Thomas Zittel Marktwirtschaftliehe Instrumente in der Umweltpolitik Thomas Zittel Marktwirtschaftliehe Instrumente in der Umweltpolitik Zur Auswahl politischer Lösungsstrategien in der Bundesrepublik Leske + Budrich, Opladen 1996 ISBN 978-3-322-99513-1 ISBN 978-3-322-99512-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-99512-4 Zug!. Diss. Mannheim © 1996 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mi kroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Vorwort Als zum Anfang der 70er Jahre in der Bundesrepublik der Umweltschutz zu einem zentralen Thema der Politik wurde, begann sich auch die Volkswirt schaftslehre an der systematischen Analyse von Umweltproblemen und der Suche nach Lösungen zu beteiligen. Mit den ihr verfügbaren Konzepten und Methoden begründete sie einen Politikentwurf, in dessen Zentrum die For derung nach Abgaben und ZertifIkaten als Mittel einer wirksamen Umwelt politik steht. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist diese Empfehlung ohne weitergehende Wirkung auf die praktische Umweltpolitik der Bundesrepu blik Deutschland geblieben, hier vertraute und vertraut man in hohem Maße auf ordnungsrechtliche Strategien. Die vorliegende Arbeit knüpft an diese Beobachtung an und fragt nach den Gründen für die Folgenlosigkeit um weltökonomischer Überlegungen in der praktischen Umweltpolitik. Die Analyse dieses Falles dient als Grundlage für allgemeinere Überlegungen zu der Frage nach den Bestimmungsgründen staatlicher Politikstrategien. Diese Zeilen sind das Ergebnis eines Dissertationsprojekts, das ich 1990 begonnen und im Januar 1995 abgeschlossen habe. Sie wären ohne die Un terstützung einer Vielzahl von Personen so nicht möglich gewesen. Mein besonderer Dank gilt Prof. GrafKielmansegg, dessen Vertrauen und Förde rung ich sehr viel verdanke, und der mit Rat und Tat meine Arbeit begleitet hat. Dank auch Prof. Klaus Schönhoven, meinem zweiten Gutachter sowie Dr. Andre Kaiser, der so manches Mal seine Pfeife beiseite gelegt hat, um meine Produktionen einer skeptischen Prüfung zu unterziehen. Zu großem Dank bin ich Dr. Edeltraud Roller verpflichtet, die als kritische Leserin einer frühen Fassung der Arbeit viel Mühe investiert und so manche Anre gung gegeben hat. Dank gebührt auch Michael Hopf, Melanie Meder und Thomas Gebhart für die Korrekturarbeiten, die einige Kanten geschliffen und die Verständlichkeit des Textes befördert haben. Marc Desnizza hat sich um die technische Herstellung des Manuskriptes verdient gemacht. Allen Mitarbeitern des Lehrstuhls Politische Wissenschaft III der Universität Mannheim danke ich für die gute Zusammenarbeit und die freundliche Atmosphäre, die vieles erleichtert hat. Eine besondere Erwähnung verdienen die vielen Personen, die mir in mündlicher oder schriftlicher Form Informationen bereitgestellt haben, ohne die diese Arbeit nicht hätte geschrieben werden können. Bei allem Dank für die gewährte Unterstützung bleibt letztlich festzuhalten, daß alleine ich für Fehler und Unzu länglichkeiten verantwortlich bin. Mannheim, im März 1996 5 Inhaltsverzeichnis Teil A: Fragestellung und Vorgehensweise .................................................. 9 1 Umweltschutz als Dauerthema der Politik ....... ............. ......... 9 2 Praktische Umweltpolitik in der Bundesrepublik und ihre Kritiker ......... ........... ............ ... ............ ................ ...... ....... ..... 12 3 Zur Fragestellung und zum Aufbau der Arbeit... ................... . 15 Teil B: Zwei Wege der Umweltpolitik ........................................................ 21 1 Ordnungsrecht und Marktinstrumente in der Umweltpolitik: Bemerkungen zur Systematik der Unterscheidung................. 21 1.1 Ordnungs recht und Marktinstrumente als Instrumententypen 21 l.2 Marktinstrumente in der Umweltpolitik: Konzepte ................ 29 l.2.1 Steuern und Abgaben als Instrumente der Umweltpolitik... .... 29 l.2.2 Zertifikate als Instrumente der Umweltpolitik........................ 35 l.2.3 Flexibilisierungen als Instrumente der Umweltpolitik............ 38 2 Das umweltpolitische Instrumentarium in der Bundesrepublik .................................................................... . 