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Mensch und Maßnahme. Zur Dialektik von Ausnahmezustand und Menschenrechten PDF

384 Pages·2018·2.935 MB·German
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Preview Mensch und Maßnahme. Zur Dialektik von Ausnahmezustand und Menschenrechten

Jonas Heller Mensch und Maßnahme https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb Jonas Heller Mensch und Maßnahme Zur Dialektik von Ausnahmezustand und Menschenrechten VELBRÜCK WISSENSCHAFT https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb Diese Publikation geht hervor aus dem DFG-geförderten Exzellenz- cluster »Die Herausbildung normativer Ordnungen« an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Gefördert durch das Die diesem Buch zugrunde liegende Dissertation wurde mit dem Werner Pünder-Preis 2018 ausgezeichnet. Erste Auflage 2018 © Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2018 www.velbrueck-wissenschaft.de Printed in Germany ISBN 978-3-95832-141-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb Inhalt Einleitung: Komplement und Antithese. Zur Beziehung von Ausnahmezustand und Menschenrechten . . . . . 9 I. THEORIE DER JURISTISCHEN FORM. DER AUSNAHMEZUSTAND UND DIE FRAGE NACH DER EINHEIT VON RECHT UND POLITIK 1. Ausnahmezustand und »Rechtsform« bei Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.1 Die Normativität und das Politische: Zur Dualität im Recht . . . . . . . . . . . . . 39 System und Aktion: Die Einheit der Verfassung. . . . . 43 Politische Methode und öffentliches Recht . . . . . . 45 Souveränes Handeln und personale Entscheidung . . . . 49 1.2 Souveränität als Normalisierung der Neuzeit. . . . . 53 Staat und Person: Die Souveränität der Moderne . . . . 58 Rechts-Ordnung als Staats-Recht: Der Primat der Form . . . . . . . . . . . . . . 63 Relativer und radikaler Dezisionismus. . . . . . . . . 67 Juristisch oder politisch: Zwei Definitionen des Souveränitätsbegriffs . . . . . . . . . . . . . 75 Bodin oder Hobbes: Entscheidung oder Einheit. . . . . 77 1.3 Politisierung des Todes: Souveräne Einheit nach Hobbes und Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Jenseits des Gesetzes: Das Vorpolitische bei Hobbes . . . 83 Jenseits der Natur: Die Politisierung des Vorpolitischen bei Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Platonische Feindschaft: Zur Differenz von polémios und echthrós . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Politik und Leben . . . . . . . . . . . . . . . 95 Die »Eigenart« der Rechtsform . . . . . . . . . . 97 1.4 Leben, Form, Durchbrechung: Die Einheit der Souveränität im Subjekt . . . . . . . . . . . 101 Leben, formalistisch. . . . . . . . . . . . . . . 104 https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb Forma substantialis in der Tradition: Aristoteles und Thomas von Aquin . . . . . . . . . 109 Substanz als Subjekt: Eine Umdeutung nach Hegel . . . 113 Reflexivität als Selbstdurchbrechung: Zur Theorie der Normativität bei Schmitt. . . . . . . 116 2. Ausnahmezustand und »Gesetzesform« bei Giorgio Agamben . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2.1 Jenseits der Souveränität: Ausnahmezustand als Struktur 125 Entscheidendes und entrechtetes Subjekt: Von Schmitt zu Agamben. . . . . . . . . . . . . 126 Naturalisierung und Politisierung: Die Tötbarmachung des Lebens . . . . . . . . . . 131 Ausnahmezustand als juristische Fiktion . . . . . . . 137 Agambens ›paradigmatische‹ Methode . . . . . . . . 142 2.2 Normalität und Ausnahme . . . . . . . . . . . 145 Souveränität als Struktur. . . . . . . . . . . . . 148 Leben, das unmittelbar politisch ist: Die Wende zur Moderne . . . . . . . . . . . . . 151 2.3 Gesetz und Ausnahme: Zu Agambens Theorie der Normativität . . . . . . . . . . . . 156 Gesetz ohne Gehalt: Das iustitium als Paradigma der Ausnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . 159 ›Nomos‹ als Identität von Recht und Gesetz . . . . . . 163 2.4 Leben, Form, Immanenz: Die Einheit des Gesetzes . . 172 Form des Gesetzes: Materie ohne Inhalt . . . . . . . 174 Immanenz des Gesetzes und die Bedeutung des Lagers . . 178 Zwischenbetrachtung: Theorie der juristischen Form nach Schmitt und Agamben . . . . . . . . . . . . . . 180 II. KÖRPER UND PERSON. ZUR DIALEKTIK VON AUSNAHMEZUSTAND UND MENSCHENRECHTEN 3. Körper, Staat, Nation: Kritiken der Menschenrechte . 187 3.1 Die Einschreibung der Ausnahme in den Text der Rechte . . . . . . . . . . . . . . 187 Kategorien der Menschenrechte: liberal, sozial, politisch. . . . . . . . . . . . . . 