Friedrich-Schiller-Universität Jena Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften Institut für Kommunikationswissenschaft Medienwissenschaftliche Analysen über Terror und Terrorismus seit dem 11.09.2001 – Eine Literaturrecherche. Fokus auf Araber und Muslime. Bachelorarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts (B.A.) vorgelegt von Nico Dietrich geboren am 12.07.1987 in Lichtenstein / Sa. Erstgutachter: Prof. Dr. Wolfgang Frindte Zweitgutachterin: Nicole Haußecker, M.A. Jena, den 09.08.2010 Inhaltsverzeichnis 1 Abkürzungsverzeichnis...................................................................................3 2 Einleitung........................................................................................................4 3 Terrorismus.....................................................................................................5 3.1 Begriff.........................................................................................................................5 3.2 Abgrenzung und Typologie........................................................................................6 3.3 Ursachen.....................................................................................................................9 3.4 Islamistischer Terrorismus........................................................................................10 3.5 Anschläge vom 11. September 2001........................................................................11 3.6 Trends.......................................................................................................................12 4 Araber und Muslime.....................................................................................14 4.1 Abgrenzung Araber – Muslim..................................................................................14 4.2 Stereotype und Vorurteile.........................................................................................15 5 Terrorismusforschung nach dem 11. September 2001.................................17 5.1 Überblick...................................................................................................................17 5.2 Reflexionen...............................................................................................................20 5.3 Inhaltsanalysen..........................................................................................................21 5.4 Sozialpsychologische Untersuchungen.....................................................................25 5.5 Studien mit Experimental-Design.............................................................................27 5.6 Attributionen von Arabern und Muslimen................................................................27 6 Integrated Threat Theory..............................................................................29 6.1 Die Theorie...............................................................................................................30 6.2 Empirische Überprüfung...........................................................................................33 7 Fazit...............................................................................................................37 8 Literaturverzeichnis......................................................................................39 9 Eidesstattliche Erklärung..............................................................................46 2 1 Abkürzungsverzeichnis Es werden nur jene Abkürzungen aufgeführt, die im Text nicht unmittelbar an der Stelle ihrer Verwendung erläutert werden. ABC ………… American Broadcasting Company