ebook img

Menschlich denken - Glauben begründen: Blaise Pascal und Religionsphilosophische Begründungsmodelle der Moderne PDF

406 Pages·2017·1.486 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Menschlich denken - Glauben begründen: Blaise Pascal und Religionsphilosophische Begründungsmodelle der Moderne

Hans-Martin Rieger - Menschlich denken Glauben begründen Theologische Bibliothek Töpelmann Herausgegeben von Friederike Nüssel und Christoph Schwöbel Band 153 De Gruyter Hans-Martin Rieger - Menschlich denken Glauben begründen Blaise Pascal und religionsphilosophische Begründungsmodelle der Moderne De Gruyter ISBN 978-3-11-024778-7 e-ISBN 978-3-11-024779-4 ISSN 0563-4288 LibraryofCongressCataloging-in-PublicationData Rieger,Hans-Martin. Menschlich denken, Glauben begründen : Blaise Pascal und religions- philosophischeBegründungsmodellederModerne/Hans-MartinRieger. p. cm. - (Theologische Bibliothek Töpelmann, ISSN 0563-4288 ; Bd.153) Includesbibliographicalreferencesandindex. ISBN978-3-11-024778-7(hardcover23(cid:2)15,5:alk.paper) 1. Pascal, Blaise, 1623-1662. 2. Faith and reason - Christianity. 3.Justification(Theoryofknowledge) I.Title. BT50.R54 2010 210-dc22 2010035337 BibliographicinformationpublishedbytheDeutscheNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschen Nationalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternet überhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. ”2010WalterdeGruyterGmbH&Co.KG,Berlin/NewYork Druck:Hubert&Co.GmbH&Co.KG,Göttingen (cid:3) GedrucktaufsäurefreiemPapier PrintedinGermany www.degruyter.com Vorwort Vorwort „Menschlich denken“. Eine solche Titelformulierung trägt einen An- spruch in sich. Es ist ein Anspruch, der keineswegs originell ist. Mit ihm – genauer: mit dem Herausstellen der Leiblichkeit und Sinnlichkeit des Menschen – zog bereits Feuerbach gegen Hegel zu Felde. Mit einer metakritischen Fassung dieses Anspruchs hatte zuvor schon Hamann gegenüber Kant Position bezogen, mit einer andersartigen lebenswelt- lich-pragmatischen Fassung wird es später James gegenüber Clifford tun. Selbst innerhalb der neueren analytischen Erkenntnistheorie lässt er sich – in einer bestimmten normativen Fassung – ausfindig machen, so etwa bei Vertretern einer ‚Virtue Epistemology‘. Es tut sich dem- entsprechend ein weiter philosophiegeschichtlicher Problemhorizont auf, wenn eine klassische und in der analytisch geprägten Diskussion doch weithin vergessene Fassung jenes Anspruchs zum Gegenstand einer Untersuchung wird: Die Forderung eines dem Menschen und seiner Lage angemessenen Denkens ist für die Position Pascals und für seine Kontroverse mit Descartes grundlegend. Wer sich jenen Anspruch in einer kritisch-reflektierten Weise zu ei- gen machen möchte, wird so unvermeidlich in die Auseinandersetzung darüber hineingezogen, in welcher Weise ein dem Menschen angemes- senes Denken zu denken sei. Eine solche Auseinandersetzung vermag schon allein angesichts einer breitgefächerten Renaissance der Leiblich- keit und des Gefühls angezeigt zu sein. Auf dieser Seite wird man wohl auch der Gefahr einer Tyrannei der Leiblichkeit gewahr sein müssen – um es bereits in der Terminologie Pascals zu sagen. Zugleich wird man auf der anderen Seite, eine philosophiegeschichtlich redliche Wahr- nehmung vorausgesetzt, keineswegs undifferenziert eine unmenschli- che Auffassung des menschlichen Denkens unterstellen können. Eine Interpretation ad bonam partem wird entsprechende (Grenz-) Bestim- mungen eines dem Menschen angemessenen Denkens auch unter den Bedingungen einer andersartigen Rahmenkonzeption anerkennen kön- nen. Im Blick auf die Positionen von Descartes und Kant wird solches am Rande der vorgelegten Interpretation Pascals an mehreren Stellen deutlich zu machen sein. Im Horizont der Frage nach der Art und Weise eines menschenan- gemessenen Denkens widmet sich die vorliegende Untersuchung der Frage des rationalen Begründens bzw. des rationalen Rechtfertigens. Diese VI Vorwort Frage steht im Zentrum der analytischen Erkenntnistheorie und der von ihr beeinflussten Religionsphilosophie