Stefan A. Schirm Macht und Wandel: Die Beziehungen der USA zu Mexiko und Brasilien Stefan A. Schirm Macht und Wandel: Die Beziehungen der USA zu Mexiko und Brasilien Außenpolitik, Wirtschaft und Sicherheit 1979 bis 1992 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1994 Zum Autor: Stefan A. Schirm, Dr. rer. pol., Jahrgang 1963, Studium der Politischen Wissenschaft, der Volkswirtschaftslehre und der Neueren Geschichte an der Ludwig-Maximilians Universität in München; 1989 Magister Artium; 1993 Promotion. 1984-1991 freier Journalist bei Zeitungen und Fernsehen in der Auslandsberichterstattung, seit 1991 Lehrbeauftragter am Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft an der Universität München. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schirm, Stefan A.: Macht und Wandel: Die Beziehungen der USA zu Mexiko und Brasilien: Außenpo litik, Wirtschaft und Sicherheit 1979 bis 1992/ Stefan A. Schirm. Zug!.: München, Univ., Diss., 1993 ISBN 978-3-8100-1245-6 ISBN 978-3-663-10696-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-10696-8 © 1994 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1994 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung au ßerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzu lässig und strafbar. Das gilt insbesondere für VervieWiltigungen, Übersetzungen, Mikroverfil mungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Inhaltsverzeichnis Vorwort 5 A. Einleitung, Forschungsstand und Konzeption 7 1. Themenstellung: Der Wandel in den U.S.-mexika- nischen und U.S.-brasilianischen Beziehungen 7 2. Zur politikwissenschaftlichen Relevanz: Einordnung des Themas in globale Zusammenhänge und übergreifende De batten: 'Declining Hegemony', Schwellenländer, priva- te Akteure, weitere Gründe für die Relevanz des Themas 11 3. Forschungsstand und Interpretationsansätze zu den U. S.- mexikanischen und U.S.-brasilianischen Beziehungen 19 3. 1. Konflikte, Autonomieprojekte und Einflußverlust der USA (Mitte der 70er- 80er Jahre) 20 Periphere Autonomie und hegemonialer Niedergang 24 3.2. Ende der Diversifizierung, neue Dominanz der USA und bilaterale Kooperation (1982-1992) 26 Interdependenz und neue Abhängigkeit & Hegemonie 29 4. Zur analytischen Konzeption: Forschungsleitende Fragen, Hypothesen und die Dimensionen der Macht 34 5. Aufbau und methodische Überlegungen 40 B. Grundelemente des globalen und nationalen Kon- textes der Außenbeziehungen 42 1. USA: Ost-West-Konflikt und wirtschaftliche Multipolari- ilit 42 2. Mexiko: Scheitern des Entwicklungsmodells, politische Instabilität und globale Restriktionen 49 3. Brasilien: Wirtschaftskrise, Demokratisierung und globa- le Restriktionen 52 C. Die Beziehungen zwischen den USA und Mexiko: Politik, Wirtschaft und Sicherheit 56 1. Krise der Auslandsverschuldung und wirtschaftspolitischer Paradigmenwechsel in Mexiko 56 2. Handel: Von der Diversifizierung zur Freihandelszone 72 3. Investitionen und Transnationale Unternehmen 83 4. Außenpolitik: Vom Konflikt um Mittelamerika zur neuen Harmonie 93 5. Migration 103 6. Drogenhandel und nationale Sicherheit 111 D. Die Beziehungen zwischen den USA und Brasilien: Politik, Wirtschaft und Sicherheit 121 1. Krise der Auslandsverschuldung und wirtschaftspolitische Reformen in Brasilien 121 2. Handel: Von Diversifizierung und Konflikten zu neuer U.S.-Dominanz und Entspannung 138 3. Investitionen und Transnationale Unternehmen 151 4. Außenpolitisch-diplomatische Konflikte 164 5. Nationale Sicherheit, Drogenhandel und Amazonaspro- blematik 178 6. Rüstungsproduktion, Waffenexporte und Atombomben- programm 188 2 E. Ergebnisse und zusammenfassende Schlußfolge- rungen 200 1. Von konfliktiver Distanz zu freundschaftlicher Koope- ration- zusammenfassende Schlußfolgerungen 200 1.1. Die USA und Mexiko 200 1.2. Die USA und Brasilien 204 2. Zur Erklärungsfähigkeit der Ansätze, Hypothesen und Bestimmungsfaktoren -komparative Schlußfolgerungen 209 2.1. Hegemonie & Dependenz: Durchsetzung bzw. Un- terordnung eigener Interessen gegen Widerstreben 210 2.2. Interdependenz und periphere Autonomie 213 2.3. Dimensionen indirekter Macht 216 2.4. Globale und nationale Determinanten 220 3. Multidimensionale Vorherrschaft und pragmatische Unter- ordnung - Elemente einer interpretativen Konzeption 224 4. Einordnung der Ergebnisse in globale Zusammenhänge und übergreifende Debatten 230 F. Anhang 235 G. Literatur- und Quellenverzeichnis 241 1. Quellen, Dokumente und Interviews 241 2. Sekundärliteratur 246 3. Zeitungen und Zeitschriften 261 4. Archive und Bibliotheken 262 3 Vorwort In der politikwissenschaftlichen Forschung über internationale Beziehun gen nimmt 'Macht' als analytisches Konzept eine Schlüsselstellung ein. Auch bei der Erklärung der U.S.