189 https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb Ausnahme und Einschränkung: Die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . 195 Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Frage der ›deprivation of life‹ . . . . . . . . . . 201 Gesetz und Verfassung: Die Verortung des Ausnahmezustands in Frankreich und der Türkei . . . . 210 Ausnahmen jenseits der Menschenrechte . . . . . . . 219 3.2 Die ›sogenannten Menschenrechte‹ und das Paradox des Nationalstaats (Arendt) . . . . . . . . . . . 222 Vereinzelter Mensch und kraftlose Rechte: Arendts Begriffskritik der Menschenrechte . . . . . . 225 Das einzige Menschenrecht: Die Fähigkeit, beurteilt zu werden . . . . . . . . . . . . . . . 228 Das Paradox des Nationalstaats und die Aporie der Menschenrechte. . . . . . . . . . . . . . . 230 Die Eroberung des Staates durch die Nation oder die Problematik der Minderheiten . . . . . . . . . 235 Absolute Rechtlosigkeit und der Zwang zur Schuld . . . 239 3.3 Der Einschluss der Körper durch die Rechte des Menschen (Agamben) . . . . . . . . . . . . . 246 Frankreich 1789: Die Einschreibung des Lebens in die Ordnung des Staates . . . . . . . . . . . . . . 247 Die Rechte der Menschen und die Souveränität der Nation: Déclaration des droits de l’homme et du citoyen . . . . 250 Bürger und Geflüchtete: Krise einer Differenz . . . . . 254 4. Die Dialektik von Berechtigung und Entrechtung: Person und Ausnahme . . . . . . . . . . . . . . 259 4.1 Kapitalismus, Totalitarismus und Menschenrechte (Neumann) . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Die zwei Einwände gegen die Abstraktion der Menschenrechte. . . . . . . . . . . . . . . 262 Die rechtliche ›Versöhnung‹ totalitärer Politik und kapitalistischer Ökonomie . . . . . . . . . . . . 265 Dialektik der Freiheit und Dialektik der Gleichheit: Vertrag und Person . . . . . . . . . . . . . . . 272 National-Ökonomie: Die ›Freiheit der Wirtschaft‹ und das ›Leben der Nation‹ . . . . . . . . . . . . . 275 4.2 Die Freiheit als Zweck des Menschen und als Mittel des Rechts . . . . . . . . . . . . . . 284 Personsein: Römisch und neuzeitlich. . . . . . . . . 290 https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb Willkür und Autonomie: Die Verbindung des Privaten mit dem Öffentlichen . . . . . . . . . . . . . . 294 Befähigung und Berechtigung: Rechtsfähigkeit als ›Recht auf Rechte‹ . . . . . . . . . . . . . . . 298 Die Freiheit als Mittel des Rechts . . . . . . . . . . 301 ›Personalisierung der Rechtslagen‹: Positivierung und Modernisierung nach Luhmann . . . . . . . . . . 303 Das Potential der Person . . . . . . . . . . . . . 316 4.3 Von der Geschichte zur Vorgeschichte: Ausnahmezustand und Menschenrechte im Licht des frühneuzeitlichen ›Aktionsrechts‹ . . . . . . . . . . . . . . . . 318 Potestas legislatoria: Verrechtlichung des Lebens im entstehenden Steuerstaat . . . . . . . . . . . . . 321 Rechte gegen Verrechtlichung . . . . . . . . . . . 325 Vom gemeinen zum eigenen Nutzen: Die Rechte der Ökonomie . . . . . . . . . . . . 329 Verwaltung durch Freiheit: Die Bevölkerung als materia reipublicae . . . . . . . . . . . . . . . 333 ›Subjekt-Objekt‹: Zur Regierung von Naturalität bei Foucault . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Die Dialektik von Berechtigung und Entrechtung und der Aktionscharakter des modernen Rechts . . . . . . 337 Recht als Intervention: Der Zusammenhang von Policey und Ökonomie . . . . . . . . . . . . . 342 Von der Prosperität zur Sekurität: Die moderne Frage von Sicherheit und Freiheit . . . . . . . . . . . . 349 Schluss: Die Dialektik von Berechtigung und Entrechtung . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb Einleitung: Komplement und Antithese Zur Beziehung von Ausnahmezustand und Menschenrechten »Alles das gilt nicht mehr; im Anblick des Kampfes verwerfe ich alles, was gestern noch galt, kündige alles Einverständnis mit allen, tue das allein Menschliche. Hier ist eine Aktion. Ich stelle mich an ihre Spitze.