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Mikropolitik: Netzwerke und Karrieren PDF

157 Pages·2019·1.725 MB·German
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Horst Bosetzky Mikropolitik Netzwerke und Karrieren Mikropolitik Horst Bosetzky Mikropolitik Netzwerke und Karrieren Horst Bosetzky Berlin, Deutschland ISBN 978-3-658-23138-5 ISBN 978-3-658-23139-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23139-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Redaktion: Stefan Kühl und Christel Vinke Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhaltsverzeichnis 1 Mikropolitik, Machiavellismus und Machtkumulation . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Die einzelnen Formen von Autorität und ihre Auf- bzw. Abwertung durch mikropolitische Aktivitäten . . . . . . . . . 2 1.2 Machtbesitz als persönliches Motiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 1.3 Machtkumulation und machiavellistisches Handeln . . . . . . . . . . . . . 5 1.4 Funktionen und Dysfunktionen der Mikropolitik . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Die bewusste Schaffung von Unklarheit als innerorganisatorisches Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2.1 Schaffung von Unklarheit als Mittel der Herrschaftssicherung . . . . . 12 2.2 Die Schaffung von Unklarheit als Mittel zum Aufbau von Gegenmacht und zur Erringung von Freiräumen . . . . . . . . . . . . 16 2.3 Unklarheit als Mittel im mikropolitischen Kampf um Macht, Prestige und Aufstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.4 Schaffung von Unklarheit als Mittel zum Abbau von Entfremdung und Abhängigkeitsgefühlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.5 Die Tendenz zur Entorganisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3 Das Don-Corleone-Prinzip in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.1 Zur Verteilung von Macht in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 3.2 Die Verpfl ichtung zur Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3.3 Selbsterfüllende Prophezeiungen in Machtprozessen . . . . . . . . . . . . 34 4 Der Prinz-von-Homburg-Effekt – Zum Überleben in Organisationen . 37 4.1 Abweichendes Verhalten als Notwendigkeit und als Gefahr . . . . . . . 38 4.2 Heinrich von Kleist als Organisationsoziologe . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 4.3 Leistung und Loyalität als die wichtigsten Aufstiegskriterien . . . . 42 V VI Inhaltsverzeichnis 5 Das Verdrängen bürokratischer Elemente als Organisationsnotwendigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5.1 Die bürokratische Grundstruktur der Organisation . . . . . . . . . . . . . . 46 5.2 Nichtbürokratische Elemente der Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 5.3 Widersprüchliche Normen und die Verdrängung und Verdeckung bürokratischer Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 5.4 Die Nutzung von Freiräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 5.5 Zum Verhalten in bürokratischen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . 54 6 Zur Maxime „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ . . . . . . . . . . . . 59 6.1 Gründe für die Kontrolle in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 6.2 Konsequenzen fehlenden Vertrauens in Organisationen . . . . . . . . . . . . 62 6.3 Der Charme des Misstrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 7 Systemimmanente Grenzen einer planvollen Verwaltungsführung . . 67 7.1 Abweichendes Verhalten und organisationsinterne Anomie . . . . . . . 68 7.2 Anarchische Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 7.3 Arbeitsplatzautonomie und die Aufhebung der Funktion von Vorgesetzten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 7.4 Jenseits des Bildes der Maschinerie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 8 Die instrumentelle Funktion der Beförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 8.1 Die Grenzen strukturell-funktionaler Untersuchungen von Beförderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 8.2 Instrumentalisierung durch die Mitglieder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 8.3 Promotionsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 8.4 Funktionen der machtpolitischen Instrumentalisierung des Aufstiegssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 8.5 Risiken von Promotionsbündnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 8.6 Zusammenwirken der Funktionen des Aufstiegs systems . . . . . . . . . 