Mobilität älterer Menschen Antje Flade, Maria Limbourg, Bernahrd Schlag (Hrsg.) Mobilität älterer Menschen Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2001 Gedruckt auf säurefreiem und altersbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme ISBN 978-3-8100-3124-2 ISBN 978-3-663-10820-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10820-7 © 2001 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich. Opladen 2001 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Typoskript: Ines Nowak Inhalt Einführung . . .. . .. . .. .. . .. . .. . .. . .. .. .. .. .. ..... .. . .. .. . . .. .. .. . .. . .. . .. . .. . .. . .. .. . . .. .. . .. .. . .. ... 7 Teil I Allgemeine Daten Jörg Schönharting Verkehrsentwicklung in Deutschland: Auswirkungen auf ältere Menschen.......................................................................................... 13 HeikeMäder Daten zur Mobilität älterer Menschen ........... .......................... .. ........ 27 Teil II Fortbewegungsarten Werner Draeger und Dorothee Klöckner Ältere Menschen zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs................ 41 Arnd Engeln Ältere Menschen im öffentlichen Verkehr ... ... ... ... ..... ... .................... 69 Bernhard Schlag Ältere Menschen im Pkw unterwegs .................. .. ............ ................. 85 Hubert Koch Motorradfahren im Alter ......................................... ......... ...... ........ ... 99 Teil ill Gebietstypen und Siedlungsstrukturen Heidrun Mollenkopfund Frank Oswald Die Mobilität Älterer in städtischen und ländlichen Regionen Ost- und Westdeutschlands . . . . .. .. .. . .. . .. . .. . .. . .. . .. .. .. .. .. .. . . .. ... . . . .. . .. . .. .. .. . .. .. . .. . .. 111 Antje Flade und Ulrike Hacke Radfahren in der Stadt der kurzen Wege? Mobilitätsverhalten der Älteren in Städten unterschiedlicher Größenordnung....................... 127 Christian Holz-Rau Alte Menschen, Raum und Verkehr: Ist die "altengerechte" Stadt nutzungsgemischt? ............................................................................ 141 Klaus Friedrich Altengerechte Wohnungsumgehungen .............................................. 155 Teil IV Lebensbereiche Michael Geiler Ältere Erwerbstätige auf dem Arbeitsweg 169 Oo 0 00 .. o 0 00 000 0 Oo 000000000 .. 000 0 00 0 000 .. 0 Joachim Scheiner Reisen älterer Menschen: Empirische Befunde und Handlungsstrategien 183 0000000000000 000000000 000 oooooooooooooooooooooooooooooooooo 00 0 000000000 00 0 Stefan Rammler und Hans-Luidger Diene/ "Zwischen Butterbrot und Wellness" -Zur Entwicklung des Reisens im Alter ............................................................................... 199 0 Teil V Probleme im Verkehr und deren Bewältigung Maria Limbourg und Kar/ Reiter Das Verkehrsunfallgeschehen im höheren Lebensalter ..................... 211 Hans Jürgen Heinzmann Verkehrsdelinquenz älterer Menschen ... .. ......................................... 227 Amos So Cohen Leistungsanforderungen und -möglichkeiten der Senioren als Fahrzeuglenker 241 o ........... o ............. oooooooooooooooooo ........ o ................. o .... ooooo.. Bernhard Schlag und Arnd Engeln Kompensationsmöglichkeiten und Bewältigungsstrategien im Alter 259 Michael Emsbach Aktivierende Verkehrssicherheitsarbeit mit älteren Menschen......... 