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Mascha Kaléko Sämtliche Werke | Salman Rushdie Joseph Anton PDF

28 Pages·2012·1.89 MB·German
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Nr. 10 | 28. Oktober 2012 Mascha Kaléko Sämtliche Werke | Salman Rushdie Joseph Anton | Orhan Pamuk Die Unschuld der Dinge | Porträt des Karikaturisten André Carrilho | Florian Illies 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts | Joseph Stiglitz Preis der Ungleichheit | Weitere Rezensionen zu Annemarie Schwarzenbach, Gustave Flaubert, John F. Kennedy u. a. | Charles Lewinsky Zitatenlese Schauriger Herbst Unsere Empfehlungen für die dunkle Jahreszeit buch|gebunden buch|gebunden buch|gebunden buch|gebunden buch|gebunden buch|gebunden Silviohuonder PetraIvanov NeleNeuhaus hakanNesser KarinSlaughter RogerSmith Die Dunkelheit Leere Gräber böser Wolf Am Abend Letzte Worte Stiller Tod in den bergen des Mordes chF39.80 chF28.90 chF29.90 chF27.90 chF26.90 chF24.40 <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0NTGyNAYAbHKC3A8AAAA=</wm> <wm>10CFWMsQrDMAxEv0jmTpZkqx5LtpAhZPdSOvf_p8bdOhw8uMfb9-EFvz2349rOQcBc6KZZh6cXbTG6aoG1-2QoqA-aJ9F7_PkCZlTUuRwhhDFp4k10QU7qKtzoHa18Xu8v4yfe2oAAAAA=</wm> hr. ä w e G ne h o d n u St. w M nkl. i e Preis e All Service pur: schnell und zuverlässig geliefert Sie können auf Rechnung einkaufen einfach und mobil bestellen 14 Tage Rückgaberecht w w w . b u c h . c h Inhalt Der «American Alle vier Jahre blickt die westliche Welt gebannt auf das Spektakel der US-Präsidentenwahlen. Warum diese Faszination, die oft gleichzeitig dream» ist von einer heftigen Ablehnung des «American way of life» begleitet ist? Antworten liefern zwei Bücher, die USA-Kenner Peter Studer für uns weltumspannend bespricht. Nicht nur fasziniert uns der amerikanische Traum von Aufstieg und Selbstverwirklichung, von grenzenloser Freiheit und Individualität, vom immer neuen Aufrappeln nach einer Niederlage. Irritierend ist auch das Sendungsbewusstsein einer Nation, die ihre zivilisatorischen Errungenschaften als Coca-Kolonisierung in alle Winkel der Erde verbreitet (Seite 16). Andere Autoren entführen uns zu anderen Kulturen: Salman Rushdies Autobiografie in die heftige religiöse Auseinandersetzung innerhalb des Islam (S. 6); Orhan Pamuks Kuriositätenkabinett in das armenisch- christlich-jüdische Istanbul (S. 10); Annemarie Schwarzenbachs «Afrikanische Schriften» in die Diskussion um ein kolonialistisch geprägtes Afrika-Bild (S. 18). Natürlich finden Sie auch wunderbare «europäische» Bücher: Lyrik und Briefe von Mascha Kaléko, eine grossartige Neuübersetzung von Flauberts «Madame Bovary», die virtuose Geschichtserzählung über Mascha Kaléko (Seite 4). das Jahr 1913 von Florian Illies – Bücher, die ebenfalls den Traum vom Illustration von besseren Leben träumen. Wir wünschen viel Lesespass! Urs Rauber André Carrilho Belletristik 19 Florian Illies: 1913 – Der Sommer des Jahrhunderts 4 Mascha Kaléko: Sämtliche Werke und Briefe Von Markus Schär Von Manfred Papst 20 Tobias Ehrenbold: Bata 6 Salman Rushdie: Joseph Anton Von Alexis Schwarzenbach Von Kathrin Meier-Rust Niggel Pollard, Joanne Berry: Die Legionen 7 Ali Smith: Es hätte mir genauso Roms Von Simone von Büren Von Geneviève Lüscher Aksell Gallen-Kallela: Überirdisch nordisch 21 Jutta Voigt: Spätvorstellung Von Gerhard Mack Von Klara Obermüller 8 Gustave Flaubert: Madame Bovary 22 Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit Von Stefana Sabin Von Sebastian Bräuer 9 António Lobo Antunes: Archipel der Bettina Flitner, Alice Schwarzer: Reisen in Schlaflosigkeit Burma Von Sieglinde Geisel Von Geneviève Lüscher 10 Orhan Pamuk: Die Unschuld der Dinge 23 Ernst Baltensperger: Der Schweizer Von Judith Kuckart Franken 11 E-Krimi des Monats Von Tobias Kaestli O Kristina Ohlsson: Tausendschön OT 24 Chade-Meng Tan: Search Inside Yourself H Von Christine Brand AP P Von Michael Holmes Salman Rushdie, 1989 durch eine Fatwa zum Tode Norbert Preetz: Nie wieder Angst Kurzkritiken Belletristik verurteilt, im September 2012 in Toronto (Seite 6). Von Hermann Feldmeier Claudia Roden: Das Buch der Jüdischen 11 Jolanda Piniel: Die Verbannte Kurzkritiken Sachbuch Küche Von Regula Freuler Von Fritz Trümpi Guy de Maupassant: Auf See 15 Jean Ziegler: Wir lassen sie verhungern 25 Andreas Altmann: Gebrauchsanweisung für Von Manfred Papst Von Kathrin Meier-Rust die Welt Pedro Lenz: Liebesgschichte Es war einmal ein Generalsekretär Von Birgit Weidt Von Regula Freuler Von Urs Rauber 26 John F. Kennedy: Die geheimen Aufnahmen Gilbert Keith Chesterton: Die Paradoxe des Till Hein: Der Kreuzberg ruft aus dem Weissen Haus Mr. Pond Von Claudia Schumacher Von Urs Rauber Von Manfred Papst Anita Rieche: Von Rom nach Las Vegas Das amerikanische Buch Von Geneviève Lüscher Daniel McCool: River Republic. The Fall and Porträt Rise of America's Rivers Sachbuch Von Andreas Mink 12 André Carrilho, Illustrator und Karikaturist Michelle Obamas Beine, Villigers 16 Bernd Stöver: United States of America Agenda Sorgenfalten Reymer Klüver, Christian Wernicke: Amerikas Von Urs Rauber letzte Chance 27 Brehms Thierleben. Von Peter Studer Von Manfred Papst Kolumne 18 Annemarie Schwarzenbach: Afrikanische Bestseller Oktober 2012 Schriften Belletristik und Sachbuch 15 Charles Lewinsky Manuel Menrath: Afrika im Blick Agenda November 2012 Das Zitat von Albert Camus Von