Stefan LeonhardBrandt •Mannerblicke Stefan Leonhard Brandt Mannerblicke Zur Konstruktion von .Mannlichkeit" in der Literatur und Kultur der amerikanischen Jahrhundertwende M@sP muAGFrJRWlSSEHSCIINT UNOFORSCHUHG Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Brandt,StefanLeonhard: Mannerblicke:zurKonstruktion von"Mannlichkeit"inderLiteraturund Kultur der amerikanischenJahrhundertwende/StefanLeonhard Brandt. -Stuttgart :MundP,Veri.furWiss.undForschung, 1997 ISBN978-3-476-45190-3 ISBN 978-3-476-45190-3 ISBN 978-3-476-04285-9(eBook) DOI 10.1007/978-3-476-04285-9 Dieses Werk ist einschlieBlich aller seiner Teile geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalbder engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulassig und stratbar. Das gilt insbesondere fiir die Vervielfaltigungen, Ubersetzung, Mikroverfilmungen und Einspeicherung in elektronischen Systemen. M & P VerlagfiirWissenschaft undForschung einVerlagder J.B.Metzlerschen Verlagsbuchhandlung undCarl Ernst Poeschel VerlagGmbH inStuttgart © 1997 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprunglich erschienen bei J.B. metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH 1997 HUtenwir uns [...]vor der gefahrlichen alten Begriffs-Fabelei,welche ein 'reines, willenloses,schmerzloses,zeitlosesSubjektderErkenntnis' angesetzthat,hUtenwir uns vor den Fangarmen solcher kontradiktorischer Begriffe wie 'reine Vernunft', 'absoluteGeistigkeit','Erkenntnisansich';--hierwird immereinAugezudenken verlangt,dasgarnichtgedachtwerdenkann,einAuge,dasdurchaus keineRichtung haben soli, bei dem die aktiven und interpretierenden Krafte unterbunden sein sollen,fehlensollen,durchdiedochSehenersteinEtwas-Sehen wird,hierwirdalso immer ein Widersinn und Unbegriff vom Auge verlangt. Es gibt nur ein ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches 'Erkennen'; undje mehr Augen, verschiedne Augen wir uns fur dieselbe Sache einzusetzen wissen, urn so vollstandigerwirdunser'BegriffdieserSache,unsere'Objektivitat' sein. FriedrichNietzsche, ZurGenealogiederMoral,3.Abh.,12,1984b[1887],860-861 FiirEdithWandaMarieBriissel Weitere Danksagungen: Diese Arbeit harte ohne die wissenschaftliche und menschliche Unterstiitzung folgender Personen und Institutionen nicht in der vorliegenden Form entstehen konnen. Ich danke: der Heinrich-Boll-Stiftung, insbesondereChristina Bach, fUrfinanzielle Hilfe und Ruckhalt inkritischen Situationen; dem John F. Kennedy-Institut und allen seinen Angehorigen fur die Gewahrung eines Ortes der wissenschaftlichen Erkenntnis und furdie Bereitstellungder zahlreichen von mir im Laufe meiner Arbeit benutzten Werke. Ausdriicklicher Dank gilt femer meinem Doktorvater Professor Winfried Fluckfurseine kenntnisreicheundweise Anleitung;meiner ZweitkorrektorinFrauProf.Dr. Evelyne Keitel fur unzahlige Ratschlage und Ideen; meinem Doktoranden-Colloquium, ohne dessen Mithilfe und diskursive Weiterflihrung ich einige Wege wohl nicht beschritten harte, hier insbesondere:GabrieleDietze, der ichwertvolleAnregungenfurden Inhalt unddie Methodik meiner Arbeit verdanke, Nikoline Hansen, die mir durch ihr unschatzbares Wissen im amerikanischen Kriegsroman-Genre sehr weitergeholfen hat, Annette Schlichter, deren kundige Ratschlage zur Hysterieproblematikhilfreich waren, Michael Wachholz, dessen weiterfuhrendes Wissen imBereich Gender Studies mir tiber manche Hlirde geholfen hat, Karin Esders-Angermund, die mir mit ihren Ausfuhrungen zum Western-Genre viele Anstofle gegeben hat, Sieglinde Lemke fur unschatzbare Hinweise zu den Themengebieten Taylorismus und Maschinenkult, Detlev Klein, der mich in methodologischer Hinsicht sehr inspiriert hat, sowie Sabine Sielke fur zahllose kostbare Tips und Anregungen im breiten Feld der Gender Studies. Ferner danke ich Frau Prof. Dr. Edith Mettke (t), deren einfuhlsameWeichenstellungenmeiner Arbeit erst ihrenCharaktergegeben haben, Herm Prof. Dr. Heinz Ickstadt, dessen vorausschauende Kommentare und Hinweise von fundamentaler Bedeutung flir die Entwicklung mehrerer