© Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Denisia 13 I 17.09.2004 I 383-402 Lust und Last des Bezeichnens - • • 1 Über Namen aus der mikroskopischen Welt E. AESCHT Abstract: Delight and burden of naming - About names from the microscopic world. — A short history of desi- gnating mainly genera and species of ciliates (Ciliophora), which are relatively "large" and rich of characters, is gi- ven. True vernacular (genuine) names are understandably absent; German names have been established from 1755 to 1838 and in the last three decades of the 20lh century in scientific and popular literature. A first analysis from a linguistic point of view of about 1400 scientific names of type species shows that frequently metaphoric names have been applied referring to objects of everday use and somatic characters of well known animals including human beings. A nomenclaturally updated list of 271 species including German names is provided, of which numerous syn- onyms and homonyms have to be clarified cooperatively; 160 of these species are of saprobiological relevance and 119 refer to type species of genera. Malpractices of amateurs and scientists have been due to a confusion of nomen- clature, a formalized exact tool of designation, and taxonomy, the theory and practice of classifying organisms. It is argued that names in national languages may help to publicise the diversity and importance of microscopic orga- nisms; their description and labeling are a particular challenge to creative, recently underestimated linguistic com- petence. Key words: history of nomenclature, protozoans, ciliates (Ciliophora), scientific and vernacular names, populariza- tion, taxonomy. „Nur Namen! Aber Namen sind nicht Schall und Rauch. Namen sind schon Urteile. Namen sind Gehäuse des Wissens, der Tat, der Hoffnung, der Weisheit vieler Geschlechter bewohnt wie Waben von Bienen." LEHMANN (1982: 29) 1 Einleitung nung erkennen? Bedeuten diese Namen etwas oder sind sie „Schall und Rauch"? Wie stehen heutige Wissen- Dem bloßen Auge verborgene Lebewesen wurden schafter dazu? Betrachten sie Nomenklatur als unreflek- erstmals im 17. Jahrhundert bewusst wahrgenommen und tiertes, meist entbehrliches Hilfsmittel? Diese Fragen ha- dokumentiert. Seit 350 Jahren häufen sich Bezeichnun- ben sich mir als historisch Interessierte beim Kompilie- gen und Begriffe für die Mikroorganismen. Wohl kein ren aller Gattungsnamen der Wimpertiere (Ciliaten) er- Dialekt, keine Nationalsprache oder andere Fachsprache geben (AESCHT 2001), hätten aber den Rahmen dieser haben derart viele Worte hervorgebracht wie die Biolo- fachwissenschaftlichen Arbeit gesprengt. gie (BERCK 1999: 79). Niemand überschaut diesen Wort- Ein zweiter Anlass für die vorliegenden Reflexionen schatz und für eine(n) Einzelne(n) ist es kaum möglich - ergibt sich aus der Arbeit in einem Museum und der zu- auch in Zeiten der Datenbanken und des Internets - alle weilen schwierigen Vermittlung der mikroskopischen Namen einer bestimmten Protozoen-Gruppe zusammen- Welt: Was löst ein erster Blick durch das Mikroskop aus? zutragen. Am ehesten erfolgt dies in Monographien, in Wie reden wir über „Unsichtbares", stoßen wir dabei an denen aufgrund der Spezialisierung immer kleinere unüberwindliche Schranken des Intelligiblen? Welche Gruppen erfasst und ursprüngliche Ausdrücke als „vor- Anknüpfungspunkte gibt es fürs Benennen und Beschrei- wissenschaftlich" weggelassen werden. Eine kompakte ben? Helfen dabei deutschsprachige Bezeichnungen oder Übersicht wichtiger Fachbegriffe und Taxa für die Lehre kann man sich auf eine Faszination verlassen, die analog gelang RöTTGER (2001) in seinem „Wörterbuch der Pro- tozoologie", im englischsprachigen Raum gibt es nichts Vergleichbares. Wie kam es zu dieser Fülle und welche 1 Herrn Univ.-Prof. Dr. Horst Aspöck zum 65. Geburtstag gewidmet in großer Wertschätzung. Seine Achtsamkeit gegenüber Geschichte und Motive und Vorgehensweisen lassen sich bei der Benen- Sprache ist vorbildlich. 383 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at jener für Dinosaurier zeigt, dass sich Sechsjährige die MANN 1975; s. unten). Bis Ende des 19. Jahrhunderts ent- kompliziertesten Namen merken? halten deshalb die Texte eigene Paragraphen zur Recht- fertigung des „ungelehrten" Tuns und Beteuerungen, dass Die folgenden Darlegungen können verständlicher- das Beobachtete wirklich und von anderen bezeugt sei (z. weise nicht umfassend sein, sondern geben einen kurzen B. RÖSEL 1755; SCHRANK 1803): So betont LEDERMÜLLER Aufriss einer Thematik, die sich am Beispiel der Proto- (1763: 1) alles sei „aus Erfahrung erwiesen, und solches zoen besonders gut klären lässt. Denn Benennen war und mit Augen-Zeugen bestättigt. ... Einige glaubten sogar, ist zugleich Lust und Last. Der Beitrag richtet sich sowohl dass weil ich Jurist wäre, so könnte ich gar nichts davon an interessierte Laien als auch an Fachkoliegen, die sich wissen und hätte lieber davon schweigen sollen". Ahn- allzu oft in zwei oppositionelle Lager teilen: jene die die lich SCHRANK (1811: 37f.), ,,[n]och muss ich auf die Fra- Nomenklatur (manchmal zu) ernst nehmen bzw. alles für ge antworten, ob es auch wohl der Mühe werth war, über geregelt halten und jene, die sie aus Unkenntnis ver- die Bewegungen so nichtiger Thierchen so viel zu sagen. nachlässigen oder basierend auf dem Selbstzweck-Vor- Nichtig? Dem Naturforscher, als solchem, muss die Mo- wurf verwerfen. Diese Pole gibt es schon lange, der eine nade... so wichtig seyn, als der Elephant. Hier darf die wird mit dem Sprichwort „Nomen est omen" charakteri- Größe keinen Unterschied machen; sie macht auch kei- siert, das sich auch heute noch mit der Übersetzung „Im nen in den Augen ihres Schöpfers". Bald wurde auch Namen liegt Vorbedeutung" im Duden finden lässt, der klar, nicht durch bloßes Hinschauen, sondern durch ak- andere mit dem Sprichwort „Nomina sunt odiosa" (Na- tives Handeln lernt man etwas durch ein Mikroskop se- men erregen Ärgernis!), geläufiger in Worten von GOE- hen (SCHRANK 1811:4). Lange Zeit wurde die mangeln- THEs Faust „Name ist Schall und Rauch" (Faust I, Mar- de Güte der Instrumente ins Treffen geführt, um die Er- thens Garten, Vers 3457). Um es gleich vorwegzuneh- gebnisse anzweifeln zu können (EBERHARD 1862: 2), so men: ich halte das Beschreiben und die Namengebung konnte sich LlNNE erst 1767 entschließen, entsprechen- von Lebewesen generell für eine große Herausforderung de Daten aufzunehmen. Auch Goethe wird eine große der menschlichen Sprachfähigkeit, eine wichtige soziale Skepsis gegenüber der Mikroskopie nachgesagt, was aber Aufgabe und gleichzeitig eine Chance, einerseits die nach neueren Befunden nicht stimmt (HENDEL 1994). phantasievollen und kreativen Aspekte der wissenschaft- Jedenfalls kippte der Unglaube im Laufe des 19. Jahr- lichen Arbeit aufzuzeigen, andrerseits aber auch die hunderts - nach der Lösung von Problemen wie sphäri- Grenzen unserer Ausdrucksfähigkeit und den beschränk- scher und