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Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft PDF

76 Pages·2014·1.696 MB·German
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19007 Nummer 179 | März 2014 1. Quartal | 46. Jahrgang MITTEILUNGEN DER KARL -MAY-GESELLSCHAFT Inhaltsverzeichnis Rainer Jeglin In eigener Sache 1 Gedenkblatt für die 2013 verstorbenen 2 Mitglieder Albrecht Götz von Die wundersamen Wandlungen des Dr. 3 Olenhusen/Jür- Erich Wulffen gen Seul Staatsanwalt, Kriminalpsychologe, Berater und Forscher ›in Sachen May‹ Lothar Greunke ›Edel-‹ versus ›Übermensch‹ 11 Vergleich der ethischen Visionen von Karl May und Friedrich Nietzsche (Teil 2) Eckehard Koch Winnetous und Old Shatterhands Bluts- 25 brüderschaft Eine These für Karl Mays Quelle Rudi Schweikert Sich einen Namen wählen (7): Zarba 31 Willi Vocke Hinter den Spiegeln 34 Zu Karl Mays später Erzählung Abdahn Effendi Peter Essenwein Stolpersteine auf dem Weg zum Silber- 47 see (2) Aufgelesen … 63 … aus Arno Schmidts ›Abu Kital‹ Jörg-M. Bönisch/ Die Karl-May-Stummfilme und die 64 Gerd Hardacker Ustad-Film GmbH im Spiegel der Film- zeitschriften 1920/21 (Teil 8) Unser Titelbild Titelseite von Karl Mays Reiseerzählung Abdahn Effendi, die 1909 als Band 3/4 des Bibliothek Saturn im Neuen literarischen Institut, Stutt- gart, erschien (Archiv: privat). Das Titelbild und die Textillustrationen stammen von Theodor Volz. Zu dieser Reiseerzählung Karl Mays vgl. auch den Beitrag von Willi Vocke im vorliegenden Heft. In eigener Sache Am 18. Januar jährte sich der Hefts das Hoch- hundertste Geburtstag von literarische und Arno Schmidt. Karl May und Arno in Graden Mysti- Schmidt – dies ›und‹ begleitete die sche bei May, das Karl-May-Gesellschaft lange Zeit auch Vergleiche und dürfte in fast fünfzigjähriger mit anderen Geis- Distanz immer noch gemischte tesgrößen recht- Gefühle und Gedanken auslösen. fertigt. Lothar Die einen kritisieren Schmidt we- Greunk e setzt gen des Sitara-Buches von 1963 seine Überlegun- und der darin vorgetragenen The- gen zu möglichen se, Mays literarischer Kosmos sei Wechselbezie- „Produkt einer Eros-Verdrängung hungen von Mays Zeichnung Arno nicht alltäglichen Ausmaßes“ und Edelmenschen-Programm zu Schmidts auf der in den ausfabulierten Landschaf- Nietzsches Übermenschen fort. Rückseite der Ta- ten lägen nichts als (homo-)sexu- Und wie ›tiefsinnig‹ und artifiziell schenbuchausga- be von ›Sitara und ell inspirierte Organabbildungen in der von Schmidt gelobten Po- der Weg dorthin‹ vor; die anderen schätzen Schmidt lyphonie der Leseebenen der alte (Frankfurt a. M. aufgrund dessen unbestreitbarer May als veritabler Parabel-Dichter 1969) Verdienste um die Aufwertung vorging, führt uns Willi Vocke in Karl Mays, die ihn aus der Sphäre seiner Interpretation von Abdahn des bloß Trivialen befreite. War es Effendi vor Augen. doch Arno Schmidt, der zwar den May aus der Zeit vor 1900 einer- Nicht alle May-Liebhaber teilen seits als einen „Koloß an Würst- die von Arno Schmidt in Gang ge- chen“ schmähte, andererseits den setzte Erhöhung des Alterswerks. alten May zum letzten „Großmys- Vor bald achtzig Jahren lieferte tiker“ innerhalb der deutschen Ernst Bloch vorab den Kontra- Literatur emporhob. Eine solche punkt: „Erst in den späten Bü- enthusiastische Rehabilitierung chern wurde May verschroben und prägte auch die Gründungspha- privat, die Naivität war hin und er se der KMG, die die Pflege des symbolisierte […], übergoß mit Alterswerkes als einen wichtigen Bedeutungen aus billigem Fett, Zweck des Vereins proklamierte. selbst die Pferde mußten dazu Mays Aufnahme in den Kanon der herhalten, sinnbildlich zu sein.“ ›Hochliteratur‹ – dieser Schlacht- (›Erbschaft dieser Zeit‹, 1935). ruf ist also ohne Arno Schmidt Möge diese gewaltige Spanne in nicht recht denkbar gewesen. der Bewertung einzelner Werk- komplexe unseres Maysters den Neben wie üblich thematisch bunt Diskurs weiter befruchten! gemischten Aufsätzen betonen einige Beiträge des vorliegenden Rainer Jeglin Mitteilungen der KMG Nr. 179/März 2014 1 Gedenkblatt für die 2013 verstorbenen Mitglieder (vgl. M-KMG Nr. 175/März 2013, S. 2)  Volker Franke Max Ruh Berlin Schaffhausen (Schweiz) 1953–2013 1938–2013 Hanns H. Kluck Lothar Schmid Rheine Bamberg 1942–2013 1928–2013 Karl-May-Verleger Jürgen Köhlert Nachruf in M-KMG Hamburg Nr. 177, S. 1ff. 1934–2013 Peter Lange Thomas Schramke Winsen Cottbus 1945–2013 1963–2013 Dr. Gustav Preininger Lothar Titze Graz (Österreich) Minden 1929–2013 1961–2013  2 Mitteilungen der KMG Nr. 179/März 2014 Albrecht Götz von Olenhusen/Jürgen Seul Die wundersamen Wand- lungen des Dr. Erich Wulffen Staatsanwalt, Kriminalpsychologe, Berater und Forscher in ›Sachen Karl May‹ Erich Wulffen (1862–1936) Wulffen als Staatsanwalt im ist sowohl aus der Geschich- Ermittlungsverfahren gegen te der Karl-May-Biografie als auch May seiner Rezeptionsgeschichte be- kannt. Weniger deutlich wurden Die erste Berührung mit Karl May bislang innerhalb der Forschung vollzog sich in Wulffens Funkti- die verschiedenen Wandlungen on als Staatsanwalt. So war er es, aufgezeigt, die Wulffen in seiner der sich in dieser Rolle mit einem Haltung gegenüber Karl May Ermittlungs- und Strafverfahren und den Umgang mit dessen li- gegen Karl May im Zusammen- terarischen Erbe eingenommen hang mit der Scheidung von sei- hatte. Ein besonders schwieriger ner ersten Ehefrau Emma Pollmer Aspekt bildete dabei vor allem das Verhältnis des Juristen zu Klara S. 10–24; Albrecht Götz von Olen- May (1864–1944) als lebenslan- husen: Erich Wulffen als Kriminologe. ge Gralshüterin des literarischen In: M-KMG 136/2003, S. 13–15; Erbes ihres Gatten. Im Folgenden Peter Becker: Verderbnis und Entar- tung: Eine Geschichte der Kriminolo- erfolgt eine Skizzierung der ein- gie des 19. Jahrhunderts als Diskurs zelnen Wandlungen. Auf eine aus- und Praxis. (Veröffentlichungen des führliche Darlegung von Wulffens Max-Planck-Instituts für Geschichte beruflichen wie privaten Lebens- 176) Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 2002; Hans-Dieter Stein- weg soll an dieser Stelle verzichtet metz: Ein vielseitiger Staatsanwalt. In: und auf frühere Forschungsergeb- M-KMG 39/1979, S. 27–29; Alex- nisse1 verwiesen werden. ander Baumgarten/Hugo Dingeldey (Hg.): Erich Wulffen. Festschrift zu seinem 70. Geburtstag. Berlin 1932; 1 Volkmar Sigusch: Erich Wulffen Albrecht Götz von Olenhusen/Jür- (1862–1936). In: Volkmar Sigusch/ gen Seul: Der Kriminologe Erich Günter Grau (Hg.): Personenlexikon Wulffen und ›Karl Mays Inferno‹. der Sexualforschung. Frankfurt und Zum Verhältnis von Kriminologie, New York 2009, S. 783–788; Jürgen Kriminalpsychologie und Literatur. Seul (Hg.): Erich Wulffen: Kriminal- In: Christian Bachhiesl (Hg.), Ta- psychologie und Psychopathologie gungsband von ›100 Jahre Krimi- in Schillers Räubern. (Juristische nologie in Graz. Kriminologische Zeitgeschichte. Abteilung 6: Recht Entwicklungslinien interdisziplinär in der Kunst – Kunst im Recht, Band betrachtet‹ (Im Erscheinen). Der Bei- 32) Berlin 2007; ders.: Erich Wulf- trag basiert auf einem Vortrag, der am fen – Ein Leben zwischen Kunst und 19.10.2012 bei diesem Internationa- Verbrechen. In: M-KMG 153/2007, len Kongress in Graz durch A. G. v. S. 6–23 und M-KMG 154/2007, O. gehalten worden ist. Mitteilungen der KMG Nr. 179/März 2014 3 (1856–1917) zu befassen hatte. ner beamteter Jurist. Er verstand Dadurch gewann er intime Ein- sich auch als Kriminalpsychologe blicke in Mays kriminelles Vor- und Kriminologe. Während er leben. Ein Ermittlungsverfahren zunächst noch stärker den Tradi- gegen den Schriftsteller aus dem tionen der Kriminologie des 19. Jahre 1903 war 1909 in Dresden Jahrhunderts verhaftet war, kam aufgrund neuer, angeblich beleg- er innerhalb der neueren krimi- ter Anschuldigungen wieder auf- nalwissenschaftlichen Entwick- genommen worden. lungen allmählich zu moderneren Auffassungen. Er war ein unge- Der Vorwurf ging auf Betrug: mein produktiver Schriftsteller. May hätte sich, um seine Ehe- So kam es, dass er, da er auch Li- scheidung von Emma zu errei- teraturwissenschaft studiert hatte, chen, täuschender spiritistischer sich auch vielfach mit literarischen Handlungen, gemeinschaftlich Werken aus juristisch-kriminal- mit ihrer und seiner Freundin psychologischer Perspektive be- und alsbald zweiten Ehefrau fasste. Davon zeugen Arbeiten Klara, aufs Wirksamste bedient. wie Studien zu Ibsen4, Schiller5 Aber Wulffen hielt Emma für oder Shakespeare6. unglaubwürdig. Er begründete dies mit Emmas „nicht normaler Seine dienstlich erworbenen Gemütsverfassung“2. Kenntnisse über Mays Straftaten verwertete Wulffen sogleich in In dieser ersten Phase der Be- seinem Werk über die „Psycholo- schäftigung mit Karl May zeigte gie des Verbrechers“7. Dort nann- sich Wulffen als juristischer Sach- bearbeiter, der sich völlig unvor- Dresden 1905; Psychologie des Ver- eingenommen mit der Angele- brechers. Berlin 1908. genheit auseinandersetzte. Sein 4 Erich Wulffen: Ibsens Nora vor dem Strafrichter und Psychiater. Halle Gesamtverhalten erwies sich als 1907. juristisch einwandfrei, und auch 5 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie im Nachhinein lässt sich eine be- und Psychopathologie in Schillers sondere Anteilnahme für den Fall Räubern. Berlin 1907. 6 Erich Wulffen: Shakespeares große nicht feststellen. Verbrecher: Richard III., Macbeth, Othello. Berlin 1911. 7 Erich Wulffen: Psychologie des Ver- Karl May im kriminologi- brechers. Ein Handbuch für Juristen, Ärzte, Pädagogen und Gebildete schen Werk von Wulffen aller Stände. 2 Bände. (Enzyklopä- die der modernen Kriminalistik. Bd. Wulffen war ein schon früh durch I/II) Groß-Lichterfelde 1908. Wulf- bemerkenswert vielseitige Ver- fens Enzyklopädie korrespondiert vielfach mit den Werken des Grazer öffentlichungen3 hervorgetrete- Strafrechtlers und Kriminalwissen- schaftlers Hans Gross, dessen For- 2 Siehe Strafverfahren ./. Karl May und schungen auch in Wulffens Studien Klara May. Kgl. Landgericht Dresden, rezipiert werden. Siehe zu Hans Gross AZ: St. VIII 201.09. Christian Bachhiesl: Zur Konstrukti- 3 U. a. Erich Wulffen: Handbuch für on der kriminellen Persönlichkeit. Die den exekutiven Polizei- und Krimi- Kriminalbiologie an der Universität nalbeamten. Dresden, 1905; Straf- Graz. Hamburg 2005; ders.: Wulffen gesetzbuch für das Deutsche Reich. ’07 revisited, in: M-KMG 156/2008, 4 Mitteilungen der KMG Nr. 179/März 2014 te er zwar nicht den Namen Karl bloßstellte.10 Der bekanntlich ge- Mays. Doch seine Hinweise auf fährlichste Gegner von May, der einen Schriftsteller, der „die glän- in vieler Hinsicht äußerst dubiose zendsten Reisebeschreibungen Journalist Rudolf Lebius (1868– von Ländern, die er nie gesehen, 1946), machte sich diese Äuße- deren Natur er nur aus Büchern rungen Wulffens zunutze. Er ver- studiert hat“8, waren unmissver- breitete sie auf einem Flugblatt ständlich. Wulffen beschrieb in ›Der Fall May und die Presse‹11 zwar allgemeiner Form, aber doch in der Öffentlichkeit. Auch in sei- mit so vielen Details das Vorleben nem Buch ›Die Zeugen Karl May und die Werke des Schriftstellers, und Klara May‹12 nutzte er viele dass sich jeder Leser des Hand- Passagen aus Wulffens Werken. buchs, einer zweibändigen Enzy- klopädie der modernen Krimina- listik, ein klares Bild zu machen Psychopathologie und Genie vermochte, wer hier gemeint war. Wulffen sah feine psychologische Wulffen hatte 1910 ein Buch Zusammenhänge zwischen dem ›Gauner- und Verbrechertypen‹13 ehemaligen Verbrechertum und veröffentlicht, gegen das sich May den Werken des noch lebenden in seiner im gleichen Jahr erschie- sehr bekannten deutschen Schrift- nen Autobiographie Mein Leben stellers. Diese würden sich hier und Streben zur Wehr setzte. Er „aktenmäßig nachweisen“9 lassen. wendete sich mit verständlicher- Derartige scheinbar allgemein ge- weise heftiger Empörung gegen haltenen und in Wahrheit durch den sächsischen Staatsanwalt, die genannten Umstände gar diesen ironisch von ihm als krimi- nicht anonymisierten Anspielun- nalistischen Menschenfreund und gen aus amtlichen Quellen und Seelenforscher apostrophierten Vorstrafenregistern zielten zwei- fellos auf May. Es war also höchst 10 Aus der umfänglichen Literatur zum problematisch, auch nach dama- Schutz des Persönlichkeitsrechts siehe liger Rechtsauffassung, wenn ein nur die zeitgenössische Stimme von mit Ermittlungsakten und Vor- Josef Kohler: Urheberrecht an Schrift- werken und Verlagsrecht. Stuttgart strafenakten dienstlich befasster 1907, S. 15f.: Die Persönlichkeit „hat Staatsanwalt unter dem Mantel auch das Recht, zu verlangen, daß der Wissenschaft eine bekann- ihre vertraulichen Seiten nicht in einer te Persönlichkeit aufgrund von der menschlichen Lebensführung wi- dersprechenden Weise an die Öffent- ihm als ermittelnder Staatsanwalt lichkeit gezogen werden.“ Vgl. ferner in Dresden zugänglichen Akten Klaus Martin: Das allgemeine Persön- lichkeitsrecht in seiner historischen Entwicklung. Hamburg 2007. 11 Rudolf Lebius: Der Fall May und die S. 51–59. Presse (Flugblatt vom 12.06.1910). 8 Erich Wulffen: Handbuch für den Berlin 1910. exekutiven Polizei- und Kriminalbe- 12 Rudolf Lebius: Die Zeugen Karl May amten. Dresden 1905; ders.: Straf- und Klara May. Ein Beitrag zur Kri- gesetzbuch für das Deutsche Reich. minalgeschichte unserer Zeit. Berlin- Dresden 1905, und Psychologie des Charlottenburg 1910; Reprint Lüt- Verbrechers. wie Anm. 7, Bd. II, jenburg 1991. S. 314f. 13 Erich Wulffen: Gauner- und Verbre- 9 Ebd. chertypen. Groß-Lichterfelde 1910. Mitteilungen der KMG Nr. 179/März 2014 5 wissenschaftlichen Publizisten: der lener Dissident Sigmund Freuds, jetzt, nach 40 Jahren [...] hier mei- mit den Zusammenhängen zwi- ne Seele öffentlich vernichtet und schen Dichtung und Hochstape- einen literarischen, moralischen lei befasst: „Alle drei – Psychopa- und materiellen Mord an mir be- then, Kriminelle, Geniale – leiden geht, dessen Widerrechtlichkeit ge- an egozentrischer Betrachtung radezu zum Himmel schreit!14 und Zielsetzung, die aber beim Genialen in seinem ›Werk‹ auch Wir wissen nichts darüber, wie eine objektive sachliche Erwei- Wulffen darauf reagierte. Aber die terung finden“,15 und: „Dass in weitere Entwicklung der Bezie- Kunst und Kulturgeschichte nicht hung bietet mehr als nur Indizien viele kriminelle Ausbrüche Genia- für seine veränderte, differenzier- ler zu verzeichnen sind, liegt dar- tere, wenn auch in Bezug auf die an, dass bei ihnen die kriminellen persönlichkeitsrechtliche Seite Regungen im psychisch verwand- des Casus immer noch problema- ten genialen Schaffen mit aufge- tische Haltung. zehrt werden.“16 Wulffen hatte im Anschluss an den Die Debatte wurde durch eine italienischen Arzt und Forscher Reihe von Beiträgen, etwa auch Cesare Lombroso (1835–1909) Abhandlungen über Genie und wohl zunächst auch an das Kon- Neurose oder durch Hinweise zept und die angeblich wissen- aus der Literatur über Bezüge schaftlich begründete Konstrukti- zwischen normabweichenden bis on eines ›geborenen Verbrechers‹ kriminellen Verhaltens und be- geglaubt. Aber seine Ansichten deutenden Persönlichkeiten be- erfuhren im Laufe der Jahre eine reichert. wundersame Wandlung. In einem Roman über Georges Manulescu Die öffentliche Diskussion um (1871–1908), einen bekannten Karl Mays Vorstrafen erreichte internationalen Hochstapler und ihren Höhepunkt mit dem Moa- Heiratsschwindler, klang alles nun biter Berufungsverfahren, das am doch durchaus anders und gemä- 18. Dezember 1911 gegen Le- ßigter. Hier konnte er auf einmal bius zu einem siegreichen Ende die „positive Nachbarschaft“ ei- für den Schriftsteller führte. Le- nes großen Dichters wie Karl May bius durfte fortan nicht mehr be- zum Verbrechen sensibler und haupten, dass May ein ›geborener durchaus freundlicher würdigen. Verbrecher‹ sei.17 Es folgte Mays Inzwischen hatte sich z. B. auch der Wiener Psychoanalytiker Wil- 15 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie. helm Stekel (1868–1940), ein Psychologie des Täters. Ein Hand- buch für Juristen, Justiz-, Verwal- früher Schüler und dann abgefal- tungs- und Polizeibeamte, Ärzte, Pädagogen und Gebildete aller Stän- 14 Karl May: Meine Beichte, Erste Fas- de. Berlin 1926. S. 258. sung vom 28. Mai 1908, Erstabdruck 16 Ebd.; zu Stekel siehe Albrecht Götz bei Lebius, wie Anm. 1, S. 4–7; die von Olenhusen: „Haben Sie Tagträu- teilweise veränderte zweite Fassung me?“ Karl May und Wilhelm Stekel: (mit den Varianten der ersten Fas- In: M-KMG 137/2003, S. 22–30. sung) ist neuerdings abgedruckt in 17 Siehe Claus Roxin: Ein ›geborener LuS-HKA, S. 309–315. Verbrecher‹. Karl May vor dem kö- 6 Mitteilungen der KMG Nr. 179/März 2014 erfolgreicher Wiener Auftritt An- Bis Anfang der 1920er Jahre hatte fang 1912 im Wiener Sofiensaal, sich Klara May in geschäftlichen der gleichfalls und in verstärk- Angelegenheiten vor allem durch tem Maße zu einer veränderten den früheren Karl-May-Rechtsan- Einstellung der Öffentlichkeit walt Rudolf Netcke (1872–?) als gegenüber May führte. Er und auch durch den Nationalökono- Klara, wie auch sein damaliger men Dr. Johannes März (1878– Verleger Friedrich Ernst Fehsen- 1936) beraten lassen. feld (1853–1933), durften hof- fen, dass es jetzt wieder aufwärts Seit dem 1. Oktober 1920 war gehen werde. Erich Wulffen Ministerialrat im Sächsischen Justizministerium Vor allem nach Mays Tod änder- und gehörte aufgrund seiner te sich in verschiedener Hinsicht gesamten dienstlichen wie lite- die Haltung der literarischen Öf- rarischen Tätigkeiten zu den be- fentlichkeit, der Wissenschaft und deutendsten Juristen seiner Zeit. des Publikums in Teilen grundle- Aufgrund dieses Renommees gend. Das war nicht zuletzt auch avancierte er sehr schnell zu Kla- das Verdienst des neuen Verlegers ra Mays neuem Vertrauensmann Euchar Albrecht Schmid (1884– und Rechtsbeistand. Und es dau- 1951) und seiner geschickten erte nicht lange, dass er in aktu- publizistischen und wissenschaft- elle Streitigkeiten zwischen Klara lichen Strategie nach der zusam- und E. A. Schmid wegen gesell- men mit Klara May und Friedrich schaftsvertraglicher Meinungs- Ernst Fehsenfeld erfolgten Grün- verschiedenheiten hineingezogen dung des Karl-May-Verlages im wurde. Jahr 1913. Der Jurist übernahm die Ausar- beitung einzelner vertraglicher Wulffen und Klara May Übereinkünfte – vor allem die Zukunft der Villa Shatterhand Acht Jahre nach Karl Mays Tod und des Karl-May-Nachlasses be- lernte dessen Witwe Klara schließ- treffend –, über die letztlich im lich Erich Wulffen persönlich ken- Rahmen eines Schiedsgerichtsver- nen. Damit wurde eine neue Pha- fahrens am 7. Februar 1922 Eini- se in der Beziehung des Juristen gung erzielt wurde. Auch darüber zum ›Thema Karl May‹ eingelei- hinaus blieb Wulffen ein wichtiger tet, da er nun die Rolle des rein Ansprechpartner für Klara May, objektiven Betrachters von außen die sich in regelmäßigen verbalen, ablegte. Zwischen ihm und Kla- aber auch geschäftlichen Schar- ra May erwuchs eine persönliche mützeln mit E. A. Schmid befand. und – nach allem, was man aus Briefwechseln und aufgrund der Der Verleger wiederum brachte persönlichen Kontaktpflege weiß im Laufe der Zeit einen weiteren –, freundschaftlich-vertraute