39 2.1 Das Ordnungsrecht. .............................................................. . 40 2.2 Marktinstrumente ................................................................. . 43 2.3 Rechtlich nicht geregelte Formen staatlichen HandeIns ........ . 49 3 Ordnungsrecht und Marktinstrumente: Ein wertender Vergleich ............................................................................. . 51 3.1 Ordnungsrecht und Marktinstrumente im Spiegel umweltökonomischer Modelle .............................................. . 51 3.2 Ordnungsrecht und Marktinstrumente im Spiegel empirischer Evidenz ............................................................ . 56 3.2.1 Das Vollzugsdefizit in der Umweltpolitik ............................ . 57 3.2.2 Die Entwicklung der Umweltqualität in der Bundesrepublik .. 59 3.2.3 Marktstrategien in der Umweltpolitik: empirische Befunde ... 62 6 Teil C: Die Auswahl politischer Instrumente als Thematisierungsprozeß .. 71 1 Rationalistische Modelle der Auswahl umweltpolitischer Instrumente.. ........................ ......................... . . .. .......... . .. ..... . . 71 1.1 Instrumentenwahl aus der Perspektive der Wohlfahrtsökonomie ............................................................. 71 1.2 Instrumentenwahl aus der Perspektive des Public Choice Ansatzes ......................................................... 76 2 Politische Entscheidung als Phasenmodell ............................ 83 3 Zur Theorie von Politikagenden ............................................ 99 3.1 Die institutionelle Dimension politischer Agenden................ 99 3.2 Die inhaltliche Dimension politischer Agenden..................... 107 Teil D: Marktinstrumente und politische Agenda in der Bundesrepublik Deutschland, 1970-1990 ................................................................... 111 1 Politikagenden in der Bundesrepublik Deutschland.......... ..... 111 1.1 Parteien und Politikagenda ................................................... 114 1.2 Parlament und Politikagenda ................................................ 117 1.3 Exekutive und Politikagenda ................................................. 121 2 Die Parteiarena ..................................................................... 125 2.1 Zur Analyse von Parteiprogrammen: methodische Vorüberlegungen .................................................................. 125 2.2 Marktinstrumente im Spiegel der Parteiprogramme .......... .... 129 2.2.1 Umweltpolitische Fachprogramme der CDU .... ......... ............ 129 2.2.2 Umweltpolitische Fachprogramme der SPD ........... .......... ..... 133 2.2.3 Umweltpolitische Fachprogramme der FDP .......................... 137 2.2.4 Umweltpolitische Fachprogramme der GRÜNEN.................. 141 2.3 Marktinstrumente im Spiegel der Fachprogramme der Parteien: Ein vorläufiges Fazit .............................................. 146 3 Die Legislative Arena............................................................ 149 3.1 Parlamentarische Initiativen als Indikatoren der Politikagenda: methodische Vorüberlegungen ....................... 149 3.2 Gesetzgebungsinitiativen ...................................................... 150 3.3 Selbständige Anträge und Entschließungsanträge.................. 152 7 3.4 Große und Kleine Anfragen .................................................. 155 3.5 Vorläufiges Fazit................................................................... 156 4 Die Exekutive Arena ...... .................... ...... ...... ....................... 157 4.1 Umweltprograrnme und -berichte der Bundesregierung ......... 157 4.2 Koalitionsverhandlungen ...................................................... 162 5 Die Thematisierung von Marktinstrumenten in der Bundesrepublik Deutschland ................................................. 164 Teil E: Bestimmungsgriinde politischer Agenden: Das Beispiel Marktlösungen in der Umweltpolitik ................ .................. ............ 167 1 Die Politik des Marktes im Politikfeld Umwelt, 1970-1990.... 167 1.1 Die umweltökonomische Debatte.......... .......................... ....... 167 1.2 Der politische Rahmen .............. ............ ........................ ........ 176 1.3 Problemdruck und Marktlösungen in der Umweltpolitik........ 188 2 Zur Auswahl politischer Instrumente: Das Beispiel Marktlösungen in der Umweltpolitik ...................... ............... 194 Literaturverzeicbnis ......................................................................... 207 8 A Fragestellung und Vorgehensweise 1 Umweltschutz als Dauerthema der Politik In den Zeitraum zwischen 1970 und 1975 fiel mit der Ausbildung des Poli tikfeldes "Umweltpolitik" ein bemerkenswertes Beispiel politischer Innova tion in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Als Ausgangspunkt dieser Entwicklung kann die "Erfindung" bzw. die Konstruktion eines Be griffs gelten. Gemeint ist der Import des englischen Begriffs "environmental proteetion" durch Beamte des Bundesministeriums des Innern (BMI), die im Januar 1970 nach einem Namen für eine aus dem Bundesministerium für Gesundheitswesen übernommene Abteilung suchten und diesen Begriff in das deutsche politische Vokabular einführten. Die Grundlage dieser Be griffsbildung bildeten Tendenzen, bis dato unverbundene Regelungsbereiche wie den Gewässerschutz, den Naturschutz oder den im Kontext des Polizei rechts verankerten "Nachbarschaftsschutz" als zusammenhängenden Pro blemkomplex zu begreifen. Der so entstandene Begriff "Umweltschutz" fand schnell Eingang in das Bewußtsein der Bürger der Bundesrepublik. Wäh rend im September 1970 41% in einer Befragung angaben, mit diesem Be griff etwas anfangen zu können, waren es im November 1971 92%.1 Glei chermaßen wird in diesem Zeitraum durch die Medien zunehmend der Zu stand der Umwelt problematisiert und werden Forderungen nach politischen Programmen aufgestellt. 2 Rückblickend stellte der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seinem Umweltgutachten von 1978 fest, daß ab 1973 das Thema "Umweltschutz" zu einem wichtigen politischen Thema in der Bevölkerung geworden ist. Vielfach ist im Blick auf diese Entwicklung über Kausalitäten nachge dacht worden, darüber, daß die Anfange der Umweltpolitik in der Bundesre publik Beispiel fiir eine durch Eliten initiierte Politik seien.3 Eigentlich bemerkenswert scheint mir dagegen die Wechselwirkung zwischen politi schen Eliten und Öffentlichkeit. Den zunächst eher schwachen politischen Impulsen begegneten Medien wie Öffentlichkeit mit starkem Interesse und unvermittelter Zustimmung, was wiederum zu intensivierten Anstrengungen Kaase, 1985: 293 Margedant, 1987: 20f. Müller, 1986: 83 9 der wenigen am Umweltschutz interessierten Eliten führte.4 Folge dieser Entwicklung, die kaum durch einfache Kausalitäten zu fassen sein dürfte, war die rasche Ausbildung einer gesetzlichen Grundlage des Umweltschut zes. Stationen dieser Entwicklung waren u.a. die Änderung des Grundgeset zes im Frühjahr 1970, die dem Bund die Gesetzgebungskompetenz in der Luftreinhaltung, der Lärmbekämpfung und der Abfallwirtschaft gab, und die anschließende Verabschiedung einer Reihe von Umweltgesetzen in rascher Abfolge. Das Bundes-Immissionsschutzgesetz von 1974 (BlmSchG) ist hier sicher in besonderer Weise hervorzuheben. 5 Parallel dazu vollzog sich die Institutionalisierung des Umweltschutzes. Neben den zahlreichen organisatorischen Änderungen innerhalb des BMI, das die Kompetenz in den Kernbereichen Immissionsschutz und Gewässer schutz erhielt, ist insbesondere die Bildung des SRU (197l) und des Um weltbundesamtes (UBA, 1974) zu nennen. Beiden Organisationen wurde im wesentlichen die Funktion der wissenschaftlichen Beratung des Umwelt schutzes zugedacht. 6 Ein Kabinettsausschuß für Umweltfragen sollte die Arbeit der mit Umweltkompetenzen ausgestatteten Ministerien koordinie ren, die "Arbeitsgemeinschaft für Umweltfragen" (AGU, 1971) war als Gesprächsforum gedacht, das dem Informations- und Meinungsaustausch zwischen allen am Umweltschutz beteiligten Akteuren dienen sollte; der am 6. Oktober 1972 konstituierten Umweltrninisterkonferenz (UMK) wurde die Aufgabe übertragen, Aktivitäten zwischen den Ländern und zwischen Bund und Ländern zu koordinieren.7 Unter dem Eindruck dieser Entwicklung, die in durchaus ähnlicher Weise in allen westlichen Industriestaaten zu beobachten war, veröffentlich te der amerikanische