Migration und Integration in Berlin Frank Gesemann (Hrsg.) Migration und Integration in Berlin Wissenschatlliche Analysen lind politische Perspektiven Leske + Budrich, Opladen 2001 Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. © 2001 Leske + Budrich. Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urhebelTechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen. Übersetzungen, Mikro verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ISBN 978-3-8100-3060-3 ISBN 978-3-322-94931-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-94931-8 Inhalt Vorbemerkung des Herausgebers .. ........ ...... ..... ...... .... ... .......... ... ..... ..... ..... .......... 9 Frank Gesemann Einleitung: Migration und Integration in Berlin ................................................. 11 I. Ergebnisse und Perspektiven der Migrations- und Stadtforschung EI~in Kür:;at-Ahlers, Hans-Peter Waldhoff Die langsame Wanderung. Wie Migrationstheoretiker der Vielfalt gelebter Migration nachwandern ......... 31 Hartmut Häußermann Marginalisierung als Folge sozialräumlichen Wandels in der Großstadt ........... 63 11. Migration-und Integrationspolitik in Berlin: Def"lZite und Potentiale Andreas Kapphan Migration und Stadtentwicklung. Die Entstehung ethnischer Konzentrationen und ihre Auswirkungen ..... .......... 89 Uwe Hunger, Dietrich Thränhardt Die Berliner Integrationspolitik im Vergleich der Bundesländer ..................... 109 Thomas Schwarz Integrationspolitik als Beauftragtenpolitik: Die Ausländerbeauftragte des Berliner Senats ................................................. 127 Brigitte Mihok Der politische Umgang mit den bosnischen BÜfgerkriegsflüchtlingen in Berlin (1991-2000) ....................................................................................... 145 6 Inhalt Jürgen Fijallcowski Die ambivalente Funktion der Selbstorganisation ethnischer Minderheiten. Das Beispiel Berlin ..... ... ..... ..... .... ...... .......... ...... ... ...... ... ... ... ..... .... ..... ..... .......... 163 In. Arbeitsmarkt und Schule als zentrale Integrationsfelder Felicitas Hillmann Struktur und Dynamik der Arbeitsmarktintegration der ausländischen Bevölkerung in Berlin ............................................................... 185 Norbert Cyrus Schattenwirtschaft und Migration in Berlin. Ethnologische Annäherungen an ein offenes Geheimnis .................. ............... 209 Werner SchifJauer Staat - Schule - Ethnizität ................................................................................ 233 Julia Schneewind, Hans Merkens Inklusion und Exklusion von Mitgliedern der türkischen Minorität in Schulklassen ......................................................... 251 IV. Lebenswelten - Identitätsentwürfe - Handlungsorientierungen Sabine Mannitz "West Side Stories". Warum Jugendliche aus Migrantenfamilien das wiedervereinigte Berlin als geteilte Stadt erleben ..................................... 273 Arnd-Michael Nohl Bildung und Migration. Empirische Rekonstruktionen zu bildungserfolgreichen Jugendlichen aus türkischen Einwanderungsfamilien ... ...... ...... ..... .... ............... ..................... 293 Christoph Liell Gewalt in der "Gang". Konstruktion, Inszenierung, Praxis. .......................... ... .......................... ........... 313 Ane Caglar Stigmatisierende Metaphern und die Transnationalisierung sozialer Räume in Berlin ................................................................................... 333 Inhalt 7 v. Politische Diskurse und Konflikte Frederick Groeger Annut, Alltag und ethnisch-soziale Konflikte. Nachbarschaftskonflikte im "Problemviertel" und ihre zivilgesellschaftliche Bearbeitung .................................................................... 349 Frank Gesemann "Wenn man den Polizisten nicht vertrauen kann, wem dann?" Zur gegenseitigen Wahrnehmung von Migranten und Polizisten .................... 