David Signer Veranstaltungshinweise Chefredaktion Felix E. Müller (fem.) Redaktion Urs Rauber (ura.) (Leitung), Regula Freuler (ruf.), Geneviève Lüscher (glü.), Kathrin Meier-Rust (kmr.), Manfred Papst (pap.) Ständige Mitarbeit Urs Altermatt, Urs Bitterli, Andreas Isenschmid, Manfred Koch, Gunhild Kübler, Charles Lewinsky, Beatrix Mesmer, Andreas Mink, Klara Obermüller, Angelika Overath, Stefan Zweifel Produktion Eveline Roth, Daniel Marti (Art Director), Patrizia Trebbi (Bildredaktion), Raffaela Breda (Layout), Korrektorat St. Galler Tagblatt AG Verlag NZZ am Sonntag, «Bücher am Sonntag», Postfach, 8021 Zürich, Telefon 044 258 11 11, Fax 044 261 70 70, E-Mail: [email protected] 28. Oktober 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 3 Belletristik Werkausgabe Die Lyrik, Prosa und Briefe der deutschen Exilautorin Mascha Kaléko (1907–1975) liegen erstmals in einer umfassenden, sorgsam kommentierten Edition vor «Mit dem Tod der andern muss man leben» nicht weniger als der Philosoph Martin 1956 kehrt sie erstmals nach Deutsch- Mascha Kaléko: Sämtliche Werke und Heidegger, der sich in einem Brief an die land zurück. Rowohlt hat ihr die Treue Briefe. 4 Bände. Herausgegeben und junge Autorin zum Satz hinreissen liess: gehalten und legt ihre Texte wieder auf. kommentiert von Jutta Rosenkranz. «Ihr Stenogrammheft zeigt, dass Sie Vorübergehend sieht alles nach einem Übersetzung der englischen Texte: alles wissen, was Sterblichen zu wissen Comeback aus: Mascha Kaléko gibt Le- Britta Mümmler. dtv, München 2012. gegeben ist.» sungen, hält Vorträge, wird gefeiert. Ihr 3984 Seiten, Fr. 109.–. Mascha Kaléko war in ihren jungen 23 Jahre alter Gedichtband verkauft sich Jahren eine strahlende Erscheinung: glänzend. Doch dann kommt es zu Von Manfred Papst dunkelhaarig, zierlich, schön. Im Roma- einem weiteren Karriereknick: Die Au- nischen Café in Berlin kannte sie jeder. torin lehnt 1960 die Annahme des Fonta- Gleich mit ihrem ersten Buch wurde sie Dabei kam sie von weit her: Geboren ne-Preises der Berliner Akademie der berühmt. «Das lyrische Stenogramm- wurde sie als Golda Malka Aufen am Künste ab, weil mit dem Literaturkriti- heft» erschien 1933 bei Rowohlt und 7. Juni 1907, in einem galizischen Flecken ker Hans Egon Holthusen ein ehemali- brachte einen neuen Ton in die deutsche unweit des Ortes, den wir unter dem ges SS-Mitglied in der Jury sitzt. Nun Literatur: «Der grosse Blonde an der Bar Namen Auschwitz kennen, als älteste gilt sie plötzlich als «schwierig» und / Schickt einen Brief. – Beim Lesen / Tochter eines jüdisch-russischen Kauf- wird nie mehr für einen Preis vorge- Denk ich: Zu spät. Vor einem Jahr / Wär manns und seiner jüdisch-österreichi- schlagen. Zudem übersiedelt sie ihrem der mein Typ gewesen.» Hier dichtete schen Frau. Im Ersten Weltkrieg kam die Mann zuliebe, der sich im «Land der ein «Fräuleinwunder», kess und keck von Pogromen bedrohte Familie über Väter» bessere Wirkungsmöglichkeiten bisweilen, oft aber auch melancholisch, Frankfurt und Marburg nach Berlin. verspricht, im gleichen Jahr nach Israel. mit durch Ironie gebrochener Sentimen- Dort ist sie nach eigenem Bekunden so talität. Chansonhafte Grossstadt- und Schreibverbot in Deutschland unglücklich wie nie zuvor. Alltagslyrik war das, leichtes Parlando, Der Vater fand eine höhere Ausbildung Schicksalsschläge kommen hinzu: pfiffig gereimt. «Neue Sachlichkeit» für Mädchen unnötig. Mascha absol- 1968 stirbt ihr Sohn, ein vielverspre- hiess das Gebot der Stunde. Man moch- vierte eine Büroausbildung beim «Ar- chender Musiker, 31-jährig in New York te beim Lesen an Kurt Tucholsky und beiterfürsorgeamt der jüdischen Orga- an Pankreaskrebs, 1973 stirbt nach lan- Erich Kästner denken, auch an Joachim nisationen Deutschlands» und besuch te ger Krankheit auch ihr Mann, dem sie Ringelnatz. Aber da war noch anderes daneben Abendkurse in Philosophie alles andere untergeordnet hat. Von die- und mehr. Namhafte Zeitgenossen be- und Psychologie. 1928 heiratete sie den sen Schlägen hat sich Mascha Kaléko geisterten sich denn auch für die Verse: zehn Jahre älteren Journalisten und nie mehr erholt. «Bedenkt: Den eignen Hermann Hesse und Thomas Mann Hebräischlehrer Saul Kaléko. Dessen Tod, den stirbt man nur; doch mit dem Namen behielt sie als Künstlernamen Tod der andern muss man leben», hat Mascha Kaléko bei, nachdem sie den Chordirigenten sie geschrieben. Gleichwohl fasst sie und Komponisten Chemjo Vinaver ken- Mut, nochmals lyrisch tätig zu werden, nengelernt, ihm ihr einziges Kind – Evja- und erwägt eine Übersiedlung nach Ber- Die jüdisch-deutsche Exilautorin Mascha tar Alexander, später Steven genannt – lin. Doch dazu kommt es nicht mehr. Kaléko (1907–1975) zählt zu den geboren und ihn 1938 in zweiter Ehe ge- Während eines Aufenthalts in Zürich originellsten lyrischen Stimmen der heiratet hatte. stirbt Mascha Kaléko am 21. Januar 1975 1930er-Jahre. Ihr Werk ist eigentlich 1933 hatten Mascha Kalékos Bücher an Magenkrebs. Auf dem Jüdischen schmal: Die Veröffentlichungen zu auf den Scheiterhaufen der National- Friedhof Zürich-Friesenberg liegt sie Lebzeiten – Lyrik, Erzählungen und sozialisten gebrannt. Gleichwohl wagte begraben, in Oerlikon ist ein Strässchen Zeitungsartikel – umfassen rund 500 Rowohlt 1935 eine Neuausgabe des «lyri- nach ihr benannt. Seiten, 350 Seiten aus dem literarischen schen Stenogrammhefts» und