Corinna von Reutern-Kulenkamp Menschenrechte im Spannungsfeld marktwirtschaftlicher Interessen Menschenrechte im Spannungsfeld marktwirtschaftlicher Interessen Corinna von Reutern-Kulenkamp Menschenrechte im Spannungsfeld marktwirtschaftlicher Interessen Corinna von Reutern-Kulenkamp München, Deutschland Zugelassene Dissertation der Ludwig-Maximilians-Universität München, 2017 ISBN 978-3-658-18701-9 ISBN 978-3-658-18702-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-18702-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. 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Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Meinen Eltern Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2016/2017 vom Geschwister- Scholl-Institut für Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Dissertation angenommen. Literatur konnte bis Sommer 2016 be- rücksichtigt werden. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Karsten Fischer, der die Dissertation betreute. Er bot mir die Gelegenheit eines regen wissenschaftlichen Austauschs und ließ zugleich Freiraum für meine Arbeit. Die interessanten Diskussionen und spannenden Denkanregungen während meiner Promotion wusste ich sehr zu schätzen. Sehr herzlich danken möchte ich auch Herrn PD Dr. Christian Schwaabe, der das Zweitgutachten für meine Arbeit erstellt hat und mich auch darüber hin- aus durch seine stete Gesprächsbereitschaft und Erfahrung in diesem Prozess begleitet und durch Rat unterstützt hat. Besonders danke ich ihm dafür, dass er mich in meiner interdisziplinären Vorgehensweise bestärkt hat. Danken möchte ich auch Frau Sabine Zindera, Vice President Siemens AG, die mir während meiner promotionsbegleitenden Tätigkeit bei der Siemens AG in Hintergrundgesprächen Einblicke in die praktische Arbeit eines transnationa- len Unternehmens im UN Global Compact und im Netzwerk der B20 ermöglicht hat. Des Weiteren danke ich meinen Geschwistern Frau Dr. Sabrina Kulenkamp und Herrn Nikolas Kulenkamp, die trotz enger Zeitpläne meine Arbeit Korrektur gelesen haben. Natürlich gilt mein Dank auch meinem Mann Marc von Reutern, der während der drei Promotionsjahre immer Verständnis für späte Schreibstun- den hatte und mich durch die Höhen und Tiefen meiner Promotion begleitet hat. Vor allem aber danke ich von ganzem Herzen meinen Eltern, die mich nicht nur im Studium und während der Promotion immer bedingungslos unterstützt und ermutigt haben, meine Ziele zu verfolgen. Ihnen widme ich daher diese Arbeit. Corinna von Reutern-Kulenkamp München, im September 2016 Inhaltsverzeichnis 1 Kosmopolitismus und Menschenrechte – eine Welt für alle? ............... 13 1.1 Ursprung und Genese: Vom moralischen Konzept zur Verrechtlichung ................................................................................... 19 1.2 Forschungsfrage: Menschenrechtstreu und zugleich unternehmerisch handeln? ................................................................... 24 1.3 Vom normativen Konzept zur möglichen Umsetzung ........................ 27 1.4 Leitfragen ............................................................................................ 29 2 Der Konsequentialismus und die wichtigsten Begriffe als Analyseraster ............................................................................................. 31 2.1 Klärung des philosophischen Konzepts .............................................. 31 2.1.1 Grundannahmen des Konsequentialismus ................................ 38 2.1.2 Utilitarismus ............................................................................. 45 a. Einführung nach Bentham und Mill .................................. 47 b. Utilitarismus angepasst: Zeitgenössisches Konzept .......... 53 2.2 Begriffsklärung ................................................................................... 57 2.2.1 Allgemeine Menschenrechte – westlich oder global? ............... 58 2.2.2 Markt und Moral ....................................................................... 64 2.2.3 Global Citizenship und Corporate Social Responsibility .......... 69 2.2.4 Compliance und das Prinzip Verantwortung in der Marktwirtschaft ......................................................................... 76 2.3 Anmerkung zur Methodik ................................................................... 78 3 Transnationale Unternehmen im rechtlichen Korsett auf mehreren Ebenen? .................................................................................... 81 3.1 Transnationale Unternehmen als partielle Völkerrechtssubjekte ........ 87 3.2 Vorgaben des Allgemeinen Völkerrechts ........................................... 96 3.3 Verträge zwischen Staaten und ausländischen Unternehmen? ......... 108 3.4 Ausstrahlungswirkung nationaler Gesetze und extraterritoriale Geltung .............................................................................................. 112 3.5 Freiwillige Selbstverpflichtungen und Soft Law............................... 119 3.5.1 United Nations Global Compact als zentraler Baustein .......... 123 3.5.2 Die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen ........... 128 10 Inhaltsverzeichnis 4 Von Sein und Sollen: Zwischenstand und Diskussion ......................... 