Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft Begründet von F. von Liszt und W. Kaskel Herausgegeben von W. Kunkel· P. Lerche· W. Mieth · W. Vogt Abteilung Rechtswissenschaft Karl Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft Zweite, neu bearbeitete Auflage Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1969 Professor Dr. KARL LARENZ Juristische Fakultät der Universität München ISBN 978-3-662-26939-8 ISBN 978-3-662-28411-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-28411-7 Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Bnches darf ohne schriftliche Genehmigung des Springer-Ve rlag Berlin Beideiberg GmbH. übersetzt oder in irgendeiner Form vervielfältigt werden. © by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1969. Ursprünglich erschienen bei Springer-Verlag Berlin Beideiberg 1969 Softcover reprint of the bardeover 2nd edition 1969 Library of Congress Catalog Card Number 69-14215. Titel-Nr. 4413 Vorwort zur zweiten Auflage In den 8 Jahren seit dem Erscheinen der 1. Auflage dieses Buches ist nicht nur ein umfangreiches Schrifttum zu Methodenfragen erschienen, auch der Grad der methodischen Bewußtheit rechtswissenschaftlicher Arbeiten hat sich durchweg erhöht. Das gilt auch für die Entscheidungen der obersten Gerichte. Die Neubearbeitung hatte hierauf Rücksicht zu nehmen. Aber auch manche neue Erkenntnisse sind in sie eingegangen, die der Verfasser, nicht zuletzt durch die Erörterung der Probleme in seinen Seminaren und mit seinen Mitarbeitern, inzwischen gewonnen hat. Daraus ergab sich eine nicht unbeträchtliche Vermehrung des Umfangs, wobei jedoch die Gesamtkonzeption unverändert geblieben ist. Erfuhr im historisch-kritischen Teil die Darstellung der methodischen Be strebungen der Gegenwart eine Erweiterung, so wurden im systemati schen Teil eine Reihe neuer Abschnitte eingefügt, so über die "Tat" und "Rechtsfrage", Rechtsfolgen aus Rechtsgeschäften, Lückenfest stellung, Bedeutung von Präjudizien, soziologische und rechtliche Typen und über das "innere System" des Rechts als ein System nicht der Be griffe, sondern der Funktionszusammenhänge und Prinzipien. Ich hoffe, daß es mir so gelungen ist, ohne die Geschlossenheit des Ganzen zu be einträchtigen, Lücken zu schließen, deren Vorhandensein mir immer deutlicher geworden war. Beibehalten habe ich die Beschränkung auf die Methoden der "dogmatischen" Rechtswissenschaft, in der ich freilich nicht nur ein Instrument der Rechtstechnik, sondern einen unter mehreren Wegen zur Gewinnung auch von Rechtserkenntnissen erblicke. Ich danke allen denen, die mir durch ihre eigenen Arbeiten oder durch wissenschaftliche Gespräche geholfen haben, vor allem auch Herrn Rechts referendar DETLEF LEENEN für seine verständnisvolle Mithilfe bei den Registern und der Korrektur. Ihm ist die starke Ausweitung des Sachregi sters zu danken, durch die es dem Benutzer des Buches ermöglicht werden soll, die methodischen Aspekte eines bestimmten Rechtsproblems rasch aufzufinden. Gröbenzell, im Dezember 1968 KARL LARENZ Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Der Titel dieses Buches muß nach einigen Richtungen hin eingeschränkt werden. Sein Gegenstand ist die "dogmatische" Rechtswissenschaft mit Einschluß der richterlichen Fallbeurteilung; nicht sind es die Methoden der Rechtshistorie, der Rechtssoziologie und der vergleichenden Rechts wissenschaft. Ferner ist mit der "Rechtswissenschaft" ein bestimmter Typus derselben gemeint, der Typus, der sich in der deutschen Rechts wissenschaft unserer Zeit darstellt. Es ist das eine Rechtswissenschaft, die sich vornehmlich am Gesetz oder doch am "Rechtssatz" orientiert, nicht am vorentschiedenen Fall. Daran ändert es auch nichts, daß die richterliche Fallbeurteilung bei uns heute eine andere Stellung als früher einnimmt. Sie erscheint nämlich