273 Autorinnen und Autoren 285 Einführung Ein Buch mit dem Titel "Mobilität älterer Menschen" muss hohe Erwartun gen wecken, da es sich zugleich mit zwei bedeutsamen gesellschaftlichen Fragestellungen befasst: dem Thema "Mobilität" und der demographischen Entwicklung. Mobilität wird in dem vorliegenden interdisziplinären Buch nicht nur als beobachtbares, direkt quantiflzierbares Phänomen etwa in Form der Zahl der zurückgelegten Kilometer oder Wege aufgefasst, sondern viel mehr als Qualität im Sinne von Möglichkeiten und Spielräumen einer Person, zwischen Zielen, Zeitpunkten, Routen und Verkehrsmitteln wählen zu kön nen. Eine Person, die in ihren räumlichen und zeitlichen Bezügen Spielräume besitzt, verfugt über die Beweglichkeit, die fiir ein selbstbestimmtes Leben sowie fiir eine aktive Auseinandersetzung mit Umweltanforderungen erfor derlich ist. Probleme, die sich im Zusammenhang mit älteren Autofahrern und Auto fahreinnen stellen, sind seit Beginn der 90er-Jahre zunehmend ins Blickfeld gerückt. Das wachsende Forschungsinteresse lässt sich an der Vielzahl von Publikationen und Kongressen zu diesem Thema belegen. Der wesentliche Grund ist die demographische Entwicklung in der westlichen Welt in Rich tung einer "alternden Gesellschaft", in der der Anteil älterer Menschen höher ist als je zuvor. Inzwischen sind es längst nicht mehr nur die älteren Men schen am Steuer eines Pkw, auf die sich die Fragen von Forschung und Pra xis richten, sondern allgemein die älteren Menschen, die, wie die jüngeren Altersgruppen, mobil sein wollen und mobil sein müssen, um Ziele, die nicht immer "gleich um die Ecke" liegen, erreichen zu können. Es geht um Le bensqualität sowie die Aufrechterhaltung von Wahlfreiheit und Selbstbe stimmtheit Dazu sind nicht nur die täglichen Ortsveränderungen zu rechnen, sondern im weiteren Sinne auch ein Wechsel des Wohnstandorts. In einer Gesellschaft, in der Themen wie die nachhaltige Stadtentwicklung und die soziale Stadt eine zentrale Position einnehmen, interessiert man sich zuneh mend dafiir, warum nicht viel häufiger umweltfreundlichere Verkehrsmittel genutzt werden. Wie kann deren Attraktivität gesteigert werden? Sind öffent liche Verkehrsmittel eigentlich "altengerecht", sodass es älteren Menschen nicht schwer fällt, vom Pkw auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen? Ältere Menschen, die sich in nicht-motorisierter Form oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen, rücken ins Blickfeld. Wie mobil Menschen sind, hängt wesentlich auch von den räumlichen Bedingungen ab. Das bedeutet, dass in Systemzusammenhängen gedacht werden muss. Mobil ist danach nicht die Person, die weite Strecken zurück legt, sondern diejenige, die, wenn es erforderlich ist oder wenn sie es will, verschiedene Ziele in kurzer Zeit ohne Pkw erreichen kann. Dies gelingt bei bestimmten Siedlungsstrukturen besser als bei anderen. Diese Erkenntnisse sollen in dem vorliegenden Buch vermittelt werden. 8 Einfohrung Der natürliche menschliche Alterosprozess bringt Veränderungen der Mobilitätsbedürfnisse und Mobilitätsprobleme mit sich. Der gesellschaftliche Altemsprozess, bedingt durch die demografische Entwicklung, macht es erforderlich, rechtzeitig strukturelle Mobilitätsbedingungen an die Fähigkei ten und Bedürfnisse der wachsenden Zahl älterer Menschen anzupassen. Dabei geht es einmal um eine Beschreibung von Umfang und Art ihrer Ver kehrsteilnahme, zum anderen um mögliche Folgen der Verkehrsteilnahme, wie Unfälle und Auffälligkeiten im Vergleich zu anderen Altersgruppen, und zum Dritten vor allem um gesellschaftliche und persönliche Hintergründe der Mobilität im Alter. Denn Mobilitätsentscheidungen sind, ebenso wie das V erhalten bei der Verkehrsteilnahme selbst, verankert sowohl in Umweltan forderungen (Wohnsituation, Mobilitätserfordemisse, Erreichbarkeiten) wie auch in individuellen Entwicklungsverläufen. So wird ein großer Teil der zukünftigen Generationen älterer Menschen das ganze Leben lang (auch) unterwegs gewesen sein-warum sollten sie dies im Alter aufgeben? Bedürf nisse und Wünsche auf der einen Seite und mögliche alters- und gesundheits bedingte Leistungseinschränkungen auf der anderen Seite könnten zukünftig vermehrt zu Entscheidungskonflikten führen. Auf der Grundlage dieser Problemanalysen werden Lösungsansätze vor gestellt, die sowohl die Plastizität und Adaptationsfähigkeiten des