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Lokale Politik und Verwaltung im Zeichen der Krise? PDF

283 Pages·2013·2.562 MB·German
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Lokale Politik und Verwaltung im Zeichen der Krise? Michael Haus • Sabine Kuhlmann (Hrsg.) Lokale Politik und Verwaltung im Zeichen der Krise? Herausgeber Prof. Dr. Michael Haus Prof. Dr. Sabine Kuhlmann Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Deutsche Universität für Deutschland Verwaltungswissenschaft en Speyer Deutschland ISBN 978-3-531-18640-5 ISBN 978-3-531-19160-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-19160-7 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht aus- drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Ein- speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be- rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhalt Lokale Politik und Verwaltung im Zeichen der Krise? 7(cid:3) Michael Haus/Sabine Kuhlmann Teil 1: Lokale Parteiendemokratie (Nationale) Parteien in der lokalen Politik: Wandel oder Krise? 27(cid:3) Angelika Vetter/Sebastian Kuhn (cid:3) Ent-Partei-Politisierung der lokalen repräsentativen Demokratie? Eine Analyse am Beispiel der Ratswahlen in NRW 1979 bis 2009 49(cid:3) David H. Gehne Teil 2: Kommunalfinanzen und Haushaltskrise Die Krise der Kommunalfinanzen: Ursachen und Handlungsfelder 67(cid:3) Heinrich Mäding (cid:3) Aktuelle Dimensionen der kommunalen Haushaltskrise 84(cid:3) Dörte Diemert (cid:3) Chancen und Grenzen in der Steuerung kommunaler Haushaltskonsolidierung 100(cid:3) René Geißler Teil 3: Kommunale Governance-Formen Vernetzung als lokale Krisenstrategie? Perspektiven der interpretativen Governance- und Verwaltungsforschung 121(cid:3) Holger Straßheim (cid:3) Krise und Organisationswandel von lokaler Governance – Das Beispiel Public Private Partnerships 139(cid:3) Detlef Sack (cid:3) Wettbewerb, Privatisierung und Public Private Partnerships als Auswege aus der Krise? Formen kommunaler Aufgabenerfüllung aus der Sicht deutscher Ratsmitglieder 158(cid:3) Max-Christopher Krapp (cid:3) 6 Inhalt Teil 4: Kommunale Aufgaben und Krise der Sozialkommune Gefahr im „Vollzug“? Die Kommunalisierung staatlicher Aufgaben und ihre Auswirkung auf die Aufgabenerledigung 179(cid:3) Philipp Richter (cid:3) Kommunale Sozialpolitik in der Haushaltskrise: Handlungsfelder und Handlungsstrategien 196(cid:3) Stephan Grohs/Renate Reiter (cid:3) Krise und Krisenmanagement in kommunalen Krankenhäusern 215(cid:3) Tanja Klenk Teil 5: Schrumpfung und demographischer Wandel Wirtschaftliche Folgen demographischer Schrumpfung: Machen kommunale Familien- und Seniorenpolitik einen Unterschied? 237(cid:3) Christian Rademacher/Walter Bartl (cid:3) Peripherisierung, Schrumpfung und Governance: Handlungsansätze der Stadtpolitik in sechs deutschen Mittelstädten 256(cid:3) Matthias Bernt/Sabine Weck (cid:3) Strategiefähigkeit – Chancen und Hemmnisse lokaler Politik in schrumpfenden Städten 274(cid:3) Manfred Kühn (cid:3) Autorenverzeichnis 291(cid:3) Lokale Politik und Verwaltung im Zeichen der Krise? Michael Haus/Sabine Kuhlmann 1 Einleitung „Die Krise“ zu thematisieren, hat im sozial-, insbesondere politikwissenschaftlichen Be- reich momentan Konjunktur. Es stellt eine zentrale diagnostische und analytische Aufgabe der Politikwissenschaft dar, vermeintliche Krisensymptome näher in den Blick zu nehmen, zu kontextualisieren und in ihrer Bedeutung einzuschätzen. Dabei muss sie auch die eigene Diagnosefähigkeit und Rolle in der öffentlichen Thematisierung von Krisenphänomen in