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Metzler Film Lexikon PDF

782 Pages·2005·12.53 MB·German
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J.B.METZLER METZLER FILM LEXIKON Herausgegeben von Michael Töteberg 2., aktualisierte und erweiterte Auflage mit 103 Abbildungen Verlag J.B. Metzler Stuttgart · Weimar INHALT Vorwort V Filme von A–Z 1 Glossar 720 Bibliographie 727 Register – Regisseurinnen und Regisseure 744 – Schauspielerinnen und Schauspieler 748 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter 774 Bildquellenverzeichnis 776 Der Herausgeber Michael Töteberg, geb. 1951; Leiter der Rowohlt Agentur für Medienrechte und freier Autor; Herausgeber der Schriften von Rainer Werner Fassbinder und Tom Tykwer; Veröffentlichungen u.a. zu Fritz Lang, Federico Fellini und zur UFA. Bei J.B. Metzler ist erschienen: »Film – an International Bibliographie«, 2002. Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. ISBN-13: 978-3-476-02068-0 ISBN 978-3-476-05260-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-05260-5 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2005 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J. B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH in Stuttgart 2005 www.metzlerverlag.de [email protected] Vorwort »Der Film ist die Kunst des 20.Jahrhunderts«, postu- lität und ästhetischen Standards, wie sie sich in den lierte einst Fritz Lang, dessen Karrierestart noch in Zentren kommerzieller Filmproduktion herausgebil- die Stummfilmzeit fällt. Fünfzig Jahre später konsta- det haben, sollten auch gegenläufige Tendenzen prä- tierte Tom Tykwer mit großer Selbstverständlich- sent sein: Etablierte und verkrustete Strukturen pro- keit: »Zu Beginn des 21.Jahrhunderts ist für den vozierten stets Erneuerungsbewegungen. Genres wie Film keine ernstzunehmende Konkurrenz in Sicht, der Western, der Horrorfilm oder das Melodrama, er ist das dominante Medium der Gegenwart, die aber auch politische Propagandastreifen oder monu- führende Kommunikationsplattform, die populärste mentale Ausstattungsfilme sind ebenso vertreten aller Künste.« wie die verschiedenen Spielarten des Autorenfilms. 52.000Titel bietet das größte deutsche Filmlexikon. Die Defizite sind dem Herausgeber bewußt: Der Wem das nicht reicht, der geht ins Netz: Auf der europäische Film und das amerikanische Kino haben Website www.filmportal.de findet er Daten zu allen ein Übergewicht, während die Kinematographien deutschen Kinofilmen, in der Internet Movie Data von Ländern der Dritten Welt nur mit wenigen Base, www.imdb.com, die internationale Produk- Werken aufgenommen wurden. Trotzdem hat sich tion. Das Metzler Film Lexikon beschränkt sich auf der Herausgeber bemüht, nicht allein den gängigen eine Auswahl von gut 500 Werken. Sie stammen aus Kanon nachzuzeichnen. Erfolg, wie er sich an der verschiedensten Zeiten und Ländern, haben jedoch Kasse oder bei der Oscarverleihung manifestiert, eines gemeinsam: Sie repräsentieren die Filmkunst bildete kein entscheidendes Kriterium: Wichtiger er- in der mehr als hundertjährigen Geschichte des schien die langfristige Wirkung eines Films, wie sie Mediums. René Clair, der die Pionierjahre und die sich in den nachfolgenden Werken oder in der Ver- Tonfilm-Revolution miterlebte, hat rückblickend be- änderung von Wahrnehmungsstrukturen beim Zu- dauert, daß der Begriff »Film« sowohl das Verfahren schauer zeigt. Der einzelne Film wird stets im Kon- der bildlichen Reproduktion wie das Ausdrucksmit- text analysiert: innerhalb der Filmgeschichte, mit tel meint: Man nenne ja auch nicht alles, was Bezug auf andere Werke desselben Regisseurs, auf gedruckt werde, Literatur. Die Filme, die in diesem vorhergegangene, parallel