Dirk Nabers (Hrsg.) Multilaterale Institutionen in Ostasien-Pazifik Ostasien im 21.Jahrhundert. Politik – Gesellschaft – Sicherheit – Regionale Integration Herausgegeben von Vera Blechinger-Talcott Thomas Heberer Sebastian Heilmann Patrick Köllner Hanns W. Maull Gunter Schubert Dirk Nabers (Hrsg.) Multilaterale Institutionen in Ostasien-Pazifik Genese – Strukturen – Substanz – Perspektive Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. . . 1. Auflage 2010 Alle Rechte vorbehalten © VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2010 Lektorat: Frank Schindler VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältig ungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinn e der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Druck und buchbinderische Verarbeitung: Rosch-Buch, Scheßlitz Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-17060-2 Inhalt Vorwort 7 Dirk Nabers Einleitung 9 Bernhard Stahl Die Gemeinschaft südostasiatischer Staaten (ASEAN): Erfolg und Probleme einer überforderten Institution 17 Lisa Srikiow Regionale Kooperation in Südostasien: Eine Regimeanalyse der ASEAN plus Three 55 Ryôma Sakaeda Das ASEAN Regional Forum (ARF): Konsultativplattform ohne Konfliktlösungskompetenz? 91 Sebastian Harnisch und Martin Wagener Die Sechsparteiengespräche auf der koreanischen Halbinsel: Hintergründe – Ergebnisse – Perspektiven 133 Hanns W. Maull Das Asia-Europe Meeting (ASEM): Baustein effektiverer globaler Ordnungsstrukturen? 181 Hanns W. Maull Die Asia-Pacific Economic Co-operation (APEC): Institutionelle Kontinuität trotz relativer Bedeutungslosigkeit 207 Dirk Nabers und Philipp Forstner Synopse 233 Autorenverzeichnis 243 5 Vorwort Der vorliegende Band ist das Ergebnis eines Jahrzehnts der Forschung zu Fragen der inter- nationalen Politik in Ostasien, in dessen Verlauf eine Gruppe von etablierten Wissenschaft- lern und viel versprechenden Nachwuchskräften an unterschiedlichen Orten immer wieder zusammen gekommen ist. Vor zehn Jahren wurde dabei ein erstes Buch zum „Multilatera- lismus in Ostasien-Pazifik“ auf den Weg gebracht, in der als Kernaussage zu lesen war, dass die Region institutionell noch immer vergleichsweise unterentwickelt sei. Dieser Be- fund muss heute revidiert werden. Insbesondere die Asienkrise des Jahres 1997 hat eine multilaterale institutionelle Dynamik ausgelöst, die dazu geführt hat, dass heute so etwas wie ein „politischer Komplex Ostasien“ an Konturen gewinnt. Diese dynamische Entwicklung wird in diesem Band zusammengefasst, und wir glau- ben, damit sowohl für Studierende des Faches wie für fortgeschrittene Akademiker ein lesenswertes Werk geschaffen zu haben. Es ist gute Tradition, an dieser Stelle all jenen zu danken, die dazu beigetragen haben, das Buch handwerklich zu gestalten und intellektuell zu inspirieren. Zu nennen wären hier vor allem Kerstin Labusga, Philipp Forstner, Juliane Stierle und Thorsten Wojczewski, die das Manuskript sorgfältig gelesen und redigiert ha- ben. Den Herausgebern der Reihe „Ostasien im 21. Jahrhundert“ sei für die wohlwollende Begleitung während des Produktionsprozesses gedankt. Alle Beiträge haben durch die sehr positiven Gutachten zu dem Manuskript nochmals an Qualität gewonnen. Erst durch die vielen konstruktiven Kommentare ist der Band zu einer runden Sache geworden. Drei Personen soll besonders gedankt werden. Es war mein guter Freund und Kollege Sebastian Heilmann, der bei einem Mittagessen auf einer gemeinsamen Konferenz die Idee zu diesem Band hatte und mich zu deren Umsetzung ermutigte. Thomas Heberer als einer der Herausgeber gebührt ebenfalls besonderer Dank. Ohne ihn wäre die zügige Begutach- tung und Publikation des Bandes nicht möglich gewesen. Schließlich möchte ich Hanns Maull danken, der hier mit zwei wichtigen Beiträgen vertreten ist, mir stets ein anregender Gesprächspartner war und ohne den das letzte Jahrzehnt deutscher IB-Forschung mit Ost- asien-Bezug