AQIM ………… al-Qaida im islamischen Maghreb AUM ………… Anxiety/Uncertainty Management Bd. ………… Band CBN ………… Christian Broadcasting Network CBS ………… Columbia Broadcasting System CNN ………… Cable News Network EEOC ………… U.S. Equal Employment Opportunity Commission ETA ………… Euskadi ta Askatasuna (baskisch: Baskenland und Freiheit) EU ………… Europäische Union FAS ………… Federation of American Scientists FAZ ………… Frankfurter Allgemeine Zeitung FR ………… Frankfurter Rundschau GTD ………… Global Terrorism Database HDI ………… Human Development Index IRA ………… Irish Republican Army ISPK ………… Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel ITT ………… Integrated Threat Theory oder Intergroup Threat Theory NBC ………… National Broadcasting Company RAF ………… Rote Armee Fraktion REMID ………… Religionswissenschaftlicher Medien- und Informationsdienst e.V. SZ ………… Süddeutsche Zeitung taz ………… die tageszeitung UN ………… United Nations vgl. ………… vergleiche ZDF ………… Zweites Deutsches Fernsehen 3 2 Einleitung Der moderne Terrorismus ist omnipräsent. Er scheint angekommen zu sein in New York, in London, im Sauerland. Die Medienberichterstattung hat die Menschen vertraut gemacht mit dem Vokabular des Terrors. RAF, ETA, al-Qaida, Taliban, Dschihad – allesamt längst be- kannte Begriffe und Synonyme des Terrors. Weitere ließen sich problemlos aufzählen. Spä- testens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 führt uns die Medienberichterstattung die vermeintliche Terrorbedrohung eindrucksvoll vor Augen. Doch was steckt hinter dem Phänomen Terrorismus? Wie lässt es sich charakterisieren? Im Gegensatz zu anderen politi- schen Begriffen wie Diktatur oder Krieg lässt sich Terrorismus weder exakt definieren noch vollständig beschreiben. Seit dem Attentat auf israelische Sportler während der Olympischen Spiele in München 1972 befassen sich auch die Vereinten Nationen mit Terrorismus und dessen Eindämmung. Noch im gleichen Jahr sollte das Thema auf der 27. Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York diskutiert werden. Jedoch scheiterte bereits die Auf- nahme dieses Punktes in die Tagesordnung am formulierten Titel. Unter einer allen Teilneh- merländer gerecht werdenden Überschrift mit nicht weniger als 58 Wörtern1 fand das Thema doch noch in die Agenda. Eine verbindliche Definition von Terrorismus gelang damals aller- dings nicht und steht bis heute aus. Dieser bürokratische Umgang mit terroristischen Bedro- hungen ist der Vielseitigkeit des Terrorismus zu schulden, denn bekanntlich ist des einen Terrorist, des anderen Freiheitskämpfer (vgl. LAQUEUR, 2007; VEREINTE NATIONEN, 1972). Mittlerweile existiert eine Fülle von Arbeiten zum Thema Terrorismus, seinen Ursachen und Auswirkungen sowie zu Anti-Terror-Maßnahmen. Die vorliegende Arbeit richtet ihren Fokus auf Terrorismus in Zusammenhang mit Arabern und Muslimen. Dieses Thema erscheint von besonderer Relevanz, da mir bislang keine zusammenfassende Arbeit mit ähnlichem Fokus bekannt ist. Des Weiteren weisen SHERIDAN und NORTH (2004) eine seit 1972 kontinuierlich steigende Zahl an psychologischen Veröffentlichungen zum Thema Islam und Muslimen nach, was zeigt, dass zumindest Muslime mehr denn je im Fokus der Wissenschaft stehen (vgl. SHERIDAN & NORTH, 2004). Im Vorfeld ist bereits zu vermuten, dass die Geschehnisse des 11. September einen nicht unerheblichen Einfluss auf dieses Forschungsgebiet ausübten. Zunächst wird es darum gehen, Terrorismus kurz zu beschreiben, zu klassifizieren und auf islamistischen Terrorismus sowie auf die Anschläge vom 11. September einzugehen. In Ka- 1 Die Überschrift der UN-Resolution 3034 (XXVII) vom 18. Dezember 1972 lautet: „Measures to prevent international terrorism which endangers or takes innocent human lives or jeopardizes fundamental freedoms, and study of the underlaying causes of those forms of terrorism and acts of violence which lie in misery, frustration, grievance and despair and which cause some people to sacrifice human lives, including their own, in an attempt to effect radical changes.” (vgl. VEREINTE NATIONEN, 1972). 