Meinolf Bachmann Andrada El-Akhras Lust auf Abstinenz Ein Therapiemanual bei Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit Meinolf Bachmann Andrada El-Akhras Lust auf Abstinenz Ein Therapiemanual bei Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit Mit 48 Arbeits- und Infoblättern 123 Dr. phil. Meinolf Bachmann, Psychologischer Psychotherapeut LWL Kliniken, Bernhard-Salzmann-Klinik Im Füchtei 150 33334 Gütersloh E-Mail: [email protected] Dipl.-Psych. Andrada El-Akhras Lippische Nervenklinik Dr. Spernau Waldstraße 2 32105 Bad Salzuflen ISBN 978-3-540-89225-0 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfil- mung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätz- lich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2009 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Renate Scheddin Projektmanagement: Renate Schulz Lektorat: Volker Drüke, Münster Layout und Einbandgestaltung:deblik Berlin Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg SPIN: 12539086 Gedruckt auf säurefreiem Papier 2126 – 5 4 3 2 1 0 V Vorwort Während unserer Arbeit mit alkohol-, medikamenten- und drogenabhängigen Patienten stand immer wieder die Frage im Mittelpunkt, wie es möglich ist, dauerhaft »zufrieden aabs- tinent« zu leben. Vor diesem Hintergrund entwickelten wir in stetiger Zusammenarbeit mit Patienten die in diesem Buch zusammengestellten Arbeitsblätter. Die kürzeren Therapiezeiten machen ein, vom Anfang bis zum Ende der Behandlung, inhaltlich gezieltes und strukturiertes Vorgehen erforderlich. Um dies zu realisieren, wählten wir folgende Vorgehensweise: Anhand der jeweiligen suchtspezifischen Themen wurden zentrale Fragestellungen im Rahmen von Projekten und offenen Beantwortungen erarbeitet. Itemsammlungen erfolgten mit Hilfe der Patienten und im ständigen Austausch mit therapeutischen Mitarbeitern sowie Fachpflege- schülern für Suchterkrankungen und Studierenden der Fachhochschule für Sozialarbeit. Ihnen allen gilt unser Dank. Die so entstandenen ersten Entwürfe/Fassungen wurden mehrfach erweitert und modifi- ziert. In den Arbeitsmaterialien wird noch immer nach weiteren Anregungen und bisher nicht genannten Sachverhalten gefragt, was eine ständige Weiterentwicklung und Verbesserung des Materials gewährleistet. Es wurde eine E-Mail-Adresse angegeben, damit auch Sie – die Leser – uns über Ihre Arbeitsresultate informieren können. Um die Arbeitsblätter und Fragebögen in ein Gesamtkonzept einzubetten, wird zu Beginn ein kurzer Überblick über das Bild der Erkrankung, die Entstehungsgeschichte und mögliche Ursachen gegeben. Das Manual stützt sich auf die im ersten Kapitel erklärten theoretischen Ansätze und ist integrativ, schwerpunktmäßig kognitiv-verhaltenstherapeutisch orientiert. Um sowohl Betroffene als auch Behandelnde anzusprechen, wurde eine möglichst klare, ein- gängige Sprache verwendet. Das so entstandene Handbuch wurde in der Entzugs- bzw. Ent- wöhnungsbehandlung einzel- und gruppentherapeutisch von insgesamt sieben Therapeuten (fünf Psychologen bzw. Psychologinnen und zwei Sozialarbeiterinnen) über mehrere Jahre praktisch eingesetzt. Ein Leben ohne Suchtmittel ist ja für jeden erfahrbar. Der Titel »Lust auf Abstinenz« weckte bei uns das Bedürfnis, ein »Selbstexperiment« durchzuführen, um die idealisierte Zielsetzung dieser Aussage zu erproben. Wir machten dabei vielfältige positive Erfahrungen mit der Abstinenz und erkannten, wo für uns selbst »Rückfallgefahren« lauerten. Ein besonderer Dank geht an die Diplom-Sozialarbeiterin/Suchttherapeutin (VDR) Anita Obeloer für die geduldige und kollegiale Unterstützung sowie Herrn Klaus Ipse für seine Hilfe bei der Textgestaltung. Den Mitarbeitern des Springer-Verlages Renate Scheddin (Pro- grammplanung), Renate Schulz (Projektmanagement) und Volker Drüke (Lektorat) danken wir besonders herzlich für die vielfältigen Anregungen und Ideen zur Fertigstellung des Buches. Meinolf Bachmann und Andrada El-Akhras Gütersloh und Bad Salzuflen, im April 2009 VII Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 4.2 Konfliktbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1.1 Theoretischer Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Arbeitsblatt: Konfliktbewältigung . . . . . . . . . . 56 1.2 Diagnosekriterien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 4.3 Thema Partnerschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1.3 Entzugssyndrom (F1X3). . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Arbeitsblatt: Alleinstehende mit Interesse 1.4 Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 an einer Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1.4.1 Intrapsychische Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . 5 Arbeitsblatt: Fünf Auslöser für Streit in der 1.4.2 Rückfallverhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Partnerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 1.4.3 Verhaltensmodell (Konditionierungsmodell) . . . 6 Patient/Partner-Übereinstimmungsbogen . . . . . 64 1.5 Suchtkranke in Behandlung . . . . . . . . . . . . . . 7 4.4 Rollenspiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1.6 Das Suchtmodell und die therapeutischen Arbeitsblatt: Rollenspiele . . . . . . . . . . . . . . . 71 Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.6.1 Therapeutische Schlussfolgerungen. . . . . . . . . 9 5 Gefühle zeigen – »Gefühlskiste« . . . . . . . . . 77 1.6.2 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 1.6.3 Krankheitseinsicht und Abstinenz . . . . . . . . . . 10 Arbeitsblatt: Wirkung des Suchtmittels 1.6.4 Psychotherapie der Ursachen (1. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 und die Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Arbeitsblatt: Folgeerscheinungen (2. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2 Therapiebeginn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Arbeitsblatt: Verbesserung des Umgangs Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 mit Gefühlen (3. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.1 Die erste Zeit des Entzugs und der Entwöhnung . 14 Arbeitsblätter: Einschätzung der Gefühle Arbeitsblatt: Hilfreiche Aktivitäten im Entzug – inbestimmten Situationen (4. Sitzung) . . . . . . . 85 Nähe zum Suchtmittel vermeiden . . . . . . . . . . 16 Arbeitsblatt: Das Suchtverhalten verändert 6 Geld zum Thema machen . . . . . . . . . . . . . . 93 Prozesse im Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.2 Therapieabbruchgefahr. . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Arbeitsblatt: Bewertungen und Einstellungen Arbeitsblatt: Therapieabbruchgefahr (TAG)/ zum Thema Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Selbsteinschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Infoblatt: Geld zum Thema machen . . . . . . . . . 98 2.3 Therapieplanung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Arbeitsblatt: Was möchte ich im Umgang Arbeitsblatt: Therapieplanung – eigene Ziele mit dem Geld konkret verbessern? . . . . . . . . . . 99 benennen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Arbeitsblatt: Schuldenbilanz und Regulierung . . 100 Arbeitsblatt: Den Überblick behalten/ 3 Therapieüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Tagesausgabenprotokoll und Monats- Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 haushaltsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.1 Weg in die Sucht: Stationen der Suchtentwicklung und des Therapieprozesses. . . . . . . . . . . . . . . 33 7 Rückfallverhütung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Arbeitsblatt: Die Einstiegs- und Suchtphase. . . . 33 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2 Selbsteinschätzungsskalen: Therapieschritte 7.1 Rückfallmodell: Möglicher Verlauf bei einer und Fragestellungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 Rückfallgefährdung (Marlatt 1985) . . . . . . . . . . 107 Arbeitsblatt: Therapiemotivation (TMO) . . . . . . 36 Arbeitsblatt: Ausgewogener Lebensstil . . . . . . 108 Arbeitsblatt: Krankheitseinsicht (KE) . . . . . . . . 40 7.2 Rückfall »um sechs Ecken« . . . . . . . . . . . . . . . 111 Arbeitsblatt: Therapie der Ursachen (TdU)/ Arbeitsblatt: Scheinbar unbedeutende Was soll zukünftig anders sein? . . . . . . . . . . . . 44 Entscheidungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Ergebnisse früherer Gruppen . . . . . . . . . . . . . 112 4 Beziehungen und soziale Kompetenzen. . . . 49 7.3 Rückfallmodell: Fehlende Krankheitseinsicht/ Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Wachsamkeit (Bachmann 1993). . . . . . . . . . . . 113 4.1 Beziehungen: Wie können wir die Beziehungen Arbeitsblatt: Krankheitseinsicht zu anderen Menschen gestalten?. . . . . . . . . . . 50 und Wachsamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Arbeitsblatt: Fünf Voraussetzungen für eine gute Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 VIII Inhaltsverzeichnis 7.4 Entscheidungssituation bei Rückfälligkeit . . . . . 115 9 Übergang: Therapieabschluss Arbeitsblatt: Vorteile der Abstinenz in die und Nachsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Waagschale werfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 Ergebnisse früherer Gruppen . . . . . . . . . . . . . 117 9.1 Hilfestellungen für Patienten, die eine 7.5 Erkenntnisse und Gedanken zur Rückfall- (teil)stationäre Therapie hinter sich haben . . . . . 157 prävention(Lindenmeyer 2005a; Meyer u. Arbeitsblatt: Die Zeit nach der Behandlung . . . . 157 Bachmann 2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 9.2 Selbsteinschätzung: Was müssen Sie beachten, Arbeitsblatt: Wie kann man einem Rückfall wenn die Therapie zu Ende ist? . . . . . . . . . . . . 161 vorbeugen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Arbeitsblatt:Stimmungsüberprüfung . . . . . . . 161 7.6 Rückfallauslöser. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Zusätzliches Arbeitsblatt: Vervielfältigung . . . . 163 7.7 Rückfallrisiken und ihre Bewältigung . . . . . . . . 122 9.3 Zusammenfassung: Was nehme ich mir für die Zeit Arbeitsblatt: Was sind persönliche Rückfall- nach der Therapie vor? . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 risiken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Arbeitsblatt:Die Zeit nach der Therapie . . . . . . 164 Arbeitsblatt: Wie sind Risiken zu bewältigen?. . . 125 9.4 Selbsthilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 7.8 Zusammenfassung Rückfallgefährdung/ Arbeitsblatt: Selbsthilfegruppe besser gestalten 166 Bewältigungsstrategien. . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Infoblatt: Gesprächsregeln – eine Zusammen- Arbeitsblatt: Abschließende Ergebnisse . . . . . . 128 arbeitvon Patienten und Therapeuten . . . . . . . 167 7.9 Planung und Ausarbeitung einer Notfallkarte. . . 129 Arbeitsblatt: Wöchentliches Zufriedenheits- Arbeitsblatt: Kurzfristiges Auffangengefährlicher barometer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Situationen (1. Sitzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Infoblatt: Günstige und ungünstige Verhaltens- Arbeitsblatt: Längerfristige Stabilisierung weisenin Selbsthilfegruppen . . . . . . . . . . . . . 169 und Behebung der Ursachen (2. Sitzung). . . . . . 131 Infoblatt: Gestaltung der Notfallkarten 10 Schlusswort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 und praktische Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Notfallkarten von Patienten . . . . . . . . . . . . . . 135 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 A.1 Gruppenleben: Regeln im stationären Bereich – 8 Alternativen zumSuchtverhalten: Struktur eine Zusammenarbeit von Patienten und Aktivitätsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 und Therapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 A.2 Wöchentliches Stimmungsbarometer . . . . . . . . 175 8.1 Info- und Arbeitsblätter mit Beispielen . . . . . . . 139 Infoblatt: Struktur- und Aktivitätsplan – Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Alternativen zum Suchtverhalten. . . . . . . . . . . 139 Zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 Arbeitsblatt A: Alternativen, die es schon vor Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 der Suchtproblematik gab . . . . . . . . . . . . . . . 141 Arbeitsblatt B: Auflisten von neuen Alternativen 142 Infoblatt: Auflistung von alltäglichen Aktivitäten (Beispiele). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Infoblatt: Auflistung von Highlights (Beispiele). . 146 8.2 Zwischenbilanz und Eintragung in die Wochenpläne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Arbeitsblatt: Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . 147 8.3 Struktur- und Aktivitätsplan . . . . . . . . . . . . . . 148 Arbeitsblatt: Wochenplan . . . . . . . . . . . . . . . 149 8.4 »Idealbeispiel« für einen Struktur- und Aktivitätsplan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 1 1 Einleitung 1.1 TheoretischerÜberblick –3 1.2 Diagnosekriterien –3 1.3 Entzugssyndrom(F1X3) –4 1.4 Erklärungsmodelle –4 1.4.1 IntrapsychischeErklärung –5 1.4.2 Rückfallverhütung –5 1.4.3 Verhaltensmodell(Konditionierungsmodell) –6 1.5 SuchtkrankeinBehandlung –7 1.6 DasSuchtmodellunddietherapeutischenSchlussfolgerungen –7 1.6.1 TherapeutischeSchlussfolgerungen –9 1.6.2 Motivation –9 1.6.3 KrankheitseinsichtundAbstinenz –10 1.6.4 PsychotherapiederUrsachenunddiePerspektive –11 2 Kapitel1·Einleitung In diesem Arbeitsheft sind Informationen und Auf- freies Leben zu verwirklichen, sind in vielfältiger Weise 1 gabenmaterialien zur Psychotherapie von substanz- Alternativen zum Suchtverhalten aufzubauen. So wird gebundenen Abhängigkeitserkrankungen zusammen- der »Stellenwert« des Suchtverhaltens im Belohnungs- gestellt. Dieses Kapitel bietet einen kurzen Überblick system drastisch reduziert. Nicht der Verzicht steht im bezüglich der (theoretischen) Annahmen zur Entste- Vordergrund der Betrachtung, sondern die Vorteile der hung und Therapie substanzgebundener Abhängig- Abstinenz oder sogar die »Lust auf Abstinenz«. Ziel ist keiten. Er stellt eine Grundlage dafür dar, die Arbeits- es, an vielen anderen Lebensaspekten wieder Interesse materialien sinnvoll in einen größeren Zusammenhang und Freude zu gewinnen. Zudem ist eine gewisse Wach- einzuordnen. Die Unterlagen dienen zur Vorbereitung samkeit aufrechtzuerhalten, da Rückfallrisiken dauer- auf Therapien, als Aufgabenstellungen und Gesprächs- haft fortbestehen. grundlage in Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen und Es hat sich als sinnvoll erwiesen, Arbeitsdurchgänge stationären oder teilstationären Einrichtungen. Sie struk- in verschiedenen Therapiephasen zu wiederholen, um turieren von Beginn bis zum Ende den Behandlungs- Einsichten zu vertiefen und sich intensiv um die Um- ablauf, stellen ein Gesamtkonzept dar und finden in setzung geplanter Vorhaben zu bemühen. Die Arbeits- Einzel- und Gruppenverfahren Anwendung. Teilweise materialien bieten die Grundlage für eine gründliche überschneiden sich Fragestellungen, die eher im ambu- Auseinandersetzung mit den Suchterlebnissen und ge- lanten oder stationären Bereich anzusiedeln sind. Wenn planten Veränderungen. eine Trennung möglich ist, sind die Unterschiede ge- Das Heft ist so gestaltet, dass nach einer Einführung kennzeichnet. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass in in das jeweilige Thema Aufgaben zu bearbeiten und der Suchttherapie Übergänge fließend sind: Zum einen dann die Ergebnisse häufig mit vorgegebenen Lösungen werden Patienten aus ambulanter Behandlung und oder Arbeitsergebnisse anderer Patienten zu vergleichen Selbsthilfegruppen auf stationäre Therapien vorbereitet, sind. Falls Ihnen eine Aufgabenstellung unklar bleibt, ist zum anderen kehren Patienten nach einer abgeschlos- »Blinzeln« nach den Lösungen erlaubt. Scheuen Sie nicht senen stationären Therapie in die Nachsorge dorthin davor zurück, Fragen zu Aufgaben zu stellen, Kritik zu zurück. Vom Erstkontakt bis hin zur Nachsorge bilden üben und Ergänzungsvorschläge zu machen. Die Thera- die unterschiedlichen Institutionen ein Netz bzw. eine peuten und Autoren sind für jede Anregung dankbar. Behandlungskette. Gesundheitsämter, Ärzte oder sozia- Nutzen Sie die E-Mail-Adresse, um mit uns zu kommu- le Dienste von Betrieben vermitteln Suchtkranke in Be- nizieren. Weitere wichtige Grundsätze für den Umgang ratungsstellen, Kliniken und Selbsthilfegruppen. Die mit diesem Arbeitsheft sind: während der Therapie aufrechterhaltenen Kontakte zwi- 4 Möglichst viele Menschen mit einbeziehen: Alleine schen Entsendestellen und Behandlungsstätten garan- schafft es keiner! tieren eine optimale Wiedereingliederung und Nachbe- 4 Lösen der Aufgaben, z.B. in kleinen Gruppen (ca. treuung, so dass Behandlungserfolge längerfristig stabi- 3–5 Personen), und dabei laut denken. Das »Durch- lisiert werden. sprechen« ist schon ein wichtiges Ziel an sich. Grö- Die Arbeitsmaterialien umfassen die Zeit des Ent- ßere Gruppen (ca. 10–12 Personen) eignen sich dazu, zugs und der Entwöhnung, beziehen die Gefahr des in die jeweilige Thematik einzuführen und das ge- Therapieabbruchs ein und betonen die Bedeutung einer meinsame Arbeitsergebnis (z.B. auf einer »Wandzei- konsequenten Therapieplanung. Das Suchtmodell, das tung«) darzustellen und zu diskutieren. Motivation, Krankheitseinsicht und Therapie der Ur- 4 Langsames und gründliches Durcharbeiten. sachen berücksichtigt, ist dabei zentral. Darauf folgen 4 Wiederholen der Aufgaben in verschiedenen Thera- Aufgabenstellungen zum Thema Beziehungen, ins- piephasen. besondere Partnerschaft, sowie zum Erkennen und 4 Korrekturen und Ergänzungen an vorherigen Ausar- Äußern von Gefühlen und deren Zusammenhänge mit beitungen vornehmen. dem Suchtverhalten. Eine häufige Ursache von Kon- flikten ist der Umgang mit Geld, und eine frühzeitige Keine Angst vor schriftlichen Aufgaben! Es sind jeweils Auseinandersetzung mit finanziellen Problemen ist an- nur Stichworte nötig. Dabei kommt es nicht auf die gezeigt. In den letzten Jahren hat sich die Suchtforschung Rechtschreibung oder eine schöne Schrift an. Falls es intensiv mit der Rückfallverhütung und den suchtspe- Probleme beim Lesen bzw. Schreiben gibt, sind andere zifischen neurobiologischen Veränderungen des so ge- bestimmt behilflich. nannten Belohnungssystems im Gehirn auseinander- Dieses Therapiebegleitheft ist stark praxisorientiert gesetzt. Wie ist die Abstinenz dauerhaft zu sichern, und gestaltet. Dies hat nicht zur Folge, dass andere Fach- wie sind Risiken frühzeitig zu erkennen? Abhängigkeit literatur überflüssig ist. Es ist empfehlenswert, sich einen bedeutet, viele andere Dinge nicht zu tun. Um ein sucht- größeren Überblick über die vorhandene Literatur zu 1 3 1.2·Diagnosekriterien den Theorien zum Krankheitsbild und therapeutischen nommen (Glaeske u. Janhsen 2002; Hoffmann u.Glaeske Vorgehen zu verschaffen. Vorschläge und Hinweise dazu 2006).Anzunehmen ist, dass in Deutschland ca. 1,4Mio. sind im Literaturverzeichnis vorhanden. Menschen von Medikamenten mit Suchtpotenzial ab- An dieser Stelle müssen wir betonen, dass Psycho- hängig sind, und zwar 1,0–1,1Mio. Menschen von Ben- therapie keine notwendigen medizinischen Maßnahmen zodiazepin-Derivaten und etwa weitere 300.000 von ersetzen kann. Entzugs- bzw. Entgiftungsmaßnahmen anderen Arzneimitteln. Andere Schätzungen gehen von sollten immer unter medizinischer Kontrolle geschehen. bis zu 1,9Mio. Medikamentenabhängigenaus (Soyka Generell hat eine Abklärung gesundheitlicher Begleiter- et al. 2005). scheinungen und Folgen der Suchtkrankheit stattzu- Das Risiko einer Abhängigkeit von Benzodiazepinen finden. und anderen Hypnotika/Sedativa steigt ab dem 40. Le- Der nachfolgende Aufsatz gibt einen kurzen frag- bensjahr stark an. Es sind doppelt so viele Frauen von mentarischen (nicht auf Vollständigkeit abzielenden) einer Medikamentenabhängigkeit betroffen wie Män- Überblick bezüglich der (theoretischen) Annahmen zur ner. Stimulanzien werden hingegen vermehrt von jünge- Entstehung und Therapie stoffgebundener Abhängig- ren Patienten eingenommen, wobei ein mittleres Alter keiten. Er stellt eine Grundlage dar, die Arbeitsmateria- von 26,6 Jahre festzustellen war (Elsesser u. Sartory lien sinnvoll in einen größeren Zusammenhang einzu- 2001). Die Zahl derAbhängigen illegaler Drogen(im ordnen. Alter von 18–59 Jahren) in Deutschland beläuft sich auf ca. 300.000. Weitere Ergebnisse des Epidemiologischen Suchtsurveys (Kraus et al. 2005) ergaben, dass der Kon- 1.1 TheoretischerÜberblick sum von Cannabis, Amphetaminen, Ecstasy und Koka- in/Crack der 18-bis 39-Jährigen von 1986 bis 2003 signi- In derkleinen Gruppe oder für eine stille Einzelarbeit: fikant gestiegen ist. In der Stichprobe wurden 1,1% als Unterstreichen Sie, was Ihnen wichtig erscheint, und cannabisabhängig und 0,1% als kokainabhängig ein- machen Sie Fragezeichen, wo Sie etwas nicht verstanden gestuft. Der zunehmende Gebrauch illegaler Drogen ist haben. Haben Sie keine Scheu, falls Sie etwas nicht ver- vor allem auf einen zwischenzeitlichen Anstieg des Can- stehen (etwa Fremdwörter), nachzufragen, andere um nabiskonsums zurückzuführen. Neuere Trendbeobach- Hilfe zu bitten! tungen sprechen eher für eine Stabilisierung des Kon- Dieser Text soll dazu dienen, die nachfolgenden Ar- sums illegaler Drogen (Kraus et al. 2008). beitsmaterialien in einen größeren Zusammenhang ein- Die Frage, wie häufig in Deutschland lebende Mig- zuordnen. Die weitere Vorgehensweise in diesem Thera- ranten (über 7 Mio. Ausländer, 5 Mio. Aussiedler) von piebegleitheft gestaltet sich dann wesentlich »prakti- einer Suchterkrankung betroffen sind, kann aufgrund scher«. Es sind überwiegend konkrete Projekte und unzureichender Informationen bisher nur anhand von Aufgabenstellungen zu bearbeiten. Schätzungen beantwortet werden. Diesen zufolge ent- In den westlichen Industrienationen stellt die Alko- spricht der Anteil abhängiger Migranten (ca. 3–5%) etwa holabhängigkeit bei Männern die häufigste und bei dem der deutschen Bevölkerung (Baetz 2002). Aus die- Frauen nach Angststörungen die zweithäufigste psy- sem Grund müssen Sprachprobleme im Therapieange- chische Erkrankung dar (Wittchen et al. 1992). Einer bot berücksichtigt werden. repräsentativen Studie im Auftrag des Bundesministeri- ums für Gesundheit zufolge (Kraus u. Bauernfeind 1998; Bühringer u. Kraus 1999) sind etwa 3% der erwachsenen 1.2 Diagnosekriterien Bevölkerung in Deutschland (1,5Mio.) als alkoholab- hängig einzustufen und weitere 5% (2,4Mio.) als Alko- Für die Diagnose einer Substanzabhängigkeit sind, an- holmissbraucher. Zusätzlich besteht bei etwa 4–5% aufff- gelehnt an die ICD-10 (Diagnosekriterien) der Weltge- grund häufig verordneter Arzneimittel ein erhöhtes sundheitsorganisation (Dilling et al. 1991), die in der Suchtpotenzial. Psychotrope (psychisch wirksame) Arz- Übersicht aufgeführten Kriterien anzuwenden, wobei neimittel wie z.B. Schlafmittel und Tranquilizer vom mindestens drei der Kriterien innerhalb des jeweils ver- Benzodiazepin- und Barbitursäure-Typ, zentral wirken- gangenen Jahres gleichzeitig vorhanden gewesen sein de Schmerzmittel, kodeinhaltige Medikamente oder müssen. auch Psychostimulanzien sind rezeptpflichtig. Ein recht hoher Anteil dieser Mittel – Schätzungen gehen bis zu einem Drittel – wird nicht wegen der diagnostizierten Probleme, sondern aufgrund einer hohen Gewöhnung und zur Vermeidung von Entzugserscheinungen einge- 4 Kapitel1·Einleitung tanz wiederholt, über einen längeren Zeitraum oder in 1 DiagnosekriterienfüreineAbhängigkeit hoher Dosierung konsumiert wurde. Sie zeigen sich nachICD-10 nicht nur nach völligem Absetzen der Substanz, sondern 4 StarkerWunschodereineArtinnererZwang, bereits nach relativem Entzug, also einer Reduktion der psychotrope(psychischwirksame)Substanzen Einnahme. Das Entzugssyndrom ist immer eine zeitlich zukonsumieren. begrenzte Störung. Neben körperlichen Symptomen 4 VerminderteKontrollfähigkeitbezüglichdes (z.B. Zittern, Schweißausbrüche, Übelkeit und Wahr- Beginns,derBeendigungundderMengedes nehmungsstörungen) sind oft psychische Störungen Konsums. (z.B. Angst, Depression oder Schlafstörungen) vorhan- 4 KörperlichesEntzugssyndrombeiBeendigung den. Eine Besserung der Symptome ergibt sich bei er- oderReduktiondesKonsums,nachgewiesen neutem Substanzkonsum. durchdiesubstanzspezifischen Entzugssympto- meoderdurchdieEinnahmederselbenoder einernaheverwandtenSubstanz,umEntzugs- DiagnosekriterienfürdasEntzugssyndrom symptomezumildernoderzuvermeiden. F1X3nachICD-10 4 NachweiseinerToleranz:Umdieursprünglich 4 NachweisdesAbsetzensoderReduzierenseiner durchgeringereDosenerreichtenWirkungen Substanznachwiederholtemundmeistlang hervorzurufen,sindgrößereMengendesSucht- anhaltendemKonsuminhoherDosierungoder mittelserforderlich. auchnurnachKonsumgroßerMengen. 4 FortschreitendeVernachlässigungandererVer- 4 SymptomeundAnzeichen,diedenbekannten gnügenoderInteressenzugunstendesSub- MerkmaleneinesEntzugssyndromsderbetrefff- stanzkonsums;erhöhterZeitaufwand,die fendenSubstanz(en)entsprechen. Substanzzubeschaffen,zukonsumierenoder 4 NichtdurcheinevomSubstanzgebrauchun- sichvondenFolgenzuerholen. abhängigekörperlicheKrankheitzuerklären 4 AnhaltenderSubstanzkonsumtrotzNachweis undnichtbesseraufeineanderepsychische eindeutigerschädlicherFolgen,wiez.B.Leber- oderVerhaltensstörungzurückzuführen. schädigunginFolgestarkenSubstanzkonsums oderVerschlechterungkognitiverFunktionen (z.B.Konzentrations-undGedächtnisstörungen). Als Komplikation des Entzugssyndroms können z.B. Krampfanfälle oder delirante Zustände (Entzugssyn- drom mit Delir F1X4) auftreten. Die Diagnose sollte in Eine Faustregel lautet (Lindenmeyer 2005a): Abhängig diesem Fall durch den Schweregrad der Störung ge- ist, wer den Konsum einer psychisch wirksamen Subs- rechtfertigt sein. Je nach konsumierter Substanzklasse tanz nicht beenden kann, ohne dass unangenehme Zu- können unterschiedliche Entzugserscheinungen auf- stände körperlicher oder psychischer Art eintreten, oder treten. wer den Konsum des Suchtmittels nicht einstellen kann, obwohl er sich oder anderen immer wieder schweren Schaden zufügt. 1.4 Erklärungsmodelle Es existieren keine einheitlichen Störungsmodelle für 1.3 Entzugssyndrom(F1X3) die Entstehung und Aufrechterhaltung substanzge- bundener Abhängigkeiten. Ein bio-psycho-sozialer Er- Das Entzugssyndrom (Syndrom =Ansammlung be- klärungsansatz scheint am ehesten geeignet zu sein, die stimmter Symptome) ist, wie beschrieben, ein Kriterium Entstehung und Aufrechterhaltung von Alkoholabhän- des Abhängigkeitssyndroms. Liegt diagnostisch eine Ab- gigkeit und anderen substanzgebundenen Abhängig- hängigkeit vor, ist grundsätzlich auch ein Entzugssyn- keiten zu beschreiben. In einem Teufelskreismodell drom als Diagnose in Betracht zu ziehen. Das psychische (.Abb.1.1) geht Küfner (1981) davon aus, dass die po- und körperliche Erscheinungsbild ist abhängig von der sitive Wirkung einer spannungslösenden und/oder konsumierten Substanz. Die ICD-10 definiert daher ne- euphorisierenden Substanz jeweils von unterschied- ben allgemeinen Diagnosekriterien für das Entzugs- lichen negativen Folgen (psychisch, körperlich, sozial) syndrom substanzbezogene Kriterien, z.B. für Alkohol, begleitet ist, die wiederum, um diese zu lindern, ein er- Sedativa/Hypnotika und Opiode. Die Symptome sind in höhtes Verlangen nach der Substanz begünstigen. Posi- der Regel zu beobachten, wenn eine psychotrope Subs- tive Wirkungen sind z.B. Entspannung, Beruhigung