in der Gegenwart nicht mehr nur als eine einfache "Subsumtion", sondern als ein vielfaltiger gedanklicher Prozeß, dessen Ergebnis auch den Inhalt des Rechtssatzes nicht unbe rührt läßt. Davon wird ausführlich zu sprechen sein. Schließlich ist die Darstellung der Methoden vorwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, am Zivilrecht orientiert. Das liegt natürlich an der Fachrichtung des Verfassers. Es ist aber auch nicht ohne sachliche Bedeutung. Irre ich nicht, so ist die methodische Bewegung auf dem Gebiete des Zivilrechts heute am stärk sten. Das liegt einmal daran, daß sich hier der "Positivismus" länger als auf anderen Gebieten gehalten hat; ferner an der näheren Berührung mit den Methoden des "Fallrechts" in der Nachkriegszeit. Das Bedürfnis nach methodischer Klärung ist daher im Zivilrecht besonders dringlich. Die Methodenlehre einer Wissenschaft ist deren Reflexion auf ihr eigenes Tun. Sie will aber die in der Wissenschaft angewandten Methoden nicht nur beschreiben, sondern auch verstehen, d. h. ihre Notwendigkeit, ihre Berechtigung und ihre Grenzen einsehen. Die Notwendigkeit und die Berechtigung einer Methode ergibt sich aus der Bedeutung, der Struk tureigentümlichkeit des Gegenstandes, der mit ihrer Hilfe zum Verständ nis gebracht werden soll. Man kann daher nicht von der Rechtswissenschaft handeln, ohne gleichzeitig auch vom Recht zu handeln. Jede juristische Methodenlehre gründet sich auf eine Rechtstheorie oder schließt zum mindesten eine solche ein. Sie zeigt notwendig ein doppeltes Gesicht, eines, das der Rechtsdogmatik und der praktischen Anwendung ihrer Methoden zugewandt ist, und eines, das der Rechtstheorie und damit letzten Endes der Rechtsphilosophie zugewandt ist. In dieser doppelten Blickrichtung liegt die Schwierigkeit der Methodenlehre, aber auch ihr besonderer Reiz. VIII Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Die gegenwärtige Problemlage der juristischen Methodenlehre kann nur der voll verstehen, der die Entwicklung der Rechtstheorie und Metho denlehre in den letzten 150 Jahren kennt. Ich habe diese Entwicklung deshalb in einem "historisch-kritischen" Teile dargestellt. Manchem wird dieser Teil freilich nicht viel Neues sagen. Ich glaubte dennoch, ihn nicht, was ich wiederholt erwogen habe, in die Anmerkungen oder in einen Anhang verweisen zu sollen. In seiner jetzigen Gestalt erfüllt er einen dop pelten Zweck: Er entlastet den systematischen Teil von sonst unvermeid lichen Auseinandersetzungen, und er bietet demjenigen, dem die Proble matik noch wenig vertraut ist, vor allem also dem Studenten, einen leich teren Zugang zu ihr. Die Lektüre dieses Buches verlangt die Fähigkeit und die Bereitschaft, nicht immer ganz einfache Gedankengänge selbständig mitzudenken. Besondere Kenntnisse - außer denen, die jeder Rechts student in mittleren Semestern sich erworben hat - verlangt sie aber nicht. München, im August 1960 KARL LARENZ Inhalt Allgemeine Literaturübersicht 1 Einleitung . . . . . 5 I. Historisch-kritischer Teil Rechtstheorie und Methodenlehre in Deutschland seit SA VIGNY Kapite/1. Die Methodenlehre SAVIGNYs 9 Kapite/2. Die "Begriffsjurisprudenz" des 19. Jahrhunderts 17 1. PucHTAs "Genealogie der Begriffe" . . . . . . . . 17 2. Die "naturhistorische Methode" J HERINGs . . . . . 24 3. Der rationalistische Gesetzespositivismus WINDSCHEIDs . 27 4. Die "objektive" Auslegungstheorie (BINDING, WAcH und KoHLER) 31 Kapite/3. Rechtstheorie und Methodenlehre unter dem Einfluß des positi- vistischen Wissenschaftsbegriffs . . . . . . . . . . . . 36 1. Die psychologische Rechtstheorie BIERLJNGs . . . . . 39 2. ]HERINGs Wendung zu einer pragmatischen Jurisprudenz 44 3. Die ältere "Interessenjurisprudenz" (HECK und STOLL) . 50 4. Die Wendung zum Voluntarismus in det Freirechtsbewegung (BüLow, KANTOROWICZ, lSAY) ................. , , , . 