chromatischer Aberration und Auflösung - ge- ten Stand der Kenntnisse offenzulegen. Darüber hinaus radezu in eine technische Fortschrittseuphorie, die bis zeigt die Geschichte der Namengebung einiges über die heute anhält. Wobei heutige Darstellungen oft das Licht- jeweilige Gesellschaft, kulturelle Prägung der Naturfor- mikroskop und gleich anschließend ein elektronenmi- schung sowie des Verhältnisses Mensch-Natur im Spiegel kroskopisches Bild zeigen und so den Eindruck erwecken, der Sprachen. man könne dies so sehen. Die Enttäuschung von „Uni- versum"-Sendungen geprägten Besuchern ist bei mikro- In Zitaten wurde die z. T. altertümlich anmutende Schreib- skopischen Demonstrationen zuweilen dementsprechend weise unverändert beibehalten; Anmerkungen der Autorin ste- groß. Aber die Grenzen der Durchlichtmikroskopie sind hen in eckigen Klammern. Übersetzungen sind nicht im ein- schon lange erreicht und es ist auch nicht so, dass zelnen nachgewiesen, hilfreich waren LEUNIS (1856), MENGE Elektronen- und Atomkraftmikroskope zwangsläufig zu (1910), BRESSLAU & ZIEGLER (1912), WERNER (1961) und HENT- immer größerer Genauigkeit führen und die „alten" Me- SCHELÄ WAGNER (1996). thoden obsolet werden. Denn viele der wichtigsten Er- kenntnisse über Mikroorganismen haben gar nichts mit 2 Grenzüberschreitungen und Optik zu tun. Gebraucht wurden auch Farbstoffe, da die Wegmarken meisten mikroskopischen Lebewesen durchsichtig sind, Kulturmethoden und Zentrifugen zum Anreichern der Im Blick durchs Mikroskop überschreiten wir nicht Untersuchungsobjekte (kurz gefasst in Tab. 1). nur optische, sondern auch sprachliche Grenzen: wir se- hen plötzlich zuvor Unsichtbares, staunen ungläubig und es fehlen uns die Worte (Für einen historischen Abriss 2.2 Affektive Wahrnehmung und die wichtigsten Akteure s. Tab. 1). Das ist heute Der Akzeptanz in Gelehrtenkreisen - damals wie nicht anders als im 17. Jahrhundert, als sich diese Welt heute - war auch nicht förderlich, dass oft noch auf die auftat (s. Kap. 3.1). lustvolle Tätigkeit - die heute belächelten „Insectenbe- lustigungen" oder „Gemüths- und Augen-Ergötzung" - 2.1 Sinnliche Wahrnehmung Bezug genommen wurde (s. RÖSEL 1755; LEDERMÜLLER Die optische Grenzüberschreitung wurde nicht vor- 1763). Stellvertretend sei hier SCHRANK (1780: 469) zi- behaltlos begrüßt und als Fortschritt gefeiert, ganz im tiert: „Nichts ist entzückender als der Anblick der Natur Gegenteil, sie wurde nicht ernst genommen, als Belusti- unter dem Mikroskope. Man findet hier eine neue Welt, gung abgetan und das Gesehene angezweifelt (HAUS- neue Moden, neue Sitten, neue Völker, und alles dieses 384 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at so mannigfaltig, so sehr von dem der grossen Welt ver- mehrdeutig - darauf beruhen z. B. Witze - jedoch kön- schieden, dass man ganz unruhig wird, mit keinem nen wir durch immer neue Umschreibungen erläutern Mikroskope zufrieden ist, und gerne die Essigschlängel- was wir meinen. chen in Wallfische [sie], die Kugeltiere wenigstens in Ar- Fachsprachen haben sich notwendigerweise zu im- madille [Gürteltiere] umschaffen möchte. Man vergisst mer größerer Präzision entwickelt, um eine weltweite bey dieser angenehmen Unruhe alles übrige, man trinkt Verständigung zu ermöglichen. So werden Bezeichnun- Vergnügen, und sucht sich an den Reizen dieser bezau- gen für Neuentdeckungen in allen Bereichen der Natur bernden Gegenden zu sättigen; man ist ganz Auge, ganz traditionell aus lateinischen und altgriechischen Wör- von dem Zauber des Mikroskops hingerissen; allein [als tern hergeleitet, dies hat sich aber nicht naturgemäß er- Vers] Man sieht sich endlich müd und matt / An allen geben, sondern war ein mühevoller Prozess, der auch vie- Wundern, doch nicht satt". Das Denken der frühen le Kontroversen um die „richtige" Bezeichnung umfasste Amateurmikroskopiker war auch ganz dem Barock ver- (s. Kap. 3.2). Am Beginn der modernen zoologischen bi- haftet, wo die Natur das Verhältnis zwischen Mensch nominalen (binären) Nomenklatur stehen bekanntlich und Gott widerzuspiegeln hat, daher stand nicht Erklä- Carl LINNAEUS und das magische Datum 1.1.1758, für ren oder Ergründen im Vordergrund, sondern die unend- liche Harmonie der Schöpfung im Kleinen anschaulich diesen Tag wurde das Erscheinen der 10. Auflage seines zu machen. Eine scharfe Trennlinie zwischen poetischer Werkes „Systema Naturae" festgesetzt. Alle vorher ein- Phantasie und nüchternem wissenschaftlichem Schrei- geführten Namen sind ungültig und regionale, mutter- ben musste erst gezogen werden. Im Laufe des 19. Jahr- sprachliche Bezeichnungen wurden zu „Trivialnamen", hundert trat die (vermeintliche) Objektivität, einherge- also ausserwissenschaftlichen. 147 Jahre, von 1758 bis hend mit einer Abspaltung der Leiblichkeit vom for- 1905 wurden wissenschaftliche Namen weitgehend ohne schenden Geist der Wissenschafter, immer mehr in den Regeln vergeben, zwangsläufig häuften sich verschiedene Vordergrund. Aber „Wissenschaft ist nicht eine reine Bezeichnungen für Gleiches (Synonyme) und gleichna- Verstandestätigkeit, für die sie früher gehalten wurde, mige Bezeichnungen für Verschiedenes (Homonyme). und sie ist nicht so unpersönlich, wie wir denken: Wis- Um den notwendigen Anforderungen an die Namenge- senschaft ist eine zutiefst persönliche und zugleich sozia- bung (Stabilität, Universalität, Einmaligkeit) nachzu- le Tätigkeit" (KELLER 1986: 14). kommen, kurz zur Schaffung von verbindlichen Regeln - vergleichbar Gesetzestexten - waren 27 Jahre (1878- 1905) erforderlich. Anschließend ermöglichten die welt- 2.3 Sprachliche Wahrnehmung geschichtlichen Ereignisse nur zwischen 1905 und 1914, Auseinandersetzungen gab es auch über den sprach- 1927 und 1936 (RICHTER 1948: 23) sowie nach 1945 ei- lichen Ausdruck, wiederum LEDERMÜLLER (1763: 37): ne internationale Zusammenarbeit. 1961 erschien eine „Ich schreibe nicht aus Begierde ein Autor zu werden, neue Version des „International Code of Zoological No- sonst würde ich mein Concept zuvor nach dem neuesten menclature" (kurz 1CZN) in Englisch und Französisch, Geschmack der deutschen Schreibart und nach denen die deutsche Übersetzung wurde erst 1973 offiziell aner- Kunst-Regeln, haben abändern lassen. Ich habe aber kannt. Die aktuellen Nomenklaturregeln in der vierten doch verhoffentlich so geschrieben, dass mich ein jeder Auflage sind ebenfalls in drei Sprachen (englisch, fran- Liebhaber der Naturkunde wird begriffen haben. Und zösisch, deutsch) erhältlich (ICZN 1999; IKZN 2000, s. muss man dann auch auf allen Blättern ganze Säcke voll dort frühere Auflagen), wobei die Anerkennung der Kunstwörter ausschütten, und eine affectirte Gelehrsam- deutschen Version diesmal schneller erfolgte. Das recht keit in halb barbarischen Worten zu Tage legen? Ich las- umfangreiche und komplizierte Regelwerk (90 Artikel - se hierüber ebenfalls einen billigen Leser urtheilen." die meisten aus mehreren Absätzen bestehend - und zu- Heute ist Latein als Wissenschaftssprache