entstandene oder – ein Lexikon behandelt werden, haben allesamt, auch Aspekt produktiver Rezeption – von ihm inspirierte wenn sie für Außenseiter-Positionen stehen, Film- Filme und auch im Zusammenhang mit den öko- geschichte gemacht. Sie zeichnen sich durch ästhe- nomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedin- tische oder technische Innovationen aus, haben Gen- gungen. Der Film war nie reine Kunst, sondern res begründet oder verändert, bilden das Repertoire immer auch das Produkt der Unterhaltungsindustrie einer Kunst, die hierzulande erst spät wissenschaft- seiner Zeit. Produzenten und Verleihfirmen haben liche Reputation erlangt hat. aus kommerziellen Motiven, politische Instanzen mit Die getroffene Auswahl, obwohl mit Fachleuten und Blick auf die Massenwirkung direkt oder indirekt Freunden immer neu diskutiert, ist naturgemäß an- Einfluß genommen. Profitdenken wie Zensurbehör- greifbar. Umfragen nach den 100 besten Filmen sind den sind gleichermaßen verantwortlich dafür, daß unter Cineasten ein beliebtes Gesellschaftsspiel, doch berühmte Klassiker der Filmgeschichte nur in ver- konnte es hier nicht um eine subjektive Hitliste stümmelter oder tendenziös veränderter Fassung in gehen. Es galt, die großen Regisseure mit charak- die Kinos kamen. teristischen Beispielen aus verschiedenen Schaffens- Das Metzler Film Lexikon versteht sich als Nach- und Stilperioden vorzustellen, zugleich aber die kol- schlagewerk für Kinogänger, die sich über Thema lektiven Hervorbringungen des Studiosystems nicht und Stil informieren wollen, ohne mit bloßen In- zu vernachlässigen. Neben künstlerischer Individua- haltsangaben und fragwürdigen Wertungen zufrie- V Vorwort den zu sein. Produktionsgeschichte, Mise-en-scène, hält der Band zusätzlich Exposés, Treatments, Auf- Darstellungsstil, Erzählstruktur und Dramaturgie, sätze oder Interviews, so wird dies unter dem Ober- Kameraführung und Lichtgestaltung, Montage und begriff »Materialien« notiert. Die Angaben zur Sekun- Musik, die Rezeption, wozu auch Hinweise auf Re- därliteratur bemühen sich um Benutzerfreundlich- makes und Sequels gehören: Dies sind einige keit: Liegt ein vergriffenes Buch in einer Neuausgabe Aspekte, auf die in den Artikeln zu den Filmen Wert vor, ist eine Filmkritik in einem Sammelband leich- gelegt wurde. Ein standardisierter Aufbau der Artikel ter greifbar, wurde diesen Angaben der Vorzug gege- erschien dem Herausgeber nicht sinnvoll. Angeord- ben. Sigel wurden grundsätzlich aufgelöst, bei der net ist das Lexikon nach Originaltiteln, gegebenen- fremdsprachigen Sekundärliteratur wurde engli- falls erfolgt beim deutschen Verleihtitel ein entspre- schen und französischen Texten der Vorzug gege- chender Verweis. Im Kopf der Filmographie werden ben. Im Anhang des Lexikons listet eine Biblio- genannt: das Land, die Produktionsfirma und das graphie die wichtigste Standardliteratur zum Thema Entstehungsjahr, das vom Jahr der Uraufführung Film auf; Monographien zu Regisseuren, die mit fünf abweichen kann; es folgen Längen- und Format- oder mehr Werken vertreten sind, sind dort ge- angaben, wobei wiederum das Original, nicht eine sondert nachgewiesen. eventuelle spätere Bearbeitung (z.B. das spätere Als Fachberater standen dem Herausgeber Günter Aufblasen von 16mm auf 35mm oder nachträglich Agde, Rolf Aurich, Hans-Michael Bock und Rüdiger vom Produzenten vorgenommene Kürzungen) ent- Koschnitzki zur Seite. Ohne die Unterstützung von scheidend waren. Bei den Stummfilmen erfolgt die CineGraph (Hamburg), dem Deutschen Filmmu- Längenangabe in Metern. Nach den Angaben zu seum Berlin/Stiftung Deutsche Kinemathek sowie Regisseur (R) und Drehbuchautor (B), gegebenen- dem Deutschen