4 pitel 4 wird die Bedeutung der Begriffe Araber und Muslim thematisiert. Weiterhin folgen Ausführungen zu Stereotypen und Vorurteilen. Ein Forschungsüberblick über die wissen- schaftlichen Beiträge, die sich nach dem 11. September 2001 speziell mit den genannten Gruppen befassen, wird in Kapitel 5 vorgestellt. Nachdem unabhängig davon einige Studien verschiedener Kategorien kurz vorgestellt wurden, versucht Kapitel 6 anhand der Integrated Threat Theory von STEPHAN und STEPHAN (1996, 2000) zu erklären, wie es durch Bedro- hungsszenarien zu einer negativen Einstellung gegenüber Minderheiten kommen kann. Letzt- lich fasst ein Fazit die Erkenntnisse zusammen und gibt einen kurzen Ausblick. 3 Terrorismus 3.1 Begriff Für den Begriff Terrorismus existiert keine allgemein anerkannte Definition und aller Vor- aussicht nach wird sich in den nächsten Jahren auch keine allgemeingültige Definition etab- lieren können. Gerade weil der Begriff vor allem von den Boulevard-Medien inflationär ge- braucht wird2 und für nahezu alle Rezipienten leicht verständlich scheint, soll dennoch ein genauerer Blick auf das Konstrukt Terrorismus geworfen werden. Eine umfassende ge- schichtliche Einordnung und ausführliche Diskussion des Begriffes muss hier leider aus Ka- pazitätsgründen verwährt bleiben. Es werden im Folgenden nur die wichtigsten und für diese Arbeit relevanten Punkt abgehandelt. Außerdem wird auf die spezifische Literatur zum The- ma verwiesen (vgl. HOFFMAN, 2007; LAQUEUR, 2007; WALDMANN, 2005). Der Begriff Terrorismus wurde erstmals im Zuge der Französischen Revolution erwähnt und gelangte einige Jahre später auch in den englischen und deutschen Wortschatz. Obwohl das Wort lateinischen Ursprungs ist und wörtlich etwa Schrecken oder Schrecknis bedeutet, wies der terreur der Jakobiner eine positive Konnotation auf. Maximilien de Robespierre sprach in einer Rede vor dem Nationalkonvent von 5. Februar 1794 sogar von einem „Produkt des all- gemeinen Prinzips der Demokratie, das auf die dringendsten Anliegen des Vaterlandes an- gewendet wird.“ 3 (ROBESPIERRE, 2000, 21). Terrorismus ist in seinem Wesen aber keine Neuerscheinung im Zuge der Französischen Re- volution. WALTER LAQUEUR (2007) geht in seinem Buch A History of Terrorism bis ins erste Jahrhundert nach Christus zurück und bezeichnet die Sikarier, eine jüdische Gruppe, die mit Dolch-Attentaten gegen die römische Besatzung Judäas vorging, als „[o]ne of the earliest 2 Laut einer Meldung auf bild.de vom 18.05.2010 wollte der Saudi ABDALLAH ASSAM SALEH MISFAR EL KAHTANI die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika „mit Terror überziehen“. Diese Formulierung stellt allein schon aus sprachwissenschaftlicher Sicht eine interessante Erscheinung dar (vgl. BILD, 2010). 3 Im Original: „conséquence du principe général de la démocratie, appliqué aux plus pressants besoins de la patrie.“ (ROBESPIERRE, 1967). 