Michael Jackel (Hrsg.) Mediensoziologie Michael Jackel (Hrsg.) Medien soziologie Grundfragen und Forschungsfelder I VS VERLAG FOR SOZIALWISSENSCHAFTEN Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Uber <http://dnb.ddb.de> abrufbar. 1. Auflage November 2005 Aile Rechte vorbehalten © VS Verlag fUr Sozialwissenschalten/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2005 Lektora!: Barbara Emig-Raller Der VS Verlag fUr Sozialwissenschalten ist ein Unternehrnen van Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschlieBlich aller seinerTeile ist urheberrechtlich geschUtzl. Jede verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ahne Zustimmung des Verlags unzulassig und stralbar. Das gilt insbesandere fUr Verviellaltigungen, Obersetzungen, Mikroverlilmungen und die Einspei cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe van Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ahne besandere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass salche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als Irei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden dUrlten. Umschlaggestaltung: KUnkelLapka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt aul saurelreiem und chlarlrei gebleicl1tem Papier ISBN-13 978-3-531-14483-2 e-ISBN-13 978-3-322-80675-8 DOL 10.1007/978-3-322-80675-8 Inhalt VOrbelTICrkung ......................................................... . .. ....................... " ................... 7 Michael Jiickel Einleitung - zut Zielsetzung des Buches ......................................................................... 9 MichaelJikkc! / ThomCis Crt/nd Eine Medicnsoziologie - aus der Sicht der Klassiker .......... . .. ............ 15 Jan D. Reinhardt Mcclien und Idcntitat. ........................................................................................................ 33 Thomas Dobler Medicn und ihre Nutzer ...... . ....................................................................................... 47 JoacbiJII R. Hifjlich Medlen und intcrpcrsonale Kommunikation ..... .. .............................................. 69 A "gela Keppler Medien und soziale Wirklichkeit ..................................................................................... 91 Herbert Willellls Medicn und die Inszenierung sozialcr Rollen . .. .................................... 107 Waldemar f7ogc/ge.w"g Medien und abweichendcs Ve rhalten .......................................................................... 125 RaillerU:/illtf'T Medicn und Kultur. .... 149 Udo Gottlieh Medicn und Kritik ..................................... . .. ...................... 163 6 Inhalt Hal1s:Tiitgel/ Btlcher / Arnefi, DJicklVitz Medien und soziale Konflikte... .. ......................................................................... 179 Richard Miinch / Jal1 Schmidt Medien und sozialcr Wandel .......................................................................................... 201 Michaef Jiickel Medien und Tntegration .................................................................................................. 219 ThottJas LeI1Z / Nicole Zit/ien Medien und sozialc Unglcichhcit .................................................................................. 237 Manfred iVIai T\1edien als soziales System ...... ...................... ............................. ................................. 255 KJlrt Imho! Medicn und Offcntlichkcit. ............................................................................................ 273 Michael Jackel Medien und Macht ........................................................................................................ 