vom Engli- sätzlich Präambel, zahlreiche Empfehlungen und etliche schen abgelöst und die Vielfalt der Sprachen bei Veröf- Anhänge!) gelten jedoch nur für Art-, Gattungs- und Fa- fentlichungen und Tagungen stark rückläufig (z. B. SCHI- miliennamen der Tiere. Ungeregelt sind nach wie vor al- M1TSCHEK 1975; ASPÖCK 1994; POVOLNY 1994; PR1NZIN- le Ordnungs-, Klassen- und Stammnamen, sie beruhen GER 1999). Faktum ist, dass wir allem was uns interessiert also ausschließlich auf Tradition und Übereinkunft. Ein und wir „erfassen" wollen unterscheidende Namen ge- Umstand, der oft übersehen wird. ben. Namengeben ist demnach eine uralte Weise des „Begreifens". Von den zahllosen so erfundenen Namen, die oft nicht einmal schriftlich aufgezeichnet wurden, ge- 3 Zur Geschichte der Benennung langt nur ein kleiner Prozentsatz in den allgemeinen oder fachspezifischen Gebrauch. Neben der räumlichen Tren- „Etwas sehen und sagen ist alles, nung von Menschen, die zu Fremdsprachen und Dialek- ist selten, ist schwer." HOHL (1984: 606) ten führt, gibt es auch eine gesellschaftlich bedingte, zwi- Wortüberfluss und Bemühen um Ausdruck kenn- schen sogenannten einfachen und „feinen" oder „gebil- zeichnen die Anfänge der Mikroskopie, die aus wirt- deteren" Kreisen. Viele Worte des täglichen Lebens sind schaftlichen und kulturellen Gründen in Europa lokali- 385 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at siert sind. Die ersten Mikroskopisten, wie sie genannt EICHHORN (1775) mit seinem „Der Polyp mit der Klap- wurden - sämtlich Amateure, also Liebhaber ohne na- pe" {Opercularia articulata) und „Hurtiges Thierchen mit turwissenschaftliche Ausbildung an einer Universität 2 Stacheln" (Stylonychia pustulata). Die Umschreibung (GÜNKEL 2000) -, fanden sich ausser in den Niederlan- durch mehrere Wörter (Periphrase) ging also der einfa- den vor allem in Dänemark, Deutschland, Frankreich chen Namensnennung voraus. Charakteristisch ist auch und England (Tab. 1). Ich beschränke mich im wesent- das Anbieten mehrerer recht metaphorischer Varianten, lichen auf Wimpertiere (Ciliophora), die wegen ihrer re- z. B. „Trompeten- oder Schalmeyenthierchen" oder lativen „Größe" und Komplexität in der mikroskopi- „Schallmeyenthierlein" für Stentor bei LEDERMÜLLER schen Forschung lange im Vordergrund standen. (1763: 174). Vorauszuschicken ist, dass noch lange die Einteilung Interessant ist, dass Philipp Ludwig Statius MÜLLER, des Aristoteles galt, der alle Wirbellosen zu den Insekten Professor der Naturgeschichte in Erlangen, in seiner rechnete. Später umfasste die von LlNNAEUS (1758) deutschen Übersetzung des Natursystems von Linne von errichtete 6. Klasse Vermes (Würmer) alle wirbellosen 1775 einige Überlegungen zur Namengebung anstellt, in- Tiere mit Ausnahme der Insekten. Im 18. Jahrhundert dem er de facto ihre Bedeutung erklärt, und auch deut- wurde die Ähnlichkeit mit Polypen, die heute als eigener sche Namen einführt. So erläutert er: „Vorticella kommt Stamm Nesseltiere (Cnidaria) gelten, betont. Im Um- von Vortex ein Wirbel, Wasserwirbel, oder Strudel, her. gang mit Namen war man recht großzügig (vgl. ENIGK Mit dieser Benennung zielt der Ritter [gemeint ist Linne] 1986: 18) und die Bedeutungen wechselten sehr. Auf die auf einen gewissen Umstand, der sich an diesen Ge- Klassifikation und dahinterliegende Konzepte kann im schöpfen ereignet, dass sie nämlich, da sie sich als Blu- Rahmen dieses Beitrages nicht eingegangen werden, An- men ausbreiten, durch ihre Bewegung einen Wasserwir- merkungen dazu finden sich in Tabelle 1. Es stehen also bel verursachen" (MÜLLER 1775: 865). Vorticella polypina Gattungs- und Artnamen im Vordergrund. [das heutige Carchesium polypinum) nennt er „Die Seepo- lype", V. anastatica (heute Epistylis a.) „Die Buschpolype" 3.1 „Muttersprachliche" Umschreibung und begründet er folgendermaßen: „Der Ritter hat dieses Pro- Übersetzung (1674-1767) duct des süssen Wassers, wegen des sich ausbreitenden und einkrampfenden Vermögens nach der sogenannten Dem Autodidakten Antonie van Leeuwenhoek wer- Jerichorose, anastatica genannt. Man nennet diese und den die Entdeckung und Benennung der mikroskopi- dergleichen ähnliche Arten mit einander Busch- oder schen Welt zugeschrieben, de facto die ersten gedruckten Büschelpolypen, holländisch Tros-Polypen, französisch Aufzeichnungen darüber, denn er sprach ausschließlich Polypes a Bouquet, nach dem Trembley..." (MÜLLER Niederländisch und bezeichnete das Wahrgenommene 1775: 868). Seine durch den Artikel individualisierten als „kleyne dierkens" (Tierchen), „beesjes" (Biester oder und als bekannt vorausgesetzten Namen wurden kaum Tiere), „cleijne schepsels" (kleine Kreaturen), womit er übernommen, so „Der Deckelwirbel" (V. opercularia), sie allein nach der Größe von den (klassischen) Tieren „Der Reiselbeerwirbel" (V. berberina), „Der Dutenwirbel" unterschied (DOBBEL 1960). Durchgesetzt hat sich die (V. digitalis), „Der Glockenwirbel" (V. convallaria). Alle Latinisierung „Animalcula"; von wem diese Übersetzung diese Arten führt er als 348. Geschlecht „Seegallert" un- stammt, konnte ich nicht herausfinden. ENIGK (1986: ter den Tierpflanzen (Zoophyta), das letzte Geschlecht 12) erwähnt, dass bereits der deutsche Jesuitenpater des Tiersystems trägt die Nummer 354 und umfasst die Athanasius Kircher (1602-1680) die Tautologie „minima Infusionsthierchen. MÜLLER (1775: 917) charakterisiert animalcula" [etwa 1659] für mikroskopisch kleine wurm- dieses wie folgt: „Dieses letzte Geschlecht enthält solche ähnlich sich bewegende Organismen in faulenden Stof- Geschöpfe, die man durch das Microscop mit einer ei- fen verwendet. Am konkretesten war noch Leeuwen- gentümlichen Bewegung in verschiedenen Wassern und hoeks Bezeichnung ,,'t Klokkedyr", die als Glockentier Feuchtigkeiten herumschwimmen siehet, und von wel- bzw. „bell-animal" bis heute populärsprachlich verwen- chen man kaum weiß, was man davon zu halten habe. det wird. Beinahe 100 Jahre vergingen mit der Gewöh- Der Ritter nennet dieses Geschlecht daher ein Chaos. Es nung an ein neues Instrument und dem Lernen, sich in sey, dass es ihm als ein Chaos der Verwirrung vorkomme, der mikroskopischen Welt zurechtzufinden. oder als ein Urstoff, woraus fernere Bildungen entstehen. Weil nun die, jetzt je länger, je mehr, berüchtigte Infu- Das Ringen um Worte spiegelt sich in beschreiben- sionsthierchen dazu kommen, so haben wir das ganze Ge- den Phrasen, wie sie in der vorlinneschen Phase generell schlecht mit diesem Namen belegt, da sie nach ihrer Art üblich waren, aber auch noch Ende des 18. Jahrhunderts alle dafür können angesehen werden. Der Herr Gouttuin zu finden sind. Dies gilt vor allem für RöSEL (1755) mit hat sie Wardiertjes, das ist, Thiere der Verwirrung ge- seinem „Der kleine becherförmige Affterpolyp" (Vorticel- nennet." Von den fünf einbezogenen „Arten" betreffen la nebtdifera), „Der kleine gesellige becherförmige Affter- uns zwei: „Der Unbestand" (Chaos Protheus [sie; der von polyp" {Carchesium