88 8.7 Zur Verbreitung von Promotionsbündnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 9 Dunkelfaktoren bei der Beförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 9.1 Promotionsbeziehungen in Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 9.2 Instrumentalisierung der Bediensteten durch andere Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 9.3 Schwierigkeiten der Personalbesetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Inhaltsverzeichnis VII 10 Das „Wegloben“ als Sonderform vertikaler Mobilität . . . . . . . . . . . . . 101 10.1 Gründe für das Wegloben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 10.2 Vorteile des Weglobens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 10.3 Wegloben als Strategie der Mikropolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 10.4 Gefährdung der Organisationsziele durch das Wegloben . . . . . . . . 105 11 Ordnung ist das halbe Leben – und die andere Hälfte …? . . . . . . . . . 107 11.1 Dysfunktionale Folgen übersteigerter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . 108 11.2 Unordnung und Chaos als unvermeidliche und funktionale Elemente großer Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 11.3 Instrumentelle Motive zur Störung von Ordnung und zur Boykottierung der Arbeit Anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 11.4 Positive Folgen von Unordnung und Chaos . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 11.5 Lob und Notwendigkeit von Unordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 12 Die unterschiedlichen Funktionen von Betriebsausfl ügen und Feiern . 115 12.1 Der Nutzen für informelle Gruppen und formelle Arbeitsgruppen . . 116 12.2 Mikropolitik auf Betriebsausfl ügen und Feiern . . . . . . . . . . . . . . . . 118 12.3 Zur Rolle des Alkohols . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 13 Die „kameradschaftliche Bürokratie“ und die Grenzen der wissenschaftlichen Untersuchung . . . . . . . . . . . 121 13.1 Die Herausbildung der „kameradschaftlichen Bürokratie“ . . . . . . . 122 13.2 Soziale Beziehungen als Tauschvorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 13.3 Das Wissen um die schwachen Stellen des Anderen . . . . . . . . . . . . 127 13.4 Konsequenzen für wissenschaftliche Untersuchungen . . . . . . . . . . 128 14 Organisationswirklichkeit anhand von Romanen . . . . . . . . . . . . . . . . 133 14.1 ,,08/15 in der Kaserne“ von Hans Hellmut Kirst . . . . . . . . . . . . . . 134 14.2 „Die Caine war ihr Schicksal“ von Hermann Wouk . . . . . . . . . . . 137 14.3 „Büroroman’’ von W.E. Richartz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 14.4 Der Nutzen der Lektüre von Romanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 VIII Inhaltsverzeichnis 15 Warum es so schwierig ist, Praktikern Organisationssoziologie zu vermitteln. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 15.1 Die Unverständlichkeit der Fachsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 15.2 Der Banalitätsvorwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 15.3 Der Vorwurf der „Wirklichkeitsverfehlung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 15.4 Das Ausblenden der Organisationswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 146 15.5 Der Verzicht auf Lebenshilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 15.6 Die depressive Grundstimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 15.7 Über eine sinnvolle Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Nachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1 Mikropolitik, Machiavellismus und Machtkumulation1 Die Beschäftigung mit Mikropolitik rührt aus einem mehrjährigen Aha-Erlebnis her – aus Erkenntnissen, gewonnen vor allem als Lehrling und Saisonarbeiter im „Hause Siemens“ und als wissenschaftlicher Mitarbeiter der bremischen Verwal- tung. Aufgewachsen war ich nämlich mit dem verkürzten Bewusstsein, dass unse- re Großorganisationen allesamt so funktionierten, wie der Idealtypus der Büro- kratie dies meint und „vorschreibt“, dass also alle Mitarbeiter berechenbar wären und hundertprozentig rollengerecht handelten, in allem