HENRY PETROSKI MESSER GABEL REISSVERSCHL USS DIE EVOLUTION DER GEBRAUCHSGEGENSTÄNDE Aus dem Amerikanischen von IngeRau Springer Basel AG Die Originalausgabe erschien 1992 unter dem Titel« The Evolution of U seful Things» bei Alfred A. Knopf, Inc., New York, USA Copyright© 1992 by Henry Petroski. This translation published by arrangement with Alfred A. Knopf, Inc. Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme Petroski, Henry: Messer, Gabel, Reissverschluss : die Evolution der Gebrauchsgegenstände I Henry Petroski. Aus dem Amerikan. von Inge Rau. Einheitssacht.: The Evolution of Useful Things. ISBN 978-3-0348-6190-8 ISBN 978-3-0348-6189-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-6189-2 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksen dung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils gelten den Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterlie gen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 1994 Springer Basel AG Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag, Basel1994 Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1994 Umschlaggestaltung: Lioba Ziegler-Schneikart, Ulm Layout: Carotine Graf Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff ISBN 978-3-0348-6190-8 9 8 7 6 5 4 3 2 1 INHALT Vorwort ................ 9 1 Wie die Gabel zu ihren Zinken kam 13 2 Die Form folgt dem Fehlschlag ... 35 3 Erfinder als Kritiker . . . . . . . . . 51 4 Von der Stecknadel zur Büroklammer . 71 5 Kleine Dinge mit großer Bedeutung 103 6 Steckverschluß vor Reißverschluß 121 7 Werkzeuge machen Werkzeuge .. 147 8 Differenzierungsmuster . . . . . . 167 9 Häusliche Mode und industrielles Design . 195 10 Die Macht des Vorläufers ... 215 11 Erst verschließen, dann öffnen 233 12 Mit kleinen Änderungen das große Geld verdienen 261 13 Wenn das Gute doch besser als das Beste ist. 275 14 Für Verbesserungen ist immer Platz 295 ......... Anmerkungen 313 Bibliographie . . . . . . . . . . 323 Verzeichnis der Abbildungen . 331 .............. Index 333 Für meine Mutter und dem Gedenken meines Vaters Vorwort Außer dem Himmel und einigen Bäumen ist alles künstlich, was ich von da, wo ich jetzt sitze, sehen kann. Der Tisch, die Bücher und der Compu ter vor mir; der Stuhl, der Teppich und die Tür hinter mir; die Lampe, die Decke und das Dach über mir; die Straßen, die Autos und die Gebäude draußen vor meinem Fenster, sie alle sind entstanden, indem man Teile der Natur auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt hat. Um bei der Wahrheit zu bleiben: Sogar der Himmel ist durch die Umweltver schmutzung gefärbt, und der Standort der Bäume ist eigens so gewählt, daß sie sich an den Platz anpassen, für den sie aufgrund der Entwicklung bestimmt sind. Nahezu die gesamte Sinneserfahrung in der Stadt ist das Werk von Menschenhand, und somit erfährt die Mehrheit von uns zumin dest die physikalische Welt gefiltert durch den Vorgang des Entwerfens. Geht man davon aus, daß zu einem so großen Teil unserer Wahrneh mung Dinge gehören, die hergestellt werden, so ist die Frage berechtigt, wie es dazu kam, daß sie heute so und nicht anders aussehen. Wie kommt es, daß ein technologisches Kunstprodukt diese und keine andere Form hat? Durch welchen Prozeß entstehen die einzigartigen- und auch die nicht so einzigartigen-Entwürfe von Fertigerzeugnissen? Gibt es einen einzelnen Mechanismus, durch den die Werkzeuge unterschiedlicher Kul turen sich zu verschiedenen Formen entwickeln und dennoch den glei chen wesentlichen Funktionen