einfach undenkbar gewesen wäre. Dirk Nabers, Hamburg im Juli 2009 7 Dirk Nabers Einleitung Der geographische Raum, in dem sich gesellschaftliche Austauschbeziehungen und Hand- lungszusammenhänge verdichten, überschreitet sukzessive die Grenzen des Gebietes, das durch politische Regelungen erfasst wird.1 Dabei ist es nicht lediglich die durch die im wissenschaftlichen Diskurs überstrapazierte Etikette der Globalisierung suggerierte globale Sphäre, in die sich soziale und politische Interaktionen verlagern, sondern gleichzeitig die Region, in der sich Globalisierungstendenzen quasi verdichtet zeigen. Wichtiges Kennzei- chen von Regionalisierungsprozessen ist ebenso wie beim Konzept der Globalisierung das Ende der Territorialität;2 d.h., sie stellen die Souveränität des Nationalstaats nach innen und seine Autonomie nach außen zunehmend in Frage. Dies impliziert die Schwächung des inneren Gewaltmonopols und die Erosion der staatlichen Schutzfunktion nach außen. Die Grenzen sozialer, ökonomischer und ökologischer Handlungszusammenhänge liegen in vielen Bereichen jenseits der politischen Grenzen des Nationalstaats. Diesen Entwicklun- gen versucht der Nationalstaat durch die Kooperation mit anderen Staaten zu begegnen. Er verzichtet auf Teile seiner Souveränität, um Handlungsmöglichkeiten zurückzugewinnen.3 Die Notwendigkeit zwischenstaatlicher Kooperation ergibt sich aus dem Anstieg komple- xer Interdependenzen zwischen Staaten und Gesellschaften und dem gemeinsamen Ziel der Realisierung nicht ausgeschöpfter Wohlfahrtspotenziale sowie der Erhöhung der Erwar- tungssicherheit in Situationen komplexer politischer Interaktion. Ergebnis ist dann idealty- pisch die Entstehung internationaler Institutionen überall dort, wo nationalstaatliche Politi- ken allein nicht mehr in der Lage sind, nationale Interessen zu realisieren. Empirisch lässt sich dieser Zusammenhang an der Entwicklung in Ostasien seit dem Ende des Kalten Krieges nachvollziehen. In der Region (hier definiert als der geographi- sche Raum von den Kurileninseln im Norden bis zum indonesischen Archipel im Süden, der die Westküste des Pazifikbeckens bildet) zeigt sich seit Beginn der 1990er Jahre eine Proliferation von internationalen Institutionen. Fokussierte sich die institutionalisierte Zu- sammenarbeit bis dahin mit der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) vor allem auf die südostasiatische Subregion, so erstreckt sich die multilaterale Kooperation heute über den gesamten regionalen Kontext und schließt eine Reihe von neuen Politikfel- dern mit ein. Vor allem im Vergleich zu Europa, aber auch zu Lateinamerika, verzeichnet die Region Ostasien zwar immer noch eine vor allem qualitativ eher geringe Dichte regio- naler Institutionen und Kooperationsforen.4 Zugleich zeichnen sich aber auch in diesem 1 Vgl. Zürn, Michael 1998: Regieren jenseits des Nationalstaats. Edition Zweite Moderne, hrsg. von Ulrich Beck. Frankfurt a.M., S. 17. 2 Vgl. Beck, Ulrich 1997: Was ist Globalisierung? Frankfurt a.M., S. 18. 3 Vgl. Maull, Hanns W. 1995: „Welche Akteure beeinflussen die Weltpolitik“, in: Kaiser, Karl/Schwarz, Hans- Peter (Hrsg.): Die neue Weltpolitik. Bonn, S. 301-315, hier: S. 305. 4 Vgl. Buzan, Barry/Segal, Gerald 1994: „Rethinking East Asian Security“, in: Survival, 36,2, S. 3-21. 9 Bereich dynamische Prozesse der „nachholenden Entwicklung“ ab, die dazu tendieren, sich formal um die ASEAN als Kern zu kristallisieren. Die ASEAN selbst war im Zusammenhang einer ersten Welle des „Dritte-Welt- Regionalismus“ entstanden. Mit ihrer Gründung im August 1967 schufen fünf Staaten in Südostasien – Indonesien, Malaysia, die Philippinen, Singapur und Thailand – eine subre- gionale Kooperationsgemeinschaft, die ausschließlich aus „Entwicklungsländern“ bestand. „Süd-Süd-Kooperation“ hieß damals die Zauberformel, die zum Aufbrechen des asymmet- rischen Nord-Süd-Entwicklungsgefälles führen sollte und die