« Der junge Genosse in Bertolt Brechts Die Maßnah- me. (1955, 298) »Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht: Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, Wenn unerträglich wird die Last – greift er Hinauf getrosten Mutes in den Himmel Und holt herunter seine ew’gen Rechte, Die droben hangen unveräußerlich Und unzerbrechlich, wie die Sterne selbst«. Werner Stauffacher in Friedrich Schillers Wilhelm Tell. (1988, 46, V. 1275–1279) Der junge Genosse in Brechts Die Maßnahme und Werner Stauffacher in Schillers Wilhelm Tell treten ein für zwei verschiedene politische Taten. Beide Taten lassen sich als gegen das Recht gerichtet verstehen. Denn bei- de Taten greifen ein in den jetzigen Zustand des Rechts, mit dem etwas nicht in Ordnung ist. Der Orientierungspunkt ist dabei aber ein je an- derer. Der junge Genosse bei Brecht blickt hinein in die Gegenwart des Kampfes, um zu wissen, was zu tun ist: Hier ist eine Aktion. Stauffacher schaut hinauf in die Sterne, um die Gegenwart an dem zu messen, was ewig und unveräußerlich ist. In beiden Fällen ist die Aktion von der Überzeugung getragen, dass das, was geltendes Recht ist, zu Unrecht Geltung hat, ja bereits nicht mehr gilt. Im ersten Fall, dem Fall Brechts, weil es nach Lage der Sache die Geltung verloren hat oder verlieren muss: Weil sich die Welt geän- dert hat, kann das Gesetz nicht mehr gelten. In diesem Sinn meint die ›junge Traktoristin‹ in Brechts Stück Der kaukasische Kreidekreis, das in einem vom Krieg zertrümmerten kaukasischen Dorf spielt: »Die Ge- setze müssen in jedem Fall überprüft werden, ob sie noch stimmen.« (Brecht 1967a, 2003) Angesichts der aktuellen Lage ist die Geltung des geltenden Rechts fraglich geworden. Im zweiten Fall, im Fall Schillers, steht das geltende Recht nicht deswegen in Frage, weil sich die faktische 9 https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb EINLEITUNG: KOMPLEMENT UND ANTITHESE Lage, die Umwelt des Rechts geändert hat, sondern weil mit dem Recht selbst etwas nicht stimmt. Es entspricht dem Maßstab nicht mehr, der ans Recht zu stellen ist, denn es hat die Grenze überschritten, die dem Recht durch etwas Übergeordnetes, durch die immer geltenden Ansprü- che des Menschen gegeben sind. Seinen Rechtscharakter hat es damit verloren, ist übergegangen in Tyrannenmacht, so dass »der Gedrückte nirgends Recht« mehr findet. Statt auf das Recht, das zu gelten aufgehört hat, berufen sich Brechts junger Genosse und Schillers Stauffacher auf etwas, das mehr gilt als das Recht. Bei Brecht ist es die Aktion, die »hier ist«, bei Schiller sind es die unveräußerlichen Rechte, die »droben hangen« und hinunter sollen. Je- weils handelt es sich darum, ein entleertes Recht erneut zu füllen. Es geht bei dieser Tat um das spezifisch Rechtliche des Rechts, das dem Recht, wie es aktuell ist, fehlt. Die Aktion, für die der junge Genosse eintritt, ist die besondere Maß- nahme, die mit der Allgemeinheit des Gesetzes bricht und dadurch dem konkreten Fall »im Anblick des Kampfes« eher entspricht. Beim Ver- weis auf einen besonderen, nämlich besonders ernsten Fall ist eine auto- ritäre Geste im Spiel. Sie ist autoritär in einem doppelten Sinn, sowohl der Erkenntnis als auch der Praxis nach. Die autoritäre Erkenntnis liegt darin, jenseits vom »Einverständnis mit allen« zu wissen, was »das al- lein Menschliche« sei. Die autoritäre Praxis besteht darin, dieses allein Menschliche allein zu tun: »Hier ist eine Aktion. Ich stelle mich an ihre Spitze.« Die Aktion konzentriert sich in dieser Spitze, denn »alles Ein- verständnis mit allen« wurde gekündigt. Eine in diesem zweifachen Sinn autoritäre Geste vollzieht auch der ›Gedrückte‹ in Stauffachers Rede: Seine ewigen Rechte hinunterzuho- len, sich selbst Recht zu verschaffen und seinen Anspruch ins Recht zu setzen, ist nicht nur heroisch, sondern kann als Akt der Selbstjustiz ver- messen sein. Doch geht es bei Schillers Stauffacher zunächst um etwas anderes. Es geht darum, dass das Allgemeine – insofern es allgemein ist, ist es ewig – über die Frage der Geltung bestimmt. In Anbetracht der All- gemeinheit unveräußerlicher Rechte ist das aktuell geltende Recht eine bloße Partikularität. Sobald es dem Anspruch der Allgemeinheit nicht mehr genügt, wird es obsolet. Bemängelt Brechts junger Genosse, dass die Gesetze oder Prinzipi- en angesichts der konkreten Lage zu allgemein sind, wendet umgekehrt Stauffacher gegen das Recht ein, dass es zu partikular geworden und nur noch Macht ist. Beide kritisieren das bestehende Recht dafür, dass seine Geltung defizitär ist, wobei sie dieses Defizit in einer je verschiede- nen Dimension rechtlicher Geltung verorten. Das Geltungsproblem des Rechts liegt dem jungen Genossen zufolge in einem Mangel an Faktizi- tät, Stauffacher zufolge in einem Mangel an Legitimität; ersterer verneint angesichts der aktuellen Umstände die soziale Geltung des bestehenden 10 https://doi.org/10.5771/9783748901594, am 22.05.2021, 00:58:21 Open Access - - http://www.nomos-elibrary.de/agb

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