brachte In ihren späten Jahren gewann Ma- Nachlass kommen hinzu. Die sämtlichen das «Kleine Lesebuch für Grosse» her- scha Kaléko in der Schauspielerin und erhaltenen Briefe dagegen füllen zwei aus. Doch im gleichen Jahr erhielt die Rezitatorin Gisela Zoch-Westphal eine dicke Bände zu je 1000 Seiten, hinzu Dichterin Schreibverbot. Zur Emigra- Freundin und Fürsprecherin, die sich kommt der abermals 1000-seitige tion entschloss sie sich aber erst 1938. nach dem Tod der Dichterin engagiert Kommentar im abschliessenden vierten Diese führte über Paris und Le Havre in um deren Nachlass kümmerte. Sie hat Band dieser neuen, von Jutta Rosenkranz die USA. Das New Yorker Greenwich die Voraussetzungen dafür geschaffen, umsichtig edierten und schön gestalteten Village wurde von 1942 bis 1957 zur Blei- dass ein Team unter Leitung der Kaléko- Ausgabe, die auch mit Bildern und be der Familie, die hier unter ärmlichen Biografin Jutta Rosenkranz nun eine Dokumenten nicht geizt. Eine runde Umständen lebte. Chemjo Vinaver, der umfassende Ausgabe der Werke und Sache! Schade nur, dass ein separates sich fast nur mit seinen Chören und den Briefe Mascha Kalékos vorlegen kann. Verzeichnis der Briefempfänger fehlt. Die Forschungen zur chassidischen Musik Die kundig annotierte Edition besticht Suche übers 80-seitige Generalregister beschäftigte, trug wenig zum Unterhalt durch ihre Sorgfalt und wartet mit zahl- ist beschwerlich. bei; Mascha schrieb Reklametexte für reichen Überraschungen auf. Neben den Büstenhalter und Kosmetika. Veröffentlichungen zu Lebzeiten – vom 4 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 28. Oktober 2012 «lyrischen Stenogrammheft» bis zum späten Gedichtband «Hat alles seine zwei Schattenseiten» – finden sich auch Nachlasswerke, viele davon in Erstver- öffentlichung. Der grösste Zugewinn der Ausgabe sind jedoch die 1411 Briefe, die über 2000 Seiten füllen und alle Lebensphasen der Dichterin abdecken. Meist sind sie deutsch geschrieben, manchmal aber auch englisch; dann liegt jeweils eine Übersetzung bei. Der Adressaten sind viele und illustre: Schriftsteller und Denker wie Hermann Kesten, Johannes Urzidil, Wolfgang Weyrauch, Gottfried Benn, Max Brod, Martin Buber und Ro- bert Neumann, Dichterkolleginnen wie Hilde Domin und Ingeborg Drewitz, Verleger von Ernst Rowohlt bis zu den Herausgebern der «Eremitenpresse», die Literaturagentin Ruth Liepmann, die Zürcher Buchhändlerin Marthe Kauer. Hinzu kommen die zahlreichen Famili- enbriefe an den Mann und den Sohn zu Zeiten, da sie örtlich getrennt waren, aber auch der zeitraubende Schriftver- kehr mit der «Bundesstelle für Entschä- digung». Heiter, innig, federleicht Mascha Kaléko schreibt offen, unortho- dox, mit Herz und Verstand. Gern streut sie Berliner Ausdrücke ein oder schreibt gleich ganze Passagen in dialektaler Fär- bung. Originelle Wortschöpfungen be- gegnen uns auf Schritt und Tritt, und wir bemerken: Selten hat eine Dichterin so ganz aus ihrem praktischen, alltägli- chen Leben heraus geschrieben, aus ihrer Heimatlosigkeit auch. Gewiss, sie ist keine Gertrud Kolmar, keine Else Lasker-Schüler – aber ihre besten Texte sind in der Verbindung von mokanter Heiterkeit und inniger Schwermut doch H ganz einzigartig. Nie hat sie mit Absicht BAC einen unverständlichen Satz geschrie- MAR ben, vielmehr die Geheimnistuer souve- HIV C rhDleäeiincnc hh vtkteuear nnsVgpne o,ar tsn/te .e» dtg :aU e«ssn Wcdhha öessrni temk htsa iawcnth iune n liecdshii cestho fvt of eelnrgdsaeetcnerh--- HES LITERATURAR ddeonrt:. /« VDoine PBäoroctheenn zfliüeshtne rnt’asc hh iHera uusn. d/ DEUTSC Es artet jeder Wassersport / Zumeist in Die Lyrikerin Mascha Kaléko, hier 23-jährig in Hiddensee (1930), bevor ihre Bücher von den Nationalsozialisten verbrannt Liebe aus.» l wurden. 1938 emigrierte sie nach New York, begraben ist sie in Zürich. Die Nominierten VielenDankfürdasLeben,Siby<wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0Nzc1sgAAJJiexQ8AAAA=</wm> lle Berg, HanserVerlag <wm>10CFWLMQ7CQAwEX-TTri9rx1yJ0kUpEP01iJr_V5B0FNvMzO77UMO1-3Y8t8cgsMiYKV-HSs0zBstbKk7pDvqNXXR0rX-9gRUdfZ6NoQwxCfMwai7S_H3qYp5Q-7zeX6Ghzf6AAAAA</wm> Aussersich,Ursula Fricker,Rotpunktverlag DasKalbvorderGotthardpost, Peter von Matt,HanserVerlag WolkenbruchswunderlicheReiseindieArmeeinerSchickse,ThomasMeyer,SalisVerlag AusdenFugen,Alain Claude Sulzer, VerlagGalianiBerlin 28. Oktober 2012 ❘ NZZ am Sonntag ❘ 5 Belletristik Autobiografie Salman Rushdie erinnert sich an die 13 Jahre, die er wegen der Todesdrohung der Fatwa im Untergrund verbrachte Wer Geschichten erzählt, braucht Freiheit Salman Rushdie: Joseph Anton. Die Autobiografie. Aus dem Englischen von B. Robben und V. von Koskull. Bertelsmann, München 2012. 720 Seiten, Fr. 35.40, E-Book 25.