Filminstitut und dem Deutschen falls ergänzt um den Hinweis auf eine literarische Filmmuseum (beide Frankfurt a.M.) wäre die Lite- Vorlage, folgen Kamera (K), Ausstattung (A), Bau- ratur-Recherche kaum erfolgreich zu bewerkstelli- ten (Ba), Schnitt (S) und Musik (M). Bei den gen gewesen. Für die 2.Auflage wurden alle Artikel Darstellern war Beschränkung geboten auf die wich- kritisch durchgesehen und gegebenenfalls ergänzt, tigsten Hauptdarsteller, in Klammern die Rollen- die Bibliographien durchgängig aktualisiert. namen. Das Kino, oft totgesagt, erneuert sich ständig – Die Bibliographien am Schluß des Artikels geben durch technische Innovationen, vor allem aber dank Hinweise auf weiterführende Literatur. Zuerst wer- neuer aufregender, unsere Wahrnehmung der Welt den Textausgaben genannt, wobei eine grobe Kate- verändernde Filme. Davon hat auch dieses Lexikon gorisierung versucht wurde: Drehbücher können profitiert: Für die vorliegende Auflage wurde es um vom realisierten Film abweichen. Filmprotokolle mehr als vierzig neue Filme erweitert. Gleichzeitig sind nachträglich erstellte Beschreibungen, die wis- sind die Werke der Filmkunst dank exzellenter Edi- senschaftlichen Maßstäben genügen; die in den USA tionen auf DVD heute leicht zugänglich und nicht üblichen Final Shooting Scripts wurden zu den Film- länger mehr nur ein Fall fürs Filmmuseum. Ob protokollen gerechnet. Alle sonstigen Zwischenfor- digitale oder analoge Bildwiedergabe, Zelluloid oder men werden Filmtext genannt: In der Regel handelt elektronischer Datenträger, auf der Leinwand er- es sich um die Wiedergabe von Dialogen und knap- leben wir, so der leidenschaftliche Cineast Tom pen Szenenbeschreibungen, jedoch ohne Angaben Tykwer, eine visuelle »Imitation of Life«. zu Einstellungen. (Den Verlagsangaben ist, da sich Michael Töteberg eine »Filmnovelle« leichter verkaufen läßt als eine erste literarische Drehbuchfassung, in den seltensten Fällen zu trauen; auf die Aufnahme von »Büchern zum Film«, d.h. in der Regel von Ghostwritern erstellten Romanfassungen, wurde verzichtet.) Ent- VI À BOUT DE SOUFFLE DAS ABENTEUER äAvventura fen, negieren die klassische Dramaturgie. »Eigent- lich ist es ein Film, der am Ende der Nouvelle Vague À BOUT DE SOUFFLE (Außer kam«, so Godard im Rückblick, 20 Jahre nach der Atem). Frankreich (Société Nouvelle de Premiere, »es ist ein Film ohne Regeln oder dessen Cinéma) 1959. 35mm, s/w, 90Min. einzige Regel hieß: Die Regeln sind falsch oder R:Jean-Luc Godard. B:Jean-Luc Godard, nach werden falsch angewendet.« einem Szenario von François Truffaut; tech- Die stilistischen Besonderheiten verdanken sich je- nische Beratung: Claude Chabrol. K:Raoul doch nicht allein dem Kunstwillen Godards, sondern Coutard. S:Cécile Decugis, Lila Herman. auch den ökonomischen Zwängen der Produktion. M:Martial Solal, Wolfgang Amadeus Mozart. So mußte er seinen mehr als zwei Stunden langen D:Jean Seberg (Patricia Franchini), Jean-Paul Film auf die vereinbarten 90 Minuten kürzen. Das Belmondo (Michel Poiccard), Henri-Jacques führte z.B. dazu, daß das Gespräch zwischen Michel Huet (Antonio Berruti), Jean-Pierre Melville und Patricia während ihrer Fahrt im offenen Wagen (Parvulesco). durch Paris nicht im üblichen Schuß-Gegenschuß- Verfahren gezeigt wird. Um Einstellungen und damit Truffaut, ehemaliger Kritikerkollege Godards bei den Zeit zu sparen, ist während des Dialogs nur der zu »Cahiers du Cinéma« und wie dieser Mitbegründer sehen, der zuhört. der Nouvelle Vague, wagte nach der Premiere von A A bout de soufflewar gedacht als Hommage an den bout de souffle die Prophezeiung, daß das Kino amerikanischen Film noir; gewidmet ist der Film niemals mehr so sein werde wie zuvor. Manche den »Monogram