295 CbriJtia11 S tcgballer Medien und sozialc Net7.werkc ..................................................................................... 319 Ucla Thiedcke Mcdicn und virtualisierte Vergesellschaftung .............................................................. 335 1 clf/jel) S chJlltz / HmiJJJJlt WejJler Medicn und Transnationalisierung ............................ . . ................................... 347 Cornelia Bobll Die Medicn der Gcsellschaft. .. .. ......................... 365 Sachrcgister ......... . .. ... 377 Auturenvcrzeichnis ........ . .. ... 385 Vorbemerkung Die Idee fLrr das vorliegende Buch entstand im Laufe des Jahres 2004, die Gesamt konzeption nalun Ende dessclben Jahres konkrete ['ormen an. Dass der Band in nerhalb cines Zciu-aums von weniger als zw()lf l\1onaten realisicrt werden kOl1ntc, ist zunachst def graBen Disziplin det betciligtcn Autorinncn wld Autoren zuzu schreiben, denen Iller an efster Stelle Inein hcrzlichster Dank gilt. Ebenso danke ich Frau Emig-Roller vom Verlag fLir Sozialwissenschaften fur die Aufnahme des Buchs in das Verlagsprogramm und die gute Zusammenarbeit. Rei Projekten dieser j\rt sind in der redaktionellen Phase viele inhaltliche De tailfragen zu kliiren, die Nicole Zillien, Thomas Grund und Thomas Lenz in akribi scher und vorbildlicher \X,T eise gelDst haben. Ich lllochte deren Engagement an die ser Stelle besonders hervorheben. Dank auch an Sabine Wollscheid, Tobias Schlo mer und Christian Gerhards, die insbesondere in clet Schlussphase dell1 Hcrausge bet mit Rat und Tat zut Seite standen. Trier, im Oktobcr 2005 MichaclJackel Einleitung - zur Zie1setzung des Buches Nlichael Jackel \Xler den Diskurs liber die l110derne Gesellschaft aufmcrksam beobachtet, wird zu l1achst feststellen, class diese ein Problenl tuit ihrer Selbstbcschreibung hat. .leder der mittlerweile zahlreichen Vorschlage (vgL die Beitrage in Schimank/Volkma1U1 2000) kann s1ch skeptischer Einwande sieher sein. Nun sind zusatrunengesetzte Ge sellschaftsbegriffe wie ,Informationsgesellschaft', ,Risikogesellschaft' und auch ,Me diengescllschaft' in erster Lime in bcstimmten (zumeist wissenschaftlichcn) Kontex ten cntstandene Hervorhebungen bestllnmter Beobachtungcl1, die notgedlungen verkiirzen, weil sic im Zuge des Hervorhcbens bestinuntcr Merklnalc andere VCt nachEissigen. Die Aufforderung zu diffcrenzieren ist in der Regel das Resultat ciner iiberzeichnetcn Vcrallgemeinerung besrinuntcr Verhaltnisse. Wer auf Gemeinsam keitcn odcr dOl1unante Strukturmerk111aIc hinweist, tuuss den Hinwcis auf die Un tcrscruedc cinkalkulieren; wer der Diffcrcnzicrung allzu groBe Bedeutung zu schreibt, wiro mit Fragen nach del' Integration konfrontiert oder aufgefordert, die Grenzen von Individualisierungssehliben 7.U benennen. Sehimank weist im Rahmen seiner Einfi.ihrung zu Theorien gesellsehaftlieher Differenzierung darauf hin, dass die Entstehung von Rollenvie1falt sowohl die Konsequenz ais aueh die weitere Vor aussetzung von gesellsehaftliehcr Vielfalt gcwcsen ist. Vor clem Hintergrund dieser Ent\vieklung wird nieht crst in den lctztcn Jahrcn auf FoIgcn hingcwiescn, die als Ergebnis cincs institutionalisicrtcn Individualis111us lucht von allcn gewollt "varen, beispielsweise: "Immer mehr Gesellschaftsmitglieder sehlagen sich luit immer be schrankteren ,Tunnelblicken' durchs Leben; und wer hat clann eigentlich noch den Oberblick liber die Ordnung des gesellschaftlichen Ganzen?" (Schimank 2000, 11) Naturwissensehaftler und Sozialwissenschaftlcr betonen, class Leben bz\\,. Ge sellschaft viel zu komplex ist, um