polypinum), „Der schalmeyenähnli- RöSEL (1755) entdeckt und „Der kleine Proteus" ge- che Affterpolyp" (Stentor mnelleri), „Eiförmiges schön nannt wurde; Faksimile s. WALOCHNIK & ASPÖCK (2002: violblaues grösseres Kugelthier" (Nassula omata) und 386 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at 232); der schöne deutsche Name „Unbestand" stammt halsthierchen für Amphileptus, Scheibentierchen für C>'- von MÜLLER]) und „Die Infusionstierchen" (Chaos infu- clidium (Rundetierchen bei SCHRANK 1S03), Walzen- sionum). Obwohl MÜLLER häufig auf RÖSEL und LEDER- thierchen für Enchelys, Säulenglöckchen für Epistylis, MÜLLER verweist, hat er keine ihrer Bezeichungen über- Nachenthierchen für Euplotes, Perlenthierchen für Glau- nommen. Zur erstgenannten „Art" schreibt MÜLLER coma, Hechelthierchen für Oxytricha, Krallenthierchen (1775: 920): „Proteus ist in der Fabelgeschichte ein für Kerona, Thränenthierchen für Lacrymaria, Lippen- Meergott, und Sohn des Oceans [deshalb die Groß- thierchen für Loxodes, Muffthierchen für PantorricJium, schreibung in Chaos Protheus; für Eigennamen wurde die- Waffenthierchen für Stylonychia, Halsthierchen für Tra- se noch bei BRESSLAU & ZlEGLER (1921: xiv) verteidigt], chelius (Langhalstierchen bei SCHRANK 1803), Haar- der zugleich aber ein Sinnbild der Wankelmüthigkeit thierchen für Trichoda (Borstentierchen bei SCHRANK und Unbeständigkeit, so wie das Meer und die Wasser- 1803), Urnenthierchen für Trichodina. Ersetzt wurden wogen unbeständig sind. In dieser Rücksicht hat der Rit- Beutelttierchen durch Börsenthierchen für Bursaria ter gegenwärtige Art mit diesem Namen belegt, weil es (Hohltierchen bei SCHRANK 1803), Buchtentierchen ein gallertartiges Geschöpf ist, das sich zu keiner festen durch Busentierchen (erstmals bei SCHRANK 1803: 20, Figur bestimmt, sondern tausend verschiedene und unre- 70) für Colpoda, Stelzenthierchen durch Stelzenglöck- gelmäßige Gestalten mit der größten Geschwindigkeit chen für Cothumia, Flimmertierchen durch Wimper- annimmt, welches also durch die Benennung Unbestand, thierchen (ein deutsches Homonym zum heutigen eben so gut ausgedruckt wird". Unter den Infusionsthier- Stamm) für Leucophrys, Egelthierchen durch Längethier- chen „versteht man alle übrigen Geschöpfe, die unter chen für Paramecium - bei SCHRANK (1803) noch als dem Vergrößerungsglase entdeckt werden, wenn man auf Langhaut bezeichnet; erst später hat sich Pantoffeltier- gewisse Sachen, als Gerste, Getraide [sie], Blätter, Blu- chen durchgesetzt, eine Assoziation, die übrigens von men, Gras, Heu, Früchte und dergleichen, etwas Wasser dem Pariser Mathematikprofessor Louis Joblot von 1718 schüttet, es einige Zeit an einem laulichen Orte stehen stammt -, Flaschentierchen durch Zapfenthierchen für lasset, und dann einen Tropfen davon unter das Micros- Phialina, Schwengelthierchen durch Klöppelglöckchen cop bringet, da sich denn ein ganzes Meer voller Wunder für Tintinnus, Scheidentierchen durch Mantelglöckchen zeiget, nämlich Geschöpfe, die oft millionenmal kleiner für Vaginicola. Seltsam mutet es an, unter den Ciliaten als ein Sandkörnchen sind, und nichts destoweniger zwei „Großgruppen" der Tierwelt, nämlich Wirbelthier schnell durcheinander fahren, wiederum kehren, sich und Wirbellose zu finden, erstere bei SCHRANK (1803: wälzen, aneinander hangen, wieder losreissen, und was 21) für Vorticella, zweitere als Übersetzung für Acineta bei dergleichen mehr ist." Neben der Körpergröße" betont EHRENBERG (1838: 241). diese Merkmalskombination die Bewegung, aber vor al- lem die durch den Menschen gemachte, künstliche Um- Für Artnamen überwiegen bei OKEN relativ mehr- welt. phasige Teilsätze und simple Analogien wie „Das pup- penartige Egelthierchen" (Paramecium aurelia), „Das 3.2 Die „mehrsprachige" Phase (1768-1838) schwanförmige Thränenthierchen" (Vibrio olor), „Das entenartige Halsthierchen" (Vibrio anas) und viele „ge- Besonders wortschöpferisch war Lorenz OKEN (Tab. meine", z. B. „Der gemeine Wasserschwan" (Amphileptus 1), offenbar aufgrund eines erstarkten Nationalbewusst- cygnus). Außerdem verwendet OKEN infolge der vielfa- seins und seiner darauf zurückgehenden Überzeugung, chen Verkleinerungsendung fast durchwegs das sächliche dass man über alle Lebewesen in der Muttersprache re- Geschlecht, EHRENBERG hingegen - entsprechend seiner den sollte, denn auch „die sogenannten Infusorien müs- Auffassung, dass es sich um miniaturisierte übliche Tiere sen einen deutschen Namen haben, und einen Namen, handelt (Tab. 1; HAUSMANN 1975) - auch das weibliche der Zusammensetzungen gestattet, ich nenne sie Mile, und männliche. Diese phrasenähnliche Struktur verwen- ein Wort, welches in Vocalen, Consonanten und der det letzterer aber schon wesentlich seltener als OKEN, Stammbedeutung die Kleinheit ausdrückt" (zit. n. KRAU- vielleicht auch ein Grund, weshalb EHRENBERG eher ei- SE 1918: 47). OKEN (1833: 353) bezeichnet sie auch als gene Artnamen einführte (s. Kap. 41). „Wimmel", was wohl auf das Verb „wimmeln" zurück- geht, das „sich regen, in einer Menge von lebhaften Die Übergangsphase von der Verwendung der Mut- Durcheinanderbewegungen sein" bedeutet (vgl. KRAUSE tersprache für die Benennung bis zum Latinisieren, d. h. 1918: 50). OKEN hat selber nicht mikroskopiert und da- wenigstens mit lateinischen Endungen versehen, war im her viele Namen aus diesem Bereich der zeitgenössischen wesentlichen mit MÜLLER (Tab. 1) und seinem in Latein Literatur, vor allem den Arbeiten von SCHRANK. (1803) (er hatte Theologie studiert) verfassten Werk „Vermium und dem „Polyglottenlexikon der Naturgeschichte" von Terrestrium et Fluviatilium" von 1773 abgeschlossen. NEMNICH (1793-98; vgl. KRAUSE 1918: 47), entnommen. Aber auch dieser gebrauchte zum Teil parallel dänische Obwohl EHRENBERG (1838) die Herkunft der deutschen Namen, z.B. Aflangeren für Paramecium, Aeg-Trumleren Namen nicht im Detail nachweist, listet er diese größ- für Enchelys ovum und Ande-Spilleren für Trachelius anser tenteils auf, beispielsweise die Gattungsnamen Doppel- (Literaturs. EHRENBERG 1838). 