Politikwissenschaftler Anthony Downs im Jahr 1972 einen Beitrag in der Zeitschrift "The Public Interest", den er mit dem Titel "Up and Down with Ecology" überschrieb. Downs stellt in diesem Beitrag die Frage nach der Zukunft des Umweltschutzes als politisches Thema. In seinen Überlegungen entwirft er zunächst eine allgemeine Theorie zur Kar riere politischer Themen, vor deren Hintergrund er den unweigerlichen Niedergang der Öffentlichkeit des Umweltschutzes vorhersagt. Dieser Be deutungsverlust werde sich langsamer vollziehen als bei anderen Themen, was aus den spezifischen Problemcharakteristika zu erklären sei, werde aber nicht zu verhindern sein. Die einmal etablierte institutionelle Struktur bleibe unangetastet, der erreichte Status Quo werde in der Folge unter Bedingun- 4 Vgl. Luhmann, 1988: 5, der im Gegensatz zu Müller eher die Zufälligkeit und Zögerlichkeit der ursprünglichen Initiativen in der Verwaltung betont. Vgl. auch zu den Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, die in diesem Zeitraum erlassen worden waren, Bundesminister des lnnern (Hg.), 1976: 228f. Zur Rolle des SRU in der Umweltpolitik siehe Timm, 1989 Überblicke zur Ausbildung des Politikfeldes "Umweltschutz" und zu dessen Entwicklung fmden sich in ausfiihrlicher Form bei Wey, 1982; Müller, 1986 und Wiihelm, 1994. Für kür zere Zusammenfassungen siehe Hucke, 1990; Feick und Hucke, 1980 10 gen geringer öffentlicher Aufmerksamkeit gewahrt, kurzfristiges Auffiak kern von öffentlichem Interesse sei nicht ganz auszuschließen.8 Die Politikwissenschaft war noch nie besonders erfolgreich, was Pro gnosen anbetrifft, und sicherlich kann aus der Perspektive des Jahres 1994 gesagt werden, daß die Vorhersagen von Downs hier keine Ausnahme bil den. Denn mit der oben skizzierten Etablierung des Politikfeldes "Umwelt" war die Karriere des Themas "Umweltschutz" längst nicht zu Ende. Dies gilt zunächst für die Öffentlichkeit des Themas. Glaubt man Meinungsum fragen, so ist die Sorge, mit der die Zerstörung unserer natürlichen Umwelt von der Bevölkerung beobachtet wird, beständig gestiegen. Max Kaase be tont im Blick auf die verfiigbaren Daten und aus der Perspektive des Jahres 1985 das unvermindert hohe Maß an Aufmerksamkeit, das dem Thema in der Gesellschaft zuteil wird und schließt daraus, daß Umweltschutz zu ei nem Valenzissue geworden ist, d.h. zu einem politischen Ziel, über das an sich Einvernehmen besteht.9 Der Sachverständigenrat für Umweltfragen folgert in seinem Umweltgutachten von 1987 im Blick auf die Entwicklung des Umweltbewußtseins in der Bundesrepublik, daß Umweltfragen für eine breite Öffentlichkeit inzwischen noch deutlicher in das Zentrum der Auf merksamkeit gerückt sind, und vor allem eine Vertiefung und Differenzie rung umweltbezogenen Wissens stattgefunden hat. 10 In einer repräsentativen Umfrage der Süddeutschen Zeitung von 1991 nennen 86% der Befragten den Umweltschutz als wichtigsten Bereich, in den der Staat "deutlich stärker als heute" investieren sollte. 71% halten den Schutz der Umwelt für die wichtigste Zukunftsaufgabe. 11 Die politische Bedeutung, die organisierte Umweltinteressen, Bürgerinitiativen, Ökologiebewegung und letztendlich die Partei der GRÜNEN in der Bundesrepublik gewonnen haben, zeigt, daß sich solche Einstellungen in institutionellen Strukturen und in politisches Handeln niedergeschlagen haben. Diese Entwicklungen haben wiederum auf die Bedeutung des Themas "Umwelt" innerhalb etablierter Strukturen ge wirkt.12 Vor dem Hintergrund dieser Vorgänge kann man Edda Müller Recht geben, die aus der Perspektive des Jahres 1984 den Umweltschutz als Schlüsselthema der Politik begreift.13 Ein Urteil, das bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt seine Gültigkeit bewahrt hat. Der Öffentlichkeit des Themas ent spricht das unablässige umweltpolitische Entscheidungshandeln der politi schen Eliten. Ganz im Gegensatz zu der Prognose von Anthony Downs ist ein fortgesetzt hohes Aktivitätsniveau im gesetzgeberischen Bereich zu 8 Downs, 1972 Kaase, 1985: 293f 10 Sachverständigenrat filr Umweltfragen (Hg.), 1988: 48 11 Süddeutsche Zeitung, Magazin, 4. Januar 1991: 8f 12 Siehe hierzu Schmitt et al., 1981; Klingemann, 1985 13 Müller, 1984: 116 11