Pictures«, einer Produktionsgesell- Zeitgenossen gingen soweit, Godards Revolution im schaft, der das Genre einige bedeutende Werke ver- Kino mit der umwälzenden Kraft des Kubismus in dankt. Die Hommage gerät Godard allerdings eher der Malerei zu vergleichen. zu einer subtilen Parodie. Jean-Paul Belmondo imi- Godards Film wirkte auf die damaligen Zuschauer tiert charakteristische Gesten seines Idols Humphrey nicht nur irritierend, sondern geradezu schockie- Bogart, mit dessen Bild im Schaukasten eines Kinos rend, weil er gegen die bis dahin geltenden ästhe- er sogar kurz Zwiesprache hält. Während Bogart tischen Regeln des Erzählkinos in eklatanter Weise jedoch in seinen Rollen immer Sieger bleibt, gehört verstieß: Gedreht wurde nicht im Studio, sondern Belmondo zu den Verlierern. Was der Filmemacher auf der Straße, auf dem Lande, in den Zimmern und hier markiert, ist die Kluft zwischen Mythos und den Büros, um das Leben dort zu filmen, »wo es ist« Alltagsrealität, zwischen Film und Leben. Godard (Godard). Da ohne Kunstlicht gefilmt wurde, sind kehrt überdies das psychologische Modell der Vor- bei Innenaufnahmen – trotz des verwendeten hoch- bilder um, indem der verfolgte Gangster nicht flieht, empfindlichen Filmmaterials – die Gesichter stellen- sondern sich von der Polizei erschießen läßt. Wenn weise nicht richtig zu erkennen. Die bewegte Ka- am Ende des Films Belmondo angeschossen auf der mera benutzt weder Schienen noch Stativ: Das Straße liegt und kurz vor seinem Tod noch Grimas- verleiht den Filmbildern ihr nervöses Temperament, sen schneidet, sich – sterbend – dann sogar selbst den Szenen und Sequenzen ihren lebhaften Rhyth- die Augen zudrückt, mutiert die Parodie zur Entmy- mus. Am gravierendsten jedoch waren die tech- thologisierung einer ganzen Filmtradition. nischen und dramaturgischen Verstöße. So mußte Godards erster langer Spielfilm basiert auf einem der Kameramann Raoul Coutard Schwenks über die Szenario von Truffaut, das dieser wiederum aus konventionellen Margen hinaus vornehmen, kleine einer Zeitungsmeldung über einen Polizistenmord Achsenverschiebungen und sogar Sprünge über die entwickelt hatte. Als Liebesgeschichte zwischen Achse. Falsche Anschlüsse und eine durch »jump- dem kleinen Kriminellen Michel Poiccard und der cuts« geprägte elliptische Erzählweise, bei der oft- amerikanischen Studentin Patricia, die ihn am Ende mals Dialoge und Bildmontage asynchron verlau- bei der Polizei denunziert – womit sie sich beweisen 1 À BOUT DE SOUFFLE À bout de souffle: Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg will, daß sie Michel im Grunde doch nicht liebt–, ist witzigen Slang Belmondos – A bout de souffle zu der Plot eher banal. Und dennoch erlaubt er dem einem Kultfilm gemacht haben. Einen Status, den Regisseur Fragestellungen, die für die Befindlichkeit das Hollywood-Remake Breathlessvon Jim McBride der damals 20- bis 30jährigen – zu denen Godard aus dem Jahre 1983 wohl nie erreichen wird. selbst gehörte – bezeichnend waren. So wird der berühmte Schriftsteller Parvulesco (gespielt von »A bout de souffle«, in: L’Avant-Scène du Cinéma, 1968, dem Regisseur Jean-Pierre Melville) gefragt: »Meinen H.79. (Filmprotokoll, Szenario). – »Breathless«. Hg. J. Dud- ley Andrew. New Brunswick 1987. (Filmtext, Materialien). Sie, daß man in unserer Zeit noch an die Liebe Charles Barr: »A bout de souffle«, in: Ian Cameron (Hg.): glauben kann?« Worauf er die Gegenfrage stellt: The Films of Jean-Luc Godard. London 1969; Gerd Bauer: »Wenn nicht daran, woran denn sonst?« An anderer »Jean-Luc Godard: Außer Atem/A bout de souffle«, in: Stelle ist es Patricia, die sich selbst befragt: »I don’t Helmut Korte/Johannes Zahlten (Hg.): Kunst und Künstler know if I’m unhappy, because I’m not free or if I’m im Film. Hameln 1990; Pamela Falkenburg: »›Hollywood‹ not free, because I’m unhappy?