5 known examples of a terrorist movement“ (LAQUEUR, 2007, 7). Weiterhin führt er die musli- mischen Assassinen an, die im 11. Jahrhundert politische Morde in Arabien verübten4. An diesen frühen Beispielen wird bereits deutlich, dass es sich bei Terrorismus um einen „politi- cal loaded term“ (LAQUEUR, 2007, 219) handelt, der innerhalb der deutschen Sprache aber stets negativ bewertet wird. Die deutschsprachige Version der Wikipedia versteht unter Ter- ror die „systematische und oftmals willkürlich erscheinende Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt, um Menschen gefügig zu machen“ (WIKIPEDIA 2010). Diese unwissenschaftliche Quelle mag zunächst verwundern, gibt jedoch mit Verweis auf KLEIN (2009) ein Spiegelbild „des allgemein anerkannten und vor allen Din- gen aktuell gültigen Begriffsverständnisses.“ (KLEIN, 2009, 14). Die obige Beschreibung weist zudem auf zentrale Merkmale des Terrorismus hin: 1. Es handelt sich um ein planvol- les, nicht zufälliges Vorgehen. 2. Terrorismus ist unmittelbar mit einer Form von Gewalt verknüpft. 3. Terrorismus hat ein Ziel und will etwas erreichen. Auch WALDMANN (2005) greift alle drei Punkte auf, wenn er Terrorismus als „planmäßig vorbereitete, schockierende Gewaltanschläge gegen eine politische Ordnung“ (WALDMANN, 2005, 19) definiert, die „vor allem Unsicherheit und Schrecken verbreiten, dabei aber auch Sympathie und Unterstüt- zungsbereitschaft erzeugen.“ (ebd.). Im Zusammenhang damit sei auch auf die Arbeit von ALEX J. SCHMID (2005), der unter anderem die Häufigkeit von definitorischen Elementen in 109 Terrorismus-Definitionen untersucht, hingewiesen. SCHMID zählt in 83,5 % aller Defini- tionen die Begriffe Gewalt und Zwang, in 65 % aller Fälle taucht politisch auf. Insgesamt werden 21 verschiedene Elemente aufgeführt (vgl. SCHMID, 2005). 3.2 Abgrenzung und Typologie Dem aufmerksamen Leser wird in 3.1 bereits aufgefallen sein, dass die Begriffe Terror und Terrorismus zum Teil parallel gebraucht wurden. Die Gründe dafür liegen in der zunächst schwierigen Unterscheidung und der synonymischen Verwendung in der Alltags- aber auch der Pressesprache. WALDMANN postuliert Terror „als staatliche Schreckensherrschaft“ woge- gen er Terrorismus „als eine bestimmte Form des Angriffs gegen den Staat“ sieht. (WALD- MANN, 2005, 17f.). Beide weisen zwar einige Gemeinsamkeiten auf, unterscheiden sich aber in Opferzahl, Risikobereitschaft sowie in der Bedingung der Akquise neuer Kämpfer. Aus- schlaggebend für diese Unterteilung ist auch WALDMANNS These vom Terrorismus als Kom- munikationsstrategie, denn Staatsterror verfolgt keinerlei kommunikative Absicht. Diese Un- 4 Das englische bzw. französische Wort assassin (dt. Attentäter, Mörder) leitet sich von dieser Gruppe ab (vgl. BROWN, 1993). 6 terscheidung, die sich auch in der BROCKHAUS ENZYKLOPÄDIE (2006)5 findet, erscheint mir plausibel, weswegen ich jene für meine Arbeit adaptiere. Es kann folglich festgehalten wer- den, dass Terror von Staaten oder substaatlichen Gebilden ausgeht, unter Terrorismus dage- gen ein Angriff gegen den Staat oder seine Repräsentanten verstanden werden soll. Wie auch KLEIN bemerkt, lässt sich diese Unterscheidung jedoch nicht trennscharf anwenden, da bei- spielsweise das Ziel von Anti-Terror-Maßnahmen die Einschränkung von Terrorismus ist. Selbiges betrifft auch Komposita wie Terrororganisation oder Terroranschlag. Die Tendenz zum Weglassen des Suffixes –ismus scheint linguistisch motiviert zu sein und verändert die ursprüngliche Semantik nicht (vgl. BROCKHAUS, 2006; KLEIN, 2009; MÜNKLER, 2001; WALD- MANN, 2005). BRUCE HOFFMAN (2007) bemüht sich in Ermangelung einer umfassenden Definition um eine möglichst detaillierte Abgrenzung von anderen Begriffen. Zunächst unterscheiden sich Ter- roristen von Guerilla-Kämpfern und Rebellen, indem sie „nicht offen als bewaffnete Einhei- ten“ (HOFFMAN, 2007, 73) auftreten, keine Gebietsansprüche stellen und „entschieden jeden Kampf mit feindlichen militärischen Kräften“ vermeiden (ebd.). HOFFMAN gibt