–. Von Kathrin Meier-Rust Salman Rushdie beginnt seine Erinne- rungen an die 13 Jahre seines Lebens unter der Todesdrohung der Fatwa mit einem wunderbaren, Rückblick auf seine Jugend. Auf die Villa mit Meerblick in Bombay, wo er als Sohn reicher muslimi- scher Eltern mit drei Schwestern auf- wuchs, bis er ins englische Internat kam. Auf den Vater Anis, einen dem Alkohol zugeneigten Anwalt, von dem der Sohn nebst der Stimme auch die Liebe für Ge- schichten, den Unglauben und das Inter- esse an Gott geerbt hat. Noch für das Abschlussexamen in Cambridge wählte der junge Rushdie ein Thema, das seinen Vater lebenslang beschäftigt hatte: Die Geschichte des frühen Islam. Dabei stiess er auch auf O jene umstrittenen Koranverse, die der OT H Prophet zunächst verkündet und dann SZ P widerrufen haben soll, weil sie ihm an- geblich vom Satan eingeflüstert worden Auch 10 Jahre nach Familie und ein Schriftsteller mit promi- Von all diesen Dingen erfährt der seien. Gute Story, dachte er damals. Verkündung der nentem Freundeskreis ist, kommt zum Leser das meiste stückchenweise in Fatwa protestieren Krimi ein Familien- und Gesellschafts- chronologischer Reihenfolge – ganz wie Aufreibendes Versteckspiel MSaulsmliamne R guesghednie , hier roman: In den Fatwa-Jahren trennt sich im richtigen Leben. Das Tagebuch bleibt Gut 20 Jahre später wird diese Story sein im Februar 1999 in Rushdie von drei Frauen, heiratet zwei- immer spürbar und erspart uns kein Schicksal. Rushdies dritter Roman «Die Bombay. mal und bekommt einen zweiten Sohn, Dinner und keine Party – es gab erstaun- Satanischen Verse» entflammt die isla- seine Schilderung dieser persönlichen lich viele –, samt Namensliste aller Teil- mische Welt, am 14. Februar 1989 ver- Turbulenzen lässt niemanden unge- nehmenden. So schwillt das Personen- kündet der alte Ayatollah Khomeiny die schoren, auch nicht den Autor. Wie ein ensemble des Buches ins Enorme – ein Fatwa: Weltweit sind nun mit dem Autor «Ring aus Stahl» scharen sich Freunde Namensverzeichnis im Anhang umfasst auch seine Verleger, Agenten und Über- und Bekannte um ihn, die Weltgemeinde 13 kleinbedruckte Seiten! Nur wenige setzerinnen des Buches bedroht, es gibt der Schreibenden erklärt sich solida- von ihnen werden zu lebendigen Men- Tote. Rushdie selbst verlässt noch am risch – kaum ein Schriftsteller von Rang, schen. Allzu oft vermisst man auf den selben Tag sein Haus in London und dessen Name in diesem Buch nicht fällt. 700 Seiten dieser Autobiografie jene wird im Untergrund zu «Joseph Anton», Zum äusseren Drama kommt das in- kräftige literarische Gestaltung und Ver- ein aus Joseph Conrad und Anton Tsche- nere, der Kampf für die Freiheit des dichtung, die uns Rushdie beim Rück- chow zusammengesetztes Pseudonym. Wortes, den Rushdie mit enormem En- blick auf seine Jugend vorgeführt hat. Tag und Nacht bewacht, zieht er von gagement führt. Nach einem misslunge- Haus zu Haus. Ein nervenaufreibendes nen Versuch, sich mit einem halbherzi- Vorbote von 9/11 Versteckspiel beginnt, mit Abschütte- gen Bekenntnis zum Islam «freizukau- Doch der Ärger verfliegt. Zu packend ist lungsmanövern in gepanzerten Autos, fen» – wie sich Anton von britisch-isla- das Schicksal dieses weltberühmten Au- klandestinen Treffen mit dem damals mischen Würdenträgern widerwillig zu tors, der seine Geschichte nicht zu Un- neunjährigen Sohn, Panikattacken, einer Unterschrift nötigen lässt, gehört recht im Nachhinein als eine Art Eröff- wenn es an der Tür klingelte. zu den eindrücklichen Stellen des Bu- nungsgefecht im Kampf gegen den Islam Später wird Joseph Anton selbst Häu- ches –, zementiert sich seine rabiate sieht, als ein Vorbote von 9/11, wie jene ser kaufen und zur Festung umbauen – Schwarz-Weiss-Sicht auf diesen Kultur- erste Krähe in Hitchcocks Film «Die auf eigene Kosten übrigens. Er wird kampf unserer Zeit. Wer immer es Vögel», die niemand bemerkte. Sicher, über die Jahre erstaunlich viel reisen, zu wagte, seine kompromisslose Haltung ein-, zweihundert Seiten weniger wären Preisverleihungen, zu PEN-Konferen- anzuzweifeln oder gar die Richtigkeit mehr gewesen. Doch wie könnte ein so zen, zu Staatsoberhäuptern und sogar in der Publikation von «Die Satanischen passionierter Geschichtenerzähler dar- die Ferien! Bis der Iran im Herbst 1998 Verse», galt Rushdie nun als Feigling auf verzichten, ausgerechnet die aller- die Fatwa für beendet erklärt, worauf und Feind. Und dann ist da auch noch wundersamste Geschichte, die ihm Rushdie nach New York zieht. Doch erst der Schriftsteller Rushdie – nebst vielen selbst wiederfahren ist, so zu erzählen, 2002 stellt Scotland Yard den Personen- Vorträgen, Kolumnen, Essays und Stel- wie es ihm gefällt. Gerade darum ging es schutz auch in Grossbritannien ein. lungnahmen entstehen in den Fatwa- ja: «Das Geschichten erzählende Tier Soweit der Krimi. Da dieser Anton Jahren immerhin ein Kinderbuch und muss Freiheit haben, seine Geschichten aber kein Agent, sondern ein Mann mit zwei grosse Romane. zu erzählen.» (cid:29) 6 (cid:30) NZZ am Sonntag (cid:30) 28. Oktober 2012 Roman Die schottische Autorin Ali Smith erzählt eine Geschichte voll witziger Wortspiele und Brüche – eine schillernde Lektüre Der Reiz des Wörtchens «aber» sen genauso auf den Kopf wie Miles Papierflugzeug oder einer A4-Seite Ali Smith: Es hätte mir genauso. Aus dem die bieder geordnete Existenz seiner Platz haben. Englischen von Silvia Morawetz. unfreiwilligen Gastgeber. Verschmitzt Kurze Texte sind auch das einzige, Luchterhand, München 2012. 