in der Moderne. Die kriti- sche Reflexion sieht sich hier vor allem herausgefordert durch das in der naturwissenschaftlichen Weltsicht verbreitete Begründungspara- digma des Evidentialismus. Ihm zufolge entscheiden allein evidente Gründe, ob eine Überzeugung, Handlung oder Bewertung rational vertretbar ist. Zur normativ-richterlichen Instanz wird dann häufig eine Konzeption von Rationalität, die schon schaudern macht, jemanden ohne zureichende Evidenz zu lieben. Die Kehrseite eines solchen ein- geengten Denkens von Begründung und Rationalität besteht darin, dass das Feld dessen, was als irrational beurteilt wird, eine extreme Ausweitung erfährt. Diese Kehrseite ist soziokulturell äußerst frag- würdig. Und es ist durchaus auch religionsphilosophisch fragwürdig, wenn im Zuge eines neuaufgelegten Atheismus eine solche Begrün- dungs- und Rationalitätsauffassung zum Schiedsrichter des Diskurses über Religion hypostasiert wird. Eine kritische Reflexion über die Art und Weise eines menschenan- gemessenen Denkens ist als religionsphilosophische Grundaufgabe anzusehen: Wer darüber nachdenkt, ob und wie der Glaube begründet oder kritisiert werden kann, muss auch darüber nachdenken, welche Rationalität und welche Denkregeln bei einem solchen Unternehmen vorausgesetzt werden. Die Frage nach der Rationalität und nach den Denkregeln ist dabei als Frage eines dem Menschen angemessenen und zugleich als Frage eines dem Glaubensgegenstand und -vollzug ange- messenen Denkens zu begreifen. Für die Religionsphilosophie muss es ein elementares Thema sein, Erkenntnistheorie und Begründungstheo- rie anthropologisch zu ‚erden‘ – so wie es für sie ein ebenso elementa- res Thema sein muss, die Entsprechung ihrer Beschreibungen mit der Glaubensperspektive zu bedenken. Ersteres geschieht vorwiegend in der philosophischen Arbeit an einer interdisziplinär aufgeschlossenen (Erkenntnis-) Anthropologie, Letzteres geschieht vorwiegend in einem konstruktiv-kritischen Dialog mit der Theologie. Für die kritische Reflexion von Begründungsmodellen und Be- gründungsarten unter der Fragestellung eines menschenangemessenen Denkens wird im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung nach ei- nem einführenden Kapitel ein Panorama moderner Begründungsmo- delle und -arten geboten. Das heuristisch-rekonstruktive Anliegen be- steht zunächst darin, den Blick für die verschiedenen expliziten und impliziten Spielregeln von Begründungsauffassungen zu schärfen. Begründungsmodelle der gegenwärtigen analytischen (Religions-) Phi- losophie, welche einer in gewisser Hinsicht durchaus förderlichen Ab- straktion der Frage des Erkennens und Begründens von anthropolo- Vorwort VII gisch-dispositionellen Fragen und einer Fixierung auf Wissensbedin- gungen folgen, werden kontrastiert durch Begründungsmodelle und -arten, die von kontextuellen, lebenspraktischen, emotiven oder perso- nalen Gründen ausgehen bzw. diese zu berücksichtigen erlauben.1 Das führt auch hier in einen weiten Horizont, in welchem sowohl ausge- wählte Positionen der gegenwärtigen Diskussion als auch einige klas- sisch zu nennende Positionen (wie Kant, Scheler, James oder Peirce) ihren Ort haben müssen. Ein kritischer und vergleichender Rückblick erlaubt es, Grundfragen des Begründens sichtbar zu machen, die mei- nes Erachtens für die Religionsphilosophie überhaupt von konstitutiver Bedeutung sind (Kap. 5). Im zweiten Teil wird die Position Blaise Pascals auf diese Grundfra- gen hin untersucht. Dazu ist eine höherstufige Interpretation erforder- lich, greifbar etwa in dem, was jeweils am Ende der Kapitel unter ‚Zu- sammenschau‘ aufgenommen und konturiert wird. Zuallererst gilt es jedoch, die Position Pascals nicht vorschnell im Blick auf gegenwärtige Problemkontexte zu funktionalisieren, sondern selbst zu Wort kommen zu lassen. Das bedeutet: Ausgegangen wird von Textanalysen, die den fragmentarischen und zum Teil auch disparaten Textbestand im Kon- text von Pascals Gesamtwerk und im zeitgenössischen und philoso- phiehistorischen Kontext als zum Teil transformierende Weiterführung bestimmter Traditionen (Augustin, N. von Kues, Montaigne etc.) und als Antwort auf bestimmte Fragen und Gegenpositionen (Descartes, Montaigne etc.) verstehen lassen. Das Ergebnis ist eine eigenständige – und durchaus auch als solche lesbare – Interpretation Pascals, die den Stand der historischen Pascalforschung zu berücksichtigen bean- sprucht. Aufgrund der übergeordneten Gesamtausrichtung der Unter- suchung konnten manche an sich interessante Traditionslinien aller- dings nur in Anmerkungen Berücksichtigung finden. Um der leichte- ren Lesbarkeit willen wurden dabei auch fast durchweg deutsche Übersetzungen gewählt. Philosophiegeschichtlich ist es ein spannendes Thema für sich, in welcher Weise Traditionen von Augustin oder Niko- laus von Kues in eine frühaufklärerische Position umgesetzt werden, die das menschliche Erkenntnisvermögen noch anthropologisch rück- bindet und dadurch begrenzt. Wie sich allein schon am Bedeutungs- wandel des für die französische Aufklärung als ‚Siècle des Lumières‘ 1 Zu berücksichtigen sind auch bei teilweiser Lektüre der Untersuchung in jedem Fall die Differenzierungen hinsichtlich der epistemologischen und begründungstheoreti- schen Begrifflichkeiten in 1.4.: Rationalität und Begründung müssen ebenso unter- schieden werden wie Begründen und Überzeugen. Nur mit entsprechender Diffe- renzierung lässt sich beispielsweise die verbreitete Auffassung kritisch beurteilen, eine anthropologische Verortung sei nur für das Überzeugen, nicht aber für das Be- gründen relevant. VIII Vorwort bezeichnenden Begriffs der ‚lumière naturelle‘ und dessen zunehmen- der Säkularisierung erhellen lässt, richteten sich die Erwartungen auf eine unabhängige Vernunft – nicht auf eine angewiesene Vernunft, welche leiblicher Stützung und kontingenter Grundlagen bedarf. Das sei einstweilen nur als Appetitanregung gesagt, um sich mit Pascal auseinanderzusetzen. Es liegt auf der Hand, dass gerade bei Pascal die Fokussierung auf die Frage des rationalen Begründens bzw. des rationalen Rechtfertigens überschritten wird; sie muss im Rahmen der Frage nach einem dem Menschen angemessenen Denken und Erkennen gestellt und beantwor- tet werden. Für den Entstehungszusammenhang bemerkenswert ist es, dass Pascal solche Fragen zunächst im wissenschaftstheoretischen Kon- text und im Kontext der Reflexion von Reichweite und Grenzen der mathematischen Methode (der ‚geometrischen‘ Methode) angeht. In den Pensées wird ein dem Menschen und seiner Lage angemessenes Denken dann Programm. Es handelt sich um ein Programm, das bei aller Rede von einer Unterordnung der Vernunft nicht einer Gering- schätzung vernünftigen Denkens das Wort redet, sondern seine Hoch- schätzung voraussetzt: „Der Mensch ist sichtlich gemacht, um zu denken. Dies ist seine ganze Würde und sein ganzes Verdienst; und seine ganze Pflicht ist es, zu den- ken, wie es sich gehört. Nun verlangt aber die Ordnung der Gedanken, dass man mit sich selbst, seinem Schöpfer und seinem Endzweck beginnt. Woran aber denkt die Welt? Daran niemals, sondern an Tanz, an Lau- tenspiel, an Gesang, an Dichten, an Ringestechen usw. und daran, sich zu schlagen, sich zum König zu machen, ohne darüber nachzudenken, was es bedeutet, König zu sein, und was, Mensch zu sein.“ (Fragment 620) Die vorliegende Untersuchung entstand in einer Atmosphäre mensch- lichen Denkens, wie sie am Lehrstuhl von Michael Trowitzsch und im kollegialen Miteinander der Theologischen Fakultät der Friedrich- Schiller-Universität Jena gegeben war. Dass ein Privatdozent Gelegen- heit und Freiräume zur weiteren Forschung an fachübergreifenden Themenstellungen bekommt, ist in der gegenwärtigen Universitätskul- tur Deutschlands nicht selbstverständlich. Umso mehr erfüllt es mich mit Dankbarkeit. Für die Aufnahme der vorliegenden Untersuchung in ihre Reihe bedanke ich mich bei den Herausgebern, für die unkomplizierte und freundliche Zusammenarbeit darüber hinaus beim Verlag Walter de Gruyter, hier insbesondere bei Herrn Dr. Albrecht Döhnert, Frau Dr. Sabine Krämer und Frau Sabina Dabrowski. Jena, im Juni 2010 Hans-Martin Rieger Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................... V Teil I: Das Panorama 1. Im Spiel der Gründe ........................................................................... 