aber auch zu bedenken, dass in der Realität häufig Überschneidungen auftreten6. Plausibel erscheint auch die von HOFFMAN vorgenommene Abgrenzung zum gewöhnlichen Kriminellen, der „in erster Linie aus selbstsüchtigen, persönlichen Motiven“ (HOFFMAN, 2007, 74) in der Regel mit Aus- sicht auf Profit handelt. Der Autor sieht in dieser hier verkürzt wiedergegebenen Differenzie- rung von anderen Begriffen die Chance, den Terrorismus-Begriff zu schärfen, ohne sich auf eine Definition festlegen zu müssen (vgl. HOFFMAN, 2007). Terrorismus unterscheidet sich wie bereits angedeutet vom klassischen Krieg, denn er wird nach BERGER und WEBER (2008) „durch nicht-staatliche Einheiten geplant und ausgeführt“ (BERGER & WEBER, 2008, 15). Dies schließt nicht aus, dass Terroristen in finanziellen als auch distributiven Angelegenheiten von Staaten unterstützt oder zumindest geduldet werden. Als solche Staaten gelten beispielsweise Sudan und Somalia (vgl. BERGER & WEBER, 2008; DÉHEZ, 2010; FISCHER, 2010). Mit Blick auf die Adressaten, lässt sich festhalten, dass Terrorismus „a wider target than the immediate vivctims“ (WILKINSON, 2009, 21) anspricht. Dabei lassen sich zwei Gruppen klas- sifizieren: Einmal die zu beeinträchtigenden Gegenspieler und auf der anderen Seite die zu interessierenden Dritten wie sie von MÜNKLER (2001) bezeichnet werden. Es handelt sich da- 5 Im Folgenden verkürzt zu BROCKHAUS. 6 HOFFMAN nennt Organisationen wie die libanesische Hisbollah oder die Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia (FARC) in Kolumbien als Beispiele für terroristische Gruppen, die ihrer Eigenschaften wegen häufig als Guerilla-Organisationen klassifiziert werden (vgl. HOFFMAN, 2007). 7 bei um Mitglieder der eigenen Gesellschaft, die durch die terroristischen Akte motiviert und zum Kampf aktiviert werden sollen. Wie BERGER und WEBER weiter ausführen, lässt sich Terrorismus anhand des Verhältnisses zwischen diesen Dritten und den eigentlichen Tätern klassifizieren. Gehören Terroristen und Dritte einer nach Anerkennung strebenden Minder- heit an, wird von ethno-nationalistischem oder ethno-separatistischem Terrorismus gespro- chen. Seine Ziele liegen langfristig in der nationalen Befreiung und der etwaigen Etablierung einer eigenen Nation oder, falls es sich um ethnische Minderheiten handelt, in der Schaffung von internationaler Aufmerksamkeit und entsprechenden Rechten für die Minderheit. Als Beispiele fungieren die verschiedenen Befreiungsorganisationen im kolonialisierten Afrika7 sowie die baskische Euskadi Ta Askatasuna (ETA) oder die Irish Republican Army (IRA) in Nordirland. Gilt allerdings die Klassenzugehörigkeit als Kriterium, handelt es sich um die sozial-revolutionäre Form von Terrorismus. Laut BERGER und WEBER habe dieser Typ seinen Höhepunkt in den 1970er und 1980er Jahren gehabt und sei gegenwärtig nicht mehr zu beo- bachten. Das Ziel liegt in der Schaffung eines revolutionären Klassenbewusstseins. Zu den Vertretern dieser Richtung gehören die mittlerweile aufgelöste Rote Armee Fraktion (RAF) und die Brigate Rosse (Roten Brigaden) aus Italien. Während BERGER und WEBER sozial- revolutionären Terrorismus als politisch links kennzeichnen, findet WILKINSON (2009) mit ideologischem Terrorismus einen Überbegriff, der sowohl linke als auch rechte Strömungen umfasst. Als letztes wird der religiös motivierte Terrorismus behandelt. Die häufige Entgren- zung der Gewalt innerhalb dieser Terrorismusform wird von den Autoren darin begründet, als dass sich die Opfer leicht an ihrer „falschen“ Religion erkennen lassen. Gottes Wort gilt auch gleichzeitig als Rechtfertigung der Gewalt, die dann nicht mehr öffentlich