387 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at EHRENBERG (1838) ist der letzte „Protozoologe", der zi (14), Stokes (14), Claparede & Lachmann (14), De- konsequent neben den lateinisch-wissenschaftlichen roux (14). Kurze biographische Angaben und weiterfüh- auch deutsche Namen angibt. Seine Überlegungen zur rende Literatur siehe AESCHT (2001). In Lateinisch, das Wortfindung hat er leider nicht ausführlich in seinen als Wissenschaftssprache in der „Protozoologie" kaum ei- Hauptwerken, sondern eher verstreut dargelegt: „Die ne Rolle spielte, publizierte von diesen Autoren nur Eh- Anwendung von deutschen Namen habe ich versucht, renberg, in Deutsch (Ehrenberg, Stein, Kahl, Hadzi, Raa- theils um die lateinischen zu erklären, theils auch um in be, Jörgensen, Foissner, Aescht), in Englisch (Stokes, rein deutscher Sprache über diese Gegenstände sprechen Kofoid & Campbell, Corliss, Dragesco, Jankowski, Foiss- zu können. Die wohlgefällige Ausführung dieser Neben- ner, Small & Lynn, Aescht), in Französisch (Claparede aufgabe hat manche Schwierigkeiten, die sich nicht im- & Lachmann, Chatton & Lwoff, Puytorac, Dragesco, De- mer beseitigen lassen. In einer späteren allgemeineren roux, Raabe) und anderen, vorwiegend osteuropäischen Systematik lässt sich daran noch ändern und verbessern. Sprachen (Stein, Hadzi, Jankowski, Raabe). Die früheren deutschen Namen sind meist unbrauchbar, weil die Formen nicht genau bestimmt werden können, Interessanterweise bestehen recht verschiedene Tra- zu denen sie gehören, theils auch hart, provinciell, und ditionen und ein unterschiedliches Bewusstsein über die nicht zu Gattungsnamen, oft aber noch zu Specialnamen Wichtigkeit eindeutiger Namen: Paläontologen und Pa- passend" (EHRENBERG 1836: 149). Bei einem anderen rasitologen erscheinen in dieser Hinsicht „regelbewus- Autor vermisst er „ein physiologisches Prinzip" bei der ster" als Taxonomen, die Freilandciliaten untersuchen, Namengebung (EHRENBERG 1833: 241); ein andermal er- möglicherweise erschwert die Fülle der Arten eine wähnt er, dass „eine falsche Benutzung der älteren Ab- „Übersicht". Nomenklatorische Probleme und häufig da- bildungen... viele falsche Namen verursacht" hat und durch notwendige Namensänderungen beruhen im we- „eine geregelte Sprache die Seele der Wissenschaft ist" sentlichen auf vier Ursachen: Ignoranz gegenüber den (EHRENBERG 1834: 1218). Nomenklaturregeln, Nachlässigkeit bei deren Anwen- dung, mangelnde Klarheit der Regeln selber (z. B. wie ist 3.3 Spezialisierung und Institutionalisierung der Hapantotyp bei Protozoen auszulegen) oder fehlende (ab 1839) Direktiven. Das unentschuldbare Vorherrschen der bei- den erstgenannten Gründe, auch bei geschätzten Taxo- Nach EHRENBERG war die Verwendung der Mutter- nomen, hat bereits CORLISS (1957, 1962, 1972) beklagt. sprache bei der Benennung verpönt. Die zunehmende Davon strikt zu unterscheiden sind Namensänderungen Anzahl der Bearbeiter und die Einführung neuer Metho- aus taxonomischen Gründen, denn die Zuordnung von den führte zu einem starken Anwachsen der Kenntnisse Individuen zu Arten oder Arten zu Gattungen ist prinzi- (Tab. 1). Die Protozoen-Datenbank des Biologiezentrums piell ein willkürlicher Akt, dem immer (bewusste oder umfasst dementsprechend allein für die Ciliophora der- unbewusste) Hypothesen zugrunde liegen. Die Umgren- zeit (Stand 28.4-2004) unbereinigte Namen (Anzahl in zung eines Taxons ist demnach subjektiv und kann ver- Klammern) aus den Kategorien Klasse (9), Ordnung ändert werden, was auch ständig passiert. Denn eine Be- (181), Familie (656), Gattung (3264), Art (14971). Die schreibung kann maximal so gut sein, wie es der zeitge- Taxonomie der Ciliaten ist noch sehr im Fluss, d. h. je- nössische Stand der Wissenschaft (inklusive üblicher des Jahr werden viele neue Taxa beschrieben, und Schät- Methodik) erlaubt, und das ist naturgemäß nie ausrei- zungen der Artenzahl sind sehr kontrovers (s. FoiSSNER 1999 für weiterführende Literatur), auch eine Gesamtlis- chend für spätere höhere Anforderungen. Überdies sind te der Namen liegt nicht vor. Als repräsentativ für eine unvollständige Beobachtung und Irrtümer (wie das Ver- Auswertung ziehe ich daher eine aktualisierte Version nachlässigen von Vorgängern) kein Privileg früherer Zei- der nomenklatorisch gültigen Typusarten der Gattungen ten, sondern sind heute nach wie vor gang und gäbe (vgl. heran, von denen etwa 67 % monotypisch sind, also nur FoiSSNER et al. 2002: 35f.). Die FoiSSNER-Schule ist - so- eine Art enthalten (vgl. AESCHT 2001, ein kurzer Abriss wohl was Nomenklatur, als auch taxonomische Metho- darin behandelt ihre Benennungsgeschichte). Da für 30 den von freilebenden Arten betrifft - besonders hervor- Gattungen kein Typus errichtet wurde, umfasst diese Lis- zuheben, da bei der Aufstellung eines neuen Namens - te derzeit 1459 Arten, lediglich 119 davon sind in Tabel- wie in den Nomenklaturregeln empfohlen - dessen Ab- le 2 enthalten. An der Errichtung dieser Taxa (exklusive leitung (Etymologie) und Geschlecht angeben werden die Orginalbeschreiber des Basionyms) waren über 400 (erstmals bei FOISSNER & SCHIFFMANN 1979). Offenbar Autoren beteiligt - der Anteil von Frauen ist sehr gering dauert es sehr lange bis sich einheitliche wissenschaftli- -, davon 22 Personen an jener von mehr als 10 Taxa che Standards durchsetzten (vgl. CORLISS 1957, 1962, (Anzahl in Klammern): Jankowski (207), Foissner (154), 1972; AESCHT 2001; FOISSNER et al. 2002): dies gilt auch Kahl (60), Kofoid & Campbell (41), Puytorac (40), Cor- für die Angabe einer Diagnose, der Typus-Lokalität (Lo- liss (33), Stein (31), Chatton & Lwoff (36), Ehrenberg cus typicus) und die Hinterlegung eines Typus-Mikroprä- (25), Dragesco (25), Small & Lynn (21), Raabe (20), parates entsprechend ICZN (1999; Artikel 72.5.5; z. B. Aescht (15, rein nomenklatorisch), Jörgensen (14), Had- bei FOISSNER seit 1976). 388 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at 3.4 Rezeption in der Populärliteratur freien Natur und anderer Lebewesen wurden und werden erst langsam aufgespürt und verstanden. Eine Analyse der gesamten populärwissenschaft- lichen Arbeiten des 19. Jahrhunderts würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, erwähnt sei nur LEUNIS (1856), 4 Typologie der Ciliaten-Namen der auch sorgsam die Bedeutung und Ableitung der latei- „Bei Betrachtung der Natur im großen wie im nischen Namen erklärt. Der moderne Klassiker im kleinen hab' ich unausgesetzt deutschsprachigen Raum ist zweifellos „Das Leben im die Frage gestellt: Ist es der Gegenstand oder Wassertropfen" von STREBLE &. KRAUTER, das seit 1973 bist du es, der sich hier ausspricht? neun Auflagen in 85.000 Exemplaren erlebte und auch Und in diesem Sinne betrachtete ich auch ins Spanische, Italienische und Niederländische übersetzt Vorgänger und Mitarbeiter." wurde (pers. Mitteilung Streble). Die letzte erschien 2002 GOETHE (Maximen und Reflexionen Nr. 593) und enthält 210 deutsche Namen für die geläufigsten Wimpertier-Arten (Tab. 2); frühere Benennungsvorschlä- In der Alltagssprache spielen Protozoen keine Rolle, ge blieben dabei leider weitgehend unberücksichtigt. Für weil man sie nicht sieht und es eines Vermittlungsinstru- eine Analyse dieser Namen siehe Kapitel 4.1. Nach 1838 mentes bedarf und zwar des Mikroskops, um ihnen visuell wurden lediglich 124 deutsche Artnamen „selbst .erfun- zu begegnen. So fehlt auch vielfach eine Vorstellung da- den': nach Eigenschaften, Formen, Übersetzungen und von, was das jeweils sei und wofür es gut ist und wofür Teilen des wiss. Namens" (pers. Mitteilung Streble). Die nicht (s. Kap. 3.1). Menschen ahn(t)en aber früh und meisten beziehen sich auf in KAHL (1930-35), sehr weni- stets, dass es Unsichtbares gibt, das sie betrifft, nur ge auf nachher beschriebene Arten (Lagenophrys stamm- fehl(t)en ihnen im buchstäblichen Sinn dafür die Worte. en', Pseudohaplocaulns infravacuolatus, Spathidium stammen', Aristoteles (384-322 v. Chr.) verwendet bereits acares Vaginicola subcrysudlina, Zoothamnium ramosissimum). Re- (winzig kleines) für die kleinsten ihm bekannten Tiere präsentiert sind entsprechend dem Titel vor allem sapro- (ARISTOTELES 1957: 239), die Acari (Milben), auch zo- biologisch wichtige (insgesamt 160 von 357) und häufige dion für Tierchen wurde in der Antike verwendet. Aber Arten, die im Detail in FoiSSNER et al. (1991, 1992, 1994, Unbenanntes verunsichert bzw. macht Angst und so be- 1995, 1999) charakterisiert werden. steht auch heute noch große Verwirrung über diese un- anschauliche Welt der Mikroben, Bakterien usw. Es gibt Die wissenschaftlichen Namen des Standardwerks also eine große Diskrepanz zwischen dem weiten Be- von STREBLE & KRAUTER (2002) werden nomenklato- kanntheitsgrad des Mikroskops als paradewissenschaftli- risch auf den aktuellen Stand gebracht (Tab. 2), inklusi- ches Instrument und dessen Möglichkeiten und Grenzen. ve der deutschen Namensvorschläge von EHRENBERG (1838) umfasst die Liste 271 Binomina. Dabei bezeich- Bei den Pflanzennamen unterscheidet FISCHER (2001, nen die an den lateinischen Artnamen angehängten Per- 2002) grundlegend zwischen „natürlichen", nämlich all- sonennamen und Jahreszahlen den/die Autor(en), tagssprachlichen, und „künstlichen", fachlichen, wissen- der/die die betreffende Art erstmals beschrieben und be- schaftlichen Namen (vgl. aber Kap. 5.1). Erstere sind also nannt hat/haben, und das Jahr, in dem dies geschah. ausserwissenschaftliche, sogenannte vernakulare (lat. ver- Steht das Anhängsel in Klammer, so bedeutet das, dass naculus = einheimisch, inländisch) Volksnamen, während die Art später in eine andere Gattung gestellt worden ist; zweitere die fachsprachlichen umfassen und zwar sowohl nach der Klammer folgt/en der/die neukombinierende/n die deutschen Büchernamen („gelehrte" oder „literari- Autor(en). Diese Angaben sind für fortgeschrittene sche" Namen), als auch die lateinisch wissenschaftlichen Mikroskopiker von große Bedeutung, weil nur aus ihnen Namen. Aus den oben genannten Gründen fehlen volks- hervorgeht, welcher Artname jeweils gültig ist. Nach tümliche regionale und mundartliche Namen, also Volks- den international vereinbarten Nomenklaturregeln ist namen im engeren Sinn nach FISCHER (2001, 2002), für stets der älteste Name maßgebend. Die zahlreichen Syn- Protozoen vollständig. Circa ein Dutzend Begriffe haben onyme und Homonyme, die sich z. T. aus Neukombina- Eingang in allgemeine Wörterbücher, beispielsweise den tionen der Arten ergeben, verdeutlichen den großen Duden (1996) gefunden, und zwar Amöbe, Aufgusstier- Standardisierungsbedarf, der am besten kooperativ in chen (für Infusorium), Einzeller, Geißeltierchen, Pantof- Angriff genommen werden sollte. Überdies fehlen viele feltierchen, Protozoon (Biol. Urtierchen), Radiolarie (Zool. Strahlentierchen), Sonnentierchen, Sporentier- mittlerweile entdeckte wichtige Formen. Denn deutsche chen, Trompetentierchen, Wimpertierchen, Wurzelfüßer. Namen blieben auf aquatische Lebensräume (Biotope) Nur zwei dieser Namen beziehen sich auf Gattungen (Pan- beschränkt, symbiotische Formen, bereits bei EHRENBERG toffeltierchen, Trompetentierchen), alle anderen entspre- (1838) enthalten, fanden kaum Niederschlag, eine weit- chen Kollektivnamen für höhere Kategorien, analog bei- räumige und feinnischige Erforschung setzte bei Ciliaten spielsweise den Gefäßpflanzen oder Wirbeltieren. Diese in für die parasitischen (i.e.S.) und terrestrischen Habitate die Schriftsprache eingegangenen - also wichtigen Begrif- erst spät ein, Ende des 19. bzw. 20. Jahrhunderts. Die fe - stellen Volksnamen im weiteren Sinne dar. Im 8-bän- Aufgaben dieser Fauna innerhalb der Ökosysteme der 389 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at digen Herder „Lexikon der Biologie" (1983-87) finden Wegen der kurzen geschichtliche Entwicklung der sich zwar zusätzlich Polypenlaus, Sauginfusorien, Glocken- deutschsprachigen Ciliaten-Namen fehlen indogermani- , Nasen-, Muschel- oder Waffen-, Schwanenhals-, Gänse- sche Wurzeln. Deutsche Stammwörter (z. B. Maiglöck- hals- und Heutierchen, ansonsten aber nur Lehnwörter. chen, Glockenbäumchen) und Eigennamen (:. B. Balbi- anis Nasentierchen, Lyngbye's Strahlenbäumchen, Mül- Dies war nicht immer so, denn in ZEDLER (1732-54), ler's Kreiselthierchen, Müller's Trompetenthierchen) KRÜNITZ (1782-1858), ERSCH & GRUBER (1818-89) und gibt es kaum. Die weitaus meisten Wortbildungen stam- FUNKE &. LIPPOLD (1824-27) - vorgesehen „Zum beque- men aus Lehnschöpfungen (± freie, sinngemäße Überset- men Gebrauche für Jedermann" - waren viel mehr ent- zungen), wobei sich stark und wenig Eingedeutschte halten, denen hier nicht im Einzelnen nachgegangen unterscheiden lassen (s. Tab. 2). Zur ersten Gruppe ge- werden kann. In Folge der zunehmenden Kenntnisse hat hören beispielsweise Glockentier-Fresser, Wasserassel- offenbar ein Verdrängungsprozess zulasten des weniger Glockentier, Beutel-, Bogen-, Haus-, Juwelen-, Panzer- „Nutzbaren" stattgefunden. Immerhin sind einige Worte und Schildkrötentierchen. Zur zweiten Dreizack, Griffel- der mikroskopischen Welt unter 8054 Stichwörtern/Ar- Schiffchen, Perlen-Schwan, Mooswimpertier, Ohren- tikeln des „Etymologischen Wörterbuchs des Deutschen" von PFEIFER (1995) eingegangen, nämlich Amöbe, Infus- Pantoffeltier, Aal-, Band-, Binden-, Rippen- und Schna- orien, Mikrobe, Bakterie und Bazillus. Diesen wenigen beltierchen. eingliedrigen Volksnamen stehen ungezählte fachsprach- Bemerkenswert ist das starke Überwiegen der Assozi- liche Bezeichnungen gegenüber. ationen zum anorganischen Bereich (vgl. Tab. 1), vor al- lem auf Behälter und Gestalten bezogen, wie bei Kreisel- 4.1 Deutsche Büchernamen dose, Trichterspindel, Flaschen-, Glashaus-, Hantel-, Um einen Eindruck von der Vielfalt der fachspezifi- Kahn-, Kerben-, Krug-, Pokal-, Ranzen-, Rinnen-, schen Namen und der damit gegebenen Gesichtspunkte Schaufel-, Tonnen-, Urnen-, Vasen- und Wärmflaschen- zu vermitteln, sei im Folgenden eine Analyse und Grup- tierchen. Auch die Wehrhaftigkeit spielt eine Rolle beim pierung der deutschsprachigen Namen versucht, die auch Helm-, Krallen-, Panzer-, Schwert- und Waffentierchen, ihr Verhältnis zu den protozoologisch-lateinischen Na- Dornen-Schlammschraube oder Peitschenfuß; auch heu- men berücksichtigt (Tab. 2), darin zeigen sich manche te wird mikroskopisch als mit dem „bewaffneten" Auge Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede zur „streng" interpretiert (z. B. HAUSMANN 1975). Phantasievolle wissenschaftlichen Bezeichnung. Eine nähere Charakte- kurze Übersetzungen bzw. Eigenkreationen, meist schon risierung der Taxa ist in diesem beschränkten Rahmen von EHRENBERG (1838), sind: Chinesenmütze (die Kör- natürlich nicht möglich. perform ähnelt der traditionellen Kopfbedeckung der Chinesen), Kreiselblitz, Straßenräuber, Haus-, Stink- Eine Gliederung der Namen nach der sprachlichen Form vermag die sprachschöpferische