320 Seiten, schmuggelt Smith Informationen rein, was wir von Miles haben: Etwa die Ge- Fr. 28.50. deren Bedeutung wir erst später erken- schichte, die er für den Wettbewerb vor- nen, wie bei Puzzleteilen, die plötzlich legte; ein Brief an May, die er erstmals Von Simone von Büren ihren Ort im grösseren Zusammenhang nicht persönlich besuchen kann; und finden. pragmatische Notizen an die Besitzerin Es war einmal ein Mann, der ging an Damit dekonstruiert die 40-jährige des Gästezimmers: «Wasser genügt fürs einer Dinnerparty im Londoner Stadt- Autorin implizit auch «die» Geschichte, erste, aber brauche bald etwas zu essen. teil Greenwich zwischen Lamm und auf die man in Greenwich auf Schritt Vegetarisch, wie Sie wissen.» Crème brûlée vom Tisch und schloss und Tritt stösst. Die offizielle Erzählung Wieso sich Miles verbarrikadiert hat, sich im Gästezimmer der Gastgeber ein. zerfällt in unzählige kleine Anekdoten, was er monatelang im Zimmer tut, ja, ob Diese Situation stellt Ali Smith ins Zen- die sich vermischen mit den persönli- er überhaupt noch drin ist, bleibt ein trum ihres neuen Romans «Es hätte mir chen Geschichten, die Brooke und Miles Rätsel. Und wir vergessen, lustvoll ein- genauso» und fesselt uns sofort mit der schreiben; oder zu den Schicksalen von gesponnen in Smiths schillernd sprach- Frage, was den Mann, Miles, zu diesem Asylbewerbern, die Anna bei der Arbeit kräftiges Wort- und Erzählgeflecht, er- Rückzug veranlasst hat. in 2000 Zeichen festhalten soll. Alles staunlich bald, dass wir eigentlich unbe- Doch im Unterschied zur Fremden, sehr kurze Geschichten, die auf einem dingt dessen Lösung wollten. (cid:29) die in Smiths gefeiertem früheren Werk «Die Zufällige» die Ferien einer bürger- lichen Familie durcheinanderbringt, Finnische Moderne Kraft der Naturgewalten bleibt Miles hinter der verschlossenen Tür radikal verborgen. Wir wissen so wenig über ihn wie über die vier Figu- ren, aus deren Perspektive der Roman erzählt wird: Die 40-jährige Anna war als Teenager mit ihm auf einer Europa- reise, nachdem sie einen Schreibwett- bewerb gewonnen hatten. Der 59-jähri- ge Mark, dem seine längst verstorbene Mutter Reime ins Ohr brüllt, hat Miles im Theater kennengelernt. Die demente May erhält von ihm immer am Todestag ihrer Tochter Besuch. Und die wort- gewandte 9-jährige Brooke, die in ihrem Moleskine-Heft Tatsachen, Geschichten und Witze auflistet, trifft ihn an besagter Dinnerparty, wo sie sich eifrig in die Diskussion über Mikrodrohnen, Inter- net und Damien Hirst einmischt. Diese vier Figuren, deren Leben Miles gestreift hat, bewegen sich am Rand der bürgerlichen Gesellschaft, die Smith anhand der Dinnerparty satirisch ans Messer liefert. Den homosexuellen Mark und Brookes dunkelhäutige Eltern – die, überraschend für eine der Eingela- denen, nicht aus Afrika, sondern von Yorkshire nach Greenwich gezogen sind und dort an der Universität arbeiten – haben die Gastgeber zur «alternativen Dinnerparty» in ihrem «picobello öden Haus» eingeladen, weil sie «ein biss- chen anders» sind. Auch sprachlich fokussiert die schot- tische Autorin auf die Ränder: In origi- nellen, von Silvia Morawetz souverän übersetzten Wortspielen, Witzen und Für uns ist der reissende Bach eine Naturidylle von stellung von Gebräuchen, Menschen und Mythen. literarischen Verweisen rückt sie Kon- befremdlicher Gewalt. Das Eis, das er durchbricht, Dem finnischen Nationalepos Kalevala ist ein ganzer junktionen, Präpositionen und andere hat giftgrüne Ränder. Die Tanne im Vordergrund ist Zyklus gewidmet. Der 1931 verstorbene Maler ging unscheinbare Wörter ins Zentrum. So vom Sturm zerfetzt, der Schnee eher ein fahles Grau dabei keineswegs hinterwäldlerisch zu Werk. Er hat in kreist jeder der vier Romanteile um als ein strahlendes Weiss, und am Horizont scheint Paris studiert, stellte bei der Biennale Venedig aus eines der Wörter im Titel: Anna erklärt sich alles in einen Kampf der Elemente aufzulösen. und war Mitglied der Künstlergruppe «Die Brücke». Brooke, was «angeblich» bedeutet. Und Ob die schwach erkennbare Brücke dem lange stand- Seine Mischung aus realistischen und symbolisti- Miles sagt Mark, er möge am Wort hält, scheint fraglich. Als Aksell Gallen-Kallela 1893 schen Elementen suchte aber eine nordische Distanz «aber», dass «es einen immer auf ein an- die Winterszene malte, verstand er sie als Ausdruck zu den damaligen Zentren und Gesten. Der Band deres Gleis führt». eines Freiheitswillens, der gegen die russische Be- erlaubt es, den Künstler in seiner ganzen Breite von Dieses «aber» veranschaulicht die setzung Finnlands gerichtet war. Die Darstellungen der Malerei bis zu Entwürfen für Möbel und Textilien Dramaturgie des Romans: Der dichte der Naturschönheiten seines Landes, der unbändigen wieder zu entdecken. Gerhard Mack Text ist voller Ablenkungen, Brüche und Kraft der Naturgewalten und der Fremdheit seiner Aksell Gallen-Kallela: Überirdisch nordisch. Hatje Unvollständigkeiten – angefangen mit abgelegenen Gebiete diente ebenso der kulturellen Cantz, Ostfildern 2012. 204 Seiten, 140 Abbildungen, dem Titel – und stellt lineare Erzählwei- Formung einer nationalen Identität wie die Dar- Fr. 52.90. 28. Oktober 2012 (cid:30) NZZ am Sonntag (cid:30) 7 Belletristik Klassiker Gustave Flauberts «Madame Bovary» zählt zu den bedeutendsten Romanen der Weltliteratur. Elisabeth Edl legt eine hervorragende Neuübersetzung vor Tücken einer Kutschenfahrt Übersetzerin, hat auf stilistische Gefäl- Gustave Flaubert: Madame Bovary. Sitten ligkeiten verzichtet und so die ursprüng- in der Provinz. Herausgegeben und liche Doppeldeutigkeit mancher Episo- übersetzt von Elisabeth Edl. Hanser, den wiederhergestellt, zum Beispiel München 2012. 