-lateinamerikanischen Beziehungen stand traditionell die Vormacht der Vereinigten Staaten und die Abhängigkeit Lateinamerikas im Mittelpunkt. Das Interpretationspaar 'Hegemonie und Dependenz' scheint aber an Gültigkeit verloren zu haben. Während den USA von vielen Autoren ein 'hegemonialer Niedergang' attestiert wird, stellt sich bei Schwellenländern wie Mexiko und Brasilien die Frage, in wiefern sie sich als 'Mittelmächte' von der Vorherrschaft der USA lösen konnten. In den letzten zehn Jahren gaben Mexiko und Brasilien allerdings ihre Autonomiebestrebungen weitgehend auf und orientieren sich heute stärker an den Erwartungen Washingtons als in den 70er Jahren. Mit den Verein barungen zur nordamerikanischen Freihandelszone NAFT A vollzog Me xiko die Abkehr von früheren Emanzipationsversuchen am deutlichsten. Thema dieses Buches sind die Ursachen für den Wandel von konfliktiver Distanz zu freundschaftlicher Kooperation in den U.S.-mexikanischen und U.S.-brasilianischen Beziehungen. Es soll ein Beitrag geleistet werden (1) zum Verständnis der bilateralen Veränderungen, (2) zur Debatte über die declining hegemony der USA, (3) zur Frage nach größerer Selbständigkeit Mexikos und Brasiliens und (4) zur Weiterentwicklung von Erklärungs modellen internationaler Beziehungen. Grundlage der Untersuchung ist die Analyse der drei Politikbereiche Außenpolitik, Wirtschaft und Sicherheit, das vergleichende Element der zwei Fallstudien und der Versuch einer Erweiterung des Konzepts der 'Macht'. Diese Studie entstand als Dissertation an der Ludwig-Maximilians Universität München in den Jahren 1991-1993. Besonderen Dank gebührt meinem Doktorvater Prof. Peter J. Opitz, der mir in vielen Gesprächen wertvolle Anregungen und Ratschläge gab. Für ihre Unterstützung möchte ich mich auch bedanken bei Dr. Hartmut Keil, Dr. Manfred Wöhlcke und Dr. Heinrich-W. Krumwiede. Auf Forschungsreisen in der Bundesrepu blik, den USA, Mexiko und Brasilien sprach ich mit über 80 Experten, die mir verzeihen mögen, daß ich ihnen an dieser Stelle für die wertvollen Ge spräche danke, ohne sie alle namentlich aufzuführen. Besonders fruchtbar waren die Begegungen mit Carlos Bazdresch, Iliana Cid Carpentillo, Achim v. Heynitz, Gary Hutbauer, Helio Jaguaribe, Maria Regina Soares de Lima, Lorenzo Meyer, Joseph Nye, Rubens Ricupero, Riordan Roett, Martin Torres und Gustavo Vega. Für die finanzielle Unterstützung der Ludwig-Maximilians-Universität und des Deutschen Akademischen Aus tauschdienstes sowie die logistische Hilfe der U. S. Information Agency und der Secretaria de Relaciones Exteriores möchte ich ebenfalls danken. Stefan Schirm München, September 1993 5 A. Einleitung, Forschungsstand und Konzeption A.l. Themenstellung: Der Wandel in den U. S. mexikanischen und U. S. -brasilianischen Beziehungen In den letzten 20 Jahren durchliefen die Beziehungen der USA zu Mexiko und Brasilien einschneidende Veränderungen im außenpolitisch-diplomati schen wie im ökonomischen und sicherheitspolitischen Bereich. Trotz spe zifischer Eigenarten lassen sich beide bilaterale Beziehungen aufgrund ih rer Parallelen unter ein gemeinsames Grundmuster subsumieren: Mexiko und Brasilien betrieben in den 70er Jahren bis Anfang bzw. Mitte der 80er Jahre ein Autonomie-Projekt, das sie durch eine unabhän gige Außenpolitik, ein binnenorientiertes Entwicklungsmodell und wirt schaftliche Diversifizierung weg von den USA zu größerer Selbständigkeit führen sollte. Mit dieser Politik versuchten die beiden lateinamerikani schen Länder ihre traditionelle Abhängigkeit gegenüber der Hegemonial macht USA zu reduzieren. Die Autonomie-Projekte fielen in einen Zeit raum, in dem die USA unter dem Verlust ihrer globalen politischen und vor allem ökonomischen Vormachtstellung litten, die sie nach 1945 er reicht hatten. In dieser Phase sind die U.S.