1 1.1. Rationalität zwischen intellektueller Verantwortungs- .......... übernahme und Schiedsrichterfunktion .................................. 1 1.2. Rationalität im Spiel diskursiver Verständigung: R. Brandom .................................................................................. 8 1.3. Zum Vorgehen und zur Eingrenzung der Fragestellung ...... 15 1.4. Unterscheidungen und Definitionen ........................................ 17 2. Die Reflexion von Begründungsregeln in der analytischen Religionsphilosophie .................................................. 26 2.1. Evidente Gründe? ....................................................................... 27 2.2. Relative Gründe? ......................................................................... 36 2.3. Kritische Gründe? ....................................................................... 42 2.4. Fundationalistische oder kohärentistische Gründe? .............. 45 2.5. Bewusste oder unbewusste Gründe? ....................................... 50 2.6. Synchrone oder diachrone Gründe? ......................................... 53 3. Religionsphilosophische Positionierungen auf dem Spielfeld des Wissens ......................................................... 56 3.1. Befreiung vom Begründungsdruck .......................................... 56 3.2. Unmittelbar basale Gründe? ...................................................... 59 3.3. Kontextuelle Gründe? ................................................................. 69 3.4. Kumulative Gründe? .................................................................. 73 3.5. Personenrelative Gründe? .......................................................... 78 X Inhaltsverzeichnis 4. Jenseits der Fixierung auf das Wissen ............................................. 83 4.1. Spielfeldwechsel .......................................................................... 83 4.2. Lebenspraktische Gründe? ........................................................ 87 4.3. Praktisch-emotionale Gründe? .................................................. 98 4.4. Instinktiv-gespürte Gründe? ..................................................... 105 4.5. Personale Gründe der Liebe? .................................................... 116 4.6. Subjektivitätstheoretische Gründe? .......................................... 124 5. Kritischer Rückblick und Grundfragen einer Standortbestimmung ................................................................ 133 Teil II: Die Position – Blaise Pascal ..................... 145 6. Menschlich denken: Fallibilität und Angewiesenheit als Kennzeichen wissenschaftlicher Rationalität ........................... 147 6.1. Streit um die Leere ...................................................................... 147 6.2. Streit mit Descartes: das Problem der Prüfung wissenschaftlicher Hypothesen ................................................. 149 6.3. Angewiesenheit der mathematisierten Wissenschaftlichkeit .................................... 155 6.4. Überzeugen im Konfliktfeld zwischen Gründen und Wünschen ............................................................ 163 6.5. Zusammenschau: Größe und Angewiesenheit der Vernunft ............................... 168 7. Menschlich denken: Unterscheidungen und Zuordnungen der Rationalität ................................................................................... 174 7.1. Rationalität zwischen Dogmatismus und Skeptizismus ....... 176 7.2. Esprit de géométrie und esprit de finesse ................................ 182 7.3. Pascals Konzeption der Erkenntnisordnungen ....................... 188 7.4. Mensch mit Leib und Herz – Vertiefendes zur Verortung der Vernunft ............................................................. 198 7.5. Zusammenschau: Kontingenz und habitualisierte Leiblichkeit ........................... 206

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.