Frage stellen. Der vorliegende Band greift diese Herausforderungen auf und bezieht sie auf einen Bereich, in dem Krisendiagnosen auch jenseits (wenn auch nicht immer unabhängig von) der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in ganz besonderer Weise eine Rolle spie- len. Er fragt nach der Krisenträchtigkeit lokaler Politik und Verwaltung in Deutschland. Das Ziel ist zum einen, zentrale Krisendiskurse mit Blick auf die lokale Ebene aufzugreifen und eine wissenschaftlich fundierte Einschätzung vorzunehmen, zum anderen die Art des wissenschaftlichen Zugriffs auf diese (vermeintlich) kritischen Entwicklungen selbst zu thematisieren. So soll immer auch danach gefragt werden, inwiefern die lokale Politikfor- schung den Herausforderungen, die sich aus dem mutmaßlich krisenhaften Wandel ihres Gegenstandbereichs ergeben, noch gerecht wird und wo es gilt, neue Forschungskonzepte, Theorien, Perspektiven und Formen des Dialogs mit der Praxis zu entwickeln. Es sollen aber nicht nur Krisendiagnosen lokaler Politik und Verwaltung, sondern auch mögliche Strategien zu ihrer Lösung und Bewältigung thematisiert werden. Krisen, dies sollte dabei nicht in Vergessenheit geraten, sind auch Chancen des Loslassens von für selbstverständ- lich gehaltenen Ansätzen, des Wandels von Einstellungen und der Erneuerung politischer Institutionen. Wenn das griechische Wort krísis einen Zustand bezeichnet, der auf eine Entscheidung drängt, dann stellt sich freilich angesichts der gegenwärtig zu beobachtenden Entwicklungen auch die Frage, wo und von wem die entsprechenden Entscheidungen zu treffen wären. Gerade die Schwierigkeit der Beantwortung dieser Frage scheint aber die Besonderheit jüngerer Krisendebatten auszumachen. Im Folgenden setzen wir uns zunächst mit der Frage auseinander, inwiefern sich von einem spezifischen Krisendiskurs lokaler Politik (in Deutschland) sprechen lässt (Abschnitt 2). Dabei gehen wir vor allem auf die Beständigkeit des öffentlichen Redens von einer Krise der Kommunen bzw. der Städte ein. Im nächsten Abschnitt (3) wenden wir uns der Positionierung der lokalen Ebene im politischen System zu. Schließlich werden wir die in diesem Band behandelten mutmaßlichen Krisenkontexte unter Berücksichtigung der ein- zelnen Beiträge näher vorstellen (Abschnitt 4). M. Haus, S. Kuhlmann (Hrsg.), Lokale Politik und Verwaltung im Zeichen der Krise?, DOI 10.1007/978-3-531-19160-7_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 8 Michael Haus/Sabine Kuhlmann 2 Lokale Politik und Krisendiskurse in Deutschland Allgemein kann für politische Krisendiskurse festgehalten werden, dass sie einen eher ver- allgemeinernden Zug haben und darauf aufmerksam machen, dass zuvor unterschwellige Funktionsdefizite der Gesellschaft sichtbar hervortreten, Problemverdrängung also nicht mehr möglich ist. Wenn einzelne Ereignisse mit dem Krisenbegriff belegt werden, so ge- schieht dies meist, um die gesamtsystemische Bedeutung dieser Phänomene zu suggerieren. Die „Ölkrise“ Mitte der 1970er Jahre steht dann für die sichtbar gewordene Anfälligkeit eines gesamten (keynesianischen) Wohlfahrtsmodells, während die aktuelle „Bankenkrise“ auf die Fragilität eines globalisierten Finanzsystems und dessen Bedeutung für eine hoch- gradig interdependente Weltökonomie und die „Euro-Krise“ auf die Gefährdung der euro- päischen Integration verweist. In den Legitimationskrisentheorien der 1970er Jahre wurden verschiedene Phänomene, in denen sich die „Widersprüchlichkeit“ spätkapitalistischer Gesellschaften und die Unzulänglichkeit darauf gerichteter Staatstätigkeit zeigte, systemati- siert und verdichtet (Habermas 1973). Gleichwohl stellte sich schon hier die Frage, ob es sinnvoll ist, von der Legitimationskrise zu sprechen, wenn doch zugleich deutlich wird, dass selbst für die den Krisendiskurs prägenden neomarxistischen Positionen eine Redukti- on von Krisenursachen auf die „ökonomische Basis“ der Gesellschaft nicht mehr zu über- zeugen vermag. Ob wir es mit der Krise zu tun haben oder mit vielen verschiedenen und wie diese ineinander spielen, kann seitdem als offene Frage gelten. Damit ist aber der Ort, an dem die Krise Entscheidungsfrüchte reifen lässt, zunehmend unklar geworden. Dies zeigt sich auch an Diskursen, in denen Krisen der lokalen Ebene thematisiert werden. Über krisenhafte Zustände mit Blick auf Städte und Gemeinden wird schon längere Zeit geklagt. So beklagten Wilhelm Heitmeyer et al. bereits 1998 die „Krise der Städte“, welche sie am Versagen der Stadt als Integrationsmaschine für das interkulturelle Zusam- menleben festmachten (Heitmeyer et al. 1998a). In der Stadtsoziologie wurde diese Ein- schätzung dahingehend erweitert, dass die fundamentale Krise der „europäischen Stadt“ als Modell urban vermittelter Integration konstatiert wurde (vgl. Wukovitsch 2011), wobei diese nicht selten mit einer „Krise des Fordismus“ als Paradigma ökonomischer Regulation in Beziehung gesetzt wurde (Häußermann et al. 2008, S.159ff.). Auch die konstatierte „Re- naissance der Städte“ bedeute nicht unbedingt „das mögliche Ende einer lange Krise der Großstädte“ (Häußermann et al. 2008, S. 21). Die lokalen Akteure selbst, zumindest auf Seiten der Kommunalpolitik, thematisieren hingegen seit längerem mit Vorliebe die „Krise der Städte“ als Unterausstattung mit finanziellen (und z. T. auch regulativen und admini- strativen) Ressourcen – und dies auch dort, wo die Finanzausstattung im Vergleich noch als üppig zu bezeichnen ist (siehe etwa Bayerischer Städtetag 2003; Jungfer 2005). Aber auch im Zusammenhang mit der EU-Integration, insbesondere der Schaffung des gemeinsamen Binnenmarktes und der damit einhergehenden Öffnung geschützter lokaler Märkte im Be- reich der kommunalen Daseinsvorsorge, wird eine krisenhafte Bedrohung und Erosion des traditionellen deutschen Modells kommunaler Selbstverwaltung gesehen (Wollmann 2002). In beiden Fällen gehört zur Krisensemantik wiederum die Vorstellung einer gesamtsystemi- schen Relevanz: dass sich das Gelingen von Integration in den Städten entscheide oder dass mit der Haushaltskrise der Städte eine „Krise des ganzen Landes“ (Bayerischer Städtetag 2003) gegeben sei. Anders als bei den „systemrelevanten“ Banken haben es die kommuna- len Kassandrarufer jedoch deutlich schwerer, die alarmierenden Informationen erfolgreich an den Empfänger zu senden. Lokale Politik und Verwaltung im Zeichen der Krise? 9 Vielleicht liegt dies daran, dass schon immer gerne und durchaus dramatisierend von einer Krise der Städte gesprochen wurde. Hans-Jochen Vogel wusste als Oberbürgermeister Münchens bereits 1972 von einer „Legion“ von Krisensymptomen in den Städten zu be- richten (Vogel 1972, S. 62). In einer Zeit, die von den meisten Zeitgenossen noch zur „gol- denen Ära“ des Nachkriegswohlfahrtsstaates gezählt werden würde, ließ er seine düstere Krisenvision in der Diagnose gipfeln: „Lassen wir die Dinge weiter treiben, so sind die Folgen unschwer abzusehen […] [Die Städte] werden ihr Wesen so verändern, daß sie nicht mehr Orte des Friedens, des Wohlbefindens, des erfüllten Lebens sind, sondern sich in steinerne Dschungel verwandeln, in denen Gewalt, Haß, Verderben und Untergang herrschen, die in Schmutz ersticken, die in Subkulturen der Krimina- lität, des Rauschgifts, der Fluchtbewegungen zerfallen und sich schließlich entvölkern, weil sie sich jeder ordnenden, planenden, korrigierenden Einwirkung entziehen“ (Vogel 1972, S. 62). Vogel bezog sich hier im Übrigen auch auf den Bericht des Club of Rome, gewissermaßen der Mutter aller zeitgenössischen Wachstumskrisenszenarien. Damit war auch die Wurzel allen urbanen Übels ausgemacht: das wachstumszentrierte, auf die Lebensqualität keine Rücksicht nehmende Entwicklungsparadigma der modernen Gesellschaft. Ob es heute noch möglich ist, die Krisensymptome derartig auf ein spezifisches Entwicklungsparadigma zurückzuführen und entsprechend einen Paradigmenwechsel als einzige Lösung zu propa- gieren, erscheint allerdings fraglich. Wie diese Beispiele jedenfalls bereits deutlich machen, können krisenhafte Entwick- lungen auf der lokalen Ebene selbstverständlich nicht als lokale Krisen von gesamtgesell- schaftlichen Entwicklungen isoliert und abgetrennt betrachtet werden. Bei weitem nicht alles, was auf der lokalen Ebene als krisenhaftes Phänomen in Erscheinung tritt, hat dort seine (volle) Ursache und kann durch lokale Entscheidungen einer Lösung näher geführt werden. Vielmehr zeigen sich im örtlichen Kontext Probleme, deren Auslöser in großen Teilen im translokalen Kontext (der Ökonomie, der allgemeinen Bevölkerungsentwicklung, der Individualisierung etc.) anzusiedeln sind und deren Bearbeitung politisches Handeln auf den höheren politischen Ebenen erforderlich macht. Freilich erfordern komplexe Problem- lagen in der Regel ein mehr oder weniger koordiniertes Handeln auf mehreren Ebenen, so dass die lokale Ebene im Kontext einer Mehrebenenpolitik weiterhin eine wichtige Rolle spielt. Die Bestimmung von Krisenursachen und Handlungspotentialen ist vor diesem Hin- tergrund jedenfalls selbst ein zentraler Aspekt von Krisendiskursen mit Blick auf die lokale Politik. Diskursanalytisch gewendet, zeigt das Beispiel des Oberbürgermeisters Vogel die Verwobenheit von allgemeinen und stadt- bzw. kommunalspezifischen Krisendiskursen. Die lokale Ebene ist gewiss von Problemen betroffen, die auch den anderen Ebenen Sorgen bereiten. Es fehlt ihr an Geld, an (jungen) Menschen, an Arbeitsplätzen, an Um- weltqualität, an politischer Legitimation usw. Doch zeigt sich diese Betroffenheit, erstens, in spezifischer Weise, nämlich als eine bestimmte Art der Problemkonstellation „vor Ort“ (etwa mit Blick auf die ganz unterschiedlich verteilte Betroffenheit von Alterungs- und Schrumpfungsprozessen oder von Haushaltsnotlagen). Was als „Krise der Kommunen“ oder „Krise der Städte“ thematisiert wird, ist auch immer eine je einmalige Krise dieser Kommune oder dieser Stadt. Damit soll nicht gesagt werden, dass es keine ähnlichen Prob- lemlagen geben würde, nur können wir deren Existenz und Ausmaß nicht als gegeben vo- raussetzen. Inwiefern wir „die“ Krise „der“ lokalen Ebene bestimmen, wird zudem von theoretischen Hintergrundannahmen und methodologischen Vorentscheidungen geprägt 10 Michael Haus/Sabine Kuhlmann werden. Auf der lokalen Ebene kann aber auch, zweitens, die Wahrnehmung von Proble- men und Krisentendenzen eine spezifische Ausprägung annehmen. Dies gilt etwa für den Fall, dass diese Krise (wie beim demographischen Wandel) in die Zukunft hinein verweist, in Widerspruch zu tradierten Stadtentwicklungsparadigmen (etwa der wachstumsorientier- ten Stadt) steht und mit Blick auf die je lokale Betroffenheit die Existenz von „Krisen- schlupflöchern“ zumindest nicht prinzipiell ausgeschlossen werden kann. Während eine solche Konstellation eher zur Verdrängung von Problemen einlädt (wie wiederum am de- mographischen Wandel gezeigt werden kann), werden bei anderen Krisenströmen, etwa im Bereich der kommunalen Haushalte, die Anreize wohl eher dahingehen, die lokale Situation zu dramatisieren, weil damit Forderungen nach höheren Zuweisungen staatlicher Ebenen unterstützend begleitet werden. Wie bei anderen Krisenkommunikationen so gilt auch hier, dass „Katastrophismus […] nur Sinn [macht], wenn er mit konstruktiven Perspektiven assoziiert werden kann“, andernfalls jedoch Abstumpfung droht (Heitmeyer et al. 1998b, S. 16). Schließlich verbinden sich mit der lokalen Ebene, drittens, spezifische Handlungs- möglichkeiten hinsichtlich der Bewältigung kritischer Entwicklungen, wobei die Chancen einer integrierten Herangehensweise und der Mobilisierung vor Ort existierender Ressour- cen (z. B. Engagement von Unternehmen, Einbindung von Bildungsinstitutionen und wis- senschaftlichen Einrichtungen, bürgerschaftliches Engagement) sicherlich zu den spezifi- schen potentiellen Stärken gehört. Auch die intensivere Nutzung von deliberativen Verfah- ren, also der öffentlichen Diskussion von Betroffenheiten und Lösungsmöglichkeiten, kann ein solches Potential darstellen. Um Krisenbetroffenheit, Krisenwahrnehmung und Krisenbewältigung(spotential) der lokalen Ebene besser zu verstehen, ist es als erste Annäherung sinnvoll, sich den Rahmen- bedingungen lokaler Politik und Verwaltung in Deutschland zuzuwenden. Unter „lokaler Politik“ verstehen wir dabei nicht ausschließlich „Rathaus-Politik“ und „kommunale Selbstverwaltung“, sondern eine weiter gefasste Perspektive, bei der der Ortsbezug politi- schen Handelns im Mittelpunkt steht. So umfasst „lokale Politik“ ortsbezogene politische Interaktionen, deren Träger unterschiedliche Ebenen und Sektoren sowie die Grenzen zwi- schen privatem und öffentlichem Bereich überschreiten können. „Politisch“ sind diese Handlungen dann, wenn sie auf die Fähigkeit zur wirksamen Artikulation und verbindli- chen Bearbeitung von Problemen verweisen. Dabei spielen die Organe und Institutionen der kommunalen Selbstverwaltung eine wichtige, wenn auch je nach Problembereich unter- schiedliche Rolle im lokalpolitischen Kraftfeld. Zugleich ist die vorherrschende Sicht von den zentralen Orten, an denen „lokale Politik“ stattfindet, selbst bedeutsam für den Umgang mit wahrgenommenen Krisen. Und schließlich ist danach zu fragen, inwiefern im Zuge von Krisen vorherrschende Selbstverständnisse lokaler Politik selbst wieder einem Wandel unterliegen. 3 Stellung der lokalen Ebene im politischen System: fit für Krisen? Um gleichsam die Krisentauglichkeit lokaler Politik in Deutschland besser beurteilen zu können, empfiehlt sich zunächst ein Blick auf die Stellung der lokalen Ebene im politischen System (vgl. für das Folgende Haus 2008, S. 290-294; Kuhlmann 2009, S. 62ff.). Diese Stellung ist durch eine eigentümliche Mischung aus staatlichem Schutz, (begrenzter) kom- munaler Autonomie und kommunalem Gehorsam gekennzeichnet. Zu erinnern ist zunächst Lokale Politik und Verwaltung im Zeichen der Krise? 