-mexikanischen und U.S.-bra silianischen Beziehungen als zunehmend distanziert und konfliktiv zu be zeichnen. Seit 1982 und besonders seit dem Ende der 80er Jahre orientierte sich Mexiko stärker als je zuvor und Brasilien wieder stärker an den U.S.-Er wartungen nach marktwirtschaftliehen Reformen und politischer wie öko nomischer Kooperation. Beide Staaten strukturierten - mit unterschiedli cher Intensität -ihr Entwicklungsmodell um, öffueten ihre Wirtschaft nach außen und arbeiteten politisch mit den Vereinigten Staaten zusammen. Heutzutage sind viele Punkte früherer Konflikte von der bilateralen Agenda verschwunden, andere werden ignoriert. Dabei kann die neue ' freundschaftliche Kooperation' fast ausschließlich auf geänderte Positio nen der lateinamerikanischen Länder zurückgeführt werden, da Washing ton seine Politik gegenüber Mexiko-City und Brasilia kaum modifizierte. Deshalb steht der Kurswechsel Mexikos und Brasiliens im Mittelpunkt der Veränderungen der bilateralen Beziehungen. Die USA und Mexiko Im Fall der U.S.-mexikanischen Beziehungen erfolgte der Wandel beson ders schnell und tiefgreifend. Während der Korrespondent der New York Times sein vielzitiertes Buch noch 1985 mit "Distant Neighbors" betitelte, publizierte Sidney Weintraub von der Universität Texas nur fünf Jahre 7 später sein neues Werk unter dem Titel "A Marriage of Convenience" .1 In wenigen Jahren hatte sich das ehemals konfliktgeladene Verhältnis zu freundschaftlicher Kooperation gewandelt. Gestützt auf reichli~p fließende Kredite privater Banken und seit 1976 auf den neuentdeckten Olreichtum sowie dessen 1979 sprunghaft gestie gene Preise, glaubte Mexiko bis 1982 die ökonomische Stärke zur Distan zierung von den USA zu besitzen. Konsequenterweise lehnte es U.S.-ame rikanische Angebote für eine gemeinsame Freihandelszone 1980 ebenso entschieden ab wie den Wunsch des nördlichen Nachbarn, es möge dem GATT beitreten. Den Höhepunkt der Distanzierungs- und Diversifizie rungsbestrebungen Mexikos bildete ein Gesetz, mit dem 1980 die Erdöl exporte in die USA beschränkt wurden. Der Außenpolitik der Vereinigten Staaten setzte Mexiko besonders in Mittelamerika aktive Opposition ent gegen. Es unterstützte die Sandinisten in Nicaragua finanziell und erkannte die Guerilla in El Salvador diplomatisch an. Die mexikanische Politik bis Anfang bzw. Mitte der 80er Jahre folgte der traditionellen - auf die Prin zipien der mexikanischen Revolution zurückgehenden - Definition des na tionalen Interesses, nach der die eigene Souveränität durch Distanz und Autonomie gegenüber den USA zu schützen sei. 2 Seit der Mitte der 80er Jahre läßt sich eine Entwicklung beobachten, die die früheren Maximen konterkariert und der Vorstellung zu folgen scheint, daß das nationale Interesse nunmehr durch wirtschaftlichen Auf schwung in Zusammenarbeit mit den USA sicherzustellen sei: Mexiko trat dem GATT bei, profilierte sich in der Verschuldungskrise als lateinameri kanischer Musterschuldner von IWF und U.S.-Regierung, schlug den Vereinigten Staaten 1990 eine Freihandelszone vor und betrieb den Ab schluß der Verhandlungen über das North American Free Trade Agree ment (NAFTA) im August 1992 in Rekordzeit. Mexiko schaffte außerdem Barrieren für ausländisches Kapital ab, ging eine enge Kooperation mit den USA bei der Drogenbekämpfung ein und ließ Mittelamerika nicht mehr zum bilateralen Konfliktpunkt werden. 1991 feierten die Präsidenten Bush und Salinas Gortari die bilateralen Beziehungen als außergewöhnlich freundschaftlich- mit den Worten von Bush: "Somos una familia- we are one family" .3 Vgl. Riding, Alan: "Distant Neighbors: A Portrait ofthe Mexicans", New York, 1985 und Weintraub, Sidney: "A Marriage of Convenience: Relations Between Mexico and the United States", Oxford University Press, New York, 1990. 2 Vgl. Meyer, Lorenzo: "Mexico-EU: de Fracaso a Virtud", in: "Zona Abierta. Su plemento de Economia, Politica y Sociedad - EI Financiero", Vol. l, Nr. 5, 23.10.1992, s. 8. 3 Bush, George: "Remarks to Community Members in Monterrey, Mexico, November 27, 1990", in: U.S. Govemment Printing Office: "Public Papers of the Presidents of the United States", Washington D.C., November 1991, S. 1686 (Spanisch und Eng lisch im Orginal). 8
Description: