Mirakel im Mittelalter Beiträge zur Hagiographie Herausgegeben von Dieter R. Bauer, Klaus Herbers, Volker Honemann und Hedwig Röckelein Band3 Mirakel nn· Mittelalter Konzeptionen Erscheinungsformen Deutungen Herausgegeben von Martin Heinzelmann, Klaus Herbers und Dieter R. Bauer Franz Steiner Verlag Stuttgart 2002 Gedruckt mit Unterstützungd es Deutschen Historischen Instituts, Paris Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme Mirakeli m Mittelalter: Konzeptionen- Erscheinungsfonnen- Deutungen / hrsg. von Martin Heinzelmann .... -Stuttgart : Steiner, 2002 (Beiträge zur Hagiographie; Bd. 3) ISBN 3-515-08061-9 1S09706 Jede Verwertungd es Werkes außerhalbd er Grenzen des Urheberrechtsgesetzesi st unzuläs sig und strafbar. Dies gilt insbesonderef ür Übersetzung,N achdruck,M ikroverfilmungo der vergleichbareV erfahren sowie für die Speicherungi n Datenverarbeitungsanlagen.Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigemP apier. © 2002 by Franz Steiner Verlag Stuttgart. Druck: Druckerei Proff, Eurasburg. Printed in Gennany Inhalt Vorwort .................................................. ................. ................................. ... ....... 7 Martin Heinzelmann und Klaus Berbers Zur Einführung ... .. .......... .. .. .. ... . ... .. . ... .. . . ... ... . ... . ... . .. . ... ... .. . . ... ... . . ... ... . . ... . .. . . .. 9 Martin Heinzelmann Die Funktion des Wunders in der spätantiken und frühmittelalterlichen Historiographie .................... ... ....................... ... ..................................... ...... 23 Hanns Christo/ Brennecke Die Wunder und ihre theologische Reflexion im „Commemoratorium vitae S. Severini" des Eugipp von Lucullanum mit einem Seitenblick auf die „Vita sancti Martini" des Sulpicius Severus ................................. 62 Lutz E. von Padberg Die Verwendung von Wundern in der frühmittelalterlichen Predigt- situation ................................................................ ....... .................. .............. 77 Arnold Angenendt Das Wunder - religionsgeschichtlich und christlich ................................. 95 Klaus Berbers Zu Mirakeln im Liber pontificalis des 9. Jahrhunderts ............................. 114 Giselle de Nie Eine Poetik des Wunders: bildhaftes Bewußtsein und Verwandlungs dynamik in den Wundererzählungen des späten sechsten Jahrhunderts 135 „ Barbara Heller-Schuh Hilfe in allen Nöten? Inhalte von hoch- und spätmittelalterlichen Mirakelsammlungen im Vergleich ........ ................ ........... ......... ... .. ....... .. ... 151 Hedwig Röckelein Über Hagio-Geo-Graphien. Mirakel in Translationsberichten des 8. und 9. Jahrhunderts ................................................................................. 166 Hans-Werner Goetz Wunderberichte im 9. Jahrhundert. Ein Beitrag zum literarischen Genus der frühmittelalterlichen Mirakelsammlungen ... ... .... ... .. .. .... . .... ...... .......... 180 6 Inhalt Bernhard Vogel Visionen und Mirakel. Literarische Tradition und hagiographischer Kontext am Beispiel Lantberts von Deutz ................................................. 227 Marcus Stumpf Zur Funktion der Wunder in der Bamberger Vita sancti Heinrici regis et confessoris ................................................................................................... 252 Uta Kleine Mirakel zwischen Kult-Ereignis und Kult-Buch: Die Verehrung Erz bischof Engelberts von Köln im Spiegel der Miracula Engelberti des Caesarius von Heisterbach ................................................................... 271 Karin Fuchs Guibert de Nogent - ein Wundererzähler zwischen Theorie und Praxis .. 