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Mathematische Analyse von Sprachelementen, Sprachstil und Sprachen PDF

117 Pages·1955·5.049 MB·German
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ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN Si tzung a m 1 2. 0 k tob e r 1 9 5 3 in Düsseldorf ARBEITSGEMEINSCHAFT FüR FORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN HEFT 34a Wilhelm Fucks Mathematische Analyse von Sprachelementen, Sprachstil und Sprachen SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-663-03098-0 ISBN 978-3-663-04287-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-04287-7 Copyright 1955 by Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag . Köln und Opladen 1955 Mathematische Analyse von Sprachelementen, Sprachstil und Sprachen Professor Dr.-Ing. Wilhelm Fucks, Aachen I. Einleitung 1. Ziel Das Ziel der Ausführungen, über die hier berichtet ist, besteht darin, einige Probleme aus dem großen Bereich der sprachlichen Phänomene zu behandeln [1]. Die Untersuchung bedient sich mathematischer Hilfsmittel. Die Methode ist so angelegt, daß ihre Ergebnisse objektive Sachverhalts aus sagen darstellen. Das setzt voraus, daß wir uns wenigstens primär lediglich mit den formalen Strukturen, nicht aber mit den Sinngehalten von sprach lichen Außerungen befassen. In allen Wissenschaften hat es immer wieder Zeitabschnitte gegeben, in denen ein und derselbe Sachverhalt zu verschiedenen theoretischen Deutun gen geführt hat, manchmal zu solchen, die untereinander unverträglich waren oder dafür gehalten werden mußten. Ein Beispiel aus den Natur wissenschaften bilden die Newtonsche und Huyghenssche These über die Natur des Lichtes. Auch in der philologischen Textkritik sind Fälle be kannt, in denen die gleichen Textstellen von kompetenten Forschern als Beweis für einander durchaus widersprechende Aussagen herangezogen worden sind. Die Unterschiede zwischen den traditionellen Methoden in den Geistes wissenschaften und den Methoden der Naturwissenschaften lassen sich kennzeichnen durch das Ausmaß, in dem allein kraft der Methode schließ lich mit objektiven Auflösungen der Diskrepanzen gerechnet werden kann, also mit Sachverhaltsaussagen, die mitteilbar sind mit Zustimmungszwang. Diese Bemerkung besagt keineswegs, daß Aussagen über Texte, denen ihrer Natur nach Objektivität in dem angegebenen Sinne nicht zuzukommen braucht oder nicht zukommen kann, beispielsweise Bemühungen um die Sinn deutung oder die ästhetische Bewertung von Schriftwerken, nicht von höchstem Wert sein können. Umgekehrt haben natürlich Aussagen nicht schon dadurch allein Bedeutung, daß sie objektiv sind. 6 Wilhelm FucKs Ob also mathematische Theorien des Sprechens, des Sprachstils und der Sprachen zu wissenschaftlich relevanten Ergebnissen führen, kann nicht von allgemeinen Überlegungen her als sicher, wahrscheinlich, unwahrscheinlich oder unmöglich vorausgesagt werden. Die Möglichkeit ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß der Weg einer exakten Analyse zu objektiven Ein sichten von theoretischer und praktischer Bedeutung führt. Das läßt es der Mühe wert erscheinen, der Aufgabe durch die Behandlung konkreter Fragen weiter nachzugehen. 