Kapitel waren, Frau Prof. Mary Ryan (University of California, Berkeley), die mir in einigen Gesprachen wichtige Informationen und Hinweise Ilbermittelt hat, Herro Prof.Joel Porte (Cornell University, Ithaca), der mich wahrend der Arbeit an meinem Fitnesskapitel auf neue Ideen gebracht hat, Dr. Thomas Alkemeyer, der mir zahlreiche Anregungen fur die sportsoziologischen Abschnitte der Arbeit vermittelt hat, Renate Niekant und Dagmar Fink, die -- beide jeweils auf ihre Art -- meine Herangehensweise an feministische Fragestellungen verandert haben, und Prof. Dr. Gustav-Adolf Brandt, dessen aus langjahriger beruflicher Tatigkeit erwachsene Vorschlage und Empfehlungen auf dem Gebiet der modernen Tiefenpsychologiemich insamtlichenTeilen meiner Arbeit sehrinspiriert haben. INHALTSVERZEICHNIS Grundlagen 9 DieRevoltederManner 9 'Mannlichkeit' alsMaske 13 DieProduktiondes'Wissens' 28 DieAxt1mHause'HyterlscheMiinnllchkeltalsZeltphiinomen 39 GegenstoB 39 VerschwimmendeSphliren 46 Korperokonomie- Korperwissen 59 MachtundOhnmacht 68 'Miinnlichkeit'alsSchausplel-DieEntfaltungderMaskulinisierungsstrategien 93 (Literarische)Zeitenwende 93 Die'Genteel-Construction'.KurzeGenealogieeinerRhetorik 102 FragmentationundRekonstruktiondesSelbst 114 SubversionundContainment 131 'Educationmartiale'.KriegalsmaskulinerBildungsroman 147 KorperkultundKorpermeehanlk•Technologlender'Miinnllchkelt' 173 EntgrenzungundVerkorperlichung 173 GelehrigeMlinnlichkeit 198 KorpermaschmenundMaschinenkorper 220 Die'Natur'desMannes'WildniskullundDegeneratlonsphilosophle 249 Von'Degenerierten'und'Uberzivllisierten' 249 KontrollierterAtavismus 300 DasAufbegehren des 'Wolfes' 371 'TheWinningoftheWest'•DerMythos desamerikanischenWestens 315 DerWesten alskulturellerRaum 315 'Maskulinitat',SpracheundTod 335 Mlinnerblicke•GeschichteundAsthetikdesmaskuIinistischenDiskurses im20. Jahrhundert 347 Abkiirzungsverzeichnis 365 Bibliographie 367 GRUNDLAGEN [M]anhoodhasahistory. AnthonyRotundo,American Manhood,1993,1 Patriarchy,reformedorunreformed,ispatriarchystill:itsworstabusespurgedorforsworn, itmightbeactuallymorestableandsecurethanbefore. KateMillen,SexualPolitics, 1990,85 Itistimetotrytospeakaboutmasculinity,aboutwhatitisandhowitworks. AnthonyEasthope,WhataMan'sGottaDo,1986,1 DIE REVOLTEDERMANNER 1mJahre 1882veroffentlichteder britische RomanschriftstellerSir Walter Besantunter einem Pseudonymden utopischen Roman TheRevoltofMan,indereine futuristische Gesellschaftim 20.Jahrhundertbeschriebenwird,dieunter das Joch des Matriarchatsgefallen ist. DieManner leben in diesem gynokratischen Staat in kompletter Unterdriickung. Ihren Lebenssinn finden sievorwiegendinder Kultivierungdes Korpers, die dem Ziel dient, von einer siegreichen Ma trone als Gatte und Erzeugerauserwahlt zu werden. In seinem hochst popularen Roman ver suchte Besant nacheigenem Bekunden,eine Welt"tumedupsidedown" (1902, 211)zuzeigen. Dievon ihm imaginierten 'neuenManner' erahnen erst nach der Rede einer liberalen Politike rinvor dernnationalenParlament,,,[that]there ismore inlifeforamanthan towork,todig,to carryoutorders, tobeagoodathlete, anobedienthusband, andaconscientiousfather" (Besant [1882],in:Showalter1990a,41f).Magunsdieses Szenarium auchheuteals seltsam undabwe gig erscheinen,urndie Jahrhundertwende muBesfurviele, folgt man der zeitgenossischen eu ropaischen und amerikanischen Rezeption, iiberaus plausibel und authentisch gewirkt haben. DasverbreiteteBediirfnis, entgegen derBotschaftdes Feminismusgerade inden Mannern eine gesellschaftlichunterdriickteGruppe zu erkennen, hatte hierin uniibersehbarGestaltangenom men. Die verhaBte Frauenrechtsbewegung schien in Texten wie diesem ihres humanistischen Anspruchsenttamtund inihrenwahren Zielen bloBgestellt.DieVision der Gleichberechtigung warsomitdurch dieFiktionderInversion undTravestieersetzt (vgI.Gay 1984, I94f). Mehr als einJahrzehntnachdem groBenkommerziellenErfolg von TheRevolt ofMan - das Jahrhundertneigte sich bereits dem Ende entgegen --schien der von Besantbeschworene Geistder 