Hubert Heinelt · Angelika Vetter (Hrsg.) Lokale Politikforschung heute Stadtforschung aktuell Band112 Herausgegeben von Hellmut Wollmann Hubert Heinelt Angelika Vetter (Hrsg.) Lokale Politikforschung heute Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1.Auflage 2008 Alle Rechte vorbehalten © VSVerlag für Sozialwissenschaften | GWVFachverlage GmbH,Wiesbaden 2008 Lektorat:Katrin Emmerich / Sabine Schöller VS Verlag für Sozialwissenschaften ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werkeinschließlichallerseiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmungdes Verlags unzulässig und strafbar.Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,Übersetzungen,Mikroverfilmungen und die Einspei- cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen,Handelsnamen,Warenbezeichnungen usw.in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung:KünkelLopka Medienentwicklung,Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-531-15803-7 Inhaltsverzeichnis Hubert Heinelt und Angelika Vetter: Einleitung.............................................................................................................7 1. Kommunale Interessen und nationale Politik Angelika Vetter und Lars Holtkamp: Lokale Handlungsspielräume und Möglichkeiten der Haushaltskonsolidierung in Deutschland..........................................................19 Werner Pleschberger: „Schutz“ der kommunalen Finanzen. Zur Bewältigung einer föderalen „Asymmetrie“ am Beispiel des österreichischen Konsultationsmechanismus (Stabilitätspakts)...................................................51 2. Lokale Politik und Europäische Integration Karsten Zimmermann: Cities for growth, jobs and cohesion”. Die implizite Stadtpolitik der EU.........79 Hubert Heinelt und Stefan Niederhafner: Städte und organisierte Interessenvertretung im EU-Mehrebenensystem.......103 3. Regionalisierung lokaler Politik, Dezentralisierung sowie Gebiets- und Funktionalreformen Joachim Blatter: Metropolitan Governance: Theoretische Formen, vielfältige Reformen und der aktuelle Nivellierungsdruck in deutschen Großstadtregionen............127 Falk Ebinger und Jörg Bogumil: Grenzen der Subsidiarität. Verwaltungsreform und Kommunalisierung in den Ländern.................................................................................................165 Hellmut Wollmann: Reformen dezentral-lokaler Organisationsstrukturen zwischen Territorialität und Funktionalität – England, Schweden, Frankreich und Deutschland im Vergleich........................................................................197 6 Inhalt 4. Bürgergesellschaft und politische Repräsentation Brigitte Geißel: Zur Evaluation demokratischer Innovationen – die lokale Ebene...................227 Katja Pähle: Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene. Eine Herausforderung für die Legitimation lokaler Mandatsträger?.........................................................249 5. Demographischer Wandel und Schrumpfung Bernhard Köppen: Kommunen und demographischer Wandel in Deutschland – regionale Muster..............................................................................................................271 Jochen Stopper: Demografischer Wandel und interkommunale Kooperation – Problemwahrnehmungen und Handlungsorientierungen in der Kommunalpolitik.............................................................................................283 Uwe Altrock: Urban Governance in Zeiten der Schrumpfung...............................................301 Birgit Glock: Politik in schrumpfenden