2. Sprechen, Sprachstil, Sprachen Wir wollen uns beschäftigen mit dem Phänomen des Sprechens, mit dem Stil sprachlicher Äußerungen und mit den Sprachen. Der ganze Bereich soll als das Sprachliche bezeichnet werden. Eine umfassende Theorie des Sprachlichen ist ein unabsehbar weites Feld. Die Theorie wird sich aufspalten müssen in einen Bereich, der es mit der physischen Seite des Sprachlichen und in einen anderen, der es mit der psy chischen Seite des Sprachlichen zu tun hat. Zu dem ersten Bereich gehören die anatomischen und die physiologi schen Voraussetzungen des Sprechens: der Bau und die Funktion der laut bildenden Organe der einzelnen Lebewesen, die speziellen Anlagen des Menschen in dieser Hinsicht, die Wandlungen der Lautbildung im Laufe der Entwicklungszeiten der Lebewesen und vieles andere mehr. Es schließt sich die Frage an, warum, wenn der Mensch sich mit Lauten verständlich macht, es gerade so geschieht, wie er es tut, d. h. in einer Folge von mehr oder minder betonten, in wechselnden Tonhöhen gesprochenen Silben, die in vielen Sprachen teilweise noch zu mehrsilbigen Einheiten, Wörtern, und mit diesen wieder zu noch höheren Einheiten zusammen geordnet sind. Weitaus im Vordergrund einer umfassenden Theorie des Sprachlichen steht natürlich die Untersuchung der Sinngehalte der sprachlichen Äuße rungen. Zunächst die Verbindung von bestimmten Sinngehalten mit be stimmten Lauten, Silben, Wörtern und mit bestimmten grammatischen For men. Schließlich und bei weitem vor allem anderen die Analyse von Sinn gehalten von sprachlichen Äußerungen und Texten, letztlich losgelöst vom Problem des Sprachlichen an sich. Philosophie und Philologie haben sich allen diesen und vielen anderen Problemen des Sprachlichen seit ihren Anfängen gewidmet und reiche Ernte gehalten. Mathematisdte Analyse von Spradtelementen, Spradtstil und Spradten 7 Die vorliegende Arbeit greift aus dem unabsehbaren Bereich des Sprach lichen einen genau begrenzten Ausschnitt heraus. Sie hat es zu tun mit Fragen, die, wie gesagt, eine mathematische Behandlung erlauben. Dabei soll zusätzlich noch ausgeschlossen sein, was zur Logistik gehört. Dann haben wir alle Forschungsbereiche ausgeschaltet, für welche der Sinngehalt von sprachlichen Kußerungen primär wesentlich ist. Es bleiben die Probleme übrig, die durch ein Studium der rein formalen Struktur des Sprachlichen lösbar sein sollten. 3. Die Entwicklung der Formalstruktur des Sprachlichen im Laufe der Zeit Bei unseren Untersuchungen soll berüm.sichtigt werden, daß »der Mensch" nicht ein sozusagen stationäres Wesen darstellt, sondern von seinen Anfän gen vor vielleicht einer Million Jahre bis heute körperlich wie geistig und gesellschaftlich in einer fortlaufenden Entwicklung begriffen ist, die sich auch in die Zukunft hinein fortsetzen wird. Diese Entwicklung tut sich kund in einer ganzen Welt von Symbolen, durch die der Mensch seine Gedanken und Gefühle äußert und überliefert. Im gesamten Bereich des Sprachlichen wird es also eine besonders reizvolle Aufgabe sein, die zeitliche Entwicklung auch schon nur der formalen Strukturen objektiv aufzuzeigen. 