hinterfragt werden muss. Als prominentes Beispiel fungiert die al-Qaida8 als Vertreter des islamistischen Terrorismus, aber auch Hamas und Hisbollah besitzen religiöse Motive. Man muss an dieser Stelle ausdrücklich darauf hinweisen, dass „alle Religionen Fundamentalismen ausgebildet haben“ (BERGER & WEBER, 2008, 94). Als Beispiele seien die jüdische Irgun Zvai Leumi (IZL), die Hindustan Socialist Republican Association (HSRA), bei deren Mitgliedern es sich meist um Sikh9 handelt, oder christliche Organisationen wie die White Patroit Party (WPP) in den Vereinigten Staaten oder die Lord’s Resistance Army (LRA) in Uganda genannt. Aller- 7 Die nationale Befreiungsfront Algeriens Front de Libération Nationale (FLN), die Befreiungsorganisation von Mosambik Frente da Libertação de Moçambique (FRELIMO) oder die South West Africa People’s Oragnizati- on (SWAPO) aus Namibia sollen stellvertretend für die jeweiligen kolonialen Einflussbereiche genannt werden. 8 Aufgrund verschiedener Übersetzungen des arabischen Begriffs existieren mehrere Schreibweisen. In US- amerikanischen Medien wird meist al Qaeda, im deutschen Sprachraum gelegentlich auch al-Kaida verwendet. Die in dieser Arbeit verwendete Schreibung al-Qaida orientiert sich an der Handhabung des Begriffs im DUDEN sowie im BROCKHAUS. Zitate bleiben unverändert (vgl. BROCKHAUS, 2006; DUDEN, 2009). 9Der Sikhismus zählt mehr als 23 Millionen Anhänger, wovon die überwiegende Mehrheit in Indien lebt. In- Deutschland hat die monotheistische Religion ca. 5000 Anhänger (vgl. BROCKHAUS, 2006; REMID, 2009). 8 dings stellt der aus dem islamistischen Fundamentalismus „motivierte Terrorismus momen- tan das größte internationale Sicherheitsproblem“ (ebd.) dar. Zusätzlich finden bei WILKIN- SON noch „[s]ingle issue terrorist groups“ Erwähnung. Ziel dieser Gruppen ist der Kampf ge- gen einen singulären, sehr eingegrenzten Gegenstand der Gesellschaft (z. B. Tierversuche oder Abtreibung) (vgl. BERGER & WEBER, 2008; HIRSCHMANN, 2001; MÜNKLER, 2001; START, 2010; WILKINSON, 2009). Natürlich lassen sich terroristische Aktivitäten nicht in jedem Fall lupenrein einer der oben genannten Klassifizierungen zuordnen. Überschneidungen zeigen sich unter anderem bei Or- ganisationen in Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt, wo sowohl ethno-nationalistische als auch religiöse Aspekte eine Rolle spielen. RAPOPORT (2004) unterteilt Terrorismus in diachroner Hinsicht in vier Wellen. Weiterhin lässt sich Terrorismus auch nach betroffenen Gebieten unterteilen. Nationaler Terrorismus beschränkt sich ausschließlich auf Ziele im eigenen Land (z.B. ETA), während die internati- onale Variante über Ländergrenzen hinweg agiert (z. B. RAF). Von transnationalem Terro- rismus wird dann gesprochen, „when it crosses the borders of numerous states.“ (WILKINSON, 2009, 22). Hier kann wiederum al-Qaida als Beispiel gelten (vgl. RAPOPORT, 2004; WILKIN- SON, 2009). 3.3 Ursachen Die Ursachen von Terrorismus sind meist sehr komplex. LAQUEUR nennt zunächst „[n]ational oppression and social inequities“ (LAQUEUR, 2007, 80), fügt aber augenblicklich hinzu, dass ein Kampf gegen beide Faktoren natürlich nicht automatisch zu weniger Terrorismus führt und sie aus diesem Grund nicht die alleinigen Ursachen sein können. Ein oft postulierter li- nearer Zusammenhang zwischen Armut und Terrorismus kann indes so nicht bestätigt wer- den. LAQUEUR schreibt, Terroristen hätten „middle- or upper-class background“ (LAQUEUR, 2007, 222; vgl. FAIR & SHEPHERD, 2006; HADDAD & KHASHAN, 2002) und auch BERGER und WEBER fügen an, dass wenig entwickelte Länder wie Burkina Faso (HDI10: 177) oder die Zentralafrikanische