Schaffung der vielbeschwo- renen „Neuen Weltwirtschaftsordnung“ im Auge hatte. Initiativen eines „Dritte-Welt-Syndikalismus“5 wie die „Blockfreienbewegung“ oder die „Gruppe der 77“ erwiesen sich jedoch aufgrund ihrer Heterogenität insgesamt als wenig effektiv. Die ASEAN schlug bald einen eigenen Weg ein, der vor allem durch eindrucks- volle wirtschaftliche Wachstumsraten gekennzeichnet war. Grundlage dieser Entwicklung waren die erfolgreichen Bemühungen der ASEAN um eine Befriedung der anfangs zum Teil äußerst angespannten Beziehungen der Mitgliedsstaaten untereinander (dies galt insbe- sondere für das Verhältnis zwischen Malaysia und seinen beiden Nachbarstaaten Indone- sien und die Philippinen, die zeitweilig bis hin zur direkten militärischen Konfrontation belastet waren). In den nunmehr über 40 Jahren ihres Bestehens liegen die Erfolge der ASEAN zweifellos eher im sicherheitspolitischen denn im wirtschaftspolitischen Bereich. Mit der Befriedung weiter Teile der Region Südostasien wurden aber wichtige Vorausset- zungen für den Wirtschaftsaufschwung der ASEAN gelegt, die so auch außenpolitisch günstige Rahmenbedingungen für ausländisches Kapital schaffen konnte. Mit der Initiie- rung der ASEAN Free Trade Area (AFTA) auf dem Gipfel in Singapur im Jahre 1992 konnte hier eine multilaterale Struktur zur Unterstützung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung der Region in den Folgejahren geschaffen werden. Wichtige Impulse für die günstige Wirtschaftsentwicklung der ASEAN lieferte dabei zunächst vor allem Japan, das schon seit den 1950er Jahren durch seinen dynamischen Auf- stieg zur zweitgrößten Industrienation der Welt die Möglichkeiten nachholender Industriali- sierung in und für Ostasien eindrucksvoll belegt hatte. Aber auch die beiden schon in den früh zu Schwellenländern aufgestiegenen „Tigerstaaten“ Südkorea und Taiwan, die sich in den sechziger Jahren an die Fersen der Wirtschaftsdynamik Japans hefteten, sowie schließlich der Wirtschaftsaufschwung in China seit der Einleitung der Reformen von 1978 unterstrichen die enorme wirtschaftliche Dynamik der Region. Es war diese Wirtschaftsdynamik, die in den neunziger Jahren eine neue Phase der regionalen Wirtschaftskooperation einleitete. Wenngleich diese neue Welle des Regionalismus in Ostasien in den neunziger Jahren hinter den Kulissen stark von Japan und Australien eingeleitet und vorangetrieben wurde, spielte die ASEAN auch hier formal wiederum eine Schlüsselrolle. Aus der Sicht der ASEAN waren es vor allem zwei strukturelle Veränderungen des internationalen Systems zu Beginn der neunziger Jahre, die den Bemühungen um multilaterale Kooperationsarran- gements neue Dringlichkeit gaben. Erstens hinterließ der weitgehende Rückzug der USA aus Südostasien aus der Sicht der südostasiatischen Staaten ein regionales Machtvakuum, das alte und neue Ängste vor möglichen Hegemonialambitionen Chinas oder Japans weck- te. Zum zweiten verstärkten sich aus der Sicht Südostasiens Anfang der neunziger Jahre die Tendenzen zu handelspolitischer Blockbildung und damit die Gefahr, dass Südostasiens 5 Rüland, Jürgen 1995: „Die Gemeinschaft Südostasiatischer Staaten (ASEAN): Vom Antikommunismus zum regionalen Ordnungsfaktor“, in: ApuZ 13-14, S. 3-14, hier: S. 3. 10 Exportmärkte in Europa und Nordamerika ihre Funktion als Entwicklungsmotoren einbü- ßen könnten. Symptome dieser Blockbildungstendenzen waren aus der Sicht Südostasiens die – in Asien und Nordamerika oft mit dem Stichwort „Festung Europa“ belegten – Be- mühungen der Europäischen Gemeinschaft um die Realisierung des einheitlichen Binnen- marktes wie auch die Bildung der Nordamerikanischen Freihandelszone (NAFTA) und die stagnierenden GATT-Verhandlungen. All dies nährte in der ASEAN den Eindruck eines stärker werdenden Protektionismus der Industriestaaten in Europa und Nordamerika. Die ASEAN reagierte auf diese beiden weltpolitischen Entwicklungen – die