« Eine existentialisti- and the ›Art Cinema‹ as a Bipolar Modeling System: A bout de souffle and Breathless«, in: Wide Angle, 1985, sche Bedeutung bekommen diese Fragen, wenn Pa- H.3; Thomas Gagalick: »Kontinuität und Diskontinuität im tricia eine Passage aus William Faulkners Erzählung Film«. Münster 1988; Jean-Luc Godard: »Einführung in eine »Wild Palms« zitiert: »Vor die Wahl gestellt, zwischen wahre Geschichte des Kinos« München 1981; Michel Marie: dem Leiden und dem Nichts zu wählen, entscheide »›It really makes you sick!‹: Jean-Luc Godard’s A bout de ich mich für das Leiden« – was Michel als einen souffle«, in: Susan Hayward/Ginette Vincendeau (Hg.): Kompromiß betrachtet. French Films. London, New York 1990; Jürgen E. Müller: Es sind diese Fragen, die – neben dem formalen wie »Intermedialität«. Münster 1996. inhaltlichen anarchischen Gestus und dem locker- Achim Haag 2 ABSCHIED VON GESTERN ABSCHIED VON GESTERN wird erneut verurteilt und bekommt im Gefängnis Bundesrepublik Deutschland (Kairos/Indepen- ein Kind. dent) 1965/66. 35mm, s/w, 88Min. Kluge zeichnet ein Psychogramm der bundesdeut- R:Alexander Kluge. B:Alexander Kluge, nach schen Verhältnisse Anfang der sechziger Jahre. Anita seiner Erzählung »Anita G.«. K:Edgar Reitz, G. kann sich nicht in die Gesellschaft integrieren, Thomas Mauch. S:Beate Mainka. weil sie die Vergangenheit noch nicht bewältigt hat. D:Alexandra Kluge (Anita G.), Edith Kuntze- Der Holocaust, zu dieser Zeit in der Bundesrepublik Peloggio (Bewährungshelferin Treiber), Palma noch ein Tabu-Thema, ist im Film ständig präsent. Falck (Frau Budek), Käthe Ebner (Frau des Von der unbearbeiteten Angst kann Anita sich nicht Chefs der Schallplattenfirma), Hans Korte befreien; immer wieder drängen Bilder aus ihrer (Richter), Alfred Edel (Universitätsassistent), Kindheit hervor – Postkarten, Familienfotos, nicht Fritz Bauer (Generalstaatsanwalt). immer sofort entschlüsselbar–, übermannen sie Verfolgungsvisionen, in denen Figuren aus ihrer Abschied von gestern gilt als programmatischer Gegenwart, wie z.B. die Bewährungshelferin, auf- Auftakt zum Neuen deutschen Film, dessen künst- treten. lerischer Anspruch 1962 in Oberhausen unter Mit- Die elliptische Erzählweise verdeutlicht schon in wirkung von Kluge formuliert wurde. Während die ihrer Struktur das zentrale Problem: die Entfrem- etablierte Filmwirtschaft, als ›Papas Kino‹ ver- dung des einzelnen in der Gesellschaft. Die distan- höhnt, sich in der Krise befand, nutzte eine Gruppe ziert-ironische Darstellung wird durch eingeblendete von Filmemachern, die bislang nur durch Kurzfilme Schrifttafeln unterstützt. Kluge montiert frag- hervorgetreten waren, die Situation, um ihre eige- mentarische Szenen und Motive, die häufig nur nen Vorstellungen zu realisieren. Auch auf film- assoziativ miteinander verbunden sind und deren politischem Gebiet waren sie erfolgreich: Kluge war Zusammenhang sich oft erst im Nachhinein er- als Initiator wesentlich beteiligt an der Schaffung schließt. Andere Szenen werden geprägt von einem einer bundesdeutschen Filmförderung. Abschied dokumentarischen Stil: Die Hauptdarstellerin, Alex- von gesternwar der erste Film, der mit Mitteln des ander Kluges Schwester, hat die Figur mit ihren neu gegründeten Kuratoriums ›Junger deutscher Lebensdaten und biographischen Details ausgestat- Film‹ entstand. tet; andere Darsteller, wie der Generalbundesanwalt Mit einer Gerichtsverhandlung wird Anita G. einge- Bauer, spielen sich selbst. Verse und Sprichwörter führt: Der Jüdin, in der DDR aufgewachsen und werden vorgelesen, Kindergedichte