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Milieu – Revisited: Forschungsstrategien der qualitativen Milieuanalyse PDF

343 Pages·2018·3.991 MB·German
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Stella Müller Jens Zimmermann Hrsg. Milieu – Revisited Forschungsstrategien der qualitativen Milieuanalyse Milieu – Revisited Stella Müller · Jens Zimmermann (Hrsg.) Milieu – Revisited Forschungsstrategien der qualitativen Milieuanalyse Herausgeber Stella Müller Jens Zimmermann Duisburg, Deutschland Frankfurt am Main, Deutschland ISBN 978-3-658-18991-4 ISBN 978-3-658-18992-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-18992-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhalt Milieu – Revisited. Eine Einleitung ...................................... 1 Stella Müller und Jens Zimmermann I Milieu, Wissen, Handlungspraxis Milieu als Erfahrungsraum ............................................ 19 Ralf Bohnsack Ablehnung des Nichtauthentischen. Exemplarische Rekonstruktion von Milieuzugehörigkeit „muslimischer Jugendlicher“ .................... 53 Julia Franz Milieuanalyse im Kontext von Dokumentarischer Methode und Praxeologischer Wissenssoziologie ..................................... 79 Steffen Amling und Nora Friederike Hoffmann II Milieu, Hermeneutik, Habitus Das Konzept der Habitus-Hermeneutik in der typenbildenden Milieuforschung .................................................... 113 Christel Teiwes-Kügler und Andrea Lange-Vester Makroanalytische Tiefenhermeneutik. Qualitative Sinnrekonstruktion als Gesellschaftsanalyse .............................................. 157 Joachim Renn V VI Inhalt III Milieu, Soziale Welten, Lebenswelt Lebensweltfundierte Sozialstrukturanalyse. Soziale Welten und Milieus als Beziehungsstrukturen ..................................... 249 Dariuš Zifonun Ethnische Milieukonstruktionen durch Expertenwelten ................. 285 Lisa-Marian Schmidt Videographie sozialer Welten und Milieus ............................. 311 Bernd Rebstein Autorinnen und Autoren ............................................. 343 Milieu – Revisited Eine Einleitung Stella Müller und Jens Zimmermann Die Untersuchung der Sozialstruktur hat nicht nur zum Ziel, „objektive“ Handlungs- spielräume von Menschen auf sozialen Plätzen, die durch Institutionen strukturiert werden, zu ergründen (Solga, Berger und Powell 2009, S. 14). Immer ging es auch darum, die „Klasse für sich“ oder den „Stand“, also die sozial organisierte Seite von Klassenlagen zu erfassen. Sowohl in der Marx’schen als auch in der Weber’schen Traditionslinie wird die Gesellschaft als aus Klassen zusammengefügt begriffen, die in einem hierarchisch angeordneten Verhältnis zueinanderstehen. Bis in die 1980er Jahre ging die Sozialstrukturanalyse von einem engen Konnex zwischen Klassenlage und politischer Selbstorganisation aus. Allerdings zeigte sich schon seit den 1950er Jahren, dass sich große Teile der Bevölkerung selbst der Mittelschicht zuordneten (Mayntz 1958) – genau jener „Klasse“ also, die von marxistischen Theorien kaum zu erfassen ist. Damals wurde dies eher als „falsches Bewusstsein“ kritisiert denn als Problem der Sozialstruk- turanalyse. Einen wichtigen Anstoß zu einer thematischen Neuorientierung in der soziologischen Ungleichheits- und Sozialstrukturforschung gab dann aber Becks Individualisierungstheorem (Beck 1986, S. 205-219). In seinem berühmten Aufsatz „Jenseits von Stand und Klasse?“ (1983) formuliert er die folgende, (selbst-) kritische Anfrage an die Vertreter/innen der herkömmlichen Ungleichheits- und Sozialstrukturforschung: „Es wird mir hoffentlich niemand vorwerfen, daß ich die Bedeutung fortbe- stehender Ungleichheiten verkennen oder verklären will. Aber die Bedeutsamkeit von Entwicklungen für die Menschen kann nicht allein und automatisch abge- lesen werden an ungleichen Verteilungsrelationen, die letztlich implizit von der Norm der statistischen Gleichverteilung ausgehen. Hierfür muss vielmehr auch und zentral der Bezugshorizont der Menschen und ihre soziale und biographische Ausgangssituation zur Einschätzung mit herangezogen werden“ (Beck 1983, S. 38, Hervorhebungen im Original). © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 1 S. Müller und J. Zimmermann (Hrsg.), Milieu – Revisited, https://doi.org/10.1007/978-3-658-18992-1_1 2 Stella Müller und Jens Zimmermann Die „Behauptung einer ‚Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile‘ [hat] das Selbstverständnis