759 Seiten, Fr. 49.90. jene der Kutschenfahrt durch Rouen. Im Original heisst es: «Emma se mettait à Von Stefana Sabin genoux sur les coussins … Elle sanglo- tait, appelait Léon, et lui envoyait des Es gibt viele Ehebruchgeschichten in paroles tendres …» Schickele übersetzt: der Literatur und dementsprechend «Sie kniete auf die Kissen der Bank … Sie viele Ehebrecherinnen, aber nur wenige schluchzte, sie rief nach Léon, rief ihn sind über Zeiten und Moden hinweg po- mit zärtlichen Worten …». Edl bleibt pulär geblieben, und noch weniger näher am Original und beschreibt die haben die Fantasie der Leser(innen) so Fahrt als die erotische Szene, die sie anhaltend beschäftigt wie Emma Bova- auch war: «Emma kniete sich auf die ry, jene Arztgattin aus der nordfranzösi- Polster … Sie schluchzte, rief Léon schen Provinz, die unter dem Einfluss und schenkte ihm zärtliche Worte und der Liebesliteratur von romantischer Küsse …». Edl hat auf Satzbau, Wortstel- Erfüllung träumt, stattdessen nur flüch- lung und Register akribisch geachtet, tige Befriedigung und tiefe Enttäu- den Wechsel zwischen imparfait, passé schung erlebt und sich aus Verzweiflung simple und passé composé mit Hilfe von schliesslich umbringt. Nach Emma Bo- adverbialen Konstruktionen geschickt varys Tod, als ihr Mann Charles seine wiedergegeben und nicht nur den Sinn, Trauer einigermassen gebändigt hat, sondern auch den Rhythmus und die sagt er «ein grosses Wort, das einzige, NDER Stimmung der Erzählung erhalten. das er jemals gesagt hat: ‹Schuld ist das OFI So zum Beispiel die Beschreibung OT SchOibck sMala!›d»ame Bovary ein Opfer des MAGE / F v«oMna iEs mcm’éatasi ta lslutärgtoliucth earu xV ehrzewureeisfl udnegs: Snwcaahcrh,i c wkdsuearmlds eo Gdslecürhc vokin e elmbineefiah cErh ri nscu ihnheariennrse tSnäu ncddheiges OSTA / LEE rrweeepncadhs s qSeuclt’h eil–cl ek e«nlA’ee mnd piseoc uhvEwariezträ pshtlleupnse r…sw»pa eWrk tädivhiee- C Romans heftig diskutiert – sogar vor Ge- Stunde der Mahlzeiten zu ertragen …» – richt. Denn die Veröffentlichung 1856 in Madame Bovary abständen neue gefolgt sind. 1907 form- und statt des inneren Empfindens eine der «Revue de Paris» (in sechs Fortset- verstösst gegen die te der deutsch-französische Schriftstel- äussere Lage beschreibt, ist Edl dem Moral, Illustration von zungen) bescherte Flaubert und den He- ler und Essayist René Schickele den Original in der Intention und in der Albert Fourie, 1885. rausgebern eine Anklage wegen «Ver- Flaubertschen Roman zu einem schö- Wortwahl treu: «Doch vor allem zur stosses gegen die öffentliche Moral, die nen deutschen Text, den er als Überset- Stunde der Mahlzeiten konnte sie nicht guten Sitten und die Religion». Der Pro- zung vorgab und der die Rezeption im mehr …». zess allerdings endete mit einem Frei- deutschsprachigen Raum geprägt hat. Darüber hinaus hat Elisabeth Edl spruch, so dass der Roman 1857 erschei- Gustave Flauberts präzise Wortwahl einen Anhang besorgt, in dem neben nen konnte. Der Skandalerfolg verflüch- und seine grammatischen Manierismen einer Zeittafel auch die Anklage der Pa- tigte sich schnell – aber der Roman eta- stellten für die Übersetzer eine Heraus- riser Staatsanwaltschaft gegen Flaubert, blierte sich als Beschreibung jenes Un- forderung dar, der kaum jemand ent- das Plädoyer des Verteidigers und die glücks, das im Missverhältnis von idea- sprechen konnte. berühmt gewordene Rezension des Ro- ler Lebensform und realem Alltag grün- Aber nun ist eine neue Übersetzung mans durch Baudelaire dokumentiert det und das für die moderne Befindlich- erschienen, die für die unterkühlte und sind. So kann man den Klassiker dank keit symptomatisch werden sollte. dabei bildstarke Sprache Flauberts eine dieser Übersetzung regelrecht neu ent- Ein Jahr nach der Veröffentlichung in angemessene deutsche Diktion gefun- decken – und mithilfe des Anhangs auch Paris erschien schon die erste deutsche den hat. Elisabeth Edl, Romanistin in den kulturellen Kontext zur Zeit seines Übersetzung, der in regelmässigen Zeit- Poitiers und vielfach ausgezeichnete Erscheinens. (cid:29) <wm>10CAsNsjY0MDAx1TU0NzM0sQQAjcB2Ww8AAAA=</wm> <wm>10CFWLIQ7DQAwEX-TTrn0-1zWswqKCKvxIVJz_o6RhBSuNRrPrWt5w77W8t-VTBLoLY7BneXrT8GJqC8tCkgrqk2ZB7cG_XsAcBpu_RpBCTpqYS7_AH_M65-1sINqxf08s7_q2gAAAAA==</wm> 8 (cid:30) NZZ am Sonntag (cid:30) 28. Oktober 2012 Roman Der Portugiese António Lobo Antunes wird regelmässig als Nobelpreiskandidat gehandelt. Sein neues Buch ist eine formale Herausforderung Drei Generationen im Würgegriff des Grossvaters António Lobo Antunes: Archipel der Schlaflosigkeit. Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. Luchterhand, München 2012. 316 Seiten, Fr. 32.90. Von Sieglinde Geisel Niemand schreibe so wie er, pflegt der portugiesische Autor und Nobelpreis- kandidat António Lobo Antunes in In- terviews zu sagen. In über einem Dut- zend seiner Romane, die auf Deutsch erschienen sind, kann man seine Verfah- rensweisen studieren: die polyphone Struktur, die Aufhebung der Zeit, den ständigen Wandel von Schauplätzen, Zeitebenen und Erzählperspektiven. In seinem jüngsten Roman «Archipel der Schlaflosigkeit» treibt Antunes die Ei- DER genarten seines Schreibens nun an eine OFIN Grenze, an der die Luft für den Leser OT dünn wird. H / F C mkoamSnc mhkote.ni nJ eeddnee rBs Sodadetezrn bz auwun atsneozrr iggdt i ebd iasF füüdsrrs,e eid sbasseigs- PETER PEITS Seiten langen Kapitel besteht aus einem einzigen Satz, durchbrochen von Äusse- António Lobo Autunes María Luisa Blanco sagt Antunes, der