als Einheit iiberhaupt wahrnehmbar zu sein. Einc Pluralitat del' analytischcn Vorgchensweisc ist insofern nur konsequcnt. Die Ge schichtc dcr Soziologie zeigt ebenfalls, Jass e.s eine einheitliehe Perspektive auf die wissensehaftliehen Grundlagen der Disziplin einerseits und ihren Beobaehtungsge genstand anoererseits nie gegeben hat. Daher ist ehef von Lmelu "Kult del' Ein heitswissensehaft" (1\1unch 2002, S. 9) zu sprcchen. Dcm Paradig111cnsU'cit in den Sozialwissenschaften halt T\1l.inch cntgegcn: ".1 eoer diesel' V crsuchc bedeutct lctzten Endcs immel', oass eine spezifisehe Sieht auf die soziale \Xl elt falsehliehenveise fur das Ganze gehalten wird I. .. ]." (ebenda, S. 9) 10 Michael Jackel Ais Rene Konig seinen V orsehlag einer Soziologie als Einzelwissensehaft priisen ticrte, wahlte cr cine Formulictung, die bis heutc neugierig macht: Es soHte cine So ziologie siehtbar werden, "die niehts als Soziologie ist" (Konig 1967, S. 8), weil sic sich als emplrische Einzelwissenschaft konstituieren sone. Dies ermoglichc "die wissensehaftlieh-systematisehe Behandlung der allgemeinen Ordnungen des Gesell schaftslebens, ihrer Bewegungs- und Entwicklungsgcsetzc, ihrer Beziehungen zut nariirlichen Umwelt, zur Kultur im allgemcincn und zu den Einzelgebictcn des Le bens und sehlieGlieh zur sozial-kulturellen Person des Mensehen." (ebenda, S. 8) Heute neigt man dazu, die darin angelegte Vielfalt der Aufgaben einer Mikro-, Me so- und Makrochcne zuzuordncn, was nicht unbedingt 7,U cmcr hoheren Transpa renz des Beobachtungsgegenstands beitragt. \X'ic auch immer ein soleh umfasscndes Programm besehrieben wird - cin gelegentliehes Wildern in Randgebieten und N achbardisziplinen wird 5ich kaum vermeiden lassen. Fiir die hier darzustellende Rindestrich-Soziologie gilt dies auch. Es gibt, so konnte man iiberspit7.t formulieten, nicht nut cine Vielfalt det Beobachtungen, sondetn aueh cine Pluralirat der Auffas sungen, wie man jenc Wisscnschaftlet nennen soil, die diese Beobachtungen ma chen: Medien\\t1ssenschaftler, Kommunikationsforscher, Wirkungsforseher usw. Ei ne weitere Besondetheit resulticrt daraus, dass den lvledien cine Doppclfunktion 7.Ukomn1t: Sie werden nieht nur als gesellsehaftliche Einriehtung analysierf, sie lie fern quasi selbst tagtaglieh Reschtcibungen von Gesellschaft, die mit sozialwissen sehaftlichen Diagnosen konkurtiercn. Ocr hier gewahlte \Xleg ist dennoeh kein Komptomiss, sondern der konse quente Versuch, die Zusammenfuhrung von Medien + GeseUschaft analytisch unter V orgabe des Verbindungsg1ieds 7.U beschteiben. Das ist in manchen Fallen auf der begriffliehen Ebene leieht realisierbar (z.B. Medien und sozialc Konllikt:e), in ande ren Eillen ist die Verkniipfung weniger evident (z.B. Medien und Kritik). Dennoeh winl dieser Weg ruer besehritten: cine Einbindung von i'v1cdien in cine soziologische Perspektive. Dcr zugrunde gclegte Mcdien-Begriff ist dabci nieht der umfassende, aueh alle symboliseh generalisierten Medien (z.B. Geld, Spraehe, Macht) einsehlie Hende, sondern jener, der auch intuitiv damit assozi1ert \vird: auf technische Verbreitungsmittcl, die ein disperses Publikum erreichen konnen, be7.ogen. Die Zusammcnfiihrung von 1Yledien + Gesellschaft solI 7.unachst nut betonen, dass die Verfasstheit moderncr Gesellschaftcn mit der Existcnz von Jvlas~enmedien und -kommunikation eng vcrtlochten ist. Wenn Joas die Aufgabe der Soziologie darin sieht, die "Arten und Weisen, wie das n1enschliche Leben sozia1 organisicrt wird" (2001, S. 14), zu untersuchen, dano kann dies im vorliegenden Zusammen hang als Aufforderung vcrstanden werden, nach Struktutmcrkmalen