Republik (179) keine terroristischen Zentren seien und die Kämpfer des islamistischen Terrorismus beispielsweise im vergleichsweise wohlhabenden Saudi-Arabien (59) rekrutiert würden. Gleichzeitig sind dünn besiedeltes Rückzugsgebiet und instabile poli- tische Verhältnisse in sog. „Failed States“ wie Somalia terroristischen Gruppen eher von 10 Um den Entwicklungsstand der Länder zu vergleichen, wird der vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) erhobene Human Development Index (HDI) herangezogen. Angegeben ist der Rang des Landes nach dem aktuellsten Human Development Report (HDR) aus dem Jahr 2009. Dabei gilt: Je höher der Rang, desto besser ist der Entwicklungsstand. Deutschland belegt Rang 22 von 182 erfassten Staaten (vgl. UNI- TED NATIONS DEVELOPMENT PROGRAMME, 2009). 9 Vorteil. Aus Kapazitätsgründen können die Ursachen hier nicht ausführlicher behandelt wer- den. Es sei aber noch erwähnt, dass Terrorismus stets eine gewisse Unzufriedenheit voraus- geht, denn „happy, contented people seldom, if ever, throw bombs.“ (LAQUEUR, 2007, 80; vgl. BERGER & WEBER, 2008). 3.4 Islamistischer Terrorismus Nicht zuletzt durch die Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak ist islamistischer Terro- rismus in den letzten Jahren medial sehr präsent. Um diese Art von Terrorismus näher be- leuchten zu können, ist es notwendig, sich zunächst mit der Religion des Islam auseinander zu setzen. Der Islam gehört mit seinen mehr als 1,2 Milliarden Anhängern zu den fünf Welt- religionen und basiert wie Christentum und Judentum auf dem Monotheismus. Die Ursprün- ge des islamischen Glaubens reichen bis in das Jahr 610 n. Chr. zurück, als der Erzengel Gabriel Mohammed den Koran offenbarte. Die Migration des Propheten Mohammed und seiner Anhänger aus der heutigen Stadt Medina im Jahr 622 bedeutet „einen Einschnitt zwi- schen Islam und Djahiliyya.“ (ABOU-TAAM, 2009, 13). Das Zeitalter der Djahiliyya meint da- bei jene Zeit, in der die Menschheit unwissend und ohne Glauben war. Unterschieden wird ausschließlich zwischen Gläubigen (Mu´minun) und Ungläubigen (Kafirun). Weiterhin gilt das Prinzip der Gottesherrschaft, Allah gilt als Schöpfer der Menschheit und seinen Gesetzen ist unbedingt Folge zu leisten. Daraus ließen sich – folgt man ausschließlich dem Koran – unter anderem die Vorstellung eines ständigen Kampfes zwischen Gut und Böse sowie die völlige Ablehnung nationalstaatlicher Grenzen und demokratischer Staatsformen ableiten. (vgl. ABOU-TAAM, 2009; BROCKHAUS, 2006). Unter Islamismus versteht ABOU-TAAM (2009) „eine der islamischen Zivilisation entsprun- gene Ideologie, die den Dschihad11 als legitimes Mittel sieht, um ihre Ziele […] zu errei- chen.“ (ABOU-TAAM, 2009, 49). Diese Ziele bestehen unter anderem darin, den Rückfall in die Djahiliyya zu vermeiden bzw. selbigen rückgängig zu machen. Was unter Dschihad ge- nau zu verstehen ist, wird „von verschiedenen Strömungen und Gruppen unterschiedlich in- terpretiert“ (BROCKHAUS, 2006, Bd. 7, 117). Der sog. „kleine Dschihad“ kann verstanden werden als „Krieg gegen Ungläubige, mit dem Ziel, sie zu bekehren oder, wenn dies nicht möglich ist, sie zu vernichten“ (ABOU-TAAM, 2009, 59). MARC SAGEMAN (2004) definiert salafistischen Dschihad als „a worldwide religious revivalist movement with the goal of reestablishing past Muslim glory in a great Islamist state“ (SAGEMAN, 2004, 1). An der Spitze dieser Bewegung, die „many other terrorist groups” (ebd.) beinhaltet, sieht SAGEMAN die al- 11 Die Schreibung mit Dsch- folgt dem DUDEN, der BROCKHAUS schreibt Djihad (vgl. BROCKHAUS, 2006; DUDEN, 2009). 10
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