Be- wichtigen Aspekt ins Spiel, den ziehung. Wulffens Einstellung zu Karl May noch einmal auf eine neue Ebene niglichen Landgericht im Moabit. In: hob. JbKMG 1989, S. 9–36. Mitteilungen der KMG Nr. 179/März 2014 7 Pläne einer wissenschaftli- öffentlichen Angriffe wiederholen chen Biographie könnten, mögen dazu wesentlich beigetragen haben. So war E. A. Schmid seit länge- rem an objektiven kriminolo- Sämtliche wohlbegründeten und gischen Studien über Karl May gut gemeinten Versuche, Klara interessiert. Damit geriet er, wie May zu einer anderen Haltung zu nicht anders zu erwarten war, in veranlassen, schlugen jahrelang heftigen Gegensatz zu Klara May. fehl. Die ablehnende Haltung der Sie wollte von solchen juristi- Dichter-Witwe traf mit dem sei- schen oder sonstigen begründe- nerzeit prominenten Potsdamer ten biografischen Untersuchun- Landgerichtsdirektor Dr. Albert gen nichts wissen. Im Gegenteil: Hellwig (1880–1951) auch einen Ihr war sehr viel daran gelegen, Bekannten und Korrespondenz- möglichst alle belastenden und partner von Wulffen. Neben der peinlichen Akten der Vergan- beruflichen Verbundenheit als genheit nicht ans Licht gelangen Juristen verband beide auch ihr zu lassen oder möglichst zu ver- privates Interesse für Karl May. nichten. Während Schmid sie zu Hellwig hatte sich bereits durch überzeugen suchte, dass es darum eine kriminalpsychologische Stu- gehe, die Akten Mays von einem die über das sog. ›Karl-May-Pro- „feinsinnigen und wohlwollen- blem‹ im Karl-May-Jahrbuch19 den Gelehrten“18 überprüfen und ausgewiesen. So ist nicht weiter die Vergangenheit psychologisch verwunderlich, dass Euchar Alb- erklären zu lassen, war Klara recht Schmid den Potsdamer in grundsätzlich an Beschönigun- den Kreis jener Fachleute mit ein- gen und Verfälschungen der Vita bezog, aus dessen Mitte jener Au- ihres verstorbenen Mannes gele- tor gewonnen werden sollte, der gen. Dies lässt sich gewiss auch Mays kriminelle Vergangenheit psychologisch verstehen, hat- in einer Art juristischen Biografie te sie doch vor allem im letzten aufarbeiten sollte. Jahrzehnt alle Angriffe, sämtliche berechtigten oder unberechtigten „Hellwig hat sich wiederholt Aufdeckungen und Vorwürfe aus dazu bereit erklärt, Frau May aber nächster Nähe miterlebt und sich lehnte immer wieder ihre Zustim- jahrelang an dem fatalen Abwehr- mung ab“, erklärte der Verleger kampf selbst mit dem Einsatz al- später.20 Aber ebenso wie andere, ler Kräfte und Möglichkeiten bis die sich mit dieser dunklen Seite hin zur Selbstverleugnung und der Persönlichkeit des Schriftstel- mit einigen Falschaussagen be- lers befassen wollten, scheiterte teiligt. Ihre Idealisierung Mays auch ein Engagement Hellwigs und die Sorge, dass durch eine am erklärten Widerspruch Klara schonungslose, wenn auch wis- Mays. senschaftliche Würdigung sich die 19 Albert Hellwig: Die kriminalpsy- 18 Euchar Albrecht Schmid: Mein Le- chologische Seite des Karl-May-Pro- ben und Streben. In: 50 Jahre Karl- blems. In: KMJb 1920. Radebeul May-Verlag. Bamberg 1963, S. 13–22 1920, S. 187–250. (18). 20 Schmid, wie Anm. 18, S. 18. 8 Mitteilungen der KMG Nr. 179/März 2014

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