Städten. Bedingungen von Persistenz und Innovation im Stadtvergleich...........................................................................327 Autorenangaben...............................................................................................347 Einleitung Hubert Heinelt und Angelika Vetter 1 Die lokale Politikforschung in Deutschland: Stets auf der Suche nach aktuellen Themen 1.1 Themenkonjunkturen und Pluralität von Ansätzen als Charakteristika der lokalen Politikforschung Betrachtet man die lokale Politikforschung in Deutschland, wie sie sich im Ar- beitskreis „Lokale Politikforschung“ (LoPoFo) innerhalb der Deutschen Vereini- gung für Politische Wissenschaft (DVPW) formiert,1 so zeichnet sie sich seit der Gründung dieses Diskussionszusammenhangs im Jahr 1972 dadurch aus, dass sie statt einer thematischen Kontinuität der Debatten durch verschiedene Themen- konjunkturen geprägt worden ist (vgl. dazu und zum Folgenden Heinelt/Mayer 2001; Heinelt/Mayer 2003). Dadurch ist es der lokalen Politikforschung gelun- gen, Beiträge zu jeweils aktuellen wissenschaftlichen und politischen Debatten zu leisten sowie jeweils neue Mitglieder bzw. Teilnehmer an Tagungen und für zahlreiche Publikationen zu gewinnen. Die Prägung durch Themenkonjunkturen ist nicht zuletzt auch Ausdruck des weitgefassten Gegenstandsbereichs. Denn nach dem Diktum des Gründungsvaters des Arbeitskreises „Lokale Politikfor- schung“, Rolf-Richard Grauhan’s (1975: 12), „die lokale Politik aus dem Ghetto des kommunalpolitischen Systems“ zu befreien, bezieht sich die lokale Politik- forschung auf lokale Politik im Sinne der Herstellung und Durchsetzung gesell- schaftlich verbindlicher Entscheidungen in einem physisch-ortsgebundenen und sozialraumbezogenen Interaktionssystem (vgl. Heinelt/Wollmann 1991: 9 f.). Damit hat die lokale Politikforschung einen relativ klar mit dem staatsrechtlichen Gemeindebegriff absteckbaren Gegenstandsbereich aufgegeben und sich statt dessen Stadtpolitik in einem über die Kommunalpolitik hinausgehenden Sinne zugewendet (vgl. Blanke/Benzler 1991: 10 f.). Dies eröffnet der lokalen Politik- forschung in Deutschland eine pluri-disziplinäre Orientierung, und die Offenheit gegenüber einer relativ großen Bandbreite von Debatten in den Nachbardiszipli- nen ermöglicht es, dass die dort vorherrschenden Themen auch zu Bezugspunk- 1 Zu weiteren temporären Arbeits- und Diskussionszusammenhängen im Bereich der lokalen Po- litikforschung in Deutschland vgl. Wollmann 1991: 16. 8 Hubert Heinelt und Angelika Vetter ten in der lokalen Politikforschung werden. Hinzu kommt, dass der Arbeitskreis „Lokale Politikforschung“ immer Kontakte zu Praktikern gesucht und in seine Aktivitäten einbezogen hat. Auch diese Art von Inklusivität hatte Auswirkungen auf die thematische Gestaltung der Aktivitäten des Arbeitskreises. Aufgrund der Themenvielfalt und der mit einzelnen Themenkonjunkturen wechselnden, aktiv die jeweiligen Debatten tragenden “LOPOFOten“ (wie sich die Teilnehmer des Arbeitskreises „Lokale Politikforschung“, des LOPOFO, selbst bezeichnen) konnte es nicht ausbleiben, dass es keine in der lokalen Poli- tikforschung Deutschlands allgemein anerkannten gegenstandsbezogenen Theo- rien, Analysekonzepte und Methodologien gibt. Dies mag man bedauern (wie z.B. Hennig 2000: 182). Es hat allerdings entscheidend dazu beigetragen, dass die Debatten in der lokalen Politikforschung weitgehend offen geführt und nicht von einem hegemonialen Ansatz dominiert werden. Überdies ließen sich dadurch Debatten immer wieder durch die Intrusion fachfremder Erklärungsansätze und Betrachtungsweisen befruchten. 