Regina Schwegler Moralisches Handeln von Unternehmen GABLER EDITION WISSENSCHAFT Regina Schwegler Moralisches Handeln von Unternehmen Eine Weiterentwicklung des neuen St. Galler Management-Modells und der Ökonomischen Ethik Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Harald Dyckhoff GABLER EDITION WISSENSCHAFT Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Dissertation Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 2007 D 82 1. Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © Gabler | GWVFachverlage GmbH, Wiesbaden 2008 Lektorat: Frauke Schindler /Anita Wilke Gabler ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.gabler.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbe- sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. indiesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8349-1281-7 Geleitwort V Geleitwort Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen moralischen Handelns gewerblicher Unter- nehmen ist eine aktuelle, brisante Problematik. So steht beispielsweise gemäß der Wirt- schaftsWoche (Nr. 34 vom 20.08.07, S. 51ff.) der durch Korruptionsvorfälle im Kern bedroh- te Siemens-Konzern vor einem großen Dilemma: Gelingt es dem Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher, seinen Anti-Korruptionskurs im Unternehmen konsequent zu realisieren, bricht Siemens in wichtigen Wachstumsmärkten möglicherweise das Geschäft weg. Dennoch betont Löscher laut eben diesem Zeitungsbericht: „Spitzenleistung und Ethik (cid:2) das sei kein Gegen- satz, das sei ein Muss.“ Betrachtet man allerdings die herrschende ökonomische Lehre, so scheinen Spitzenleistung und Ethik nicht zusammenzupassen. In der ZEIT (Nr. 33 vom 09.08.07, S. 44) heißt es dazu: „(D)er Markt kennt keine Moral. Er kennt nur Preissignale, den Code des Geldes und die Logik des Angebots. [...] (W)as Heerscharen von Wirtschaftsweisen Hand in Hand mit eini- gen Luhmann-Schülern als Flügeladjutanten zu predigen nicht müde werden: dass Markt und Moral, Wirtschaft und Gesellschaft unvereinbare Kontinente sind und keine Brücke von hüben nach drüben, von der Gesellschaft zur Wirtschaft führt“. Konträr dazu wird eine Woche später ebenfalls in der ZEIT (Nr. 34 vom 16.08.07, S. 28) zur Korruptionsproblematik behauptet: „Vor allem Konzerne betrachten sich mittlerweile als Teil der Gesellschaft. Sie übernehmen Verantwortung für Menschen und Umwelt, was sie in Nachhaltigkeitsberichten dokumentieren und in sozialem Engagement ausdrücken. […] Viele Konzerne haben sich neben einer Corporate Identity auch ein Wertesystem gegeben. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion gipfelt in der selbst gewählten Bezeichnung als Corporate Citizen: Ich, das Unternehmen, will mehr als ein seelenloses Gebilde sein. Ein Bürger, ein ethisch handelndes Mitglied der Gesellschaft.“ Während es in diesem Artikel um die recht- liche Schuldfähigkeit von Unternehmen geht, fordern einige in der Betriebswirtschaftslehre verbreitete Managementkonzepte sogar ein freiwilliges moralisches Verhalten von Unter- nehmen. Manche Autoren, so insbesondere der Wirtschaftsethiker Peter Ulrich von der Hoch- schule St. Gallen in seinem Konzept einer sogenannten „verständigungsorientierten Unterneh- mensführung“, postulieren gar, wirtschaftliche Ziele moralischen prinzipiell unterzuordnen, wobei sie nur bei einer Bedrohung der Unternehmensexistenz Ausnahmen zulassen wollen, ohne dafür jedoch klare Regeln angeben zu können. Diese konträren Positionen zeigen eindrücklich, in welchem schwierigen und zum Teil wider- sprüchlichen Spannungsfeld Manager agieren