ARBEITSGEMEINSCHAFT FOR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN 73.Sitzung am 2. Oktober 1957 in Dusseldorf ARBEITSGEMEINSCHAFT FOR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN HEFT 73 Diter van Wettstein Ake Gustafsson und Lars Ehrenberg Mutationsforschung und Ziichtung fosei Straub Mutationsauslăsung durch ionisierende Strahlen SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-663-00802-6 ISBN 978-3-663-02715-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-02715-7 © 195~ Springer Fachmedien Wiesbaden Urspriinglich erschienen bei Westdeutsmer Verlag, Kiiln und Opl.den 195~ lNHALT Dozent Dr. phil. Dr. rer. nat. Diter von Wettstein, Professor Dr. phil. Ake Gustafsson und Dozent Dr. phil. Lars Ehrenberg, Stockholm Mutationsforschung und Ziichtung . . . . . . . . 7 Diskussionsbeitrage von Prof. Dr. phil. Siegfried Strugger, Prof. Dr. phil. Ake Gustafsson, Staatssekretar Prof. Dr. h. c. Dr. E. h. Leo Brandt, Prof. Dr. phil. Bernhard Rensch, Prof. Dr. med. Walter Kikuth, Prof. Dr. med. Gunther Lehmann, Prof. Dr. phil. Josef Straub . . . . . . . . . . . . . 49 Summary ........ . . ......... 59 Professor Dr. phil. Josef Straub, Koln Mutationsauslosung durch ionisierende Strahlung . . . . 61 Diskussionsbeitrage von Prof. Dr.-lng. Wilhelm Bischof, Prof. Dr. phil. Josef Straub, Staatssekretar Prof. Dr. h. c. Dr. E. h. Leo Brandt, Prof. Dr. med. Gerhard Domagk, Prof. Dr. phil. Bern hard Rensch, Prof. Dr. phil. Ake Gustafsson, Prof. Dr. phil. Siegfried Strugger . . . . . . . . . . . . . . 83 Summary und Resume . . .. . .......... 89 Mutationsforschung und Ziichtung Von Dozent Dr. phil., Dr. rer. nat. Diter von Wettstein, Professor Dr. phil. Ake Gustafsson und Dozent Dr. phil. Lars Ehrenberg, Stockholm Genetisches Institut der forstlichen Forschungsanstalt, Genetisches Institut der Universit1it und Biochemisches Institut der Universitat, Stockholm, Schweden Muller fand 1927, daB Rontgenstrahlen Mutationen auslOsen und hielt diese Methode auch fiir den praktischen Ziichter von Nutzen. Interessanter weise hatte de Vries schon 1904 vorgeschlagen, »daB die Rontgen-undCurie strahl en, welche in das Innere der lebenden Zellen eindringen konnen, zu einem Versuch benutzt werden sollten, urn die Erbfaktoren in den Ge schlechtszellen zu verandern" (nach Blakeslee 1936). Weitgehend negativ beurteilte dagegen ein anderer Pionier der Mutationsforschung, Stadler (1930), die Aussicht auf eine praktische Anwendung dieser Entdeckung. U. a. kam er zu cler Auffassung, daB die Chancen fUr die Produktion experimen teller Variation en, die nicht schon in der Natur auftraten, klein sind. Etwas optimistischer war er fiir die Obstbaumziichtung. Da die Obstbaume vege tativ vermehrt werden, kann eine neue durch Mutation entstandene Varietat direkt beobachtet und vermehrt werden, ohne daB eine Gametenbildung, Befruchtung und Rekombination die giinstige genotypische Konstitution zerstort. In Schweden begannen Nilsson-Ehle und Gustafsson unmittelbar nach den Entdeckungen Mullers und Stadlers umfassende Bestrahlungsexperi mente an Gerste, Weizen, Hafer und Lein. Es sei hier