311 Patrick Henriet Rex, lex, plebs. Les miracles d'Isidore de S~ville l Leon (Xlc-x111c siecles) ......................................................................................................... 334 Thomas Wetzstein Virtus morum et virtus signorum? Zur Bedeutung der Mirakeli n den Kanonisationsprozessen des 15. Jahrhunderts ........................................... 351 Jean-Michel Matz Les miracles de l'tveque d' Angers Jean Michel (1447-1545) ................. 377 Michael Rothmann Mirabilia vero dicimus, quae nostrae cognitioni non subiacent, etiam cum sint naturalia. Wundergeschichten zwischen Wissen und Unter haltung: der ,,Liber de mirabilibus mundi" (,,Otia Imperialia") des Gervasius von Tilbury ................................................................................. 399 Gabriela Signori Kultwerbung - Endzeitängste - Judenhaß. Wunder und Buchdrucka n der Schwelle zur Neuzeit ............................................................................ 433 Register der Orts- und Personennamen ............................................................ 473 Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................... 473 Autorinnen und Autoren .................................................................................... 491 Vorwort Der hier vorgelegte Band greift Anliegen einer Thematik auf, die wie kaum eine andere das Bild vom Mittelalter geprägt hat, so wie auch die entsprechende wis senschaftliche Beschäftigung mit dem Thema des Wunders in besonderem Maß von religiösen und weltanschaulichen Strömungen der letzten Jahrhunderte be einflußt wurde. Gerade in den letzten Jahrzehnten haben nun aber Forschungen zur hagiographischen Literatur, in der das Wunderelement seinen spezifischen. nicht wegzudenkenden Stellenwert hat, einen bemerkenswerten Aufschwung ge nommen. Vor diesem Hintergrund werden nun die Ergebnisse vorgelegt, die auf einer von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart, dem Deutschen Histo rischen Institut in Paris und dem Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften der Friedrich Alexander Universität Erlangen Nürnberg im April 2000 in Weingarten veranstalteten Tagung erzielt wurden; es handelte sich dabei um die zweite thematische Tagung des seit 1993 bestehenden Arbeitskreises für hagiographische Fragen. Beabsichtigt war eine Art Bilanz über Grundfragen der Mirakelforschung, die davon ausging, daß die Wundererzählungen mit zu den umfangreichsten Be ständen hagiographischen Schriftgutes - und damit der schriftlichen Produktion im Mittelalter überhaupt - gehören. Zusätzliche, interdisziplinäre Berührungs punkte ergaben sich durch die Betrachtung von Wunderereignissen aus psycholo gischer und mentalitätsgeschichtlicher Perspektive und aus der rechtsgeschichtli chen Sicht der spätmittelalterlichen Kanonisationen. Hier wären die Auswer tungsmöglichkeiten sicher noch weiter zu entwickeln, etwa durch Einbeziehung der Medizingeschichte oder der Kunst- und Musikwissenschaft. Fast alle der gehaltenen Vorträge wurden eingereicht; zusätzlich in den Band wurden die Beiträge von Arnold Angenendt und von Uta Kleine aufgenommen. Es gehört zur Topik von Einleitungen, die bestehenden erkennbaren Lücken zu beklagen; in unserem Fall sollten die theoretische Bestimmung und die spätantik frühmittelalterliche Grundlegung der Mirakel ursprünglich noch breiter doku mentiert werden. Hinsichtlich der weiteren fehlenden Aspekte bleiben wir unbe kümmerter: Viele der hier präsentierten Beiträge sind exemplarisch und doku mentieren damit zugleich Arbeitsfelder und Zugangsweisen, die zum Teil auf andere Textbestände der behandelten