und Entscheidungen treffen müssen. Gleichzei- tig sind theoretisch fundierte und praktisch nützliche, gesamthafte Management-Modelle rar, die unternehmensethische Fragen zufrieden stellend beantworten und Managern so wertvolles Orientierungswissen zur Verfügung stellen könnten. Das St. Galler Management-Modell versucht, ein solches Wissen zu vermitteln, und bildet die Grundlage des Wirtschaftsstudiums an selbiger, in der Praxis renommierter Hochschule. Dabei bildet das oben genannte ethische Konzept von Peter Ulrich die normative Basis des neuen St. Galler Management-Modells der dritten Generation (Rüegg-Stürm, J. (2002): Das neue St. Galler Management-Modell: Grund- kategorien einer integrierten Managementlehre – Der HSG-Ansatz, Bern et al.). Frau Schwegler arbeitet in ihrer Dissertation jedoch heraus, dass dieser normative Anspruch im St. Galler Management-Modell nicht konsequent umgesetzt und eingehalten wird. Im VI Geleitwort Gegenteil werden vor allem bei der Ableitung von Unternehmensstrategien klassische betriebswirtschaftliche Konzepte verfolgt, die einzig auf den Markterfolg ausgerichtet sind und moralische Aspekte weitgehend negieren. Damit ist nicht nur eine praktisch bedeutsame Aufgabenstellung, sondern auch eine wichtige Forschungslücke benannt. Sie im Rahmen ihres Promotionsprojekts zumindest in wichtigen Teilen zu schließen, stellt eine große Herausforderung dar, besonders auch deshalb, weil die Wirtschafts- und Unternehmensethik (leider noch) keinen Standardlehrstoff wirtschaftswissenschaftlicher Studiengänge bildet. Die differenzierten Überlegungen von Frau Schwegler zeigen, dass die Problematik nicht einfach aufzulösen ist, vor allem wenn der unternehmensethische Ansatz von Peter Ulrich im St. Galler Modell konsistent durch einen anderen Ansatz ersetzt werden soll. Dass Frau Schwegler dies mit ihrer Dissertation überzeugend gelungen ist, unterstreicht damit aber umso mehr ihre wissenschaftliche Leistung. Sie hat mit der Aufdeckung der Inkonsistenz, der Kritik an der „Ökonomischen Ethik“ von Karl Homann und der „Governanceethik“ von Josef Wieland und deren Weiterentwicklung zu einem metatheoretisch fundierten, integrierten Ansatz sowie dessen kompatiblem Einbau in das entsprechend modifizierte neue St. Galler Management-Modell einen sehr beachtlichen wissenschaftlichen Fortschritt erzielt. Allen Interessierten kann ich deshalb die Lektüre des Buches dringend ans Herz legen. Prof. Dr. Harald Dyckhoff Vorwort VII Vorwort "Rarely do we find men who willingly engage in hard, solid thinking. There is an almost universal quest for easy answers and half-baked solutions." Martin Luther King Jr. Welche Verantwortung tragen Menschen und Unternehmen für die Folgen ihres Handelns? Wie weit ist das Eigeninteresse eines Einzelnen dem Gesamtinteresse unterzuordnen? Wie können Menschen dazu gebracht werden, ihre eigenen Existenzgrundlagen und die ihrer Kinder nicht zu zerstören? Dieses Thema beschäftigt mich schon sehr lange. In jungen Jahren engagierte ich mich für Kirche und Umweltschutz. Während meines Hauptstudiums griff ich die Frage, wie Moral und Wirtschaft miteinander in Einklang gebracht werden können, wieder auf: Welche gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind nötig, welche einzel- wirtschaftlichen Handlungen sind möglich? Dabei hat sich mit den Jahren meine Heran- gehensweise grundlegend verändert: Während ich früher der Meinung war, die Antworten zu kennen und zu wissen, was „richtig“ und was „falsch“ ist, hoffe ich, diese Schwarz-Weiß- Malerei inzwischen weitgehend hinter mir gelassen zu