erste si- cherheitspolitischer, die zweite wirtschaftspolitischer Natur – mit einer Reihe neuer Initiati- ven. Zunächst gab die Gemeinschaft ihre Vorbehalte gegenüber der Idee einer ostasiatisch- pazifischen Wirtschaftskooperation auf und stimmte 1989 der Gründung der Asia Pacific Economic Cooperation (APEC) zu. Auf Initiative Australiens, Japans und der USA mit zwölf Mitgliedern von beiden Seiten des Pazifiks gegründet, war das Forum zunächst ledig- lich informeller Natur. Seine Reichweite war interregional und sein Portfolio allein auf die Liberalisierung des Handels im Pazifik gerichtet.6 Angesichts eines Anwachsens der Insti- tution auf 21 Mitglieder, einer Ausweitung der Agenda von zunächst rein handelspoliti- schen Aspekten auf sicherheitspolitische, der Freiwilligkeit der Kooperationszusagen und einer gewollt flexiblen Gestaltung der Arrangements fällt das Urteil in der Literatur zur APEC indes recht negativ aus.7 Das gleiche gilt für eine zweite Initiative der ASEAN: 1992 nutzte die Gemeinschaft ihr viertes Gipfeltreffen in Singapur, um die Ausweitung des sicherheitspolitischen Diskur- ses im Rahmen des ASEAN Regional Forums (ARF) voranzutreiben.8 Die institutionelle Struktur des ARF spiegelt dabei die Probleme des Politikfeldes wider: Es handelt sich we- der um interregionale noch um transregionale Zusammenarbeit, sondern um die pragmati- sche Einbindung der global wichtigsten sicherheitspolitischen Akteure in ein regionales Kooperationsgeflecht. Die USA sitzen hier ebenso mit am Tisch wie die Europäische Uni- on, Russland und Indien.9 Zwar ist das ARF der ASEAN institutionell angegliedert, indem es im Anschluss an das jährliche Außenministertreffen der Gemeinschaft stattfindet. Doch führt der Einfluss der ASEAN-Normen, hier vor allem die Forderung nach einem schritt- weisen, evolutionären Prozess,10 zu einer faktischen Lähmung des Forums. Starke Vorbe- halte gegen jede weitergehende Verpflichtung insbesondere von Seiten Chinas können als Grund für diese Entwicklung angesehen werden. Die Institutionalisierung des Asia-Europe Meeting (ASEM) seit seinem ersten Treffen im März 1996 fand schließlich unter ähnlichen strukturellen Bedingungen statt wie die der APEC. Von Anfang an hatte das Forum mit einer hohen Mitgliederzahl, einer steigenden 6 Vgl. zum terminologischen Unterschied Jürgen Rüland, Cornelia Storz, Introduction, in: Jürgen Rüland, Cornelia Storz (Hrsg.): Co-Operation and Regional Integration: The case of Asia-Europe Relations, London – New York (i.E.). Julie Gilson, New Interregionalism? The EU and East Asia, in: Journal of European Integration, Nr. 3, September 2005, S. 307-326. 7 Vgl. dazu exemplarisch Ian Taylor, APEC, Globalization, and 9/11, in: Critical Asian Studies, Nr. 3, September 2004, S. 463-478. Vinod K. Aggarwal, Myin Gyo Koo, The Evolution of APEC and ASEM: Implications of the New East Asian Bilateralism, in: European Journal of East Asian Studies, Nr. 2, 2005, S. 233-261. 8 Zum Singapur-Gipfel vgl. ausführlich Antolik, Michael 1992: „ASEAN’s Singapore Rendezvous: Just Another Summit?“, in: Contemporary Southeast Asia 14,2, S. 142-153. 9 Vgl. zur institutionellen Struktur ausführlich bereits Dirk Nabers 2001: Das ASEAN Regional Forum (ARF), in: Maull/Nabers, S. 87-117. 10 Vgl. Nikolas Busse, Die Entstehung kollektiver Identitäten: Das Beispiel der ASEAN-Staaten, Baden-Baden 2000, S. 161. 