programmiert, ähnlich den Ameisen und Bienen. Die Machtpotenziale aller Akteure schienen mir – in der Hierarchie kaskadenförmig nach unten hin abnehmend – ein für alle Mal unver- rückbar festgelegt zu sein, etwa so wie die elektrischen Potenziale bei den Bau- teilen eines Fernsehers, und ich hatte auch keinerlei Zweifel daran, dass es den einzelnen Mitarbeitern absurd vorkommen musste, diesen funktionsnotwendigen Schaltplan irgendwie infrage stellen oder irgendwie ändern zu wollen. Mit dieser Vorstellung sozusagen einrückend, kam es mir dann in der öffent- lichen wie der privaten Verwaltung, der Industrie- wie der Staatsbürokratie, sehr bald so vor, als ginge es dort sehr wildwüchsig bis geradezu chaotisch zu, zwar schon irgendwie geregelt und zielgerichtet, aber nicht so, dass das gebräuchliche Bild vom Verwaltungsapparat Sinn gemacht hätte; eher schien mir der Vergleich mit einem Fußballspiel, einer Fußballmannschaft angebracht: Alle hatten ein mehr 1 Bosetzky, Horst (1977): „Machiavellismus, Machtkumulation und Mikropolitik“, Zeitschrift für Organisation, Jg. 46, S. 121–125; erweitert in Bosetzky, Horst (1988): „Mikropolitik, Machiavellismus und Machtkumulation“, in: Willi Küpper; Günther Ortmann (Hg.): Mikropolitik. Rationalität, Macht und Spiele in Organisationen. Op- laden: WDV, S. 27–37. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 1 H. Bosetzky, Mikropolitik,https://doi.org/10.1007/978-3-658-23139-2_1 2 1 Mikropolitik, Machiavellismus und Machtkumulation oder minder festes Ziel und durchaus klar defi nierbare und sogar schriftlich fi xier- te Rollen. Auch wurde auf den ersten Blick alles nach einem elaborierten Regel- werk gesteuert und geleitet, aber dennoch war die Berechenbarkeit der Einzelnen und die Prognostizierbarkeit ihrer Handlungen ziemlich gering. Mir fi el damals auf, dass formal völlig ranggleiche Personen ganz verschiedene Einfl usspotenziale haben konnten – und mehr noch: dass es sogar Untergebene gab, die ihre Vorge- setzten fest im Griff hatten und deren Entscheidungen quasi selber trafen. Dazu kamen zahllose kleinere Beobachtungen über „Menschen im Machtspiel“, ihre Kämpfe – Siege und Niederlagen – um Statussymbole wie Räume, Teppiche, Gar- dinen, Schreibtische oder Lampen, um bessere Arbeit und Arbeitsbedingungen, um Aufstiegschancen, um knappe Ressourcen, um die Durchsetzung ihres Willens und ihrer Zielvorstellungen, aber auch das Registrieren vieler Anzeichen von Ohn- macht, Passivität und einem gottergebenen Sich- abfi nden mit dem Gegebenen: die Demutshaltung als Überlebensstrategie. Bei einem ersten Versuch, meine Impressionen irgendwie zu systematisieren, bin ich dann auf vier „axiomatische Annahmen“ gekommen: Erstens ist in jeder Organisation nur ein Teil der theoretisch vorhandenen Machtmenge fest an Per- sonen und Positionen gebunden, der andere ist frei fl utend und verfügbar. Da sich jede Organisation inmitten gesellschaftlicher Kräftefelder befi ndet, wirken zwei- tens außerorganisatorische Machtpotenziale in die Organisation hinein und be- einfl ussen deren „innere Gravitation“. Drittens gibt es in jeder Organisation Men- schen, die Macht und Einfl uss suchen und andere, die daran kein Interesse haben. Viertens sind Organisationsmitglieder an der Erhöhung ihres Machtpotenzials interessiert, so können sie dies in aller Regel nur dadurch erreichen, dass sie Koali- tionen bilden und sich im weiteren Sinne „politisch“– eben „mikropolitisch“ – ver- halten, das heißt, dass sie Gefolgsleute anwerben und für die Erreichung der eige- nen Ziele arbeiten lassen und ihnen im sozialen Tauschprozess als Gegenleistung dafür ihrerseits Unterstützung gewähren. Um dies wieder etwas zu konkretisieren, soll nun zuerst danach gefragt werden, inwieweit die einzelnen Formen der Auto- rität in Organisationen überhaupt „mikropolitischen Manipulationen“ zugänglich sind, in ihrer Stärke von der Zuschreibung anderer abhängen. 1.1 Die einzelnen Formen von Autorität und ihre Auf- bzw. Abwertung durch mikropolitische Aktivitäten Mit Autorität ist hier der für legitim gehaltene, innerlich anerkannte Einfl uss einer Instanz, Gruppe oder Person gemeint (vgl. Bosetzky/Heinrich 1986: 146ff.), und es zeigt sich, dass die Stärke einiger Formen von Autorität relativ unabhängig von

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