Martin Mosimann Meine Freiheit Zur Autonomie der Person SchwabeVerlag BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschenNationalbibliografie; detailliertebibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.dnb.deabrufbar. ©2022SchwabeVerlag,SchwabeVerlagsgruppeAG,Basel,Schweiz DiesesWerkisturheberrechtlichgeschützt.DasWerkeinschliesslichseinerTeiledarfohneschriftliche GenehmigungdesVerlagesinkeinerFormreproduziertoderelektronischverarbeitet,vervielfältigt, zugänglichgemachtoderverbreitetwerden. AbbildungUmschlag:iconabasel,ChristophGysin Korrektorat:AnnaErtel,Göttingen Cover:iconabaselgmbh,Basel Layout:iconabaselgmbh,Basel Satz:3w+p,Rimpar PrintedinGermany ISBNPrintausgabe978-3-7965-4483-5 ISBNeBook(PDF)978-3-7965-4484-2 DOI10.24894/978-3-7965-4484-2 DaseBookistseitenidentischmitdergedrucktenAusgabeunderlaubtVolltextsuche.Zudemsind InhaltsverzeichnisundÜberschriftenverlinkt. [email protected] www.schwabe.ch ReinundinseinerEndabsichtbetrachtet,ist[desMenschen]Denken immernureinVersuchseinesGeistes,vorsichselbstverständlich,sein HandelneinVersuchseinesWillens,insichfreiundunabhängigzu werden,seineganzeäußereGeschäftigkeitüberhauptabernurein Streben,nichtinsichmüßigzubleiben. WilhelmvonHumboldt,TheoriederBildungdesMenschen Inhalt I. Autonomie ................................................... 9 1. BanaleAutonomie ....................................... 9 2. SchwierigkeitenimZusammenhangmitAutonomie ........... 17 3. EinZwischenhalt:KantsAufforderung ...................... 20 4. BefreiungalleinbegründetkeinePersönlichkeit ............... 31 II. Scheinlösungen ............................................. 39 1. AutonomiealsSelbstverpflichtung .......................... 39 2. InstitutionalisiertesUngenügen............................. 46 3. DerProzessvonJosephK. ................................. 49 4. OhnmachtundMachtalsErsatz-Verortungen ................ 56 III. AngeblichewigWahresalsBehinderungderBestrebung zuAutonomie............................................... 63 1. DasDoppelgesichtvon«Bildung»–Perfektion,«Reife» ......... 63 2. IndividualitätalsDefizitprodukt ............................ 78 3. Ein(Trug‐)Schluss ....................................... 83 IV. Schubumkehr............................................... 85 1. Standortbestimmung ..................................... 85 2. «Sichdurchsetzen» ....................................... 94 3. EinabstossenderAbgesang….............................. 100 8 Inhalt 4. …undVerdrehungundUnredlichkeitzumSchluss ........... 104 5. Liebe,Neugier,Interesse,Phantasie ......................... 108 V. Persönlichkeit ............................................... 117 1. EinePersönlichkeitzuseinbedeutet,einebestimmte Person zusein ................................................. 117 2. Coda ................................................... 131 VI. …undeinBild… ............................................ 135 Anmerkungen .................................................. 137 Literatur ....................................................... 183 Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 01:16:47. I. Autonomie 1. BanaleAutonomie Moderne Menschen in westlichen Industriegesellschaften pochen gerne auf etwas, was sie hochtrabend ihr «Recht auf Autonomie» nennen. Darunter verstehen sie weder, wie man annehmen könnte, eine wie auch immer gear- teteWürdeihresDaseinsnocheinRechtaufFreiheitinsGrossehinein,son- dern, auf der Basis eines engen persönlichen Blickwinkels, dabei aber immer eher vage, die Vorstellung, dass sie ein Recht darauf hätten, «sie selbst» zu sein (ohne dass sie genau in Worte fassen könnten, worin dieses Sie-selbst- Sein bestehen könnte, geschweige denn, inwiefern ihnen ein solches Recht zuerkannt werden müsste). Dabei haben sie nicht eigentlich grosse Ziele im Auge, geschweige denn, dass sie sich überindividuellen Idealen zuwendeten, sondern sie fassen das, was sie «Autonomie» nennen, vor allem als ihnen zustehendenAnspruchdaraufauf,inihremeigenenTunnichteingeschränkt werdenzudürfen.SiewollenzumBeispielfreivonVerpflichtungenallerArt sein, frei von Ansprüchen anderer gegenüber ihnen, frei endlich von allen «Zwängen», etwas anderes meinen und wollen zu müssen als das, was sie meinenundwollen.