4. Zur Heuristik Bei der Untersuchung von Formalstrukturen irgendeines Sachverhalts bereiches mit mathematischen Mitteln wird man sich die Erfahrungen von Wissenschaften zunutze machen wollen, die die Analyse von Strukturen bereits mit Erfolg durchgeführt haben. So liegt es nahe, beispielsweise die Ansammlung von, sagen wir, hunderttausend Wörtern in einem Text mit der Ansammlung einer großen Zahl von Molekülen in einem Gas, einer Flüssigkeit oder in einem Kristall zu vergleichen, je nachdem, für welche Eigenschaften des Textes man sich gerade interessiert. Das Begriffssystem und der mathematische Apparat, der zur Beherr schung der materiellen Körper in der Atomtheorie der Materie entwickelt worden ist, liefern uns eine Fülle von heuristischen Hinweisen dafür, wie bei unseren verschiedenen Problemstellungen Begriffe in zweckmäßiger Weise gebildet werden können. Wir werden uns etwa einen Text zunächst" verdampft", d. h. in Elemente aufgelöst denken. Dann werden wir seine Struktur rückwärts durch einen "Kondensationsvorgang" Schritt für Schritt wieder herstellen, ihn bildlich gesprochen zunächst wieder "verflüssigen" und dann ihn "kristallisieren". 8 Wilhelm Fucks Begriffe wie die relativen Häufigkeitsverteilungen von Merkmalen von Elementen oder Elementengruppen, Verteilungen von freien Weglängen, die mittlere freie Weglänge, die Wahrscheinlichkeit und damit auch die Entropie von einfachen und verwickelteren "Zustandsverteilungen ", (lineare) Felder von Potential- und Kraftfunktionen, charakteristische Längen und viele andere Begriffsbildungen mehr aus dem angedeuteten Bereich der Forschung werden uns von Nutzen sein. Es braucht kaum gesagt zu werden, daß diese Analogien nur heuristische Bedeutung haben. Der echte sachliche Zusammenhang ist gegeben lediglich durch die Anwendungsmöglichkeit gleichartiger oder verwandter mathe matischer Formalismen in den verglichenen Bereichen. Die in der mathema tischen Kennzeichnung formaler Struktureigenschaften des Sprachlichen ver wendeten Bildungen hätten also auch gänzlich ohne Heranziehung der naturwissenschaftlichen Analogien konzipiert und formuliert werden können. 5. Mathematische Untersuchungen im geisteswissenschaftlichen Bereich Wie wir in der Philosophie die allgemeinste Geisteswissenschaft vor uns haben, so sehen wir in der Mathematik die reinste Geisteswissenschaft. Ihre Gegenstände sind rein geistiger Art und auch ihre Methoden sind rein gei stiger Art. Wir dürfen dies heute ohne jede Einschränkung aussagen, auch bei voller Würdigung von auf den ersten Blick abweichenden Auffassungen von Vertretern der angewandten Mathematik und eines älteren Positivismus. Die Strukturen, die die Mathematik betrachtet, und das System von Aus sagen, zu denen sie kommt, sind unabhängig davon, ob sie für Anwendun gen gebraucht werden oder gebraucht werden können und um welche Art von Anwendungen es sich dabei handeln mag, seien es solche in der Physik, der Chemie, den Ingenieurwissenschaften, der Biologie, Psychologie, Sozio logie oder welche immer sonst. Daß wir mathematische Methoden auf das Sprachliche anwenden, ist also vom Standpunkt der Dignität der in Verbindung gebrachten Gegenstände durchaus nicht etwas Unangemessenes. Es ist vielmehr, allgemeiner ge sprochen, etwas höchst Angemessenes und darüber hinaus sachlich tief Be gründetes, gerade auch Gegenstände der geisteswissenschaftlichen Forschung, bei denen es ihrer Natur nach sinnvoll ist, zu der reinsten aller Geistes wissenschaften, der Mathematik, in Beziehung zu setzen. Wir dürfen in diesem Zusammenhang an das wie auch immer umstrittene Wort über der Tür von Platons Akademie denken [2-1: »Mf],~E\~ aYEw}J-üp1lt"OC; flQ'ITW«. Mathematische Analyse von Sprachelementen, Sprachstil und Sprachen 9 11. Aus der Theor,ie des Sprechens 1. Problemstellung Die Theorie des Sprechens ist ein weites Feld. Wir wollen hier einiges zu einer ganz eng begrenzten Teilaufgabe ausführen. Es soll sich um den Auf bau von Wörtern aus Silben handeln. Diese Aufgabe ist von einigen tausend Sprachen in jeweils bestimmter und charakteristisch.er Weise gelöst worden. Wir werden im fünften Kapitel Gesetzmäßigkeiten kennenlernen, die einen gesetzlichen Zusammenhang bei der Bildung der Wörter aus Silben bei acht Weltsprachen quantitativ beschreiben. An dieser Stelle wollen wir, ausgehend von theoretisch ausgedachten Modellen und zunächst unabhängig von den Wegen, welche die natürlichen Sprachen gegangen sind, allgemeinere Zusammenhänge ermitteln, welche den Prozeß der Bildung von Wörtern aus Silben kennzeichnen. 2. Ein Ein-, Zwei- und Dreisilbenvolk und deren Sprachen Wir denken uns ein Volk, das nur eine Silbe kennt, sagen wir, um die Vorstellung zu fixieren, die Silbe la. Ferner nehmen wir an, die Gesamt zahl K von Wörtern, die dieses Volk kennt, sei 300. Eine grammatische Ausformung der Wörter soll es nicht geben. Ein Lexikon der Sprache dieses Volkes fängt so an: la; lala; lalala; ... Es würde schließlich ein Wort geben mit der maximalen Silbenzahl 1=300. Bei lexikalischer Anordnung der K Wörter ergäbe sich eine mittlere Sil benzahl je Wort i = 150,50. Nun möge diesem Volk sozusagen ein Leibniz erstehen, der zwei Er findungen macht. Erstens führt er eine zweite Silbe ein, nennen wir sie li. Zweitens erfindet er ein Zahlen-Stellen-System, das zwei Zeichen kennt, sagen wir die Eins und die Null. Der Zusammenhang des Zweiersystems und des bei uns üblichen Zehnersystems ergibt sich aus der Tabelle 1. Unser Zweisilbenvolk möge sich nun bei der Bildung von Wörtern aus seinen beiden Silben des Zweiersystems bedienen und die bei den Silben optimal ausnützen. Ein Lexikon des Zweisilbenvolkes fängt dann folgendermaßen an: la; li; lala;li1i; lali; lila; lalala; lalali; lalila; usw. Nehmen wir wieder den Umfang des Wortschatzes zu K = 300 an, so hat jetzt das Wort mit der maximalen Silbenzahl nur noch 8 Silben (I = 8), wie die Tabelle Bild 2 zeigt. 10 Wilhe1m Fucks Dezimalsystem Zweiersystem Dezimalsystem Zweiersystem 0 0 0 0 0 2° 1 1 1 1 21 2 10 2 10 22 4 100 5 101 23 8 1000 10 1010 26 64 1000000 300 100101100 212 4096 1 000 000 000 000 1000 1111101000 215 32768 1 000 000 000 000 000 3000 101110111 000 10000 10 011100010000 30000 111 010100110000 Bild 1: Der Zusammenhang des Zweiersystems mit dem Zehnersystem. K imax = I 30 4 60 5 150 7 300 8 600 9 1500 10 3000 11 6000 12 15000 13 30000 14 Bild 2: Maximale 5ilbenzahl I je Wort in Abhängigkeit vom Wortschatz K des Zweisilhenvolkes. Für eine lexikalisch angeordnete Gesamtheit aller Wörter des Zweisilben volkes ergibt sich eine mittlere Silbenzahl je Wort 1 = 6,18. Die Vorteile des übergangs von der Einsilben- zu der Zweisilbensprache sind also ganz außerordentlich. Bei einer Dreisilbensprache ergibt sich I = 5 und i = 4,42. Wir stellen noch den Zusammenhang zwischen maximaler Silbenzahl je Wort I, Silbenzahl Sund Wörterzahl K für eine Ein-, Zwei- und Drei silbensprache zusammen. Es ergeben sich die Werte der Tabelle Bild 3. K = 300 K = 3000 K = 30000 5 = 1 300 3000 30000 5=2 8 11 14 5=3 5 7 10 Bild 3: Zusammenhang von 5ilbenschatz 5, maximaler 5ilbenzahl I je WOrt und Wortschatz K.

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