dienen? Und kann, um genau zu sein, die Entwicklung von Messer und Gabel im Westen durch dasselbe Prinzip erklärt werden, das die Stäbchen im Osten erklärt? Kann irgendeine Einzeltheorie die Form einer Säge im Westen, die nach dem Stoß-Prinzip funktioniert, genauso leicht erklären wie die im Osten, die nach dem Zug-Prinzip funktioniert? Falls die Form nicht auf eine deterministische Art und Weise funktionsbedingt ist, durch welchen Mechanismus entste hen dann die Proportionen und Formen unserer geschaffenen Welt? 9 Dieser Art sind die Fragen, die zu diesem Buch geführt haben. Es knüpft an eine Erforschung der Technik an, die ich in dem Buch To Engineer Is Human begonnen habe, welches sich hauptsächlich damit befaßt, warum künstlich hergestellte Dinge nicht halten, und die ich fortgesetzt habe in dem Buch The Pencil, das der Entwicklung eines einzelnen Gebrauchsgegenstandes durch die kulturellen, politischen und technologischen Wechselfälle der Geschichte nachspürt. Dabei habe ich mich nicht auf die physikalischen Fehlschläge irgendeines einzelnen Ge genstandes konzentriert, sondern eher auf die Auswirkungen, die ein Fehlschlag-ob physikalisch, funktionell, kulturell oder psychologisch auf die Form ganz allgemein hat. Dieser erweiterte Essay, der als eine Widerlegung des Diktums über das Design gelesen werden kann, daß «die Form funktionsbedingt ist», hat zu Überlegungen geführt, die über die Dinge selbst hinausreichen bis zu den Wurzeln der oft nicht beschreibba ren schöpferischen Prozesse der Erfindung und des Entwerfens. Bücher entwickeln sich aus Büchern, genauso wie Kunstprodukte aus Kunstprodukten. Beim Schreiben dieses Buches habe ich wieder einmal von den physikalischen und intellektuellen Ressourcen vieler Bibliothe ken und Bibliothekare profitiert. Wie immer schulde ich Eric Smith Dank, dem Leiter der Vesic Engineering Library der Duke University, der trotz meiner oft ungenauen Anfragen nach dunklen Quellen niemals die Ge duld verliert und sogar Informationswege einschlägt, denen zu folgen ich mir niemals erträumt hätte. Stuart Basefsky vom Public Documents Department in der Duke's Perkins Library half mir dabei, mich in der Patent-Literatur zurechtzufinden, die sich in meinem Fall als so wichtig erwies, und das Patent-Magazin der D. C. Hill Library der North Caro lina State University gab liebenswürdigerweise auf meine zahllosen Anfragen nach Dokumenten Auskunft. Verschiedene Hersteller, die großzügig ihre Firmengeschichte, Kataloge und periodischen Schriften zur Verfügung stellten, machten es mir möglich, außerhalb der Biblio theksmauern zu lesen und unschätzbare Dokumentationen über Gegen stände zu finden, wie sie gewesen sind und wie sie noch sind. Ebenso haben viele Freunde, Leser und Sammler mir großzügig ihr Wissen über Kunst, Fakten und Gebrauchsgegenstände mitgeteilt, das seinen Eingang in meine Arbeit gefunden hat. Wo ich mich meiner Dankesschuld erinnert habe, habe ich sie in den Anmerkungen am Ende dieser Ausgabe festge halten. 10 MESSER, GABEL, RE!SSVERSCHLUSS Jahrelange Korrespondenz und Gespräche mit Erfindern und Desi gnern haben die Ideen in diesem Buch sicherlich geformt, aber bei so viel Erfindung und Design müssen individuelle Beiträge notwendigerweise größtenteils anonym bleiben, da sie dermaßen eng mit dem Arbeitsstoff verwoben sind, daß der Versuch, auch nur die auffälligsten herauszusu chen, bloß dazu führen würde, daß man eine Menge loser Fäden hätte. Wo Fachleute schriftliche oder mündliche Aufzeichnungen gemacht ha ben, wird auf diese Arbeiten in meiner Bibliographie Bezug genommen, wie auch auf all jene, bei denen ich mich daran erinnern kann, Unterstüt zung für meine These gefunden zu haben. Durch ihr Beispiel und ihre Ermutigung haben bestimmte Schriftsteller, Techniker und Technologie Historiker dieses Buch besonders beeinflußt, und hierbei muß ich wegen ihrer Unterstützung Freeman Dyson, Eugene Ferguson, Melvin Kranz berg und Walter Vincenti hervorheben. Ein Buch braucht natürlich seine Zeit und Platz zum Schreiben. Was die Zeit betrifft, so bin ich der J ohn Sirnon Guggenheim Memorial Foundation für ein Forschungsstipendium zu Dank verpflichtet und, was letzteres betrifft, der Perkins Library für einen Arbeitsplatz in der Biblio thek. Ich danke meinem Verleger Ashbel Green, der mich unterstützt hat, und den vielen anderen beim Verlag Alfred A. Knopf, die das Manuskript mit Stiften unterschiedlicher Farbe Korrektur gelesen haben und es auf andere Art und Weise für den Druck vorbereiteten. Für alle noch vorhan denen Fehler, welcher Art auch immer, übernehme ich natürlich die Verantwortung. Letztlich bleibt noch zu erwähnen, daß die Mitglieder meiner Familie wieder einmal für mein Bedürfnis, jeden Abend zu Hause nachzudenken und zu schreiben, Verständnis hatten, und sie trugen ruhig und beständig zu meiner Beispielsammlung bei, indem sie einen interes santen Gegenstand nach dem anderen, vom zerstörten bis zum bizarren, auf meinem Schreibtisch liegen ließen. Wie immer danke ich Stephen und Karen, die das Register zu diesem Buch erstellten, und ganz besonders Catherine, die das Buch in jedem Stadium seiner Entwicklung für mich durchgelesen hat. Vorwort 11 1 KAPITEL WIE DIE GABEL ZU IHREN ZINKEN KAM Die Eßwerkzeuge, die wir täglich benutzen, sind uns so vertraut wie unsere eigenen Hände. Messer, Gabel und Löffel setzen wir so automa tisch ein wie unsere Finger, und wir scheinen uns unseres Silbers erst dann bewußt zu werden, wenn Rechtshändern und Linkshändern bei einer Abendeinladung ihre Ellbogen im Wege sind. Aber wie sind diese prakti schen Geräte entstanden, und warum sind sie uns zur zweiten Natur geworden? Sind sie einem unserer Vorfahren in einer Art Geistesblitz erschienen, der dann «Heureka»! rief oder entwickelten sie sich so natür lich und unauffällig wie die Teile unseres Körpers? Warum ist das westli che Tafelgeschirr den östlichen Kulturen so fremd, und warum machen Stäbchen aus unseren Fingern lauter Daumen? Sind unsere Eßwerkzeuge tatsächlich «perfektioniert», oder gibt es noch Raum für Verbesserungen? Solche Fragen, die sich aus Tischgesprächen ergeben, können als Beispiele für Fragen über die Ursprünge und die Entwicklung aller künst lich hergestellten Dinge dienen. Und die Suche nach Antworten kann ganz allgemein Einblick gewähren in die Natur der technologischen Entwicklung, denn die Kräfte, die die Gedecke geschaffen haben, sind dieselben, die alle Gebrauchsgegenstände geschaffen haben. Versteht man die Ursprünge der Vielfalt beim Silberbesteck, so erleichtert dies das Verständnis der Vielfalt aller Dinge, von Flaschen, Hämmern und Büro klammern bis hin zu Brücken, Autos und Kernkraftwerken. Die einge hende Beschäftigung mit der Entwicklung von Messer, Gabel und Löffel kann uns zu einer Theorie darüber führen, wie alle Gegenstände der Technologie sich entwickeln. Die Untersuchung des Tafelgeschirrs, das wir jeden Tag benutzen und über das wir dennoch so wenig wissen, liefert uns den Ausgangspunkt für eine Betrachtung über die Wechselbeziehung 13