(GernegreifensiedabeizuallerleidrastischenRedewei- sen, mittels derer sie wortreich beschwören, wie sehr sie, wenn ihnen eine solche «Autonomie» verwehrt würde, Opfer eines furchtbaren Unrechts würden.) DabeiliegtdasAugenmerk,rechtbetrachtet,immermehraufdemFrei- sein von etwas als auf dem Freisein zu etwas.1 (Dass Freiheit zwei Aspekte hat, ist ihnen gar nicht bewusst.) Moderne Menschen beanspruchen das Recht (wie sie dann etwa sagen), «ihrem eigenen Bauch» folgen zu dürfen (ohne zu wissen, wozu sie ihr «Bauch» dann eigentlich drängte), und eine umfangreiche Werbewirtschaft unterstützt sie unterdessen zielgerichtet in diesem Wunsch. Diese preist nicht eigentlich bestimmte Inhalte an, die Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 01:16:47. 10 I.Autonomie genstand eines Begehrens sein könnten,2 sondern bedient den Wunsch, Be- schränkungen aus dem Weg zu gehen, mit Slogans, die genau auf das be- schriebene Begehren nach Freiheit von etwas Bezug nehmen. Sie tun dies im Kleinendadurch,dasssieihreAngebotezumBeispielsexualisieren,sounter- schwellig den Wunsch auch nach Befreiung von Kontrolle durch eine ein- engende(Sexual‐)MoralbefriedigenundeinfreiesHingucken(bzw.Starren) undSich-Inszenieren(bzw.denGenussdesdieBlickevonStarrernAuf-sich- Lenkens) erlauben,die nicht in die Gefahr einer wirklichen sexuellenBegeg- nung oder in die Mühen einer partnerschaftlichen Beziehung münden müs- sen.3 Ein Plakat verkündet weiter auf bezeichnende Weise Hol dir das neue [xy]!– dasProduktistdabeigarnichtwichtig,sonderndieineinemsolchen Spruch Gestalt annehmende Freiheitsgeste: dass alle Verzicht-Gebote und die aus diesen folgenden Hemmungen über Bord geworfen werden dürften undebendas«vernünftig»sei.4Oderdann suggerierenWerbebotschaften im Grossen,dassdieimZentrumstehendenProduktedenWegzugrenzenloser Freiheitwiesen:etwainFormvonAutowerbespots,indenendieangepriese- nen Modelle in unermesslich weiten (seltsamerweise immer nicht nur auto- leeren, sondern auch menschenleeren) Wüsten herumkurven (ohne dass ei- nem dabei klar würde, was eigentlich das Ziel eines solchen Herumkurvens seinkönnte – irgendwelcheBezugspunktegibtesindiesenjanicht). Freiheit meinen moderne Menschen ausserdem dadurch zu gewinnen, dass sie sich in allen Lebenslagen pragmatisch-schlau verhalten, die vorteil- haftesten Angebote zu finden wissen oder ihr Handeln so optimieren, dass ihre Unternehmungen möglichst wenig Anstrengung verlangen. Zum Bei- spielsindsiestolzdarauf,ihreFeriendortzuverbringen,wodas«Preis-Leis- tungs-Verhältnis» am besten ist – ein solches ökonomisches Ausnützenkön- nen erscheint ihnen als grössere Freiheit, als dorthin in die Ferien zu fahren, wo es sie hinziehen würde, wenn sie ihrem Gefühl oder ihrer Sehnsucht fol- gen würden; und sie mögen es sinnvollfinden, nur dort in Gefühle und Lie- benwollen zu «investieren» oder sich dort einzubringen, wo es sich «lohnt». Dabei ist es der Akt des taktisch schlauen Ausnützens mit dem in ihm ste- ckenden Schein der Selbstermächtigung, der als Inbegriff der Freiheit er- scheint. Und ohne das in ihrer Selbstbezüglichkeit zu merken, nehmen es moderne, auf die Herstellung oder Wahrung ihrer «Autonomie» bedachte Menschen auf der Suche nach ihrer Freiheit dann auch ohne Bedenken in Kauf, ihre Nebenmenschen zu schädigen, also an deren Entfaltung zu hin- Generiert durch Universität Leipzig, am 25.11.2022, 01:16:47.