älteren Menschen selbst wie auch gesellschaftliche Veränderungstendenzen und strukturelle Anpassungsnotwendigkeiten berücksichtigen. Wie lässt sich eine zugleich bedürfuisgerechte und sichere Mobilität im Alter gestalten? Welche individuellen Leistungen können erwartet und welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden? Dabei ergänzen sich An sätze aus der Stadt- und Verkehrsplanung, der Verkehrssicherheitsarbeit, der Verkehrspsychologie, der Gerontologie, der Soziologie und den Erziehungs wissenschaften. Im ersten Teil geht es um Daten zur Verkehrsentwicklung in Deutsch land und zur Mobilität älterer Menschen. Jörg Schönharting analysiert Ursa chen und Auswirkungen der Verkehrsentwicklung in Deutschland und wagt dabei auch einen Blick in die Zukunft. Heike Mäder beschreibt anhand stati stischer Daten die Entwicklung von Führerscheinbesitz, Pkw-Verftigbarkeit, Fahrleistung und Fahrtzwecken bei älteren Menschen. Bestätigt wird auch ftir ältere Menschen eine deutliche Präferenz fiir den Pkw, soweit denn ein Auto zur Verfügung steht: Genau dies wird bei älteren Menschen in Zukunft weit aus häufiger der Fall sein. Der zweite Teil beschäftigt sich mit unterschiedlichen Fortbewegungs arten: Ältere Menschen zu Fuß und mit dem Fahrrad unterwegs, als Nutzer des öffentlichen Verkehrs, als Pkw-Fahrer und als Motorradfahrer. Vorrang haben dabei zunächst die "schwächeren" Arten der Verkehrsteilnahme. Wer ner Draeger und Dorothee Klöckner betrachten die Bedeutung des Radfah rensund des Zufußgehens im Alter. Sie geben vor allem aus stadt-und ver kehrsplanenscher Sicht konkrete Hinweise zur Gestaltung fußgängerfreundli- Einfiihrung 9 eher und radfahrerfreundlicher Verkehrsbedingungen, bei denen Möglich keiten und Grenzen älterer Menschen in diesen Verkehrsteilnahmerollen besser berücksichtigt werden. Arnd Engeln befasst sich in seinem Beitrag mit älteren Menschen bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Das Mobili tätserleben, das Verhalten während der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und Zugangsbarrieren werden beschrieben und ergänzt durch konkrete Ver besserungshinweise. Bernhard Schlag berichtet über systematische Beob achtungen des tatsächlichen Fahrverhaltens von älteren Menschen im Pkw und ergänzt diese Verhaltensbeobachtungen durch die Analyse altersspezifi scher Unfallmuster. Hieraus ergeben sich Hinweise auf Problemschwer punkte älterer Kraftfahrer. Hubert Koch analysiert die Situation älterer Mo torradfahrer, ein bislang kaum behandeltes Thema. Lassen sich Mobilitätsanforderungen an ältere Menschen genauer be schreiben, die aus den Siedlungsstrukturen und der Wohnsituation erwach sen? Dies ist Gegenstand des dritten Teils, in dem sowohl ökologische Le benssituationen im Alter wie auch Möglichkeiten ihrer Verbesserung disku tiert werden. Heidrun Mollenkopf und Frank Oswald vergleichen die Mobi lität älterer Menschen einmal zwischen städtischen und ländlichen Regionen und zum anderen zwischen Ost- und Westdeutschland. Unterschiedliche Entwicklungen fUhren hier zu unterschiedlichen Mobilitätsproblemen. Sied lungsstrukturelle Hintergründe, persönliche Motive und Probleme des Rad fahrens im Alter untersuchen, differenziert fiir unterschiedliche Stadttypen, Antje Flade und Ulrike Hacke. Sind die Umfeldbedingungen günstig, so ist Radfahren auch im Alter eine gerne und häufig gewählte Option. Ebenfalls fiir unterschiedliche Wohngebiete untersucht Christian Holz-Rau die Zu sammenhänge zwischen Bedürfnissen älterer Menschen, ihrer Raumnutzung und ihrer Mobilität. Nutzungsgemischte Quartiere kommen den Bedürfnissen älterer Menschen dabei weit mehr entgegen als großflächige Zersiedlungsge biete im Umland von Städten, in denen die Versorgungssituation vor Ort wesentlich schlechter ist und zugleich eine zureichende Anhindung mit öf fentlichen Verkehrsmitteln oft fehlt. Klaus