62 5. Rechtswissenschaft als Rechtssoziologie (E. EHRLICH und F. ]ERUSALEM) 66 6. Die "Reine Rechtslehre" KELSENS . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Kapite/4. Die Abwendung vom Positivismus in der Rechtsphilosophie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. STAMMLERs "Theorie der Rechtswissenschaft" . . . . . . . . . . . 88 2. "Südwestdeutscher" Neukantianismus und Werttheorie (RrcKERT, LASK, RADBRUCH, SAUER) . . . . . . . . . . . . . , , . , . . 96 3. Objektiver Idealismus und Dialektik (BINDER, ScHÖNFELD) ..... 107 4. Die phänomenologische Rechtstheorie (REINACH, WELZEL, G.HussERL) 118 Kapitel 5. Methodische Bestrebungen der Gegenwart . . . . . . 126 1. Von der "Interessenjurisprudenz" zur "We ttungsjurisprudenz" 128 2. Die Erkenntnis der Wertungsmaßstäbe 132 3. Zur Verfassungsinterpretation . . . . . . . 141 4. Zur Begriffs-und Systembildung . . . . . 149 a) Systemskepsis ("Topische Jurisprudenz") 150 b) Hinwendung zum "offenen System" . . . 156 c) Zur Begriffsbildung . . . . . . . . . . . 163 5. Zur Kritik der modernen Rechtswissenschaft durch FRANZ ]ERUSALEM 166 II. Systematischer Teil Kapite/1. Rechtstheoretische Grundlegung . 174 1. Die Rechtsordnung . . . . . . . . . 174 ·2 . Die logische Bedeutung des Rechtssatzes 180 X Inhalt a) Kritik der Imperativentheorie . 180 b) Sachverhalt und Rechtsfolge . 188 c) Rechtssatz und Rechtsgeschäft 191 3. Das Ineinandergreifen der Rechtssätze im Gesetz. 193 a) Erläuternde Rechtssätze . . 194 b) Einschränkende Rechtssätze 196 c) Verweisende Rechtssätze . . 197 d) Gesetzliche Fiktionen . . . 199 e) Zusammentreffen (Konkurrenz) von Rechtssätzen 206 4. Der Aufbau der gesetzlichen Tatbestände . . . . . 209 a) Die Tatbestandselemente . . . . . . . . . . . 209 b) Die Kennzeichnung der Tatbestandselemente durch Vorstellungen und Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 c) Die Rolle der Abstraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 5. Die Vermittlung des Gesetzes mit dem allgemeinen Rechtsbewußtsein als Aufgabe der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . 222 Kapitel 2. Die Anwendung der Rechtssätze auf einen Sachverhalt 228 1. Der Syllogismus der Rechtsfolgebestimmung 228 2. Der Sachverhalt . . . . . . . . . . . 232 a) Die "Gegebenheit" des Sachverhalts . . . 233 b) Die Feststellung der Tatsachen . . . . . 238 c) Die Unterscheidung der "Tat"-und der "Rechtsfrage" . 243 3. Die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts . . . . 253 a) Die Auswahl der anzuwendenden Rechtssätze . . 253 b) Der Anteil der "Subsumtion" an der Beurteilung 254 c) Die durch soziale Erfahrung vermittelten Urteile 257 d) Werturteile . . . . . . . . . . . . 260 e) Das Urteilsermessen des Richters . . 268 4. Die nähere Bestimmung der Rechtsfolge 275 5. Rechtsfolgen aus Rechtsgeschäften . . . 279 a) Das Rechtsgeschäft als Regelung von Rechtsfolgen und als "Sach- verhalt" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Zur Auslegung der Rechtsgeschäfte . . . . . . . . . . . . . 282 c) Internationale Kartellverträge als Akte autonomer Rechtsetzung? 288 Kapitell. Die Auslegung der Gesetze 291 1. Die Aufgabe der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Die Notwendigkeit der Auslegung. . . . . . . . . . . . . . 291 b) Das Erkenntnisziel: "Wille des Gesetzgebers" oder "normativer Ge- setzessinn"? . . . . . . 296 2. Die Kriterien der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 a) Der Wortsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 b) Der Bedeutungszusammenhang und die Systematik des Gesetzes . 305 c) Die Vorstellungen der an der Gesetzgebung beteiligten Personen . 308 d) Der Gesetzeszweck und das "Ganze der Zwecke" . 311 e) Die objektiv-teleologischen Kriterien . . . . . . . . . . . . 315 f) Das Verhältnis der Auslegungskriterien zueinander . . . . . . 