Basler Lehrbücher Band 1 Springer Basel AG Mahir Sayir Hans Ziegler Mechanik 1 Grundlagen und Statik 1982 Springer Basel AG Anschrift der Autoren: Prof. Dr: Mahir Sayir ETH-Zentrum Institut für Mechanik Rämistrasse 10 I CH-8092 Zürich (Schweiz) Prof. Dr. Hans Ziegler Weiherweg6 CH-8332 Rüschlikon (Schweiz) CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Sayir, Mahir: Mechanik / Mahir Sayir ; Hans Ziegler. NE: Ziegler, Hans: I. Grundlagen und Statik. - 1982. (Basler Lehrbücher ; Bd. I) ISBN 978-3-7643-1346-3 ISBN 978-3-0348-5140-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-5140-4 NE:GT Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikrofilm oder andere Verfahren reproduziert oder in eine für Maschinen, insbesondere Datenverarbeitungsanlagen, verwendbare Sprache übertragen werden. © 1982 Springer Basel AG Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag Basel 1982 ISBN 978-3-7643-1346-3 Vorwort Das vorliegende Werk ist der erste Band einer dreibändigen Serie, die als Neuauflage des Buchs »Ziegler's Vorlesungen über Mechanik« konzipiert wird. Dieser erste Band behandelt nach einem einführenden Kapitel über Grundlagen (Kinematik, Kräfte, Leistung) die Statik, der zweite Band wird der Festigkeitslehre und der dritte der Dynamik gewidmet. Die Dreiteilung entspricht auch dem stoIDichen Inhalt einer dreisemestrigen Vorlesungsreihe, die Prof. ehr. Wehrli und ich, seit dem Rücktritt unseres verehrten Lehrers und geschätzten Freundes Professor Dr. Hans Ziegler, an den Abteilungen für Bau- und Maschineningenieurwesen abhalten. Obwohl der größte Teil des vorliegenden Bandes neu redigiert wurde, geht er im Geist und Grundkonzept von der früheren Auflage aus. Insbesondere wer den auch hier die Grundbegriffe der Statik wie Gleichgewicht, Resultierende, Moment einer Kräftegruppe usw. aus der Leistung der Kräftegruppe am er starrten und virtuell bewegten materiellen System hergeleitet. Die damit er reichte Betonung des Prinzips der virtuellen Leistungen in der Statik ent spricht nicht nur der klassischen Lagrangeschen Auffassung, sondern auch je ner der modernen Berechnungsmethoden wie die Methode der finiten Ele mente, welche entweder das oben erwähnte Prinzip direkt anwenden oder Energiesätze verwenden, die daraus hergeleitet sind. Einige vor allem redaktionelle Unterschiede im Vergleich zur früheren Aufla ge gibt es hauptsächlich im Aufbau. Mit dieser »Neuorganisation« hoffen wir, die »Sucharbeit« zu erleichtern, sowie zum besseren Verständnis des Stoffes beizutragen. Außerdem versuchen wir hier, den Aspekt der Modellbildung vermehrt in den Vordergrund zu stellen. Wir fördern die induktive und an schaulich-intuitive Denkart, die jedoch anschließend im »deduktiven Sieb ge säubert« werden soll. Beispiele sind wichtige Kapitel wie jene über Kräfte, Statik der Systeme, Beanspruchung. Der vorliegende Band ist für Ingenieurstudenten im 1. Semester (sowohl im Bau- und Maschineningenieurwesen als auch im Elektro-, Werkstoff- und Kulturingenieurwesen) einer technischen Hochschule geschrieben und enthält deshalb nicht nur elementaren Stoff. An mancher Stelle werden Begriffe und Fragestellungen so weit vertieft, bis der Leser, zukünftiger Ingenieur, auf all fällige Annahmen und Voraussetzungen aufmerksam wird, seine kritische Ur teilsfähigkeit entwickeln kann und für jedes erfolgreiche »Lösungskonzept« eine passende Begründung sucht und findet. Er muß zwischen Bezugskörpern 5 und Koordinatensystem, Fernkräften