Friedrich befasst sich mit dem Thema Wohnen, das er allgemein defmiert als alle Interaktionen des Indivi duums mit seiner sozialen und baulichen Umwelt. Die Möglichkeiten räumli cher Teilhabe bestimmen die W ohnqualität. Im vierten Teil geht es dann um zwei zentrale Lebensbereiche: die Ar beitswelt und die Freizeit. Die Bedeutung des erstgenannten Bereichs nimmt im Alter ab, die des zweiten zu. Michael Geiler betrachtet ältere Erwerbstäti ge auf ihrem Arbeitsweg. Verkehrsbeteiligungs- und Unfalldaten führt er zu Risikokennziffern zusammen. Danach weisen die Erwerbstätigen dieser Al tersgruppe die expositionsbezogen niedrigsten Risikokennwerte auf. "Nach der Arbeit das Vergnügen" - fiir die Zeit nach ihrer Pensionierung nehmen sich die meisten älter werdenden Menschen die Realisierung lang gehegter Reisewünsche vor. Nach Beendigung des Arbeitslebens verringert sich die Mobilität oft nicht im erwarteten Maße - sie verändert sich. Joachim Schei- 10 Einfohrung ner stellt empirische Daten vor und berichtet über Untersuchungen zum Rei sen im Alter. Danach ist zu erwarten, dass der Seniorentourismus in Zukunft weiter ansteigen wird. Stefan Rammler und Hans-Luidger Dienel analysieren Veränderungen in den Reisestilen und Reiseträumen älterer Menschen. Wie sieht es nun mit den konkreten Problemen älterer Menschen im Ver kehr aus und wie bewältigen ältere Menschen solche Probleme? Im fiinften Teil stellt Amos S. Cohen die Leistungsanforderungen und Leistungsmög lichkeiten älterer Menschen beim Autofahren dar. Dass Altem in der Mehr heit ungünstige psychophysische Entwicklungen mit sich bringt, ist zwar durchaus bekannt. Was das jedoch fiir die Verkehrsteilnahme insbesondere das Autofahren bedeutet, weiß man nicht so genau. In der Verkehrsunfallsta tistik schlägt sich ein erhöhtes Risiko älterer Menschen bisher nicht nieder, berichten Maria Limbourg und Karl Reiter. Sind ältere Menschen an einem Unfall beteiligt, so sind allerdings die Folgen besonders schwer wiegend. Berücksichtigt man zudem die geringere Exposition beispielsweise älterer Menschen als Autofahrer, so sehen die relativen Unfallzahlen vor allem im höheren Alter keineswegs mehr günstig aus. Zudem ist das Unfallrisiko zwi schen den verschiedenen Arten der Verkehrsteilnahme deutlich unterschied lich. Auch durch Verkehrsübertretungen fallen Ältere derzeit weniger auf als Jüngere. Auffällig sind ältere Autofahrer allerdings bei Vorfahrtsdelikten. Wenn es auf der einen Seite teilweise ungünstige psychophysische Verände rungen im Alter gibt, auf der anderen Seite jedoch keine besondere Auffal ligkeit im Unfallgeschehen und bei der Verkehrsdelinquenz vorliegt, stellt sich die Frage nach den Kompensationsmöglichkeiten fiir ungünstige Ent wicklungen im Alter: Wie bewältigen ältere Menschen die Veränderungen in ihren persönlichen Lebensbedingungen und in den situativen Anforderungen? Bernhard Schlag und Amd Engeln stellen konkrete Bewältigungsstrategien dar und beleuchten auf Grund empirischer Befunde deren Bedeutung bei der Mobilität insgesamt und beim Autofahren im Besonderen. Abgeschlossen wird der Band durch einen Beitrag von Michael Erosbach zu konkreten Verkehrssicherheitsprogrammen fiir ältere Menschen. Um den Mobilitätsansprüchen älterer Menschen gerecht zu werden und ihre Kompe tenzen besser nutzen zu können, ist eine aktivierende Verkehrssicherheitsar beit angebracht. Die Erhaltung und Verbesserung der individuellen Kompe tenzen und Bewältigungsmöglichkeiten auf der einen Seite und eine verstärkt an Bedürfnissen und Fähigkeiten der wachsenden Zahl älterer Menschen orientierte Gestaltung des Lebensumfelds und der Mobilitätsangebote auf der anderen Seite dienen der Gewährleistung der Mobilität älterer Menschen. Es sollte ihnen nicht schwer gemacht werden, Ziele zu haben und diese zu ver folgen. Die Herausgeberinnen Darmstadt/Essen/Dresden im Mai 2001