forschungszugang und die Kontaktaufnahme ... 75 4.3.2 Studienbezogene Entwicklung der Stichprobe ......................................... 82 4.3.3 Datenerhebung ........................................................................................ 84 4.3.4 Datenauswertung: Die biographische Fallrekonstruktion ...................... 88 5 Falldarstellungen ................................................................................... 97 5.1 Neziha Demiray ....................................................................................... 97 5.1.1 Kontaktaufnahme – Interviewkontext und Interviewverlauf ................... 97 5.1.2 Die von der Interviewten selbst strukturierte Eingangspräsentation ...... 99 5.1.3 Rekonstruktion der erlebten Lebensgeschichte ...................................... 107 5.2 Meral Demiray (Tochter von Neziha Demiray) .................................... 125 5.2.1 Interviewkontext .................................................................................... 125 5.2.2 Rekonstruktion der erlebten und erzählten Lebensgeschichte ............... 128 5.2.3 Zukunftsperspektive ............................................................................... 148 5.2.4 Zusammenfassung ................................................................................. 149 5.3 Elif Toprak ............................................................................................ 152 5.3.1 Interviewkontext und Interviewverlauf .................................................. 152 5.3.2 Die von der Interviewten selbst strukturierte Einganspräsentation ...... 155 5.3.3 Rekonstruktion der erlebten Lebensgeschichte ...................................... 161 5.4 Ayla Toprak (Tochter von Elif Toprak) ................................................ 194 5.4.1 Interviewkontext .................................................................................... 195 5.4.2 Rekonstruktionen der erlebten und erzählten Lebensgeschichte ........... 196 5.4.3 Zukunftsperspektive ............................................................................... 222 5.4.4 Zusammenfassung ................................................................................. 223 6 Typisierung und Zusammenfassung der Ergebnisse ........................ 227 6.1 Vorbemerkungen: Bindung und Ablösung in der Adoleszenz .............. 228 6.2 Typisierungen ........................................................................................ 232 6.2.1 Erster Typus: Bindung in der Gegenwart mit Hilfe des religiösen Raumes ........................................................... 232 6.2.2 Zweiter Typus: Bindung über Leid und Schuldgefühle .......................... 241 6.3 Zusammenfassung der Ergebnisse: Soziale Vererbung bei Migrantinnen und ihren Töchtern: Alevitinnen und Sunnitinnen .... 245 7 Fazit ...................................................................................................... 261 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 267 Anhang ............................................................................................................. 289 Danksagung Diese Arbeit entstand mit vielfältiger Hilfe und Unterstützung zahlreicher Menschen. Ich danke ihnen allen, auch denen, die ihren Namen hier nicht finden werden. Ich danke den Interviewpartnerinnen, die mir ihre Lebensgeschichten erzählt und sich auf eine langwierige Interviewphase eingelassen haben. Ihre Geschichten bilden das Herzstück der vorliegenden Arbeit. Mein ganz besonderer Dank gilt Prof. Dr. Yvonne Schütze. Als Wissen- schaftlerin ermutigte sie mich durch fruchtbare Diskussionen, meine Thesen zu präzisieren, und machte mich auf die Arbeiten von Norbert Elias aufmerksam. Als Mensch schenkte sie mir ihren Glauben an mich trotz zahlreicher büro- kratischer Hindernisse, als zum Beispiel mein in der Türkei erworbener Studien- abschluss nicht anerkannt werden sollte, wodurch sich die Zulassung zur Promo- tion um drei Jahre verzögerte. Ohne ihre Unterstützung hätte aus der anfäng- lichen Idee die vorliegende Arbeit nicht entstehen können. Herzlichen Dank, Frau Schütze! Prof. Dr. Gabriele Rosenthal verdanke ich den biographischen Ansatz, auf dem meine Studie aufbaut. Die methodische Ausbildung bei ihr ermöglichte mir einen scharfen Blick auf gesellschaftliche Zusammenhänge. Ohne ihre geduldige Betreuung, Unterstützung und die bereichernden Diskussionen mit ihr hätte ich aus meiner Studie nicht so viele unterschiedliche Ergebnisse herausarbeiten können. Ihr gilt mein besonders herzlicher Dank! Mein großer Dank gilt meinen KollegInnen und FreundInnen, die mit ihren Anregungen, konstruktiven Kritiken und vor allem ermutigenden Bemerkungen mir in meinem Arbeitsprozess eine große Stütze waren. Die KollegInnen aus den Forschungskolloquien und Interpretationsgruppen in Berlin, Kassel und Göttin- gen analysierten mit mir viele Interviewstellen und diskutierten in unterschied- lichen Stadien die Ergebnistexte meiner Untersuchung. Stellvertretend für viele danke ich Hanna Beneker, Ute Engels, Michaela Köttig, Ulrike Loch, Silja Schotte und Heidrun Schulze im Kontext der Kasseler Kolloquiumsgruppe. Besonders die methodischen Diskussionen mit Christine Riegel, Jutta Wergen und Martina Winkelmann aus der im Rahmen der Hans-Böckler-Stiftung ge- gründeten Arbeitsgruppe „Majuchas“ bereicherten meine Arbeit. Herzlichen Dank für die fruchtbare Zusammenarbeit! 8 Danksagung Matthias Abraham, Lisanne Ackermann, Fikriye Aras, Gesine Aufder- mauer, Anne Blezinger, Artur Bogner, Roswitha Breckner, Halil Can, Katharine Derderian, Sevtap Do(cid:2)an, Anke Fessenfeld, Angelika Greis, Astrid Albrecht- Heide, Ilse Schimpf-Herken, Sabine Jeschke, (cid:3)aduman Karaca, Silvija Kav(cid:4)i(cid:4), Ursula Kling, Georgia Kretsi†, Ingrid Miete, Christine Müller-Botsch, Harald Paul, Gabi Sester, Hee-Young Shim, Anja Stichs, Rüçhan Tolgay, Sevasti Truveta, Birsen Turna, Carla Wesselmann, Czarina Wilpert, Rixta Wundrak und Elif Ye(cid:5)ilba(cid:5) trugen mit ihren unterschiedlichen Positionen, mit ihren an- regenden Diskussionen, aktivem Zuhören, Beantworten meiner vielen Fragen, gelegentlichen kreativen Ablenkungen von der Arbeit sowie durch Korrektur- lesen und Layout zur Vervollständigung meiner Dissertation maßgeblich bei. Aus der Ferne unterstützten mich in jeder Hinsicht meine Freundinnen, Hüsniye Ece und Ay(cid:5)enur Neumann-Matarac(cid:6). Herzlichen Dank an Euch beide für Euer Vertrauen! Besonders herzlich möchte ich mich bei Alex Michaels für seine fürsorg- liche Unterstützung und seinen bereichernden scharfen Blick für feine Unter- schiede bedanken. Die Hans-Böckler-Stiftung förderte meine Forschung mit einem Promo- tionsstipendium. Ihr gilt mein besonderer Dank auch für den Druckkostenzu- schuss für diese Publikation. Bedanken möchte ich mich ebenfalls beim Fonds National de la Recherche Luxembourg für den finanziellen Zuschuss. Mit seinem Interesse an dem Forschungsthema wird der Studie einen besonderen Zugang zu Luxemburg ermöglicht. Christel Baltes-Löhr an der Universität Luxemburg danke ich in diesem Zusammenhang herzlich für ihre kollegiale Unterstützung. Mein ganz besonderer Dank gilt dem Herausgeber dieser Buchreihe Thomas Geisen für seine vielfältige Kooperation. Danke an den VS-Verlag für Sozial- wissenschaften und vor allem an Jens Ossadnik für seine gründliche Arbeit bei der Fertigstellung der Druckvorlage. Abschließend möchte ich meiner Familie von ganzem Herzen danken. Mein Vater Veli(cid:5)an Kaya und meine Mutter Zülfinaz Kaya† vertrauten immer, dass mein Weg auch der richtige sein wird. Meine Geschwister (cid:7)kram, Cevher, Hakk(cid:6), Han(cid:6)m(cid:5)ah, Hülya, Gül(cid:5)en, Türkan, Güllizar haben mich auf meinem Weg auf vielfältigste Weise unterstützt. Meine Mutter konnte trotz ihres aufgeregten Wartens die Vervollständigung dieser Arbeit nicht mehr erleben. Ich widme diese Arbeit meiner Mutter, auch stellvertretend für alle Frauen und ihre Lebens- geschichten, die in dieser Arbeit zum Ausdruck kommen. Berlin, 2009 Asiye Kaya 1 Einleitung 1 Einleitung Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehen Familien- und Lebensgeschichten von alevitischen und sunnitischen Müttern sowie deren Töchter in Deutschland. Die Sunniten machen in der Türkei die Mehrheitsgesellschaft aus, die Aleviten bilden die soziale Minderheitsgruppe. Die Studie untersucht die geschlechts- spezifischen Tradierungsprozesse in der Migration im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu einer Mehrheits- oder Minderheitskultur in der Herkunfts- gesellschaft Türkei, daher ist die vorliegende Arbeit eine migrationsbio- graphische Vergleichsstudie. In der Migrationsforschung in Deutschland herrscht über MigrantInnen1, insbesondere über Frauen aus der Türkei, eine Fokussierung auf die Ankunfts- gesellschaft bzw. eine ethnozentristische Perspektive der deutschen Mehrheits- gesellschaft vor. Dies verursacht eine Wissenslücke innerhalb dieser For- schungen, da Untersuchungen zu den Herkunftskontexten der Frauen aus- geblendet werden. Ihre Lebenserfahrungen werden als Defizit bzw. als Konflikt- potenzial zwischen ihnen und der Mehrheitsgesellschaft stigmatisiert2.3 Diese Tatsache verursacht m.E. eine Diskontinuitätserfahrung bei den Frauen, da sie – entsprechend den Erwartungen der Einwanderungsgesellschaft – ihre Lebens- erfahrungen im Herkunftsland als etwas dort Zurückgelassenes betrachten müssen. Dies möchte die vorliegende Arbeit mit ihrem vergleichenden Ansatz, indem der Herkunftskontext und die Lebenserfahrungen der Frauengenerationen mit in die Studie einbezogen werden, ändern. 1 In der vorliegenden Arbeit werden an den Stellen, wo beide Geschlechter gemeint sind, die Synonyme mit dem großen „I“ verwendet. 2 Der Begriff Stigma bzw. Stigmatisierung, wie in der vorliegenden Arbeit verwendet, basiert auf der Definition von Erving Goffman (1975). Stigmatisiert werden Personen insofern, wenn sie in unerwünschter Weise anders sind und von den jeweils in Frage stehenden Erwartungen abweichen. Nach Goffmans Definition werden sie nicht ganz menschlich gesehen. „Unter dieser Voraussetzung üben wir eine Vielzahl von Diskriminationen aus, durch die wir ihre Lebenschancen wirksam, wenn auch oft gedankenlos, reduzieren.“ (ebd.: 13f) 3 Seit den 1990er Jahren entwickelt sich eine kritische Haltung zu dieser Mehrheitsperspektive. Dazu siehe beispielsweise die kritischen Arbeiten von Helma Lutz, Ursula Apitzsch, Leonare Herwartz-Emden, Sedef Dümen, Roswitha Breckner, Neval Gültekin. 10 1 Einleitung 1.1 Der Entstehungsprozess des Forschungsthemas 1.1 Der Entstehungsprozess des Forschungsthemas Den Zugang zu diesem Forschungsthema fand ich durch meine pädagogische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, von denen mehrere türkischstämmige Eltern hatten. Diese praxisbezogene Arbeit begleitete mein Studium in den Sozial- und Erziehungswissenschaften. Während meiner mehrjährigen pädago- gischen Tätigkeit beobachtete ich, dass mit Beginn der Adoleszenz4 vor allem Mädchen begannen, sich intensiv mit sich selbst auseinanderzusetzen. Sie be- fanden sich in einem Lebensabschnitt, in dem sie mit allen sozialen und psycho- logischen Bedingungen der Weiblichkeit konfrontiert wurden (Chodorow 1985, Gilligan 1992). Ihr Aussehen, ihre Familiensituation, ihre Beziehungen zu ihren Müttern, zu Peergroups und zu ihren LehrerInnen standen im Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzungen. Die Schule erhielt, als eine repräsentative Institution der deutschen Mehrheitsgesellschaft, immer mehr Bedeutung. Die Frage nach der eigenen Zugehörigkeit wurde zunehmend in den Mittelpunkt gestellt, wobei den Fremdzuschreibungen eine große Bedeutung zukam (G.H. Mead 1934). Diese Konfrontation waren nicht nur ihrer Lebensphase geschuldet, sondern sie wurden durch ihr gesellschaftliches Umfeld, besonders aufgrund ihres Status‘ als ‚aus- ländische Mädchen‘ – und im Fall der vorliegenden Studie als ‚türkische Mädchen‘ – immer wieder dazu aufgefordert, sich innerhalb der deutschen Ge- sellschaft zu positionieren. Die Etikettierung ‚türkisches Mädchen‘, die sie als identitätsstiftendes Merkmal in ihrem Alltag begleitete, diente den Institutionen zur Erklärung von Konflikt- oder Problemsituationen zwischen ihnen und den öffentlichen Einrichtungen. Hinzu kam ein aktuelles migrationspolitisches Thema: In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurde in der Öffentlichkeit die Bedeutung der Migrantinnen (insbesondere mit türkischer Herkunft), die in ihrer Rolle als Mutter für die Erziehung ihrer Kinder verantwortlich gemacht wurden, stark thematisiert. Die Anpassung der ‚türkischen Mütter‘ an die deutsche Gesellschaft wurde nicht nur als Maßstab für die Anpassungsleistungen ihrer in Deutschland aufwachsenden Kinder betrachtet, sondern vielmehr vorausgesetzt. Zum einen wurden die Mütter aus der Türkei aus der Perspektive der deutschen Mehrheitsgesellschaft als ‚Fremde‘5 betrachtet und durch die Bezeichnung ‚türkische Mutter‘ homo- 4 Aus biographischer Perspektive eignet sich der Begriff „Adoleszenz“ als ein übergreifender Begriff für eine Lebensphase, die sowohl die Pubertät – die Phase der körperlichen Ge- schlechtsreifung – als auch die Jugend als ein soziales Phänomen einschließt. Für eine interne zeitliche Strukturierung der Jugendphase und deren genauere Abgrenzung durch Status- passagen siehe Klaus Hurrelmann (1994) und Vera King (2004). 5 Die hier angewandte Terminologie wird ähnlich wie bei Georg Simmel verstanden. Dies be- deutet, dass der Fremde nicht „als der Einwandernde, der heute kommt und morgen geht, son- dern als der, der heute kommt und morgen bleibt – sozusagen der potenziell Wandernde“

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