363 WilU Jasper, OlafGlöckner Jüdische Einwanderer aus der GUS in Berlin .................................................. 385 Frank Gesemann, Andreas Kapphan Lokale Gefechte eines globalen Kulturkonfliktes? Probleme der Anerkennung des Islam in Berlin ............................................... 397 Anhang Statistiken zu Migration und Integration in Berlin ....... ..... ...... ....... ..... ........ ..... 419 Die Autorinnen und Autoren ............................................................................ 425 Vorbemerkung des Herausgebers Der vorliegende Band stellt neuere Forschungsergebnisse vor, die sich mit ver schiedenen Aspekten von Migration und Integration befassen. Die Auseinander setzung mit der besonderen Situation in Berlin soll hierbei zu einer integralen sozialwissenschaftlichen Stadtforschung beitragen, die ökonomische, soziologi sche und ethnographische Forschungsansätze in diesem Themenfeld zusammen führt. Eine langjährige Auseinandersetzung mit migrationssoziologischen Frage stellungen, intensive Diskussionen im Rahmen einer "Arbeitsgruppe Migration" an der Humboldt-Universität zu Berlin und das weitgehende Fehlen interdiszi plinärer und systematischer Analysen zu Migration und Integration in Berlin gaben den Anstoß fiir konzeptionelle Vorarbeiten zu diesem Buch. Den Ausgangspunkt bildeten Fragen nach der Integrationskraft der deut schen Hauptstadt zu Beginn eines Jahrhunderts, das durch zunehmende Globali sierung, weitreichenden städtischen Strukturwandel und neue Wanderungsbe wegungen geprägt ist. Sind die bestehenden gesellschaftlichen Rahmenbedin gungen geeignet, um ökonomische und kulturelle Potentiale, die mit der Zuwan derung von Menschen verbunden sind, nutzbar zu machen oder fordern sie eher die Entstehung sozialer und ethnisch-kultureller Konflikte? Um dieses Vorhaben zu unterstützen, haben sich zahlreiche Autorinnen und Autoren zusammengefunden. Für ihre Mitarbeit, Diskussionsbereitschaft und Zuverlässigkeit möchte ich mich ganz besonders bedanken. Ohne ihr Enga gement hätte dieses ambitionierte Projekt nicht in dieser Form verwirklicht wer den können. Danken möchte ich auch der Friedrich-Ebert-Stiftung und insbesondere Dr. Johannes Kandel für die Förderung eines Workshops zum Buchprojekt. Die intensive und konstruktive Diskussion der vorliegenden Manuskripte hat die Überarbeitung der Beiträge erleichtert und zur Verbesserung ihrer Qualität bei getragen. Ein herzlicher Dank gilt auch der Hans-Böckler-Stiftung, die die Veröffent lichung dieses Bandes im Verlag Leske + Budrich durch einen Druckkostenzu schuss unterstützt hat. Für konzeptionelle Anregungen und ideellen Zuspruch möchte ich mich zudem ganz herzlich bei Norbert Cyrus, Andreas Kapphan und Iris Nentwig Gesemann bedanken, die mir stets als kritische Ansprech- und Diskussionspart ner zur Verfügung standen. Besonderer Dank gilt auch Jutta Aumüller für die professionelle und sorgfältige Bearbeitung der Texte. Berlin, im Juli 2001 Frank Gesemann Frank Gesemann Einleitung: Migration und Integration in Berlin Seit Bundeskanzler Schräder im Februar 2000 auf der Computermesse CeBIT die Einfiihrung einer "Green Card" vorgeschlagen hat, gibt es in Deutschland eine Diskussion über Fragen von Zuwanderung und Integration, die intensiver ist als je zuvor. Erstmals geht es nicht mehr nur um die Begrenzung, sondern auch um die Steuerung der Zuwanderung sowie um die Förderung der Integrati on. Inzwischen haben sowohl die von der Bundesregierung eingesetzte "Unab hängige Kommission ,Zuwanderung'" als auch die Zuwanderungskommission der CDU ihre Vorschläge vorgelegt; Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen und die Bundestagsfraktion der SPD haben entsprechende Beschlüsse verabschiedet. Die politische Umsetzung dieser Vorschläge, insbesondere die Rolle, die die Städte im Rahmen einer neuen Migrations- und Integrationspolitik spielen, ist aber noch unklar. So fordert beispielsweise Hajo Hoffmann, Präsident