'mannlichenRevolte' auchden Weg indie 'neueWelt' Amerikasgefundenzuhaben. In einem Artikel im Chap-Book (1894) benutzte der angesehene Autor Bliss Carman das Setting der maskulinen Revolte, urnden Widerstand gegen eine 'feminisierte' Gesellschaft zu charakterisieren.Der Ort des Aufstandes istdiesmal jedoch kein femes matriarchales Regime, sondem die viktorianische Welt der 1880er Jahre -- das Amerika von Henry James und William Dean Howells. InjenenJahren habe sich die 'Effemination' des Mannes so Carman, bereitsderartigweitinderGesellschaftausgebreitet,daBeinigejunge'Rebellen' denZeitpunkt 9 zu einer Veriinderungder kulturellenCodes ergriffen hiitten."We had become so over-nice in our feelings, sorestrainedand formal,sobound by habitand use inourdevotionto the effemi nate realists, that one side ofour nature was starved" (1894,341).CarmansvielzitierterEssay sagt jedoch weniger tiber die Geflihlslage in den zuruckliegenden Jahrzehnten (also tiber die Zeit inden 1870erund 1880er Jahren)aus,wie vom Verfasservorgegeben wird.Vielmehrof fenbart sich hier sehr vie! tiber die Befindlichkeiten der spiitviktorianischenGesellschaft. Dies geht nicht zuletzt aus der emphatischen (nichtsdestotrotz bewuBt zweideutig gehaltenen) Ex klamation hervor, die Carman an die Schriftsteller der autbegehrenden strenuous life-Genera tion richtet: "We must have a revolt at any cost" (Carman 1894, 341). Solche Mythen und Szenarien einer angeblich bedrohten Virilitiit bestimmten in auffallender Weise das Bild der spiitviktorianischen Kultur und Literatur in England und den USA. Werke wie Henry James' The Bostonians (1886), George Gissings Odd Women (1891) und Grant Aliens The Woman WhoDid (1895) stellten die modeme westlicheIndustriegesellschaftals eine Brutstiittetoben der oder schwelenderGeschlechterkriegedar -- und den Mann als unfreiwilligesOpferdieser Auseinandersetzungen. Die historischen Umwiilzungen in den USA, die im Zuge von Indu strialisierung,Urbanisierungund dem Zusammenbruch der Frontier, zu einer Erosion der ver alteten Rollenstrukturen im Familien- und Berufssektor gefllhrt haben, bildeten den Hinter grund, vor dem zur Jahrhundertwende der rhetorische Diskurs urn Geschlechteridentitiit(en) entstehenkonnte.! Das Terrain der Virilitiit sah man doppelt bedroht, zum einen durch den Verlust von Riiumlichkeiten maskuliner Identifikation,2 zum anderen durch die Expansion der Frauen auf dem Arbeitsmarkt und im offentlichen Bereich. .Hypermasculinity in the Progressive years wasdoubly reactive",stellt der 'Miinnerhistoriker' ClydeGriffenfest,"to longterm changeand to avery specific contemporarythreatto male dominance" (1990,200).Ais anschauliche Do kumente dieserEpoche lassen sich meines Erachtens insbesonderefolgende sechs Romane in terpretieren: Henry James' TheBostonians (1886), StephenCranes TheRedBadge ofCourage (1895), Jack Londons TheSea-Wolf(1904), FrankNorris'McTeague (1899) und Vandoverand 1 Unter'Diskurs' sollimSinnederFoucaultschen Theorie"eineMengevonAussagen, dieeinem gleichen Formationssystem zugehoren," verstandenwerden (Kammler 1990, 36). Der Begriff des 'rhetorischenDiskurses'bezeichnetdabeiimengerenSinne"speechorwritingseenfromthepointof viewofthebeliefs,valuesandcategorieswhichitembodies;thesebeliefs(etc.)constituteawayoflook ingattheworld,anorganizationorrepresentationofexperience--'ideology' intheneutral,non-pejora tivesense" (Fowler1990,54).DievonMichelFoucaultvorgenommeneAkzentuierungdesdisziplinari schenAspektesbedeutetindiesemZusammenhangeinesinnvolle,dervemetztenMachtstrukturdiskursi verFormationen RechnungtragendeErweiterung.FoucaultsModellbeziehtdenAspektderKanalisie rung von Uberzeugungen, Wertvorstellungen und Kategorienbzw. der Benachteiligung altemativer Sichtweisenmiteinundgehtdamituberdielinguistisch-textuelleKomponentehinaus(Foucault1977). 2 ImimaginativenEntfaltungsraumderoutdoor world,d.h.derauBerhalbderhauslichenSpharean gesiedeltenWeltder 'freien Natur', kommtdiesersubjektiv wahrgenommene Verlustan 'maskulinen Raumlichkeiten'ameindeutigstenzumAusdruck. 10