haben. Gibt es doch so viele Schattie- rungen, so viel Buntes im Leben und auf komplexe Fragen eben doch keine einfachen Antworten. Sicherlich ist es richtig und wichtig, die Kontraste und Pole im Leben zu kennen und aufzuzeigen. Allerdings führen allzu einseitige, extreme Ansichten und Konzepte in aller Regel nicht vorwärts, sondern schaffen Konflikte und stehen auf diese Weise einer Lösung unter Umständen sogar im Wege. Während ich in meiner Diplomarbeit das Thema nur sehr oberflächlich anschneiden konnte, bereitete es mir viel Freude, mein Forschungsinteresse im Rahmen meiner Dissertation regel- recht ausleben zu können. Eine Dissertation ist jedoch nur auf den ersten Blick das Werk einer einzelnen promovierenden Person. Tatsächlich aber unterstützte mich ein großes Netz- werk an Menschen aus meinem beruflichen und privaten Umfeld maßgeblich auf meinem nicht immer ganz einfachen Weg. Prof. Dr. Harald Dyckhoff, der meine Arbeit an der RWTH Aachen betreute, leitete mich mit viel Geduld fachlich an und förderte und begleitete mich kritisch, konstruktiv und tatkräftig. Seiner persönlichen Überzeugung, dass Gewinnerzielung Unternehmen nicht von gesell- schaftlicher Verantwortung entbindet und dass betriebswirtschaftliche Forschung und Lehre dementsprechend nicht Werte-frei sondern Werte-getragen erfolgen muss, verdanke ich es, dass ich „mein“ Thema unter seiner Anleitung untersuchen und erforschen durfte. Auch Prof. Dr. Hans-Horst Schröder unterstützte mich als Zweitgutachter und trug mein in der „klassi- schen“ Betriebswirtschaftslehre teilweise immer noch als unorthodox erachtetes Thema mit. Ebenfalls danken möchte ich Herrn Dr. Michael Arretz, Geschäftsführer der Systain Consul- ting GmbH, Hamburg, und verschiedenen seiner (inzwischen zum Teil ehemaligen) Kollegen und Mitarbeiter, von denen ich hier stellvertretend Dr. Michael König, Peer Seipold und Torben Kehne nennen möchte. Ihnen verdanke ich das spannende Fallbeispiel eines verant- wortungsvollen Unternehmens, der Otto GmbH & Co. KG. Sie gewährten mir wertvolle Einblicke in die internen Abläufe und Herausforderungen der Umsetzung eines hohen morali- schen Anspruchs in einem Unternehmen. VIII Vorwort Die Möglichkeit, mein Hobby zum Beruf zu machen, verdanke ich maßgeblich Prof. Mario Schmidt, Professor an der Hochschule Pforzheim und Direktor des dortigen Instituts für Angewandte Forschung (IAF). Während der sechs Jahre am IAF konnte ich in verschiedenen spannenden Forschungs- und Beratungsprojekten zum Umweltmanagement mitarbeiten und dank Prof. Dr. Rudi Kurz auch der Umweltökonomik im Rahmen von Forschung und Lehre treu bleiben. Diese Tätigkeiten führten mich überhaupt erst an meine Forschungsfrage heran, und es waren viele spannende fachliche Diskussionen, vor allem mit Prof. Mario Schmidt, und seine große Unterstützung, ohne die eine externe Promotion kaum möglich gewesen wäre. Darüber hinaus war mir auch das Doktorandennetzwerk nachhaltiges Wirtschaften e.V. in Form von konstruktiver fachlicher Kritik und praktischen Ratschlägen eine große Hilfe. Viele liebe Freunde schenkten mir ihre moralische und tatkräftige Unterstützung. Allen voran Nicole Reinstorf, Annett Baumast, Paul Eckert-Schwegler, Bernd Kuppinger und Thomas Zimmermann, die umfangreiche Teile meiner Arbeit Korrektur lasen und mir wertvolle sprachliche und inhaltliche Rückmeldungen gaben. Sie und viele andere Freunde begleiteten, trugen und ertrugen mich durch die zahlreichen Höhen und Tiefen dieses langen, spannenden bis mühsamen „Marathons“ hindurch. Nicht zuletzt stärkte mir meine Familie stets den Rü- cken, insbesondere meine Eltern, die mich nicht nur finanziell, sondern mit viel Liebe, Ge- duld, Zuspruch und tatkräftiger Unterstützung den langen Weg meiner Ausbildung hindurch förderten. Allen hier genannten und auch den vielen nicht genannten Menschen, die mir zur Seite standen und stehen, danke ich von Herzen. Regina Schwegler Inhaltsübersicht IX Inhaltsübersicht 1. Einleitung…………………………………………………………………………………. 