11 daran, dass den Kommunen im Grundgesetz Art. 28 mit der Selbstverwaltungsgarantie letztlich eine Bestandsgarantie auch in Krisenzeiten gegeben wird. Allerdings gilt die Ga- rantie der kommunalen Selbstverwaltung als Institution nicht im Sinne eines Bestands- schutzes für die je einzelne Kommune. Justiziable Anforderungen an Kompetenz- und Finanzausstattung haben zudem bislang auf Bundesebene keine Anerkennung gefunden (obzwar inzwischen fast alle Landesverfassungen das Konnexitätsprinzip verankert haben, was allerdings nicht zu einer merklichen Entlastung der Kommunen geführt hat). Gleich- wohl würde eine weitreichende Entkleidung von Kompetenzen, wie in Großbritannien seit Beginn der 1980er zu beobachten, gegen die verfassungsrechtliche Stellung der Kommunen verstoßen. Wenn Krisen auf der lokalen Ebene bewältigt werden sollen, ist der Staat auf die Kommunen angewiesen. Genießen die Kommunen somit einerseits im Rahmen der Allzu- ständigkeitsvermutung und Selbstverwaltungshoheit wesentliche Handlungsfreiheiten und lokale Autonomieräume, sind die kommunalen Entscheidungsträger auf der anderen Seite in vielen Bereichen abhängig von den übergeordneten Ebenen. Haushaltspolitisch sind die Kommunen – anders als etwa in den skandinavischen Ländern, wo sie eine lokale Ein- kommenssteuer festlegen – vor allem von der Steuergesetzgebung des Bundes und den Finanzzuweisungen der Länder abhängig. Hinsichtlich ihrer territorialen und institutionel- len Verfasstheit unterliegen sie der Gesetzgebung des jeweiligen Bundeslandes. Sie können also (nur) durch Landesgesetze in ihrem Zuschnitt verändert, aufgelöst oder mit anderen Kommunen fusioniert werden. Und die Zusammensetzung und Kompetenzen von Kernin- stitutionen der politischen Willensbildung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung (Vertretungsorgane [„Kommunalparlamente“], Gemeindeleitung, Bürgermeister) sind durch Landesrecht vorgegeben. Im Verwaltungsföderalismus (vgl. Bogumil 2000, S. 123-126; Kuhlmann u. Wollmann 2012, S. 56ff.) verfügt der Bund zudem nur über einen gering ausgebildeten eigenen Ver- waltungsunterbau und ist zum Vollzug von Gesetzen auf die Verwaltung von Ländern und Kommunen angewiesen. Die Länder setzen für den Vollzug von Bundesgesetzen wieder hauptsächlich auf die Beauftragung der Kommunen. Das durch die erste Stufe der Födera- lismusreform ins Grundgesetz aufgenommene Verbot der direkten Übertragung von Auf- gaben auf die Kommunen durch den Bund (Art. 85 Abs. 1 GG) hat diese Stufenfolge der Vermittlung durch die Länder bestärkt. Gleichwohl treffen die Kommunen im gesamten Aufgabenbereich kommunaler Selbstverwaltung ihre Entscheidungen im Rahmen zahlrei- cher und meist sehr umfänglicher Bundesgesetze, wie etwa dem Baugesetzbuch bei Pla- nungsentscheidungen (vgl. als Überblick Naßmacher u. Naßmacher 2007, S. 115f.). Hinzu kommen spezifische Förderprogramme („Soziale Stadt“, „Stadtumbau“ etc.) und Investiti- onshilfen, mit denen Bund und Länder Anreize für kommunale Aktivitäten setzen. Welche Schlussfolgerungen mit Bezug auf die Anfälligkeit für, die Wahrnehmung von und den Umgang mit Krisen können aus diesen Überlegungen abgeleitet werden? Zum Ersten ist die Institutionalisierung lokaler Politik als kommunale Selbstverwaltung mit einer charakteristischen Spannung zwischen (verwaltungs)rechtlichen und politischen Deu- tungen der lokalen Politik- und Verwaltungsinstitutionen verbunden. In der ersten Deutung dominiert die Gegenüberstellung von ‚staatlicher Politik’ (als Ort der Ausübung von Sou- veränität) einerseits und ‚kommunaler Selbstverwaltung’ (als vom Staat zugestandene Be- sorgung örtlicher Angelegenheiten in eigener Verantwortung) andererseits. Es ist anzuneh- men, dass Krisen in dieser Deutung einen eher „unpolitischen“ Charakter einnehmen, dem mit administrativen Maßnahmen (z. B. höheren Ressourcenzuweisungen oder intensivierter

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