ren, engen Welt eines portugiesischen rungen der Figuren. «Komm her», sagt hebt in seinem Plot sei nur ein Vehikel in seinem Be- Landguts, mit seinem Brunnen und sei- Roman die Zeit auf, der Grossvater zum Dienstmädchen, als streben, «die Kunst des Romans zu ver- nem Haus, mit Mauleseln, Milanen und verändert Orte und er es am Handgelenk packt und sich Erzählperspektiven. ändern». Der Klappentext von «Archi- Ziegen. «kanarienvogelgierig» mit ihm in der Der Autor bei einem pel der Schlaflosigkeit» suggeriert so Speisekammer einschliesst. Oder: «Was Besuch 2007 in etwas wie eine Handlung – ein tyranni- Irrlichternde Motive machst du hier, wo du doch als Kind ge- Deutschland. scher Grossvater hält, zusammen mit Die Menschen – Grossvater, Grossmut- storben bist?». Den nicht enden wollen- seinem Verwalter und dessen Gehilfen, ter, Sohn, Vater, Enkel, Verwalter – sind den Sätzen ist man auf Gedeih und Ver- auf einem verfallenden Landgut die drei fast immer namenlos, sie bleiben ebenso derb ausgeliefert, bis zum erlösenden Generationen seiner Familie «im Wür- blosse Motive wie die Tasse der Gross- Punkt am Ende des Kapitels. Doch die gegriff». Doch beim Lesen zerfällt der mutter, die auf der Untertasse zittert, Atemlosigkeit ist künstlich, denn die Text in seine Motive, was unter anderem die parfümierten Truhen auf dem Dach- Sätze sind, zumindest in der deutschen daran liegt, dass Antunes in seiner Er- boden oder die von der Grossmutter in Übersetzung, bei weitem nicht so lang, zählweise die Zeit aufhebt. Es gibt «eine jungen Jahren geschlachteten und ge- wie die Satzzeichen uns glauben ma- Uhr ohne Zahlen, der die Zeit gleichgül- häuteten Kaninchen. Diese Motive irr- chen. An vielen Orten hätte man mit tig ist, was bedeutet schon die Zeit, die lichtern durch den gesamten Text («und einem Punkt oder zumindest einem Se- auch nicht existiert». ich ein Kaninchen, das der Schlag im mikolon dem Leser eine Verschnaufpau- Die Handlung scheint in tausend Nacken daran hindert, zu zappeln», se verschaffen können. Splitter gesprengt, es hat keinen Sinn, wird etwa der Enkel später sagen), doch ihr folgen zu wollen. Doch auch die Ge- dabei scheint die Gestalt des Motivs Archaische bäuerliche Welt fühle, Stimmungen und Atmosphären, wichtiger als seine Bedeutung, als hand- Das jedoch grenzt an Manipulation, ein die Antunes heraufbeschwört, werden le es sich bei dem Roman um Musik und Eindruck, der durch pseudopoetische kaum fassbar. Sie bleiben blosse (Selbst-) nicht um Literatur. Formulierungen bestätigt wird. Die Behauptung – «welche Abwesenheit Was jedoch soll man als Leser anfan- Menschen, die von den verblichenen rings um mich herum, und was für Stim- gen mit Wörterketten wie diesen: «Denn Fotografien in die Gegenwart hinein menfragmente sind es, deren Sinn ich wenn bei alten Leuten etwas Gefühl schauen, führen etwa Gespräche, «die nicht verstehe». Auch die ständig prä- zeigt, dann die Zähne, schwarz, ohne das Uhrenpendel im gemächlichen Her- sente Gewalt lässt einen kalt. Als der Gesundheit, aber zu Tränen imstande, zen ertränkte». Es ist von einer Pumpe Verwalter, auf Geheiss des Grossvaters ganz unvermittelt, in meinem Falle ein im Brunnen die Rede, «in der Rost und ohne triftigen Grund, den Pfarrer Meerschweinchen, Schmetterlinge in schwerfällig die Richtung der Stille kor- erschiesst, geschieht das wie nebenbei, einer Schuhschachtel, in die ich Löcher rigierte». Oder: «Einmal habe ich mei- als befänden wir uns in einem Traum machte, damit sie atmen konnten»? Mit nen Vater nackt gesehen, und hätte er und wären, als Träumende, unfähig, uns Bemerkungen wie «und daher hat es mich berührt, wäre ich zu schreiender über etwas zu wundern. «Dies ist kein das, was ich sage, nie gegeben» wischen Asche geworden». Überraschende Buch, dies ist ein Traum», heisst es dann die Figuren den ganzen Zauber wieder Worte, doch hört man genauer hin, ver- tatsächlich. von der Wandtafel, als wollte der Autor pufft die Wirkung. So modern die literarischen Verfah- sicherstellen, dass nichts von dem Im 2003 auf Deutsch erschienenen rensweisen sind, so archaisch ist der bleibt, was er erzählt. Der Leser sitzt am Gesprächsband mit der Journalistin Stoff. Wir befinden uns in der elementa- Ende mit leeren Händen da. (cid:29) 28. Oktober 2012 (cid:30) NZZ am Sonntag (cid:30) 9 Belletristik Roman Im Frühling 2012 eröffnete Orhan Pamuk mit seinem Museum der Unschuld in Istanbul eine phantastische Wunderkammer. Schriftstellerkollegin Judith Kuckart hat sie durchschritten In allen Dingen wohnt ein Geheimnis absichtlich einen tödlichen Unfall. Er Orhan Pamuk: Die Unschuld der Dinge. überlebt, sie ist tot. Obwohl Füsun einen Das Museum der Unschuld in Istanbul. Führerschein hatte, sagt Vitrine 30. Er Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. ist dort ausgestellt. Aber Vitrine 30 Hanser, München 2012. 256 Seiten, weiss auch, wie die Strasse, in der Füsun viele Abbildungen, Fr. 49.90. sich die nötigen Papiere für den Führer- schein besorgte, sich verändert hat. Vit- Von Judith Kuckart rine 30 weiss, wie die Zeit vergeht, die Moden wechseln, auch bei den Autos Der Nobelpreisträger Orhan Pamuk hat und deren Fahrerinnen, die einmal in diesem Frühjahr sein «Museum der strahlend wie Grace Kelly den Arm aus Unschuld» in Istanbul eröffnet. Es geht dem Fenster lehnten. Vitrine 30 weiss, um die Verwirklichung einer Idee, sagte dass bei aller Vergänglichkeit das Rot er in einem Interview, die niemand von roten Halsketten bleibt. zuvor gehabt hat. Die 83 Vitrinen im «Museum der Unschuld» entsprechen Gigantischer Schrein den 83 Kapiteln seines gleichnamigen Ja, es gibt die Dinge und deren Trost, Romans und tragen auch dessen Über- wenn man sie mit anderen Dingen schriften: «Eifersucht / Ist es vielleicht arrangiert, so dass sie sich miteinander normal, dass man seine Verlobte einfach unterhalten können. Auch Orhan Pamuk sitzen lässt? / Meine letzte Begegnung weiss das. Vitrine 53, zum Beispiel. Ein mit ihr.» Das Museum ist also eine Art weisses Herz mit Sprung auf rotem begehbarer Roman. Jetzt liegt das Buch Samtkissen, im Hintergrund ein Kino- zu dem rot verputzten Haus in der publikum vor langer Zeit, von der Lein- Cukurcuma-Strasse auf Deutsch vor. wand aus betrachtet. An dieser Stelle Das Museumsbuch heisst in Abwand- fragt Orhan Pamuk im Begleittext: lung zu Roman und Museum «Die Un- «Kann man beim Betrachten von Ge- schuld der Dinge». genständen seine Erinnerungen ablau- Wenn mein Text es könnte, er würde fen lassen wie einen Film? Ja! Das Muse- jetzt lächeln. Ich bin mit Pamuks Muse- um der Unschuld haben nämlich Men- umsbuch noch einmal in seinem Roman schen gemacht, die an so etwas glauben, von 2008 und gleichzeitig in einem also daran, dass den Dingen ein Geheim- ldkäaanmsg m,s t iirnv ewrdigeea rne gidneiene e SneE erIliesntnnalenarbnuudnls gceghneaw ftee visnoeenrs-, ON PRESS neiinsD iGneennh eeDwimionhngneistn. »i n wnoe,h fnrta gael sicoh tmatiscähc hbeliicmh Ssecihnreirft sLteeslleerr. sD asisc hM utrseefufmens bmucith dine ndeenr UA / ACTI Ldeemse nT? eJax,t a nhtewraourst.e t« PWamenunk sw Sitri mumnse aauusf H Hand habe ich Pamuk begleitet in dieses XIN diese Dinge konzentrieren, fühlen wir in Gebäude, das er bereits im Jahr 1999 er- unserem gebrochenen Herzen die Ganz- warb, als er anfing, gebrauchte Alltags- Häusern der Menschen sein wird», sagt Eine von 83 Vitrinen heit der Welt und nehmen unsere dinge zu sammeln, die Zeugen der trau- er. Es folgt der Katalog. mit Devotionalien Schmerzen an.» Der Schriftsteller in Orhan Pamuks rigen Liebesgeschichte zwischen Kemal Durch die Texte Pamuks, die die Ab- Pamuk hat diese Einsicht für seine Figur Museum der und Füsun sein sollten, seinem Kemal, bildungen der Vitrinen begleiten, kann Unschuld in Istanbul Kemal gemacht oder umgekehrt Kemal seiner Füsun. man nah an der Seite des Schriftstellers (September 2012). für ihn. Ich schliesse mich den beiden an Raum um Räume, Geschichte um Ge- und gerate von Seite zu Seite mehr hin- Wenn Objekte erzählen schichten weiterflanieren, innehalten, ein in diesen schönen Seelenzustand der «Die Unschuld der Dinge» teilt sich auf um dann nachdenklicher, weiser und zu- wissenden Unwissenheit. Der Unschuld. in eine Einleitung zur Geschichte des gleich auch unschuldiger geworden das Das ist das Wort, das ich mit dem Muse- Hauses. Mit ihr bietet Pamuk auch eine Leben Fremder lesen zu lernen, als ver- umsbuch in der Hand endlich begreife. Führung durch einen Teil Istanbuls an, berge sich plötzlich in anderen ein Stück Und ich begreife noch etwas: Kemal den es so nicht mehr gibt, durch das Is- des eigenen Geheimnisses. wollte mit den Devotionalien einen gi- tanbul der Griechen, Armenier, der Der Romanplot von 2008, auf den gantischen Schrein für die verlorene Christen und Juden. Es sind sehr per- Museum und Museumsbuch sich bezie- Füsun bestücken. Dass es dieses Muse- sönliche Spaziergänge, bei denen man hen, ist schnell erzählt. Kemal liebt um nun tatsächlich gibt, heisst, dass die bisweilen sogar die Stimme von Orhan Füsun, also Mann liebt Frau, aber ver- Geschichte den Sprung von der Fiktion Pamuks Tochter zu hören meint oder lobt sich mit einer anderen. Frau ver- in die Realität geschafft hat, heisst aber die des Händlers, bei dem er das Obst schwindet daraufhin und heiratet eben- auch, dass etwas geglückt ist, was selten kauft, bevor er an den Schreibtisch geht. falls einen anderen. Mann sucht Frau, nur glückt, und am ehesten noch im Oder doch zuvor beim Trödler eine Da- findet sie und verehrt sie weiter. Er ar- Tanz, in der Choreografie. Oder in der mensonnenbrille aus den Sechzigern chiviert die Beziehung in Dingen, auf Malerei. Dass nämlich Zeit zu Raum ersteht, die ihrerseits mit dieser beson- die Glanz und Schatten ihrer Liebe ge- wird. Also innehält. Also bleibt? Ja, deren Stimme der Dinge etwas über fallen sind. Tausend Sachen, auch ein etwas bleibt, sagen die Stimmen der Füsun erzählt. Damenschuh, ein altes Radio, ein Ohr- Dinge aus ihren Vitrinen, arrangiert Der Einleitung folgt ein kurzes Muse- ring, die Hand einer Puppe, ein Führer- zum Chor. (cid:29) umsmanifest aus elf Bekenntnissen Pa- schein und leer getrunkene Gläser sind Judith Kuckart lebt als Schriftstellerin in muks zu einem «Museum von morgen», dabei. Als Mann und Frau endlich wie- Berlin und Zürich. Zuletzt erschien ihr zu einem Museum, «das arm und in den der zusammenkommen, verursacht Frau Roman «Die Verdächtige». 10 (cid:30) NZZ am Sonntag (cid:30) 28. Oktober 2012

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Flauberts «Madame Bovary», die virtuose Geschichtserzählung über das Jahr 1913 von Namen behielt sie als Künstlernamen bei, nachdem sie
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