zu suehen, die dem Vorhandcnsein von liber TVlassenmedicn verbreiteten Angebotcn zuzuschrei ben sind. Das kann auf der Mikrocbene die t\llokation von Zeit, die (kollektive) Su che nach Vorbildern oder die Bezugnahmc auf Thcmen scin, dcren (wenn auch nur rudimentare) Kenntnis Kommunikation unter Fremucn lcicht mbglich macht; auf Einleitung - zur Zielsetzung des Buches 11 det 1-1akroebene konnen geteilte \XTirklichkeitsvorstelluugen, "Einheits"suggestionen wie offentliche Meimmg oder als dysfunktional eingestufte Phanomene wie Wis sensillusionen dutch Informationsuberlastung genannt werden. Andererseits erzeugt die Existenz von Massenmedien, das StattHnden von Massenkonununikation, Bcdingungen, die cine spezifische Strukturicrthcit von Ge sellschaft ermoglichen. Sozialwissenschaftliche Stichworte sind hier z.R. National staatlichkeit, Demokratie, funktionalc Ausdiffcrenzierung oder Globalisierung. Der vorliegende Band prasentiert Oberblicksbeitrage, die sieh an der gerade fonnuliertcn Zielsetzung oficnrieren: Gnmdbcgriffe del' Soziologie werden in V Ct bindung mit dem Medien-Begtiff (und das heillt: als unabhiingige, abhangige oder intcrvcrucrcndc Gr6I3e) crortert, Jedem Beitrag ist eine Zusanunenfassung vorangc stellt, so dass im Folgenden nur wenige Hinweise auf den rubalt gegeben werden. Dass die Notwendigkeit der hier vcrfolgten Verbindung von Medien und Ge sellschaft bereits in den Anfangen der Soziologie gesehen wurde, zeigen Michael Ja ckel und Thomas Grund anhand einer Spurensuche unter den Klassikern des Fachs, bevor sich Jan D. Reinhardt der Diskussion einer sehr zentralen Aufgabe widmet: clem Zusammcnhang von lYledien und Idcntitat, der offensichtlich aus einem kom plexcn Mixtum von Selbst- und Fremdthematisierungen he!"vorgeht. Ebenso kom plex ist das Verhhltnis der Medien zu ihren Nutzern und umgekehrt geworden. Thomas Dobler fokussiert dabei insbesondere die Notwendigkeit sozialer Differen zierungen und macht damit gleichsam auf einer spezifischen Ebene dcutlich, dass von Einheit keine Rcde sein kann. Das gilt vice versa auch fur das Reden liber Me dien und das Reden in MeJicn. Joachim Hoflich zeigt, wie sehr Medien und inter u personale Korrununikacion miteinander vctwoben sind lmd in vielfiltiger Weise ber den Bereich der l\tlassenkomrnunikation hinausweisen und neue Interaktions kontexte generieren. Ungeachtet dessen ist die in den Mcdien "gespiegelte" \Virk lichkeit das am haufigsten thematisie!"te Wirkungspotenzial, das Angela Kepple!" un ter Riickg!"iff auf eine nahe liegende Tradition der Wissenssoziologie behandelt. An diese Thematik schlicllt sich Herbert Willems nahtlos an, in dem er Medien als ein weites Feld von Inszenierungen sozialer Rollen beschreibt, zugleich abet ein dialek tischcs V crhaltnis zu den von Publika generierten Kulturen identifizictt. Es sind a ber nicht nur diese gegenseitigen Konstruktionen von Wirklichkeit, die cine be stinunte Form von Medieneinfluss hcrvorbringen, sondern gerade auch die zahlrei chen Formen abweichcnden Vcrhaltcns, die wcsentlich mit zu einem Unbchagen an der Modernc bcitragen. Waldemar Vogelgesang macht dies unter anclcrem an spck takuJaren Einzclfallen cleutlich, lost sich aber von den klassischen ErklarungsMsat zen, insbesondere in Bezug auf den Zusammenhang von Ivle<..lien und Gewalt. Dass :Massenmcdien sukzcssivc cine neue symbolische Umwelt mlt vielf.-iltigen Anschlussmoglichkeiten geschaffen haben, hat auch zu der hage gefuhrt, welche Kulnu clamit auf Dauer gestellt wird. Dieses Thema ist sehr eng mit clem Diskurs tUn die Moderne verkniipft und wird von Rainer Winter gerade auch im KOnt"ext