und Kontaktkräften, Ruhe und Gleich gewicht und anderem mehr die begriffiichen Unterschiede klar erkennen. Er wird an zahlreichen Beispielen gefördert, die formelmäßigen Resultate der ge lösten Probleme durch eine entsprechende physikalisch sinnvolle Diskussion zu ergänzen, um die Beziehung des Modells mit der Wirklichkeit herzustel len. Der Haupttext wird von illustrativen Beispielen, Bemerkungen und formalen Beweisen durch die unterschiedliche Schriftgröße gekennzeichnet. Damit wird eine allfallige schnelle »Repetition« des Grundstoffes (Kleinschrift über springen!) erleichtert. Für das tiefe Verständnis der Materie sind jedoch die in Kleinschrift dargelegten Bemerkungen und Beispiele ebenso wichtig wie der Haupttext. Meinem lieben Freund und Kollegen Prof. Dr. Christoph Wehrli danke ich herzlich für die stete Unterstützung des Projekts. Zu besonderem Dank bin ich auch Herrn dipl. Phys. Stephan Kaufmann für die redaktionelle Korrektur und Frau Brigitte Stucker für das Schreiben des Manuskripts verpflichtet. Nicht zuletzt möchte ich aber auch allen meinen bisherigen Studenten dan ken, die durch ihre kritischen Fragen mich auf Schwierigkeiten aufmerksam gemacht und zur Verbesserung der Darstellung beigetragen haben. Mahir Sayir Zürich, August 1982 Inhalt Vorwort .. 5 Einleitung . 9 I. Grundlagen............. 13 1. Lage eines materiellen Punktes 13 2. Die Geschwindigkeit . . . . . . 27 3. Kinematik des starren Körpers 36 4. Kräfte . 61 5. Leistung ........... . 70 11. Statik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 6. Äquivalenz und Reduktion von Kräftegruppen 77 7. Ruhe und Gleichgewicht. 97 8. Analytische Statik . . . . . . . . . . . . . 105 9. Graphische Statik ..... . . . . . . . . 122 10. Parallele Kräftegruppen und Schwerpunkt 129 11. Statik der Systeme 139 12. Seilstatik . . . . . . 160 13. Die Reibung . . . . 165 14. Die Beanspruchung 179 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 197 Einleitung Die Mechanik ist eine wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der Lage und Gestaltänderung von Körpern in Natur und Technik befaßt, solche Änderun gen mit Kräften in Verbindung bringt und daraus wesentliche Voraussagen über die Bewegung und die Festigkeit der genannten Körper herleitet. Um zu streng formulierbaren, quantitativen Voraussagen zu gelangen, be dient sich die Mechanik idealisierter Modelle der Wirklichkeit. Beispiele da für sind die Begriffe des starren Körpers, der linearelastischen Materialien oder der linearviskosen Flüssigkeiten. Oft ergibt sich die Rechtfertigung für die erwähnten Idealisierungen aus der Betonung einzelner physikalischer Aspekte und Eigenschaften, welche im ge gebenen Problemkreis die entscheidende Rolle spielen. Beispielsweise kann die Bewegung der Erde im Sonnensystem durch ein Modell be schrieben und berechnet werden, in welchem unser PlaI\et als starre Kugel mit stück weise homogener Massenverteilung erscheint. Das Studium der Oberflächenwellen im Erdboden, welche beispielsweise bei einem Erdbeben entstehen, führt dagegen auf ein Modell der Erde als deformierbares Kontinuum, zum Beispiel als linearelastischer Körper, oder, bei Erzeugung von bleibenden Deformationen, als elastisch-plastisches Medium. Die Güte eines theoretischen Modells läßt sich letzten Endes aus dem syste matischen Vergleich der mit ihm erzeugten quantitativen Voraussagen über meßbare, charakteristische Größen mit den im gegebenen Vorgang tatsäch lich