des Deutschen Städtetages und Mitglied der Zuwanderungskommission der Regie rung, nicht nur ein Zuwanderungsgesetz, sondern auch ein umfangreiches Integ rationsprograrnm. Die Städte sind fiir die Zuwanderung nicht gerüstet, denn sie "verfiigen weder über ausreichend qualifiziertes Personal noch über die entspre chende Finanzausstattung" (Interview mit der Braunschweiger Zeitung, 25. Mai 2001, siehe auch im Internet unter www.staedte-tag.de). Die Städte fordern da her ein nationales Konzept fiir eine geregelte Zuwanderung, das die "Aufnahme und Integrationsfähigkeit der Kommunen" ebenso berücksichtigt wie die "mit der Zuwanderung verbundenen finanziellen Lasten" (Forderungen des Deut schen Städtetages, 20. September 2000). Migration und Stadt Seit der Anwerbung von Arbeitskräften in den fiinfziger und sechziger Jahren konzentrieren sich Zuwanderer in den städtischen Ballungsregionen West deutschlands mit einem hohen Anteil an Industrie, verarbeitendem Gewerbe und spezialisierten Dienstleistungen. Hierzu gehören vor allem das Rhein-Ruhr Gebiet, die Rhein-Main-Region, der Stuttgarter Raum und der Großraum Mün chen. Diese großen Verdichtungsräume weisen einen mehr als doppelt so hohen und die Kernstädte einen fast dreifach so hohen Ausländeranteil wie die ländli chen Räume auf (vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen 2000: 11). Diese "traditionelle Sogwirkung der Wirtschaftszentren" aufMigran- 12 Frank Gesemann ten dürfte durch die "Strategie der Deregulierung" noch verstärkt werden, "denn fiir viele der flexibilisierten Arbeitsplätze benötigt man Menschen, die bereit oder gezwungen sind, unter diesen Arbeitsbedingungen anzutreten" (Dangschat 1998: 66). Der Zusammenhang von Migration und Stadtentwicklung wurde bislang vor allem im Rahmen von Studien zur Lebenssituation von Zuwanderern und zur Integrationspolitik von Städten thematisiert (siehe hierzu insbesondere die Sammelbände von HäußermanniOswald 1997 und Schmals 2000). Im Vorder grund standen hierbei - neben der empirischen Beschreibung von Lebensbedin gungen und Handlungsstrategien von Migranten - Analysen sozialer Desintegra tionsprozesse und ethnisch-kultureller Konfliktkonstellationen (vgl. Dangschat 1998; Häußermann 1998; Heitmeyer u.a. 1998; Bremer 2000; Heitmeyer/Anhut 2000) sowie politischer Handlungsstrategien von Städten (vgl. Bammes 1996; FES 1996; KrummacherlWaltz 1996; Schmals 2000 sowie die Veröffentlichun gen zur WOHNBUND-Konferenz "Migration - Stadt im Wandel" von Brechl Vanhue 1997 und AmanniNeumann-CaseI1997). Viele stadtsoziologische Untersuchungen zeigen, dass der ökonomische Strukturwandel (Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft) mit einer Polarisierung sozialer Lebenslagen (Marginalisierungstendenzen auf dem Arbeitsmarkt, Abbau sozial staatlicher Leistungen, Zunahme sozialräumlicher Spaltungen) einhergeht, die die Integrationskraft der Städte erheblich schwä chen. Häufig wird befürchtet, dass diese Desintegrationsprozesse und "sozial räumlichen Problemkumulationen" zu einer Zunahme von sozialen und eth nisch-kulturellen Konflikte führen (Anhut/Heitmeyer 2000: 552; siehe auch Dangschat 1998; Friedrichs 1998; Häußermann 1998). Die vielfach diagnosti zierte "Krise der ,sozialen Stadt'" (Hartmut Häußermann) ist aber nicht zuletzt auch eine Krise ihrer eingeschränkten politischen Handlungsspielräume. Während beispielsweise die Rahmenbedingungen der Zuwanderung durch die nationale Gesetzgebung bestimmt werden, tragen die Kommunen die Haupt last des Integrationsprozesses. Die städtische Politik gegenüber Migranten steckt daher "in dem Dilemma, zum einen mit wachsenden Ausländerzahlen umgehen zu müssen und deren langfristige Integration sogar fördern zu wollen, zum ande ren aber keine wirkliche Einwanderungspolitik betreiben zu können" (Häußer mann 1998: 147). Michael Bammes (1996: 213) hat in diesem Kontext gezeigt, dass das "charakteristische