1 Teil I: Metatheorien 2. Neue Institutionenökonomik…………………………………………………………….. 13 3. Neuere Systemtheorie…………………………………………………………………… 47 Teil II: Kritische Würdigung des neuen St. Galler Management-Modells 4. Geschichte des St. Galler Management-Modells………………………………………. 105 5. Modelle der dritten Generation von Rüegg-Stürm…………………………………….. 113 Teil III: Unternehmensethische Ansätze 6. Die Ökonomische Ethik von Homann…………………………………………………. 147 7. Die Governanceethik von Wieland…………………………………………………….. 189 Teil IV: Weiterentwicklung und Anwendung des neuen St. Galler Management- Modells 8. Erweiterung des theoretischen Bezugsrahmens……………………………………….. 245 9. Praxisfragen unternehmerischer Moral………………………………………………… 275 10. Synthese: Sind Wirtschaft und Moral Gegensätze?…………………………………… 341 Inhaltsverzeichnis XI Inhaltsverzeichnis Geleitwort…………………………………………………………………………………….. V Vorwort…………………………………………………………………………………….. VII Inhaltsübersicht……………………………………………………………………………… IX Inhaltsverzeichnis…………………………………………………………………………… XI Darstellungsverzeichnis……………………………………………………………………. XV Abkürzungsverzeichnis…………………………………………………………………... XVII 1. Einleitung………………………………………………………………………………… 1 1.1 Möglichkeiten und Grenzen moralischen Handelns von Unternehmen……………. 1 1.2 Das neue St. Galler Management-Modell als adäquater Bezugsrahmen…………… 5 1.3 Gang der Forschung………………………………………………………………… 6 Teil I: Metatheorien 2. Neue Institutionenökonomik…………………………………………………………... 13 2.1 Grundlagen.……………………………………………………………………….. 13 2.1.1 Gegenstand der Institutionenökonomik…………………………………… 13 2.1.2 Homo Oeconomicus………………………………………………………. 15 2.1.3 Ökonomischer Imperialismus……………………………………………... 18 2.1.4 Ökonomische Vertragstheorie…………………………………………….. 20 2.2 Marktliche Institutionen: Transaktionskostentheorie……………………………... 25 2.2.1 Ursprünge und Grundlagen der Transaktionskostentheorie………………. 25 2.2.2 Messkostenansatz………………………………………………………….. 27 2.2.3 Governancekostenansatz…………………………………………………... 31 2.3 Nicht-marktliche Institutionen…………………………………………………….. 37 2.3.1 Konstitutionelle Politische Ökonomik…………………………………….. 37 2.3.2 Property-Rights-Theorie…………………………………………………... 43 3. Neuere Systemtheorie………………………………………………………………….. 47 3.1 Eine Theorie komplexer Systeme…………………………………………………. 47 3.1.1 Grundlagen der neueren Systemtheorie…………………………………… 47 3.1.2 Grundproblem der Komplexität und Kontingenz…………………………. 49 3.1.3 Das Ganze und seine Teile: emergente Eigenschaften……………………. 56 3.2 Sinn und Grenzziehung komplexer Systeme……………………………………… 59 3.2.1 Sinn und Grenzen von Systemen………………………………………….. 59 3.2.2 Autopoiese-Konzept………………………………………………………. 61 3.2.3 Beobachtung………………………………………………………………. 64 3.2.4 Prozesse der Strukturierung: Bildung von Identität……………………….. 66 3.2.5 Strukturelle Kopplung und Resonanz……………………………………... 68 3.3 Funktionale Differenzierung und deren Probleme………………………………... 69 3.3.1 Funktionale Differenzierung der modernen Gesellschaft…………………. 69 3.3.2 Codes und Programme…………………………………………………….. 71 3.3.3 Symbolisch generalisierte Steuerungsmedien…………………………….. 73 3.3.4 Integrations- und Steuerungsprobleme……………………………………. 76 3.3.5 Intervention………………………………………………………………... 80