Gattung übertragen werden könnten oder zumindest verdeutlichen, wie sich andere Quellencorpora methodisch erschlie ßen lassen. Zum Schluß ist es uns eine angenehme Pflicht zu danken. Wir heben einige Namen hervor: Bei der elektronischen Vereinheitlichung, Vorkorrektur und Kor rektur der Beiträge unterstützten in Erlangen Björn Wagner und vor allem Dr. Bernhard Vogel die Arbeiten; das Register erstellte Bernhard Häussler. Beson- 8 Vorwon ders dankbar sind wir aber für den Druckkostenzuschuß des Deutschen Histori schen Instituts in Paris und der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Martin HEtNZELMANN Klaus HERBERS Dieter BAUER Martin Heinzelmann und Klaus Berbers Zur Einführung Mirakel und Mittelalter: Gehört beides nicht fast untrennbar zusammen? Seit der Aufklärung, seit der Zeit der ,Lumi~res· mit Voltaire und anderen sieht man in dieser Epoche eine Zeit blinden Glaubens an übernatürliche Phänomene, des ,Aberglaubens•, wie auch eine Zeit des Betrugs in religiösem Gewande. Bis heute wird aus diesem Fundus von Klischees geschöpft, nicht zuletzt in der Wissen schaft. Diese hielt sich lange zugute, Wunder entzaubern zu können: entspre chend wurden in vielen Textausgaben Wundergeschichten entweder aus dem Textkörper radikal ausgeschieden oder ,entmythologisiert', das heißt in einen meist motivgeschichtlich-volkskundlichen oder rein literarischen Zusammen hang gestellt. Solcher Aufklärung entzogen sich nicht einmal die Bollandisten. die häufig die von der protestantischen Kritik in Frage gestellten Traditionen opferten, um die ,w ahren Legenden' zu retten 1• Ein Höhepunkt kritischer Aus sonderung ist an den editorischen Verfahrensweisen vom Ende des 19. und vom Beginn des 20. Jahrhunderts ablesbar, die mit Vorliebe Mirakel und wunderähn liche Passagen, wenn sie nicht von direktem Interesse für die „politische" Ge schichte erschienen, in ihren Ausgaben einfach wegließen2• Diese Sichtweisen werden seit einigen Jahrzehnten unter dem Einfluß rein philologischer oder anthropologischer Fragestellungen zusehends auf gegeben, und die Mirakel wer- 1 Vgl. etwa das Standardwerk moderner bollandistischcr Kritik, Hippolytc DELEHAYEL,e s legendes hagiographiques (Subsidia hagiographica 18), Brüssel 1905, 4. Aufl. 1955 [Reproduk tion der 3. Aufl. 1927; Nachdruck 1973), in dessen ausführlichem Inhaltsverzeichnis das Wort ,miraclc' gar nicht erst vorkommt, obwohl es besonders im Kapitel über ,,Le travail de la le gende" (S. l 2ff} im Zentrum der Kritik steht. - Bollandistischc Kritik wird auch in dem immer noch repräsentativsten hagiographischcn Handbuch von Rene Aigrain (1953) zum Ausdruck gebracht, das nun, mit einer ausführlichen bibliographischen Ergänzung von Robert Gooo1No, neu aufgelegt wurde: R. AmRAIN,L 'hagiographie. Ses sourccs - ses methodes - son histoirc, Brüssel 2000 (Subsidia hagiographica 80); als typischer Ausdruck von dessen Ein.stcllung sei ein a Satz zitiert (S. 204): ,,Les hagiographes lcs plus fideles l'csprit critiquc peuvent regrettcr quc trop de nos auteurs de vics de saints aient sacrifie au go0t de lcur tcmps pour les recits de mi racles, qui nc sont pas tous significatifs, au lieu de consigncr cn plus grandc abondancc lcs traits vecus et concrets qui nous feraient connaitre lc saint dans son milicu ... ". 2 Vgl. als Beispiel Oswald HoLDER-EoOERD,i e Monumenta und ihr neuester Kritiker. Eine Entgegnung, Hannover 1887, 20 (gegen Carl Georg Dümge); vgl. hierzu Fclicc L1FSHITBZ,c yond Positivism and Genre. , Hagiographical' Texts as Historical Narrative, Viator 25 ( 1994 ), 95-113, bes. 111 ff. oder Anncgrct WENZ-HAUBFLEISMCHira, cula post mortem. Studien zum Quellenwert hochmittelalterlichcr Miraltclsammlungcn, vornehmlich des ostfränkisch-deutschcn Reiches (Sieg burgcr Studien 26), Siegburg 1998, 22-25; beide mit weiteren Hinweisen zur wissenschaftsgc schichtlichcn Tradition. 