der herkömmlichen Sozialstrukturanalyse erschüttert“ (Müller 1992, S. 9).1 Sie wurde als Voluntarismus verstanden und kritisiert und regte eine heftige, aber auch empirisch sehr fruchtbare Auseinandersetzung mit Schicht- und Klassenmodellen an (vgl. Barlösius 2004, S. 19-26). In der Folge entwickelte sich der Lebensstilansatz, der politische und kulturelle Orientierungen nur noch sehr lose von Klasse und Lebensalter ableitete (Schulze 2000). In diesen Debatten der 1980er Jahre diente der Milieubegriff zunächst als Rettungsanker für eine Fortsetzung der Sozialstrukturanalyse. So unterscheidet Hradil zwischen Lagen und Milieus. Erstere fassen ähnlich wie der Klassenbegriff objektive Handlungsvoraussetzungen zusammen, die jedoch als vieldimensional und statusinkonsistent begriffen werden – beides Zugeständnisse an die Individua- lisierungstheorie. Milieus sind mit sozialen Lagen verbunden, aber nicht mit ihnen identisch. Ein viel zitierter Ausschnitt aus Hradils Monographie „Sozialstruktur in einer fortgeschrittenen Gesellschaft“ lautet, dass Milieumodelle „der Existenzrelevanz, dem Denken und Handeln der Menschen näher [sind] als […] herkömmliche […] Klassen- und Schichtkategorien, die so eng, einfach, starr und lebensfern angelegt sind, daß sie völlig heterogene Gruppierungen und Lebensformen in gemeinsame Kategorien pressen“ (Hradil 1987, S. 139). Seither legte die Milieu- zusammen mit der Lebensstilforschung einen Fokus auf das Zusammenspiel von objektiven Vo- raussetzungen der Handlungsfähigkeit und subjektiven Orientierungen. Jedoch wurde der sozialstrukturelle Wandel, der die Schichtungsforschung ursprünglich herausgefordert hatte und der unter den Stichworten „Geschlechterrevolution“, „Individualisierung“, „Prekarisierung der Erwerbsarbeit“, oder „globale Risiken“ verhandelt wurde (Beck, Hajer und Kesselring 1999) kaum unter der Überschrift „Milieu“ untersucht.2 Dass Milieuforschung sinnvoll ist, kann als relativer Kon- sens angesehen werden, aber wie genau der Beitrag der Milieuforschung für eine Betrachtung von „Sozialstruktur“ aussehen hätte können, blieb eine offene Frage und die Milieuforschung hatte eine Nischenstellung inne. Insbesondere traten Verunsicherungen über die epistemologische Grundlage der soziologischen Ungleichheitstheorie ein. Unklar war, wie Ungleichheiten zwischen 1 Eine Einführung in die Begriffe Lebenslagen, Lebensläufe und Lebensstile bietet die Einleitung im gleichnamigen Sammelband, siehe hierzu: Berger/ Hradil 1990a; 1990b. Zum Lebensstilbegriff siehe auch: Müller 1989. 2 Wobei z. B. Michael Vester feststellt, dass „[j]edes Milieu […] die Individualisierung nach seiner eigenen Façon [dekliniert]“, Vester 1997, S. 109, und zum Beispiel Rainer Lepsius (1993) den Begriff des „sozialmoralischen Milieus“ verwendet und in dieser Bestimmung als sozial und moralisch strukturierte Einheit begreift sowie als Untersu- chungsgegenstand und Analyseinstrument gleichermaßen aufwertet. Milieu – Revisited 3 Staaten, ethnischen Gruppen, Geschlechtern, usw. am sinnvollsten definiert und behandelt werden können: Sollen sie als horizontale im Unterschied zu vertikalen Ungleichheiten bezeichnet werden und welche Bedeutung haben diese Bezeich- nungen wiederum? Müssen „neue“ ungleichheitsrelevante Erscheinungsformen die räumliche Metaphorik auf- oder ankündigen? Sollten sie durch alternative, ebenfalls räumliche Metaphern wie von Zentrum und Peripherie ersetzt werden? Können sie als oberflächliches Phänomen eines Klassenantagonismus analysiert werden oder sind sie als sekundäres Phänomen neuer, gesellschaftlicher Spaltungen zu betrachten? All diese Fragen sind in den altbewährten Ungleichheitstheorien nicht adäquat zu behandeln. Der Konzeption dieses Bandes liegen auch diese Fragen zugrunde, die heute mit einigem Abstand betrachtet werden können. Jedoch – und weitgehend unbemerkt von einer Sozialstrukturanalyse, die sich zunehmend dem methodologischen Individualismus verschrieb – hat sich die Milieuforschung seit den 1980er Jahren weiterentwickelt. Zwar wurde das ur- sprüngliche Anliegen der Milieuforschung zunehmend in den Begriffen Bourdieus als Unterschied zwischen „Klasse auf dem Papier“ und Habitus behandelt. Der Milieuansatz der Hannoveraner Forscher/innen-Gruppe (agis) um Michael Vester (Bremer und Teiwes-Kügler 2013) konnte in Auseinandersetzung mit Bourdieu jedoch eine Brücke zwischen Milieuforschung und Habitustheorie schlagen. Auf der Grundlage von breit bekannten