im Off gespro- 1957 in den Westen gekommen, wird vorgeworfen, chen, ein Geflecht von Beziehungsebenen herge- eine Strickjacke gestohlen zu haben. Die Reststrafe stellt. Die Montage oft rätselhafter Bilder – jüdische wird zur Bewährung ausgesetzt, doch flieht sie vor Grabsteine mit Hasen, eine blutende Gummihand – der Bewährungshelferin, die sie mit hohlen christli- stellt eine zusätzliche Ebene dar, die nicht als chen Sprüchen traktiert. Anita G. erlebt verschie- Traumwelt gezeigt wird, sondern die gleiche Reali- dene Ausschnitte bundesdeutscher Wirklichkeit: Sie tätshaltigkeit gewinnt wie das szenisch Darge- arbeitet als Vertreterin einer Schallplattenfirma, stellte. wird Zimmermädchen, besucht die Universität. Am Was noch in den sechziger Jahren als rückhaltloser Ende steht immer eine Flucht: Sie kann ihre Rech- Bruch mit den Erzählkonventionen erschien und nungen nicht bezahlen, wird des Diebstahls bezich- schwer verständlich wirkte, erweist sich heute als tigt. Anita hat kein Verhältnis zum Geld, sie kennt angemessene Gestaltung jener Zeit. Wenn die hei- die Rituale und Normen der Gesellschaft nicht. Mit matlose Anita G. mit ihrem Koffer durch die moder- einem Ministerialrat beginnt sie ein Verhältnis, doch nen Großstadtlandschaften läuft, auf Brücken, vor auch er kann ihr nicht helfen und will sie nur leeren Fenstern, an Straßenkreuzungen steht, wird »erziehen«. Schließlich stellt sie sich der Polizei, die Unwirtlichkeit der modernen Städte und das 3 Abschied von gestern: Alexandra Kluge Ausgeliefertsein der Menschen deutlich. Kluge hat ABSCHIED VON MATJORA später seinen Montagestil weiterentwickelt, doch die äProsˇcˇanie Prinzipien seiner Ästhetik, ihr Ziel, symbolhafte Ver- dichtungen für die Darstellung der Gegenwart zu ACCATTONE (Accattone – Wer nie finden, sind in diesem Film bereits in allen Grund- sein Brot mit Tränen aß). Italien (Arco Film/ formen angelegt. Cino del Duca) 1961. 35mm, s/w, 120Min. R+B:Pier Paolo Pasolini. K:Tonino Delli Colli. »Abschied von gestern«. Hg. Enno Patalas. Frankfurt a.M. A:Gino Lazzari. Ba:Flavio Mogherini. S:Nino o.J. (Filmprotokoll). Baragli. M:Johann Sebastian Bach. Werner Barg: »Erzählkino und Autorenfilm«. München D:Franco Citti (Accattone), Franca Pasut 1996; Thomas Böhm-Christl (Hg.): »Alexander Kluge«. (Stella), Paolo Guidi (Ascenza), Silvana Cor- Frankfurt a.M. 1983; Robert Fischer/Joe Hembus: »Der sini (Maddalena), Adriana Asti (Amore), Neue Deutsche Film«. München 1981; Peter W. Jansen/ Wolfram Schütte (Hg): »Herzog/Kluge/Straub«. München Adriana Moneta (Margheritona), Luciano 1976; Rainer Lewandowski: »Alexander Kluge«. München Conti (Giorgio). 1980; ders.: »Die Filme von Alexander Kluge«. Hildesheim, New York 1980; Enno Patalas: »Abschied von gestern«, in: Accattoneist Pier Paolo Pasolinis erster Film, aber er Filmkritik, 1966, H.11; Ilona Perl: »Reflexionen über die ist das Erstlingswerk eines schon als Lyriker, Essay- Mittel des Kinos«, in: Film, Velber, 1966, H.10; Guntram ist und Romancier anerkannten Schriftstellers. Ein Vogt: »Die Stadt im Film«. Marburg 2001; Ernst Wendt: »Fluchtbeschreibung«, in: Film, Velber, 1966, H.11. reifes Werk, das aber alle Unverwechselbarkeit und Knut Hickethier radikale Neuheit großer Erstlingswerke hat. Das in Frankreich gerade ausgerufene ›cinema d’auteur‹ 4

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Über 550 Filme von der Stummfilmzeit bis heute. Die Artikel informieren über Produktionsbedingungen, Form, Inhalt und Wirkung. Jedem Eintrag folgen Filmografien und Literaturangaben. Viele Abbildungen, verschiedene Register und ein ausführliches Glossar verleiten zum Schmökern. Ein Lexikon für
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