Mit Fichte philosophieren <UN> Fichte-Studien Beiträge zur Geschichte und Systematik der Transzendentalphilosophie Begründet von Klaus Hammacher, Richard Schottky (✝) und Wolfgang Schrader (✝) Veröffentlicht im Auftrage der Internationalen Johann-Gottlieb-Fichte-Gesellschaft Herausgegeben von Marco Ivaldo (Neapel) Wissenschaftlicher Beirat Daniel Breazeale (Lexington) – Helmut Girndt (Duisburg) – Marco Ivaldo (Neapel) – Wolfgang Janke (Wuppertal) – Jakub Kloc-Konkolowicz (Warschau) – Kunihiko Nagasawa (Kyoto) – Peter L. Oesterreich (Neuendettelsau) – Jacinto C. Rivera de Rosales Chacon (Madrid) Schriftleiter Thomas Sören Hoffmann (Hagen) band 45 The titles published in this series are listed at brill.com/fist <UN> Mit Fichte philosophieren Perspektiven seiner Philosophie nach 200 Jahren Herausgegeben von Matteo Vincenzo d’Alfonso Thomas Kisser Petra Lohmann Jacinto Rivera de Rosales leiden | boston <UN> Die Fichte-Studien erscheinen regelmäßig zweimal im Jahr. Publikationssprachen sind Deutsch, Englisch und Französisch. Die veröffentlichten Aufsätze sind den internationalen Regeln gemäß dem Verfahren der blinden Doppelbegutachtung unterzogen worden. Adresse des Vorsitzenden ad interim des wissenschaftlichen Beirats: Prof. Dr. Marco Ivaldo, Via Sant’Agatone papa 50, I 00165 Roma (Italien), Email: [email protected] Schriftleiter: Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann, [email protected] Zuständig für den Rezensionsteil der Fichte-Studien: Dr. Benedetta Bisol, [email protected] Die Manuskripte, nach den editorisch-technischen Richtlinien der Fichte-Studien verfasst, werden an die Adresse von Marco Ivaldo erbeten. The Library of Congress Cataloging-in-Publication Data is available online at http://catalog.loc.gov lc record available at http://lccn.loc.gov/2018003563 Typeface for the Latin, Greek, and Cyrillic scripts: “Brill”. See and download: brill.com/brill-typeface. issn 0925-0166 isbn 978-90-04-36199-7 (paperback) isbn 978-90-04-36313-7 (e-book) Copyright 2018 by Koninklijke Brill nv, Leiden, The Netherlands. Koninklijke Brill nv incorporates the imprints Brill, Brill Hes & De Graaf, Brill Nijhoff, Brill Rodopi, Brill Sense and Hotei Publishing. All rights reserved. No part of this publication may be reproduced, translated, stored in a retrieval system, or transmitted in any form or by any means, electronic, mechanical, photocopying, recording or otherwise, without prior written permission from the publisher. Authorization to photocopy items for internal or personal use is granted by Koninklijke Brill nv provided that the appropriate fees are paid directly to The Copyright Clearance Center, 222 Rosewood Drive, Suite 910, Danvers, ma 01923, usa. Fees are subject to change. This book is printed on acid-free paper and produced in a sustainable manner. <UN> Inhaltsverzeichnis Vorwort der Herausgeber ix Grußwort des Ehrenpräsidenten der Internationalen Fichte-Gesellschaft xiii Beiträgerverzeichnis xiv Teil 1 Die letzten Jahre: ein systematischer Überblick 1 Fichtes letztes Jahr 3 Erich Fuchs 2 Die letzten Vorlesungen Fichtes 20 Jacinto Rivera de Rosales 3 Fichtes Theorie des Begriffs und der Empirie in der „Transzendentalen Logik i“: Zur Methodik, zu ihrem Status als Propädeutik für die Wissenschaftslehre und eine kurze Darstellung ihrer Ausgangsthesen 44 Hans Georg von Manz 4 Ausdehnung und Freiheit 61 Mario Jorge de Carvalho 5 »Ein neuer Sinn zu entwickeln«: Fichtes letztes Vermächtnis 92 Marco Ivaldo Teil 2 Die Freiheitsfrage und ihr Kontext 6 In Defense of Conscience: Fichte