gemessenen Werten bestimmen. In einigen Fällen führen relativ einfache Modelle zu erstaunlich genauer Übereinstimmung von Theorie und Praxis. In anderen Fällen muß zwischen Übersichtlichkeit sowie Einfachheit des theo retischen Modells und Genauigkeit der Übereinstimmung ein optimaler Kom promiß gesucht werden. Nur durch rein beschreibende Theorien läßt sich das erwähnte Ziel der quan titativen Voraussagen selbstverständlich nicht erreichen. Deshalb bemühen wir uns in der Mechanik, die Probleme so zu formulieren, daß wir zu ihrer Lösung die außerordentlich leistungsfähigen mathematischen Mittel der Ana lysis, Algebra und Geometrie einsetzen können. Betrachten wir zum Beispiel einen Kaltumformungsprozeß wie Bandziehen (Fig. 0.1), bei welchem der Körperteil K der Dicke H in eine möglichst steife Düse D geführt 1 und mit Hilfe der Kraft f zum Körperteil KIll der Dicke h < H ausgezogen wird. Ein passend gewähltes mechanisches Modell sollte imstande sein, bei gegebenen Mate rialkenngrößen, welche die verwendeten Stoffe charakterisieren und experimentell be stimmt werden, die Ziehkraft I, die in plastischer Formänderungsarbeit verbrauchte Energie, die Spannungsverteilung in den Gebieten KII, KIll sowie an der Düse D usw. quantitativ vorauszusagen, damit die nötigen konstruktiven Maßnahmen getroffen und aufwendige Überraschungen vermieden werden können. Rein beschreibende Untersu- 9 chungen, welche beispielsweise die Oberflächenwelligkeit vor und nach der Umfor mung betreffen, können zwar das mechanische Modell ergänzen, jedoch nicht erset zen. H --- F Fig. 0.1: Bandziehen Die Verwendung der mathematischen Methodik und Mittel zur physikali schen Modellbildung erlaubt uns, die Mechanik axiomatisch aufzubauen. Das theoretische Modell wird durch Axiome und begriffsbildende Definitionen festgelegt. Die impliziten Eigenschaften des Modells folgen deduktiv als be weisbare Behauptungen (Theoreme). Die quantitativen Voraussagen über meßbare Variablen können mathematisch zwingend durch Anwendung des Modells auf eine gegebene physikalische Situation hergeleitet werden. Die eigentliche Entwicklung der theoretischen Modelle der Mechanik erfolgte in den meisten Fällen keineswegs nach diesem strengen axiomatischen Auf bau, sondern erforderte vom Forscher u. a. starke phYSikalische Intuition, phantasievolles induktives Denken, tiefen Sinn für physikalisch-mathemati sche Ästhetik. Obwohl wir im folgenden, aus didaktischen Gründen und um das Verständnis der Materie zu erleichtern, vor allem die axiomatische, deduktive Darstellung bevorzugen werden, sollte der Leser die kreativen Ideen hinter den theoreti schen Modellen niemals aus den Augen verlieren. Er sollte sich vielmehr aktiv bemühen, durch eine harmonische Synthese von Induktion und Deduktion die Verbindung mit dem physikalischen Hintergrund der theoretischen Mo delle stets aufrechtzuerhalten. Die Mechanik wird in verschiedene Gebiete aufgeteilt. So enthält die Kine matik das rein geometrische Studium der Lage- und Gestaltänderung von ma teriellen oder nichtmateriellen Systemen ohne jeglichen Bezug auf Kräfte. Die Statik untersucht die Kräfte, insbesondere an ruhenden Systemen. Die Kine tik befaßt sich mit der Verbindung zwischen Kräften und Bewegungen mate rieller Systeme, und die Dynamik ist eine Synthese von Kinematik und Kine tik. Die Mechanik deformierbarer Körper oder Kontinuumsmechanik stellt theoretische Modelle auf, welche das mechanische Verhalten von deformier- 10