10 Zur Einfllhrung den wie die gesamte hagiographische Literatur als ernstzunehmende Zeugnisse für die jeweilige Lebenswelt akzeptiert. Solche Anliegen wurden in der zweiten thematischen Tagung des Arbeits kreises für hagiographische Fragen im April 2000 in Weingarten behandelt, de ren Ergebnisse im vorliegenden Band vorgelegt werden. Dabei ging es darum, nicht nur die verschiedenen schriftlichen Formen von Wundergeschichten in unterschiedlichen Texten oder eigenen Sammlungen zu dokumentieren, sondern zugleich galt es, nach ihren Funktionen und den jeweils bestimmenden Rahmen bedingungen zu fragen. Beabsichtigt war eine - vorläufige - Bilanz zu Grundfra gen der Mirakelforschung, die von dem Befund ausgeht, daß gerade die angeblich wertlosen Wundererzählungen mit zu den umfangreichsten Beständen des hagio graphischen Schriftgutes - und damit der schriftlichen Produktion im Mittelalter überhaupt - gehören. Wunder und Mirakelgeschichten reichen weit über die christlichen Traditio nen hinaus, wozu der Beitrag von Arnold ANOENENDerTst e Ansatzpunkte liefert, indem er aufzeigt, was eine ausführlichere, religionsgeschichtlich vergleichende Untersuchung zu berücksichtigen hätte3• Kurz nach der Tagung ist übrigens gerade zur komparatistischen Perspektive von der Biblioth~ue de l'Ecole des hautes Etudes, Sciences religieuses, mit dem Titel ,,Miraclc et Karama" ein Sammelband vorgelegt worden4, der vor allem die arabische und persische Welt jeweils in mehreren Aufsätzen einbezieht. Die meisten der folgenden Beiträge beschäftigen sich jedoch mit den Mira keln in der christlichen Tradition5, deren Rückbindung an pagane antike Traditio nen zwangsläufig berücksichtigt werden mußte6• Grundfragen der neueren For schung über Mirakel präsentieren sich in einem weit gesteckten zeitlichen Rah men von der Spätantike bis in die Frühe Neuzeit, wenn auch nicht bis in die Gcgenwart 7• Dabei ging es unter anderem darum, Erfahrungen und Ergebnisse früherer Treffen aufzugreifen und fortzuführen8• Drei Problemfelder standen im 3 Vgl. den Beitrag von A. ANOENENDinT diesem Band. 4 Vgl. Miracle et Karlma. Hagiographies m6dil!vales compar6es. Sous la direction de De nise A10LE( Biblioth~ue de l'"Ecole des Hautes Etudes. Section des Sciences Religieuses 109), Turnhout 2000. 5 Die nachfolgende Zusammenfassung einiger wichtiger Ergebnisse orientiert sich an der Struktur der Tagung; vgl. hierzu den von Eike JUHREz usammengestellten Tagungsbericht: Mi rakel im Mittelalter: Konzeptionen-Funktionen-Realitlten. Weingarten 6.-9. April 2000, in: Revue Mabillon NS 11 (tome 72) 2000, 303-306. 6 Vgl. etwa den Beitrag von M. HEINZELMANuNnt,e n 23-61. Hier ist neben der in der Spit antike voll ausgebildeten, reichen und präzisen Terminologie besonders die gro8e Spannweite im Umgang der Antiken mit Wundern und Prodigien hervorzuheben (vgl. religio tripartita), wu bisher für die Forschung in Bezug auf die Haltung gegenüber Wundern im Mittelalter bei weitem noch nicht umgesetzt worden ist. 7 Bis in die jüngste Zeit reichen beispielsweise die Beiträge des Sammelbandes: Miracoli. Dai segni alla storia, hg. von Sofia BOESCHG AJANOu nd Marilena MooicA (Sacro /santo 1) , Rom 2000. 8 Eine zusammenfassende Würdigung der Arbeitstreffen bis 1996 findet sich bei Klaus HERBERSH, agiographie im Kontext - Konzeption und Zielvorstellung, in: Hagiographie im Kontext: Wirkungsweisen und Möglichkeiten historischer Auswertung (Beiträge zur Hagiogra-