1.2 Zur Konturierung aktueller Probleme lokaler Politik und Fragestellungen der lokalen Politikforschung in Deutschland Die Aktivitäten des Arbeitskreises „Lokale Politikforschung“ hatten sich zwi- schen der zweiten Hälfte der 70er bis Anfang der 90er Jahren thematisch auf die Analyse lokaler Entwicklungen unter gesamtgesellschaftlicher Fragestellung, die Implementationsforschung, Politikfeldanalysen (besonders in den Bereichen lo- kaler Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik) und die Erneuerung des Sozialstaats „von unten“ konzentriert (vgl. dazu Wollmann 1991: 18 ff.). Mit ihren Ergebnissen zu den drei zuletzt genannten Themen leistete die lokale Politikforschung einen maßgeblichen Beitrag zur Begründung der Governance-Debatte bzw. zum „go- vernance turn“ in der deutschen Politikwissenschaft (vgl. Heinelt 2004). Danach ging es in den 90er und ersten Jahren des 21. Jahrhunderts vorrangig um die in- terne Modernisierung kommunaler Verwaltungsstrukturen und –abläufe, aber auch um eine darüber hinausgehende „Modernisierung der Kommunalpolitik“ (Heinelt/Mayer 1997) – vor allem unter dem Gesichtspunkt der partizipativen Einbindung der Bürgerschaft in kommunale Entscheidungsprozesse (vgl. u.a. Heinelt/Mühlich 2000; Bogumil 2002; Haus 2002; Vetter 2008) – sowie um eine Betrachtung von Veränderungen lokaler Politik im Bundesländervergleich. Hin- zu kam deutlich stärker als in der Vergangenheit eine international vergleichende Perspektive (vgl. u.a. Kersting/Vetter 2003). Um im Jahr 2007 neue Themenfelder zu bestimmen, die im Kreis der an den Diskussionen des Arbeitskreises „Lokale Politikforschung“ Interessierten auf Resonanz stoßen könnten, wurde ein Verfahren gewählt, das im Arbeitskreis Einleitung 9 nicht neu ist. Ähnlich wie schon bei der Tagung des Arbeitskreises „Lokale Poli- tikforschung“ in Heidelberg im Jahr 1995 (vgl. zu den Inhalten Grunow/Woll- mann 1998) wurden im Vorfeld der geplanten Arbeitskreistagung im Juni 2007 eine Reihe von Wissenschaftlern angesprochen, die zum damaligen Zeitpunkt oder in der Vergangenheit die Debatten des Arbeitskreises getragen haben. Sie wurden gebeten, zu Themen, die sie für die lokale Politikforschung besonders in- teressant fanden, für diese Tagung Arbeitsgruppen zu organisieren, um künftige Forschungsfelder und -fragestellungen zu konturieren. Im Einzelnen wurden fol- gende thematische Arbeitsgruppen von den angegeben „panel chairs“ angeboten: (cid:2)(cid:3) „Dezentralisierung und Funktionalreform“ (Jörg Bogumil und Sabine Kuhl- mann), (cid:2)(cid:3) „Bürgergesellschaft und Dritter Sektor lokal – Neuere Entwicklungen und Umgangsformen kommunaler Politik“ (Adalbert Evers), (cid:2)(cid:3) „Bürgergesellschaft und politische Repräsentation auf lokaler Ebene“ (Everhard Holtmann und Marion Reiser), (cid:2)(cid:3) „Kommunale Haushalte in der Krise“ (Lars Holtkamp), (cid:2)(cid:3) „Kommunen und die EU“ (Hubert Heinelt und Daniel Kübler), (cid:2)(cid:3) „Kommunen und demografischer Wandel“ (Ulrich Sarcinelli und Jochen Stopper), (cid:2)(cid:3) „Regionalisierung lokaler Politik“ (Arthur Benz und Anna Meincke), (cid:2)(cid:3) „Lokale Politik zwischen Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Kohäsion“ (Hartmut Häussermann), (cid:2)(cid:3) „Kommunale Sozialverwaltung nach Hartz IV“ (Sylvia Greiffenhagen und Katja Neller) sowie (cid:2)(cid:3) „Schrumpfende Städte und lokale Politik“ (Matthias Bernt). Von diesen Arbeitsgruppen kamen zwei aufgrund einer zu geringen Resonanz im Rahmen der Tagung des Arbeitskreises „Lokale Politikforschung“ im Juni 2007 nicht zustande: „Bürgergesellschaft und Dritter Sektor lokal“ sowie „Lokale Po- litik zwischen Förderung von Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Kohäsion“. Zum Thema „Kommunale Sozialverwaltung nach Hartz IV“ wird im Juni 2008 eine eigenständige Tagung stattfinden. Einige der in den Arbeitsgruppen präsen- tierten Vorträge werden in diesem Band publiziert, um im Zusammenhang einen Überblick über aktuelle Probleme lokaler Politik und die Fragestellungen zu ge- ben, mit denen sich die lokale Politikforschung in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts beschäftigt. Der Überblick verdeutlicht, wie stark sich institutionel- le, gesellschaftliche und ökonomische Veränderungen im nationalen ebenso wie im supra-nationalen Kontext (hier vor allem die Europäische Integration) auf die 10 Hubert Heinelt und Angelika Vetter Städte und Gemeinden in Deutschland und dementsprechend auf die wissen- schaftliche Beschäftigung mit lokaler Politik auswirken. Bevor wir im Weiteren auf die in diesem Sammelband veröffentlichten Bei- träge eingehen, möchten wir uns bei Max Krapp und Beate Laferi-Kobsa für die organisatorische Unterstützung der Tagung des Arbeitskreises „Lokale Politik- forschung“ im Juni 2007 bedanken, ebenso wie bei den Panel-Chairs Arthur Benz, Matthias Bernt, Jörg Bogumil, Lars Holtkamp, Everhard Holtmann, Daniel Kübler, Sabine Kuhlmann, Anna Meincke, Marion Reiser, Ulrich Sarci- nelli sowie Jochen Stopper, deren inhaltliche Unterstützung zum Erfolg der Ta- gung beigetragen hat. Dank gilt auch Marko Andrée, Elisa Helbig, Max Krapp, und Eva Schulze für die Hilfe beim Korrekturlesen und der Bearbeitung der von den Autoren des Bandes eingereichten Texte. 2 Zu den Beiträgen in diesem Buch Der Handlungsspielraum der Kommunen in der Bundesrepublik Deutschland wird maßgeblich von der Ausgestaltung der Beziehung zwischen Bund, Ländern und Kommunen beeinflusst. Aus diesem Grund stellt die Einbettung der Kom- munen in den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik Deutschland ein wie- derkehrendes Thema der lokalen Politikforschung dar. Entsprechend beschäfti- gen sich die beiden ersten Beiträge dieses Sammelbandes unter der gemeinsamen Überschrift „Kommunale Interessen im föderalen Staat“ mit dem finanziellen und institutionellen Spannungsverhältnis, das zwischen den Kommunen einer- seits sowie den Ländern und dem Bund andererseits besteht. Ausgehend von der Betonung der demokratie- und leistungsbezogenen Relevanz der Städte und Ge- meinden im europäischen Mehrebenensystem analysieren Angelika Vetter und Lars Holtkamp in ihrem Beitrag die Veränderungen der finanziellen Handlungs- spielräume der Kommunen in Deutschland. Gemessen an der Freiheit der Kom- munen, selbstständig über die Ausgabe von Mitteln zu entscheiden, hat der loka- le Handlungsspielraum in Deutschland seit 1985 deutlich abgenommen. Über die Jahre hinweg ist ein starker Rückgang der Investitionsausgaben zu beobachten, der mit einer deutlichen Zunahme des Ausgabenanteils für soziale Leistungen einhergeht. Dabei werden beide Entwicklungen durch eine permanente und stei- gende Mittelknappheit ergänzt. Die damit verbundene Verringerung der lokalen Handlungsspielräum lässt sich auf zahlreiche Ursachen zurückführen. Zu den exogenen Faktoren gehören unter anderem die gesamtwirtschaftliche Entwick- lung sowie die institutionellen Rahmenbedingungen (Kommunalverfassungen). Zu den endogenen Ursachen zählen nicht zuletzt kommunale Entscheidungspro- zesse. Ansätze zur Stärkung der lokalen Finanzen – und damit der kommunalen