vs. Hegel 113 Daniel Breazeale 7 Contextualising Fichte: Leibniz, Kant, and Perfectionist Ethics 133 Douglas Moggach <UN> vi Inhaltsverzeichnis 8 Die Bestimmung des Menschen: Fichtes Antwort auf Jacobis Brief an ihn 154 Ives Radrizzani 9 Das „erste System der Freiheit“ und die „Vernichtung aller Freiheit“: Zu Hegels kritischen Einwendungen gegen Fichtes Freiheitsverständnis 181 Klaus Vieweg 10 Kant, Schopenhauer und Fichte über unser Wissen von unseren körperlichen Handlungen 200 Franz Knappik Teil 3 Das Intersubjektive und seine Regeln: Recht und Politik 11 Fichte quer: Das Ich, die Nation und der Tod des Gelehrten 223 Peter L. Oesterreich und Hartmut Traub 12 Mythos Fichte: Die Reden an die deutsche Nation als universalistischer Appell 242 Klaus Ries 13 „Liberté, Égalité, Fraternité“: „Ich“, „Du“, „Wir“. Fichtes politisches Philosophieren 267 Günter Zöller 14 Vernunft und Anerkennung: Zu Fichtes Lehre von der Intersubjektivität 289 Andreas Schmidt Teil 4 Die Wissenschaftslehre in der gegenwärtigen Philosophie 15 Neo-Kantianism as Neo-Fichteanism 309 Frederick Beiser <UN> Inhaltsverzeichnis vii 16 Fichtes Kritik des Reflexionsmodells von Selbstbewusstsein 328 Friedrike Schick 17 Gotthard Günthers Fichte-Interpretation 348 Andreas Höntsch 18 Fichte und Brandom über Selbstbewusstsein und Selbstkonstitution 370 Christian Klotz 19 Der Ausdruck der Freiheit und die Genese des ‚Ist-Sagens‘: Die Bedingung der Semantik im späten Fichte 382 Matteo Vincenzo d’Alfonso Rezensionen Die Fichte Forschung in Griechenland: Die Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre als Handschrift für seine Zuhörer, übersetzt und kommentiert von Theodoros Penolidis 401 Konstantinos Masmanidis <UN> Vorwort der Herausgeber Im Januar 1814 starb Fichte in Berlin. In den letzten Monaten des Jahres 1813 waren wegen des Krieges gegen Napoleon die Lazarette Berlins mit Verwun- deten überfüllt. Auch andere Gebäude der Stadt wurden als Krankenhäuser genutzt. Dadurch kam es zur Verbreitung von Epidemien, insbesondere von Typhus. Auch reichten die medizinischen Fachkräfte nicht aus, um alle Kran- ken zu versorgen. Daher wurde schließlich die Bevölkerung um Hilfe gebeten. Johanna Fichte, die Ehefrau des Philosophen, kam dem Aufruf nach. Sie hatte, schreibt der Sohn Immanuel Hermann Fichte, »nach fünfmonatlicher unun- terbrochener Krankenpflege in den Lazarethen, wachsendem Uebelbefinden weichen müssen. Am 3ten Januar 1814 warf sie ein heftiger Ausbruch des Ner- venfiebers, das sie sich durch Ansteckung zugezogen hatte, auf’s Krankenla- ger, und bald entwickelte sich das Uebel [der Typhus] zu so einer furchtbaren Höhe, daß fast keiner Hoffnung mehr Raum gegeben wurde. An dem Tage der dringendsten Gefahr wollte Fichte seine Vorlesungen über die Wissenschafts- lehre beginnen [dies war am 10. Januar]. Fast den ganzen Tag hatte er selbst sorgend und pflegend im Krankenzimmer hingebracht. Endlich gegen Abend mußte er sich vorbereiten, seine Vorträge anzufangen, die er, auf’s Unvermeid- lichste gefaßt, nicht aufschieben wollte. Er nahm Abschied von der schon be- wußtlosen Kranken, die er bei seiner Rückkehr vielleicht nicht mehr lebend fand, und vom Schmerz gebeugt, hatte sein Geist doch noch die Selbstbeherr- schung, einen Vortrag über die abstractesten Gegenstände zwei Stunden hin- ter einander fortzusetzen, so daß wohl Niemand ahnen mochte, er sey vom Sterbebette seiner geliebten Gattin gekommen, und der Gedanke begleite ihn nach Hause, sie vielleicht todt anzutreffen. Aber gerade während der höchsten Gefahr hatte sich eine