Schwanken" der Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland "zwischen dem Eintreten für die Integration von Migranten und der Abwehr von Migranten" die Struktur der Problembearbeitung in den föderalen Systemen moderner Wohlfahrtsstaaten widerspiegelt. Migration und Integration in Berlin Die Geschichte Berlins ist seit Jahrhunderten mit der wechselhaften Geschichte von Migration und Integration verbunden. Unterschiedliche Gruppen von Zu wanderern wie die Hugenotten, die böhmischen Glaubensflüchtlinge, das jüdi- Einleitung: Migration und Integration in Berlin 13 sche Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum sowie die polnischen Arbeitsmigran ten haben die wirtschaftliche Entwicklung und den kulturellen Reichtum der Stadt nachhaltig geprägt (vgl. Jersch-Wenzel/John 1990). Die historische For schung hat zudem auf den "zuweilen außerordentlich mühseligen und langwie rigen Prozess der Integration von Zuwanderern" hingewiesen und damit das verbreitete und idealisierende Bild der Metropolen als "Schmelztiegel" von Menschen unterschiedlicher Herkunft korrigiert (Jersch-WenzeI1990: 8). Der Nationalsozialismus und der Zweite Weltkrieg haben auch in Berlin tiefe Einschnitte zur Folge gehabt. Die Jüdische Gemeinde, die 1925 nach der Bildung Großberlins, noch fast 175.000 Personen umfasst hatte und die viert größte in Europa war, wurde durch die nationalsozialistische Verfolgung, Aus grenzung, Vertreibung und Vernichtung der Juden fast völlig zerstört. Nachdem über 90.000 Juden zur Emigration gezwungen worden waren, wurden etwa 50.000 Männer, Frauen und Kinder in den "Vernichtungs stätten des Ostens" er mordet. Ende 1945 zählte die Gemeinde nur noch etwa 7.000 Mitglieder, von denen etwa 2.800 den nationalsozialistischen Terror im Untergrund oder in den Konzentrationslagern überlebt und die restlichen nichtj üdische Ehepartner hat ten (vgl. Rürup 1995: 7ff., 326). Sofern sie nicht längst zu Einheimischen ge worden waren, haben zudem fast alle Ausländer Berlin in den dreißiger Jahren fiir immer verlassen. Die ethnisch-kulturelle Vielfalt der Weimarer Republik ist damit unwiederbringlich verloren gegangen. Die Teilung der Stadt in vier Sektoren bzw. Besatzungszonen, die zwei ge gensätzlichen politischen Systemen und konkurrierenden Machtblöcken ange hörten, die räumliche und wirtschaftliche Isolation des Westteils sowie die sozi alistische Umgestaltung des Ostsektors bewirkten, dass Berlin nicht mehr an seine frühere politische, wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung anknüpfen konnte und daher auch fiir potentielle Zuwanderer an Attraktivität verlor. Zu Beginn der sechziger Jahre lebten - mit Ausnahme von Angehörigen der alliier ten Streitkräfte - kaum noch Menschen in der Stadt, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hatten (vgl. Häußermann/Kapphan 2000: 57f.). Im Unterschied zu anderen westdeutschen Bundesländern hat Westberlin "erst seit 1968 in schnell wachsender Zahl die Beschäftigung von ausländischen Arbeitnehmern entsprechend den Forderungen der Wirtschaft begünstigt" (Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Senatskanzlei/Planungsleitstelle 1972: 4). Diese Entwicklung war durch eine stark abweichende Zusammensetzung der ausländischen Arbeitnehmer nach Nationalität und Geschlecht gekennzeichnet. Da das Arbeitskräfteangebot Italiens, Spaniens und Griechenlands Ende der sechziger Jahre weitgehend ausgeschöpft war, wurden vor allem türkische und jugoslawische Arbeitnehmer angeworben. Bemerkenswert war zudem der hohe Anteil von Frauen, die vor allem von der Berliner Elektro- und Konsumgüterin dustrie als einfache ungelernte Arbeitskräfte nachgefragt wurden (vgl. Der Re gierende Bürgermeister von Berlin, SenatskanzleilPlanungsleitstelle 1972: 4f.). Auf die Anwerbung von Arbeitsmigranten und den Nachzug ihrer Familien in den sechziger und siebziger Jahren folgten die Zuwanderung von Flüchtlingen
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