Leistung und Auf- tierchen, „Das Fadenthier", „Das Fischchen", „Das gabe der Biologen aufzudecken (CARL 1957: v; FISCHER Wasserhühnchen", „Der Gast", „Der Wasserhase", „Die 2001, 2002). Die Wortbildung-erfolgt hauptsächlich Maske", „Der Span", „Die Wassergrille" und „Die Was- durch Zusammensetzungen (Komposita), wobei sowohl sermaus", wobei der Artikel wohl die Singularisierung das Bestimmungswort (Vorderglied), als auch das Grund- zum Ausdruck bringen soll. wort zuweilen schon zusammengesetzt sind, z. B. Maiblu- Groß ist die Anzahl der Fremd- und Lehnwörter, die menthierchen, Wassermilben-Glockentier. Ableitungen bis auf die Endung unverändert ins Deutsche übernom- mit deutschen Vor- und/oder Nachsilben sind eher die men (entlehnt) wurden. Sie betreffen vor allem das Ausnahme. Um ein Tier mit einem Kompositum zu be- Grundwort (Furchenciliat, Bäumchen-Sauginfusor, Bir- zeichnen, bedient sich die Sprache sechs verschiedener nen-, Furchen-, Zwerginfusor), seltener das Bestim- Wege: kombiniert werden Namen von Tieren, Pflanzen mungswort (Daphnien-Glockentierchen). und Gegenständen, die sachfremd sind (CARL 1957: 227f). Solche Wörter erhalten durch die Art ihrer Ver- Die wichtigsten Wortbestandteile sind (gereiht nach knüpfung einen neuen Sinn (s. auch Tab. 2): der Häufigkeit des Vorkommens): -tierchen (115), -glo- cke (28), -glöckchen (27), -tier (27), -förmig (22), -infu- • Tier-Tier (häufig), z. B. Aal-, Muschelthierchen, Poly- sor (23), Wimper- (19), grün- (18), -artig (16), Saug- penlaus; (16), Trompeten- (12), lang- / läng- (11), -schwänz (10), • Tier-sachfremd (selten), Frosch-Börsenthierchen; -wasser- (10), groß- (8), haar- (8), gans- (7), perl- (7), - • Pflanze-Tier (selten), Birneninfusor, Heutierchen; wurm- (7), -bäumchen (6), -borsten- (5). In den Ver- • sachfremd-Tier (sehr häufig), Beutel-, Flaschentier- kleinerungsformen kommen wohl eindeutig die miniatu- chen; risierten großen Vorbilder zum Ausdruck. • sachfremd-Pflanze (selten), Glocken-, Strahlenbäum- chen; Wegen der geringen zeitlichen Ausdifferenzierung • sachfremd-sachfremd (selten), Griffel-Schiffchen, kommen bei der Bildung eines Kompositums fast nur Trichterspindel. Großgruppen als Grundwort zum Einsatz (s. auch Tab. 2). 390 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Erhalten haben sich bei STREBLE & KRAUTER (2002) le- RENBERG (1838), oft hingegen auf Farben oder Ähnlich- diglich 17, bereits bei EHRENBERG (1838) verzeichnete, keiten mit geläufigen Tieren z.T. auch als Wohnort oder Gattungsnamen, mit denen leider oft undifferenziert ver- deren Körperteile, z. B. Doppelköpfiger Schwan, Fleisch- schiedene Arten des jeweiligen Genus bezeichnet wer- Wimperthierchen, Frosch-Börsenthierchen, Gansähnli- den: Borstentierchen für Oxycricha, Glockenbäumchen ches Halsthierchen, Perlhuhn, Grüne Schwanengans, für Carchesium (eingeengt auf eine Art), Lauftierchen für Grünes Schneckenthierchen, Ovale Polypenlaus. Auffal- Euplotes, Lippenzähnchen für Chibdoneüa, Nasentier- lend dabei ist die Konzentration auf den Kopfbereich, chen für Didinium, Nierentierchen für Colpidium, Pan- speziell das Auge - in der Symbolik „Fenster zur Welt" - zertierchen für Epalxelia, Reusentierchen für Nassula und Haar, die auf Grund des Wachstums als Träger von (eingeengt auf eine Art), Schwerttierchen für Spathi- Lebenskraft gelten (LURKER 1983): Lid-, Tränen-, Wim- dium, Springtierchen für Halteria, Sumpfwurm für Spiros- per-, Bart-, Borsten-, Hals-, Ohr-, Nasen-, Lippen-, - torrmm, Tränentierchen für Lacrymaria, Trompeten- maul-, -mundtierchen. Dies erinnert stark an anthropo- thier(chen) für Stentor (allerdings auch in Kombination morphe körperliche Merkmale und entspricht der spon- mit Climacostomum), Tonnentierchen für Coleps, Waf- tanen Art, Menschen zu beschreiben. Denn „beim Be- fentierchen für Stylonychia, Zuckrüsseltierchen für L/ono- schreiben, wird man in der Regel erst den Gesamtein- tus. Auch Bedeutungsverschiebungen kommen vor, in- druck, dann sicher bald die Haare schildern, dann weite- dem Namen von EHRENBERG (1. Gattung) bei STREBLE & re Merkmale, meist von oben nach unten" (vgl. KUNZE KRAUTER (2. Gattung) anders verwendet werden wie 1999: 141). Büchsenthierchen für Coleps vs. Pyxicoh, Klöppelglöck- Ein Populärname hat - abgesehen vom Pantoffeltier- chen für Tintmnus vs. Tintinnidium, Kreiselthierchen für chen - besondere Beachtung gefunden, das Busentier- Urocentrum vs. Urceolaria, Urnenthierchen für Trichodina chen und zwar weil es auf die entsprechende Phantasie vs. Tmtinnopsis. Glockentier oder Glockentierchen (ur- des Benenners „verweisen" soll (COLE & SlEBER-COLE sprünglich nur für Vorticeüa) ist das am häufigsten ver- 2003). Diese Interpretation lässt sich weder belegen, wendete deutsche Wort für Kompositionen bei mehreren noch zurückweisen. Das griech. „kolpos", wovon Colpoda Gattungen (Astybzoon, Campanella, Epistylis, Hastatella, MÜLLER 1773 bzw. Colpidium STEIN 1860 abgeleitet sind Opercularia, Pseudohapbcaulus, Pyxidiella und (zu den „Taufpaten" s. Tab. 1), bezieht sich auf (i) den Rhabdostyla), die EHRENBERG noch differenzierte (z. B. Busen des menschlichen Körpers, also auch des männ- Epistylis, Opercularia). Die vielen Neukombinationen in lichen, und (ii) auf Busenfalte, Bausch des gegürteten Tabelle 2 verdeutlichen auch die großen Probleme bei ei- Kleides (oft als Tasche benutzt) und steht eher mit auf- ner Standardisierung, da sich die logische Struktur des blasen, schwellen bzw. „Bucht" in Zusammenhang [n. Binomens, wobei der Gattungsname den Oberbegriff, der SCHRANK (1803: 72), von dem der deutsche Name Bu- Artname aber den Unterbegriff darstellt, kaum umsetzen sentierchen stammt; „Buchtenthierchen" von OKEN lässt. (1833: 26) ging unter]; Mutterbrust würde „mastos" oder Die Bestandsaufnahme zeigt überdies, dass trotz des „mastoi" bedeuten (MENGE 1910). Die in dem Beitrag geringen Umfangs die eingliedrigen Namen sehr in der von COLE & SlEBER-COLE (2003) abgebildete Art - Col- Minderzahl sind, es überwiegen bei weitem zusammenge- poda cucullus, wäre übrigens der richtige Namensträger - setzte, zwei- bis mehrgliedrige Beispiele (s. Tabelle 2). wurde aber mit Colpidium colpoda, dem Nierentierchen, Pflanzennamen oder -teile - wie Schwarze Stachelbeere verwechselt. Hält man sich an das „Nomen est omen" - treten ganz in den Hintergrund. Mythologische An- passt Heutierchen, das wohl auf LEUNIS (1856: 966) zu- klänge zeigen sich nur bei Mnemosyne (nach der Göttin rückgeht, viel besser, weil es geradezu die Charakterart der Erinnerung und des Gedächtnisses), Nymphenthier- von Heuaufgüssen darstellt (FoiSSNER et al. 1991). chen (nach der Quell- und Wassergöttin, Braut, junge Frau), Lynkeus (Sohn des Aphareus, der durch Schärfe 4.2 Wissenschaftliche Namen seines Gesichts[-ausdrucks] Berühmtheit erlangte), Sten- Die Wortlänge erstreckt sich bei den Gattungsnamen tor - nach LEUNIS (1856: 90) „der Schreier im griechi- von 5 (3,6 %)-21 (4,9 %) Buchstaben, wobei die meisten schen Heere vor