133 4.1 Welcher Handlungsrahmen bleibt den Unternehmen zwischen Menschenrechten und Profitstreben? ................................................ 136 4.2 Normative Reflexion: Das Verhältnis von Menschenrechten und Marktwirtschaft anhand des Konsequentialismus ............................. 146 5 Fallbeispiele: Recht oder Moral – oder beides? ................................... 157 5.1 Textilindustrie in Bangladesch: Kinderarbeit ................................... 161 5.1.1 Rechtliche Sicht ...................................................................... 163 5.1.2 Konsequentialistische Sicht .................................................... 168 5.2 Lukrative Öl- und Gasförderung: Sklaverei und Zwangsarbeit ........ 174 5.2.1 Rechtliche Sicht ...................................................................... 176 5.2.2 Konsequentialistische Sicht .................................................... 182 5.3 Diskussion und Fazit ......................................................................... 186 6 Synthese: Menschenrechtskonform im fairen Wettbewerb ................ 191 6.1 Menschenrechte als Ideal und ihre Implementierung im globalisierten Marktgeschehen.......................................................... 192 6.2 Mögliche Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Menschenrechten und Marktwirtschaft – Ein Lösungsansatz ........... 197 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 207 * * * „Ja, so ist es, mein Guter. Eins oder das andere: entweder muß man anerkennen, daß die gegenwärtige Gesellschaftsordnung gerecht ist, und dann heißt es, auf seinem Recht zu bestehen, oder man muß zugeben, daß man ungerechtfertigte Privilegien besitzt, wie ich es tue, und sie mit Vergnügen genießen.“ „Nein, wenn diese Privilegien ungerechtfertigt wären, würdest du sie nicht mit Vergnügen genießen. Ich wenigstens könnte es nicht. Für mich ist die Hauptsa- che das Bewußtsein, daß ich mich nicht mit Schuld belaste.“ „Wie denkst du darüber, sollten wir nicht wirklich auch hinausgehen?“, fragte unvermittelt Stepan Arkadjewitsch, den das Nachdenken offenbar allzusehr an- strengte. „Wir schlafen ja ohnehin nicht. Gehen wir also!“ Lewin gab keine Antwort. Seine im Laufe des Gesprächs geäußerte Ansicht, daß er im negativen Sinne gerecht handle, beschäftigte ihn sehr. Kann man denn wirklich nur indirekt gerecht sein? fragte er sich. * * * Leo N. Tolstoi (aus: Anna Karenina, Sechster Teil, Kapitel 11: S. 705) 1 Kosmopolitismus und Menschenrechte – eine Welt für alle? 1 Kosmopolitismus und Menschenrechte – eine Welt für alle? 1 Kosmopolitismus und Menschenrechte – eine Welt für alle? Menschenrechte und deren Verletzungen, so könnte man meinen, seien vor allem ein Thema für Staaten mit nicht-rechtsstaatlichen Systemen, ein Thema für Dik- taturen, nicht aber für westliche Demokratien, ein Thema für Menschen, die in eben solchen Staaten leben und arbeiten und nicht etwa wie in westlichen Wohl- standsstaaten die Achtung ihrer Menschenrechte einfach vor Gericht einfordern können. So eine Einschätzung ist sicher nicht ganz falsch, denn in der Tat: Dort, wo ein Staat seiner Schutzpflicht gegenüber seinen Bürgern nicht nachkommt, können Menschenrechtsverletzungen oft ungeahndet zur Routine werden. Aller- dings beschreibt dies nur das halbe Bild, denn die andere Hälfte des Bildes setzt sich auch aus Mosaiksteinen in ebenjenen Wohlstandsstaaten zusammen, in denen manch einer glaubt, dass Menschenrechtsverletzungen nichts mit dem eigenen Alltag zu tun hätten. Stattdessen jedoch führt einen die Frage nach dem vollständigen Bild mitten hinein in die Industrienationen, deren Wohlstand auch mit Hilfe transnational agierender Unternehmen1 erwirtschaftet wird, die manchmal Urheber oder zumindest Komplizen menschenrechtlicher Verletzun- gen in solchen Staaten sind. Und sie führt einen mitten hinein in den eigenen Alltag, der beispielsweise mit dem Gebrauch von Laptops und Smartphones trotz strenger Qualitätskontrollen in deren Produktion auf das engste verbunden ist mit Kinderarbeit, mit Kinderhänden, die in afrikanischen Minen seltene Erden für die 1 Die Begriffe „transnationale“ und „multinationale“ Unternehmen werden in der Literatur äquivalent verwendet, wobei man im Kontext der Vereinten Nationen hauptsächlich den Be- griff „transnationale Unternehmen“ (Transnational Corporations, TNCs) findet, wohingegen die OECD beispielsweise öfter von multinationalen Unternehmen spricht. Beide Begriffe be- ziehen sich auf Unternehmen, die als globale wirtschaftliche Akteure weit über die Grenzen ihres Hauptsitzlandes hinaus wirken. Dies ist geknüpft an die unternehmenseigenen internatio- nalen Strukturen wie beispielsweise verschiedene Produktionsstandorte und Tochtergesell- schaften in verschiedenen Ländern; die rechtliche Form des Unternehmens ist dabei unerheb- lich. Siehe unter Definitionen Art. 20 der UN-Resolution E/CN.4/Sub.2/2003/12/Rev.2 über transnationale Unternehmen und Menschenrechte: United Nations Economic and Social Coun- cil, Commission on Human Rights (2003). Siehe darüber hinaus in der Literatur beispielsweise Weidmann (2014): 40 f. sowie 42 f. und Weissbrodt (2005): 65 f. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017 C. von Reutern-Kulenkamp, Menschenrechte im Spannungsfeld marktwirtschaftlicher Interessen, DOI 10.1007/978-3-658-18702-6_1