11 Anzahl von Themen und beteiligten Akteuren und einer geringen Kontrolle über Koopera- tionsarrangements zu kämpfen.11 Gleichwohl erhoffte man sich vom ASEM die Ausfüllung der fehlenden Achse in der aus Nordamerika, Europa und Asien bestehenden Triade der Glo- bal Governance. Die asiatisch-europäische Achse in diesem Geflecht war kaum institutionali- siert, und so wurde sie – so könnte man lapidar formulieren – notwendigerweise erfunden.12 Indem mit der Europäischen Union in Europa eine internationale Organisation existiert, die in vielen Bereichen nach dem Mehrheitsprinzip entscheidet, in Asien eine einheitliche Linie im Vorfeld der ASEM-Gipfel jedoch kaum zu finden ist, mündet das Problem der unterschiedli- chen Kooperationskulturen allzu oft in eine institutionelle Blockade des ASEM.13 Erst mit der Asienkrise, die mit der Abwertung des thailändischen Baht im Juli 1997 begann und schnell auf die meisten Ökonomien Ostasiens übergriff, hat in Ostasien über die zuvor bestehenden Foren hinaus eine dynamische Entwicklung multilateraler Institutio- nenbildung eingesetzt, die vor allem mit dem 1997 initiierten Forum der ASEAN+3 in Zusammenhang gebracht wird. Das Forum konnte sich in den Folgejahren deutlich profilie- ren. Erstmals deutet sich in der Region zwischen Japan, China und Südkorea im Norden sowie der südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN im Süden die Herausbildung eines gemeinsamen politischen Komplexes „Ostasien“ an. Wie die Konturen dieses politi- schen Komplexes künftig aussehen werden, ist eine der spannendsten Fragen der Regiona- lismusforschung. Seit 2005 existiert in der Region mit dem East Asia Summit (EAS) ein Forum, das die Grenzen der politischen Kooperation über Ostasien hinaus auf Australien, Indien und Neuseeland ausdehnt. Einige Beobachter argumentieren, dass damit bereits eine neue Dimension des asiatisch-pazifischen Multilateralismus erreicht ist.14 Der vorliegende Band hat sich die Aufgabe gesetzt, die hier andeutungsweise skizzier- ten Entwicklungen des Multilateralismus in Ostasien umfassend zu analysieren. Dabei verfolgen wir über den empirischen Befund hinaus auch ein theoretisches Interesse: Wir wollen am Ende versuchen, die Ergebnisse in den Zusammenhang der theoretischen Ausei- nandersetzungen über den Stellenwert des Regionalismus in Ostasien einzuordnen. Neben grundlegenden Abhandlungen über Regionalisierungs- und Integrationsprozesse im asia- tisch-pazifischen Raum15 existieren insbesondere zahlreiche Arbeiten, die sich der Analyse der südostasiatischen Staatengemeinschaft ASEAN16 oder deren Beziehungen zu den nord- 11 Vgl. z.B. Hanns W. Maull, Das Asia-Europe Meeting (ASEM), in: Maull/Nabers (2001): S. 185-205. 12 Vgl. z.B. Victor Pou Serradell, The Asia-Europe Meeting: A Historical Turning Point in Relations Between the Two Regions, in: European Foreign Affairs Review, Nr. 2, 1996, S. 185-210. 13 Vgl. Loewen, Howard/Nabers, Dirk 2006: „Global Governance and the Asia-Europe Meeting (ASEM) – Any Surplus Value?“ in: Rüland, Jürgen et al. (eds.): Asian-European Relations: Building Blocks for Global Gover- nance?. London/New York 2008: Routledge, S. 95-113. 14 Vgl. als Überblick Nabers, Dirk 2008: „China, Japan and the Quest for Leadership in East Asia“, GIGA Wor- king Papers, No. 67, February 2008. 15 Mack, Andrew/Ravenhill, John (Hrsg.) 1994: Building Economic and Security Regimes in the Asia-Pacific, Canberra; Eilenberger, Guido/Mols, Manfred/Rüland, Jürgen (Hrsg.) 1996: Kooperation, Regionalismus und Integration im asiatisch-pazifischen Raum, Hamburg (Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Nr. 226); McGrew, Anthony/Brook, Christopher 1998 (Hrsg.), Asia-Pacific in the New World Order. London/New York; Dosch, Jörn/Mols, Manfred (Hrsg.) 2000: International Relations in the Asia-Pacific. New Patterns of Power, Interest and Cooperation, Hamburg/New York: Lit-Verlag; Ravenhill, John 2001: APEC and the Construction of Pacific Rim Regionalism. Cambridge: Cambridge University Press; Okamoto, Jiro (Hrsg.) 2004: Trade Liberaliza- tion and Apec. London/New York: Routledge; Morrison, Charles E./Pedrosa, Eduardo (Hrsg.) 2007: An Apec Trade Agenda? The Political Economy of a Free Trade Area of the Asia-Pacific. Singapore: ISEAS. 16 Feske, Susanne 1991: ASEAN: Ein Modell für regionale Sicherheit. Ursprung, Entwicklung und Bilanz sicher- heitspolitischer Zusammenarbeit in Südostasien, Baden-Baden: Nomos; Dosch, Jörn 1997: Die ASEAN: Bilanz 12