sozial-räumlichen Untersuchungen zu Milieus in der ehemaligen DDR (Vester, Hoffmann und Zierke 1995) oder auch in (West-) Deutschland (Vester et al. 2001) entwickelte sich die Habitus-Hermeneutik. Die Habitus-Hermeneutik unterstreicht die Eigendynamik menschlicher Routinen und Gebräuche jenseits des ökonomischen Geschehens. In diesem Band greifen die Autorinnen Christel Teiwes-Kügler und Andrea Lange-Vester außerdem An- regungen durch die Cultural Studies der Birminghamer Schule in Großbritannien auf, die im Zeitalter der Industrialisierung u. a. Subkulturen beforschte (Clarke et al. 1979). In Gestalt der Sinus-Milieus sind Teile dieses Ansatzes in die Markt- und Meinungsforschung eingegangen. Parallel dazu entwickelte die Gruppe um Ralf Bohnsack einen praxeologischen Zugang zur Milieutheorie, der an Mannheims Wissenssoziologie anknüpfte. Mit der Dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack und Nohl 2001) werden nicht nur Klassenlagen untersucht sowie die Entwicklung von Habitus über die Zeit hinweg, sondern auch Generations- und Geschlechtslagen sowie die Bewältigung von sozi- alem Wandel in jugendlichen Milieus (Schittenhelm 2005). Die Dokumentarische Methode zielt auf die Rekonstruktion (nicht: Deutung) eines milieuspezifischen Wissens in Text- und Bildmaterial ab. Die Methode wird breit in der Jugend-, Bil- dungs-, Organisations- und Migrationsforschung eingesetzt (vgl. Bohnsack 1989, Bohnsack 2008, Bohnsack 2010, Bohnsack 2009, Bohnsack, Nentwig-Gesemann 4 Stella Müller und Jens Zimmermann und Nohl 2001). In diesem Band stellt Ralf Bohnsack nicht nur Grundzüge der Dokumentarischen Methode dar, sondern er geht auch auf aktuelle Fragen wie das Verhältnis zwischen kollektiven Identitäten und einem Milieuzusammenhang ein, der sich notwendigerweise in gemeinsamem Handeln aktualisieren muss. Welche Relevanz, nun, kommt den heute mittlerweile gut etablierten Milieu- und Lebensstilansätzen in der Erforschung „der“ „Globalisierung“ oder auch „ge- sellschaftlicher Differenzierung“ zu? Diese Frage wurde durch eine im Dezember 2011 an der Universität Münster veranstaltete Tagung „Die Form des Milieus“ von Peter Isenböck, Linda Nell und Joachim Renn auf die Forschungsagenda gesetzt. Die Tagung, deren wesentliche Beiträge mittlerweile in einem Sonderband der Zeitschrift für Soziologische Theorie veröffentlicht sind (Isenböck, Nell und Renn 2014) belebte die fachöffentliche Diskussion zu „Milieus“ neu. Trotz der theorie- bildenden Ausrichtung der Tagung war offensichtlich, dass Theoriebildung und methodologische Orientierung bei diesem Gegenstand in einem engen Zusam- menhang stehen und dass sich manches, was theoretisch wünschenswert wäre, in der empirischen Forschung nicht eins zu eins umsetzen lässt. Das veranlasste uns im Anschluss an die Tagung in Münster einen Workshop mit dem Titel „Milieu revisited“ an der Universität Duisburg-Essen und dem Kulturwissenschaftlichen Institut Essen zu veranstalten. Thema des Workshops in Essen war es, die theoretisch-methodologische Grund- lage der Milieu- und Lebensstilansätze zu erkunden. Dabei stand nicht – wie in Münster – die Frage im Raum wie sich die „Form“ des Milieus begrifflich fassen lässt. Die Relevanz von der Milieu-Forschung bezeichneten Phänomene konn- te in Essen bereits als gegeben unterstellt werden. Im Rahmen des Workshops wurde stattdessen zur Aufgabe gemacht, Gemeinsamkeiten und Unterschiede im empirisch-methodologischen Zugang der jeweiligen Ansätze in einer Diskussion untereinander zu bestimmen und auszuloten. Die Vertreter/innen der so genann- ten „Praxeologischen Wissenssoziologie“ (Bohnsack 2014, Bohnsack 2007), der „Makroanalytischen Tiefenhermeneutik“ (Renn 2014), der „Habitus-Herme- neutik“ (Bremer und Teiwes-Kügler 2013, Brake, Bremer und Lange-Vester 2012) und der „Lebensweltfundierte[n] Sozialstrukturanalyse“ (Zifonun 2014) kamen miteinander ins Gespräch. Und viele Nachwuchswissenschaftler/innen nahmen es dankenswerterweise auf sich, Einblick in ihre in den jeweiligen theoretischen Perspektiven verankerte empirische (Milieu-)Forschung zu geben. Ein Ergebnis dieses Workshops war besonders erfreulich: Die heutige Praxis der Erforschung von Milieus und Lebensstilen ist aller Streitigkeiten über ihre Begriffe und The- orieansätze zum Trotz „zeitgemäß“. Denn alle Teilnehmer/innen des Workshops beschäftigen sich mit den Fragen von „Integration“, „Zusammenleben“, „Migra-

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