wohlthätige Krise vorbereitet, so daß die Aerzte zum ersten Male Hoffnung schöpften; und wir vergessen den Augenblick nicht, wo Fichte, von Freude überwältigt, mit Inbrunst über seine Gattin sich hinneigte, und sie als gerettet, als neu ihm geschenkt begrüßte. Aber vielleicht war dies gerade der Augenblick, wo sie unschuldig und unbewußt selbst ihm den Keim der Krankheit einflößte. Schon am andern Tage fühlte er bedeutendes Uebel- befinden, ohne jedoch seine Vorlesungen auszusetzen, oder mit geringerer An- strengung sich auf sie vorzubereiten«.1 Am Freitag, dem 14. Januar, hielt Fichte seine letzte Vorlesung. Er hatte noch „von Blücher’s Rheinübergange und von dem raschen Vordringen der 1 Fuchs, Erich (Hg.): J.G. Fichte im Gespräch. Berichte der Zeitgenossen. Stuttgart-Bad Cannstatt 1991, Bd. 5, S. 63–64. <UN> x Vorwort der Herausgeber Verbündeten in Frankreich [gehört]. Da erwachte sein Geist noch einmal zu alter Kraft; es war die letzte Freude, die ihm auf Erden wurde“.2 „Und einmal kurz vor seinem Tode, als der Sohn mit Arznei sich nahte, schien noch zuletzt für einen Augenblick seine Seele mit ganzer Klarheit hervor zu strahlen. ‚Laß das‘, sagte er mit dem gewohnten Blicke inniger Liebe, mit welchem er die Sei- nigen in traulichen Augenblicken grüßte; ‚ich bedarf keiner Arznei mehr, ich fühle, daß ich genesen bin!‘“.3 Dies waren seine letzten Worte. „Der Schlaf, der ihn umfing, wurde immer tiefer und unerwecklicher, manchmal nur von leise gesprochenen Worten begleitet und endlich am eilften Tage nach Ausbruch der Krankheit, in der Nacht des 29sten Januars,4 gegen fünf Uhr, waren alle Zei- chen des Lebens verschwunden“.5 Fichte wurde 51 Jahre alt. Begraben wurde er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof von Berlin. Der 200. Todestag Fichtes ist Anlass, in diesem Band seine letzten Schrif- ten so wie die Aktualität seiner Philosophie zu würdigen. Nach dem Abschluss der J.G. Fichte-Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 2012 stehen alle Materialien zur Verfügung, die der Fichte-Forschung ermöglichen, die vor ihr liegende schwierige Aufgabe zu bewältigen: eine schlüssige Interpretation der letzten Gedanken Fichtes zu liefern, zu deren abstrakten und tiefgehenden Formulierungen schon einige divergierende For- schungsansätze gemacht worden sind. Mit diesem Band sollen auch weitere Schritte auf diesem Weg getan werden. Der Band ist in vier Teile gegliedert. Die ersten drei Teile widmen sich unter- schiedlichen Aspekten seines Philosophierens, mit besonderer Rücksicht auf seine Tätigkeit in Berlin. Der erste Teil beschäftigt sich mit der theoretischen und systematischen Darlegung seines Denkens in den letzten Berliner Jahren; der zweite Teil thematisiert den Freiheitsgedanken als grundlegende Annah- me seines Systems und unternimmt unter Berücksichtigung verschiedener Reaktionen auch den Versuch, diesen zu kontextualisieren. Der dritte Teil ist der politischen Seite seiner Theorie gewidmet, die Fichte gerade in den Ber- liner Jahren weiter ausgearbeitet hat. Diesen klassischen Themen der Fichte- Forschung folgen im vierten Teil Beiträge, die Fichtes philosophische Ansätze in den Dialog mit gegenwärtigen Autoren und Fragen der Philosophie bringen. Zum 200. Todestag Fichtes wurden vier Veranstaltungen im Jahr 2014 or- ganisiert, von denen einige Beiträge hier veröffentlicht werden. Die erste Veranstaltung erfolgte an der Humboldt-Universität zu Berlin vom 29.-31. 2 Gespräch, 5, 64. 3 Gespräch, 5, 65. 4 Das Original von I.H. Fichte sagt: 27sten Januar. 5 Gespräch, 5, 65. <UN>