320 g) Die Gerechtigkeit der Fallentscheidung als Kontrolle der Auslegung 323 3. Besondere Probleme der Auslegung . . . . . . . . . . . 327 a) "Enge" und "weite" Auslegung; "Ausnahmevorschriften" 327 b) Der Bedeutungswandel der Rechtsnormen 330 c) Die Auslegung von Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . 338 Inhalt XI Kapile/4. Die (offene) Fortbildung des Rechts durch Rechtswissenschaft und Rechtsprechung ......................... 341 1. Die (offene) Rechtsfortbildung als Fortsetzung der Auslegung .... 341 2. Die AusfUllung von Gesetzeslücken (Rechtsfortbildung •• praeter legem") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 a) Begriff und Arten der Gesetzeslücken . . . . . . . . . . . . . 350 b) Die Ausfüllung •• offener Lücken". insbesondere durch Analogie .. 359 c) Die Ausfüllung .,verdeckter Lücken". insbesondere durch .,teleo logische Reduktion" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 d) Die "teleologische Extension" und die "teleologisch begründete Gesetzeskorrektur" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 e) Das Verhältnis von Lückenfeststellung und Lückenausfüllung ... 378 f) Die Bedeutung des lückenausfüllenden Satzes. Unausfüllbare Lücken? 379 3. Die Umbildung der gesetzlichen Regelung und die Ausbildung neuer Rechtsinstitute (Rechtsfortbildung "extra legem". aber .,intra jus") . . . 382 a) Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf ein unabweisbares Bedürfnis des Rechtsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 b) Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf die .,Natur der Sache" .... 388 c) Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf ein rechtsethisches Prinzip . . 394 d) Die Befugnis der Gerichte zu einer gesetzesändernden Rechtsfort bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 4. Die Bedeutung von ,.Präjudizien" für die Auslegung und Rechtsfort- bildung (Präjudizien als Rechtsquelle ?) . . . . . . . . . . . . 403 Kapite/5. Die Begriffsbildung und das System der Rechtswissenschaft. 412 1. Die isolierende Abstraktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 a) Der Weg und das Ziel der Bildung •• abstrakter Begriffe" . . . . 412 b) Die Kennzeichnung von Rechtsfolgen und Rechtsinstituten durch einen "abstrakten" Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 c) Die dem abstrahierenden Denken innewohnende Tendenz zur Sinn- endeerung und zur Ausbildung kontradiktorischer Gegensätze . 419 2. Die nachbildende Beschreibung des rechtlichen Typus . . . . 423 a) Die Denkform des "Typus" im allgemeinen . . . . . . . 423 b) Der rechdiche Strukturtypus als auf die Realität bezogenes Sinn- gebilde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 c) Soziologische und rechdiche Typen . . . . . . . . . . . 433 d) .,Offene" und .,geschlossene" Typen. Die Bedeutung des Struktur typus in der Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . 439 e) Der Erkenntniswert des Typus . . . . . . . . . . . . . . . . 445 3. Die Systembildung auf Grund rechdieher Funktionszusammenhänge und Prinzipien (Das "innere System des Rechts") . . . . . . . . . 450 a) Die Aufdeckung rechtlicher Funktionszusammenhänge . . . . . . 450 b) Die Erkenntnis der Rechtsprinzipien .............. 460 4. Die Sinnentfaltung durch den konkret-allgemeinen Begriff in der Rechts philosophie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 a) Der apriorische Sinnbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 b) HEGELs Lehre vom konkret-allgemeinen Begriff ......... 476 c) Die apriorischen Sinnbegriffe des Rechts als konkret-allgemeine Be- griffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 d) Abstrakter und konkreter Begriff; die Transparenz der Begriffe . 487 Namenverzeichnis 491 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497