Troja, welcher 50 Männer überschrie"- 11-13 (42 %) aufweisen. Die entsprechenden Angaben , sowie dem Grossen und Kleinen Charon (nach dem für die 1155 verschiedenen Artnamen sind 2 (0,09%)-19 Fährmann für die Seelen der Verstorbenen). Vergleichs- (0,09%) bzw. 7-10 (60,6%). Daraus ergibt sich für die Bi- weise häufig sind im Deutschen die zugeschriebenen Tä- nomina eine Spannweite von 9 (0,07 %)-33 (0,07 %) - tigkeiten wie fressen, laufen, saugen, schwimmen, sprin- konkret von Metopus es bis Pseudocorynophrya multitenta- gen, schleppen, schrauben, tasten, taumeln, kreisen, wäl- culata - bzw. 18-22 (54,3 %) und damit hohe Anforde- zen, wühlen, zittern und zucken. Selten wird dabei auf rungen an die Zungenfertigkeit. Im Gegensatz zur Länge die geographische Herkunft Bezug genommen, wie bei der Artnamen, die einer klassischen Normalverteilung Asiatisches, Aethiopisches bzw. Libysches Haarthier- entspricht, werden die Gattungsnamen seit den 1930er chen, Copenhagener Stelzenglöckchen oder Habessini- Jahren immer länger. Offenbar lässt sich die Empfehlung sches Doppelgöckchen, unbestimmbaren Arten von EH- des ICNZ (1999, Anh. E), kurze - Linne sprach von ei- 391 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at ner Höchstzahl von 12 Buchstaben (zit. n. RICHTER nendes Element, gr. kinetikos beweglich); (2) Namen 1948: 96) - und im Lateinischen wohlklingende Namen griechischen Ursprungs ohne latinisierende Endung (Co- zu bilden, nicht mehr einhalten. Komplizierte Namen metodendron, gr. kometes Haarstern, Komet, gr. dendron wie Ichthyophthirius werden dementsprechend im Labor- Baum); (3) Beschreibende Neubildungen (s. Vor- und jargon, also soziolektal schlicht zu „Ichthy" verkürzt (vgl. Nachsilben); (4) Geographische Beziehungen (Australa- AESCHT 2001). PRINZINCER (1999) nennt als weiteres na, Bakuella); (5) Merkmale, Beschaffenheit {Amphileptus, viel zitiertes Slang-Beispiel „Ikolai", die amerikanisierte gr. amphi zu beiden Seiten, leptos dünn; Elephantophilus, Version des Coli-Bakteriums Escherichia coli. lat. elephantus Elefant, gr. philos freund, lieben); (6) Per- sonennamen {Bardeliella, llsieüa). Im 19. Jahrhundert wur- Einen geringen Bekanntheitsgrad scheinen auch die de vor allem berühmten Naturforschern damit ein Denk- anderen Empfehlungen zur Bildung der Namen zu haben: mal gesetzt, im 20. erfolgte insofern eine „Demokratisie- So soll die Vorsilbe pseudo- nur in Zusammensetzungen rung", als auch Sammler der Proben oder wichtige Perso- mit einem griechischen Substantiv oder Adjektiv be- nen aus dem privaten Umkreis in zoologische Namenre- nutzt werden, nicht aber bei einem Namen, der auf ei- gister Eingang fanden. Überdies haben ausgefallene Per- nem Eigennamen beruht (1CZN 1999, Anh. E 13); dem sonennamen den Vorteil, dass sie keine „Konkurrenten" widerspricht Pseudobuetschlia und Pseudokahliella. Auch (hier Homonyme) zu haben pflegen. Immerhin bestand die Endungen -ides und -oides sollen nicht zusammen noch nicht allzuoft der Zwang den vollen Taufnamen zu mit Eigennamen angewandt werden (ICZN 1999, Anh. verwenden wie bei Oxytricha alfredkahli. E 14), z. B. Bresslauides, Foissnerides und Woodruffides. Be- sonders häufig werden für die Bildung zusammengesetzter Im 20. Jahrhundert fallen zunehmend serielle Wort- Gattungsbezeichnungen Eigennamen verwendet, ob- bildungen auf, die wohl mit der Last der vielen neu zu wohl dies unerwünscht ist (ICZN 1999, Anh. E 15), z. B. schaffenden Namen infolge der zahlreicheren und ge- naueren Beobachtungen zusammenhängen, gleichzeitig Cheissiniophrya, Gajewskajophrya, Parakahliella, Spirobuet- aber durch die Bezüge zum „ursprünglichen" Namen schliella. wohl als Merkhilfe dienen sollen: z. B. Acineta (Ant/i-, Die mangelnde Übersicht durch fehlende Kataloge Armiacineta, Conch-, Crypt-, Delt-, Dent-, Disc-, Fleet-, führt zur Errichtung leicht verwechselbarer Namen wie Liss-, Lit-, Met-, Mir-, Nemat-, Par-, Pelag-, Phyll-, Praethe-, Cothumopsis ENTZ 1884 / Cothumiopsis STOKES 1893, Pa- Rim-, Semi-, Sibir-, Spars-, Thee-, Trin-, Veracineta), Col- ractedectoma SMALL & LYNN 1985 / Paractedoctema SONG poda (Apo-, Corallo-, Cortico-, Cosmo-, Idiocolpoda), Spa- & WlLBERT 2000 und Bicoronella FoiSSNER 1995 / Bicor- thidium (Apo-, Arcuo-, Epi-, Para-, Prow-, Semi-, Supras- nella BUGROVA 2003. Ein lässiger Umgang mit der pathidium, Spathidiodes, Spathidioides, Spathidiosus). Na- Schreibweise und die Ignoranz gegenüber der Behand- mensketten erscheinen demnach unvermeidlich. lung von Sonderzeichen (vgl. CORLISS 1962, 1972; Die wichtigsten Vor- und Nachsilben sind (gereiht AESCHT 2001) verursachen jedenfalls einen beträcht- nach der Häufigkeit des Vorkommens; angegeben ist lichen Mehraufwand bei Revisionen und der Pflege von auch die deutsche Bezeichnung): para- (69; neben, bei), Datenbanken. trich- / -thrix (60; Haar), -cola (58; Bewohner; bewoh- Gattungsnamen bestimmen das Geschlecht des fol- nend), -stoma (49; Mund, Maul, Öffnung), uro- (41; genden Artnamens, falls dieser (wie meist) adjektivisch Schwanz), pseud- (40; falsch, unwahr), pro- (33; vor), ist. Interessanterweise sind davon (n = 1492) 65 % weib- styl- (32; Säule, Griffel, Stiel, Stütze), spir- (29; Win- lich, 19 % sächlich und 16 % männlich. Natürlich wäre dung, Geflecht, Netz), chil- (28; lippig), -coma (23; es ein Fehlschluss anzunehmen, das grammatikalische Haupthaar), -ophrys (23; Augenbraue), epi- (20; auf, zu, Geschlecht müsse etwas mit dem natürlichen Ge- über, daran, dazu), phil- (20; anziehend, liebend), phor- schlecht zu tun haben, das es bei Protozoen im Sinne der (20; tragend), long- (18; lang), proto- (17; erster, vorder- „höheren" Tiere gar nicht gibt. Im Vergleich zu anderen ster, wichtigster), cycl- (16; Ring, Kreis, Bogen), -formis Tiergruppen fällt aber auf, dass bei den Fischen maskuli- (16; förmig), micr- (16; klein), thigm- (16; Berührung), ne Formen verstärkt vorkommen, während bei den Vö- nucl- (15; Kern), amphi- (14; beiderseits, rundum), mul- geln keine neutralen Formen auftreten (HENTSCHEL & ti- (14; viele), caud- (13; Schwanz), ento- (13; inner- WAGNER 1996:32). halb), -cirrus (12; Locke, Franse), crypt- (12; verbergen, verhüllen), dent- (12; Zahn), -soma (12; Körper), nyeto- Herkunftsmäßig entstammen die meisten Gattungs- (12; Nacht), blephar- (11; Augenlid; Wimper), giga- (11; namen der griechischen Sprache, zahlreiche der lateini- Riese, Riesenwuchs), mono- / moni- (11; ein), camp- schen und wenige sind aus anderen Sprachen stammende (10, Glocke), pleuro- (10; Seite des Körpers, Weichen, sogenannte Vernakularnamen; auch Anagramme und Rippen), dendr- (10; Baum), holo- (10; ganz), ceph- (9; Phantasienamen wurden noch kaum ausgeschöpft. Her- Kopf), hemi- (9; halb), poly- (9; viel). kunft und Motiv lassen sich wie folgt gruppieren, wobei manche Namen zwei Rubriken zugeordnet werden kön- Die Mehrzahl der Artnamen sind abgeleitet von: (1) nen: (1) Ursprüngliche Adjektive (Acineta, a-, vernei- besonderen Merkmalen (z. B. acuminata, ovalis, elonga- 392