auf einige neuere Zu sammenfassungen dieser Arbeiten hingewiesen. So hat Mac Key (1954) eine eingehende Analyse iiber das Mutationsgeschehen beim hexaploiden Wei zen vorgelegt. Gleichzeitig erschien eine monographische Dbersicht der Muta tionsprobleme bei Kulturpflanzen und damit verbundene strahlenbiologische Analysen: Mutation Research in Plants, Acta Agric. Scand. IV:3. Diese Ar beiten behandeln die Wirkung verschiedener Strahlenarten, der Gamma-, Rontgen-, Neutronen- und Alphastrahlen sowie die einiger radioaktiver Isotope. Kiirzlich konnten Ergebnisse iiber die Anwendung von chemischen * Vortrag gehalten von A. Gustafsson in der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft fiir For schung des Landes Nordrhein-Westfalen am 2. Oktober 1957. 8 von Wettstein, Gustafsson, Ehrenberg Mutagentien gewonnen werden (Ehrenberg, Gustafsson und Lundquist, 1956, Ehrenberg, Gustafsson und D. von Wettstein 1956). Stubbe (1929, 1942), Schick (1934), Kuckuck (1934) und Knapp (1941) betonten wiederholt die Moglichkeit, mit Hilfe mutationsauslosender kurz welliger Strahlen, insbesondere Rontgenstrahlen, Mutationen von zuchte rischem Wert in groBer Menge zu erzeugen. In den J ahren 1942 bis 1944 stellten Freisleben und Lein methodische Richtlinien fur eine Mutationszuch tung lin Deutschland auf. Dabei gelang 'es ihnen, unter anderem eine mehl tauresistente Mutante aus einer anfalligen reinen Linie der Sommergerste zu isolieren, und sie zeigten dadurch, daB Mutanten in der Resistenzzuchtung Bedeutung erlangen konnen. Sie beschrieben 1944 nicht weniger als 92 vitale Mutanten cler Sorte "Heines Haisa". Spater hat eine Anzahl von deutschen Forschern an verschiedenen hoheren Pflanzen, wie Gerste, Tomaten, Wei zen, Sojabohnen und Lein, Obst- und Zierpflanzen Mutanten analysiert und dabei auch ihr Ertragsvermogen gepruft. Die in USA seit einigen Jahren ausgefuhrten Untersuchungen uber indu zierte Mutationen bei Kultur- und Zierpflanzen haben Singleton (1954, 1956) und Smith (1958) zusammengefaBt. Hier fallen vor all em Gregorys Analysen zur Ertragssteigerung bei Erdniissen auf (1955, 1956 a, b). Auf diese Weise gelang es auch, Resistenz gegen Stengel- und Kronenrost beim Hafer und Stengelrost bei Weizen zu erzeugen. Die Verwendung ionisierender Strahlen zur Induktion von vitalen Mutanten wird nun in einer ganzen Reihe von Landern wie Kanada, Osterreich, Argentinien, England, Ungarn, Japan, Indien und anderen be trieben. Einige dieser neuen induzierten Mutanten sind bereits als Sorten im Handel. Die I nduktion von M utationen Eine Erhohung der Mutationsrate uber das spontane Niveau kann bei hoheren Pflanzen auf verschiedene Weise erfolgen. Nicht nur ionisierende und ultraviolette Strahlen, sondern auch eine Behandlung mit Chemikalien, eine Lagerung der Samen oder ein Hitzeschock des Pollens vor der Bestau bung sind dabei geeignete Mittel. Der Eingriff kann an ruhenden oder keimenden Samen, an Pollenkornern, an Eizellen oder an den Vegetations punkten der wachsenden Pflanze erfolgen. Zur Induktion von praktisch be deutungsvollen Mutanten der Kulturpflanzen wurde bisher vor aHem eine Bestrahlung ruhender oder keimender Samen verwendet. Muta~ionsforschung und Ziichtung 9 Neben den klassischen Strahlenquellen hat sich in neuerer Zeit eine An lage mit radioaktivem Kobalt (60CO) bewahrt, und so werden in Brook haven, Balsgard und Stockholm mit der von Kobalt abgegebenen Gamma strahlung jahrlich eine groBe Anzahl von Kulturpflanzen behandelt. Die Bestrahlung erfolgt chronisch oder akut, d. h. wahrend Teilen einer Vege tationsperiode oder iiber die ganze Wachstums- und Reifezeit (siehe Nybom 50% Wachstumshel11mung 60 Ruhende Samen r- - . ge k·e·lm re 1 Samen 1 I Gene 1 0 Toma[c 1 I - I 45 I - 1 I 1 I -I 30 I 1 - ~ 1 -,I I - -- 15 I """' I I I o.~ .~ '- '-- a 3 5 100 LufHeuchtigkeit: 0/0 Abb. 1: 50% ige Wachstumshemmung von Keimlingender Gerste und Tomate nach Be strahlung von ruhenden Samcn mit verschiedenem Wassergehalt und angekeimten Samen 10 von Wettstein, Gustafsson, Ehrenberg et a1., 1956). Besonders vorteilhaft scheint diese Anlage zur Induktion somatischer Mutationen bei Obstbaumen und Forstpflanzen, wenn eine entsprechende Auslesetechnik ausgearbeitet ist (Granhall und Mitarbeiter 1948-1954, Ehrenberg und Mitarbeiter 1956, Bishop 1954, Gustafsson un veroff.). In Abbildung 1 sind die Rontgendosen fur eine SOOfoige Hemmung des Keimlingswachstums bei der Gerste und der Tomate wiedergegeben. Die Tomatensamen sind durchwegs resistenter gegenuber Rontgenstrahlen als die Gerstensamen. Die Abhangigkeit der Strahlenresistenz von dem Wasser gehalt in den Samen zeigt in beiden Arteneine ahnliche Beziehung: Mit stei gendem Wassergehalt ruhender Samen nimmt die Resistenz bedeutend zu, wahrend angekeimte Samen ganz besonders empfindlich sind (Ehrenberg 1955, Lefort und Ehrenberg 1955). 16 DL .. G1'rste I 14 I- I I- 12 I I 10 - I- I I 8 -- - I I 6 -- -- - I- I I 4 - -- -- -- - I- I 2 - -- -- -- - I- - - - ... -'" I -o~ - - "-- Q 0 30 unbehandelr 100% ruhende gekeimrc LufHeuchrigkeir amen Abb. 2: 50 Ofo iiberlebende Pflanzen auf dem Feld nach Bestrahlung von ruhenden Samen mit verschiedenem Wasscrgehalt und angekeimten Samen Mutat,ionsforsdlUng und Ziichtung 11 Den Pflanzenzlichter interessiert die Rate der liberlebenden Pflanzen auf dem Feld. In Abbildung 2 sind flir Gerstensamen bei verschiedenen physio logischen Zustanden die Dosen angegeben, die eine 500f0ige Letalitat (DL50) bedingen. Diese Dosen liegen bedeutend niedriger als die der Wachstums hemmung oder Letalitat in Gewachshausversuchen. Der Effekt der ver schiedenen Wassergehalte - erhalten durch eine Equilibrierung der ruhenclen Samen mit Luft von 0, 30 resp. 100 Ofo re1ativer Feuchtigkeit vor der Be strahlung - entspricht ganz dem der Wachstumshemmung der Keimlinge. Rechts ist noch ein Experiment mit ruhenden und keimenden Samen wieder gegeben. Der Wassergehalt der Samen beeinflu6t nicht nur die Resistenz der Samen, sondern auch die Rate der chromosomalen Aberrationen, der Muta tionen und die Verteilung der Mutationstypen. Der Einflu6 des Wassergehaltes ruhender Samen auf die Strahlenwirkung wird durch eine Modellanalyse liber die Reaktion der Starkemoleklile bel Bestrahlung verstandlich (Ehrenberg, Jaarma und E. C. Zimmer 1957). Be strahlt man Starke verschiedener Feuchte, so zeigt Wasser einen schlitzenden Effekt auf den Abbau der Starkemoleklile. Sowohl unverzweigte Amylose wie verzweigtes Amylopektin zeigt bei 6 Ofo Wassergehalt ca. flinf Brliche cler Polysaccharidketten per Ionenpaar. Bei 20 Wassergehalt verursacht % ein Ionenpaar durchschnittlich nur einen Bruch. Da der Primarvorgang der ionisierenden Strahlen teils auf Ionisationen und teils auf Anregungen von Atomen und Moleklilen beruht, sowie mit ein~r Ionisation gewohnlich mehrere Anregungen verbunden sind, so dlirften bei hohem Wassergehalt vorwiegend die Ionisationen zu einem Bruch der Polysaccharidketten flihren, wahrend bei niederem Wassergehalt Ionisationen und Anregungen am Ab bau der Starke beteiligt sind. Zur Aufklarung des Einflusses des Wassergehalts der Samen auf die phy siologische und genetrsche Strahlenwirkung sind auch die bei cler Strahlen wirkung auftretenden freien Radikale mit starker Reaktionsfahigkeit von Bedeutung (K. G. Zimmer, L. Ehrenberg und A. Ehrenberg 1957). Diese konnen in Gerstenembryonen und anderen Samen mit HiIfe der Mikro wellenspektrometrie nachgewiesen werden. Ihre Lebensdauer ist in hohem Mage von dem Wassergehalt des Samens abhangig (A. Ehrenberg und L. Ehrenberg 1958). Neben dem physiologischen Zustand libt die genetische Konstitution der Art einen bedeutenden Einflu6 auf die Strahlenempfindlichkeit aus. Nicht nur verschiedene Arten haben eine unterschiedliche Empfindlichkeit, sondern auch verschiedene Linien innerhalb ein und derselben Art konnen bezliglich 12 von Wettstein, Gustafsson, Ehrenberg des AusmaBes der physiologischen Storungen durch eine bestimmte Strahl en dosis ungleich sein (Lamprecht 1956, Gelin et al. 1958). Auch die strahleninduzierte Mutabilitat einzelner Loci kann durch das genotypische Milieu beeinfluBt werden. In der zweizeiligen Goldgerste sind von den acht analysierten Erectoides-Mutationen nicht weniger als vier am Locus b eingetreten. Dieser Locus konnte in zwei anderen Sorten, Maja und Bonusgerste, bisher nicht durch Bestrahlung zum Mutieren veranlaBt werden, obgleich in diesen Sorten 8 resp. 65 Mutationen vom Erectoides Typus lokalisiert wurden. Zur genetischen Konstitution kann die ChromosomengroBe gerechnet wer den. Vielfach scheinen Arten mit groBen Chromosomen strahlenempfind licher zu sein als solehe mit kleinen (Sparrow und Christensen 1953, Nybom 1956). Als Beispiel sei hier der Effekt von Gamma-Strahlen auf wachsende Pflanzen von Pinus silvestris und Populus "robusta" genannt. In Abbil dung 3 sind die meiotischen Chromosomen von Pinus silvestris, Populus robusta und tremula in gleicher VergroBerung wiedergegeben. Die 24 Kie fernchromosomen sind von beachtlicher GroBe, wahrend die Pappelarten 38 sehr kleine Chromosomen haben. Bestrahlungsversuche zeigen, daB Kie- c Abb. 3: Mctaphase-Chromosomen dcr Mciosc im Pollenkorn: a) Pinus silvestris (12 Biva ]cnte tcilwcise asynaptisch), b) Populus "robusta" und c) Populus tremula (19 Bivalente). Vergro{)crung 3000 X. [a) nach Runqvist, b) nach van Dillewijn, c) nach Johnsson.]