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Logiken des Erzählens: Kohärenz und Kognition in früher mittelhochdeutscher Epik PDF

404 Pages·2020·2.158 MB·German
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Christian Schneider Logiken des Erzählens Hermaea Germanistische Forschungen Neue Folge Herausgegeben von Christine Lubkoll und Stephan Müller Band 148 Christian Schneider Logiken des Erzählens Kohärenz und Kognition in früher mittelhochdeutscher Epik ISBN 978-3-11-059191-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-059310-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-059212-2 ISSN 0440-7164 Library of Congress Control Number: 2020942467 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com Vorwort Ein „historisch-hermeneutischer Problembegriff“ – als solcher wird der Kohä- renzbegriff in der Einleitung zu einem 2019 erschienenen Sammelband zu lite- rarischerKohärenzinmittelalterlicherLyrikbezeichnet.DieseBezeichnungtrifft sicherlichzu.SoelementarderdurchihnbeschriebeneSachverhaltfürunseren Umgang (nicht nur) mit Texten ist, so schwierig ist der Begriff in den Griff zu bekommen.Denn‚Kohärenz‘stelltletztlicheinetextpragmatischeKategoriedar; sieistetwas,dasliterarischenTextennichtalssubstantielleQualitätinnewohnt, und das heißt, ihre Wahrnehmung ist in hohem Maße variabel – individuell, historisch, kulturell. Eben darum stellen ihre Bestimmung und Bewertung eine Herausforderungdar. Mein Buch nimmt diese Herausforderung auf, ohne für sich in Anspruch nehmenzukönnen,alleFragen,diedieKohärenzund–mitihrverbunden–die Erzähllogik mittelalterlicher Literatur betreffen, zu fassen oder zu beantworten. ImVordergrundstehensolchePhänomenefragwürdigerunddarumerklärungs- bedürftiger (In-)Kohärenz, die mir am volkssprachigen Erzählen des früheren Mittelaltersbesonderssignifikanterscheinen.AusgangspunktdesBuchswarder Wunsch nach Verstehen: den mancherlei Merkwürdigkeiten und, mitunter,Un- gereimtheiten,mitdenenmittelhochdeutscheErzähltexteheutigeLeserinnenund Leser überraschen, nachzugehen und einen Beitrag zu ihrem besseren Ver- ständniszuleisten.DassdabeigelegentlichandereGewichtungenvor-undPer- spektiveneingenommenhättenwerdenkönnen,istmirbewusst. FürdieMöglichkeit,diesesBuchzuschreiben,habeichvielfältigzudanken. Seit meinen ersten Überlegungen und Skizzen dazu haben sich diachrone Er- zählforschung, historische Narratologie und Cognitive Literary Studies zu fest etabliertenundintensivbestelltenForschungsfeldernentwickelt.Denindiesem Zusammenhang entstandenen Arbeiten verdanke ich, ebenso wie früheren, zahlreicheAnregungen;ohneVollständigkeitbehauptenzuwollen,habeichmich bemüht,siebiszumFrühjahr2020zuberücksichtigen. FinanziellgefördertwurdedieArbeitandemProjektindenJahren2012/2013 durch ein Postdoctoral Fellowship der VolkswagenStiftung an der Washington University in St. Louis, der Universität, die ein Jahr später meine akademische Heimatwurde.DassdasProjektschließlichfertiggestelltwerdenkonnte,verdanke ich einem viermonatigen Forschungsaufenthalt am Freiburg Institute for Ad- vanced Studies im Herbstsemester 2016, unterstützt durch ein Marie S. Curie FRIASCOFUNDFellowshipderUniversitätFreiburgundderEuropäischenUnion. Danken möchte ich aber auch und vor allem den vielen Menschen, Kolle- ginnen, Kollegen und Freunden,diesseits und jenseits des Atlantiks,mitdenen https://doi.org/10.1515/9783110593105-001 VI Vorwort ichimmerwiederübermeinProjektsprechenkonnteunddiemichüberdieJahre mit Rat und Zuspruch begleitet und im Größeren wie im Kleineren unterstützt haben:GerhildScholzWilliams,stellvertretendfürdieKolleginnenundKollegen amDepartmentofGermanicLanguagesandLiteraturesderWashingtonUniver- sity; Ludger Lieb und Fritz Peter Knapp, die das Projekt auch aus der Ferne wohlwollend förderten; die Neuphilologische Fakultät der Ruprecht-Karls-Uni- versität Heidelberg,von der die Arbeit im Sommersemester 2018 als Habilitati- onsschrift angenommen wurde; Christine Lubkoll und Stephan Müller, die die AufnahmedesBandesindie‚Hermaea‘-Reihebefürworteten;JacobKlingner,der Freund und ehemalige Heidelberger Assistentenkollege, dem ich so gerne noch das fertige Buch gezeigt hätte, sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei ‚seinem‘ Verlag, De Gruyter, die mit Geduld und Umsicht die Drucklegung des Manuskripts betreuten: Elisabeth Kempf, Robert Forke, Antonia Mittelbach und LauraBurlon.Gedanktseiauch,undnichtzuletzt,JuttaDeimelunddemZettel- meier’schenHausinOberwinter,dasdenabschließendenArbeitenanderHabi- litationsfassungeinDachgewährte. Den größten Dank freilich schulde ich meiner Familie, Judith von Essen, SophieundJacob.SiegebenmeinemLebenjenenSinnzusammenhang,ohneden allesanderenichtswäre. St.Louis,imSeptember2020 ChristianSchneider Inhalt  Einleitung: Erzählerische Ordnung oder Die Sehnsucht nach Zusammenhang 1 . Wassind Erzähllogiken? 10 . Das Auge des Betrachters 12 . Inkohärenzen in mittelalterlichem Erzählen: Eine Typologie 16 . Vom Umgang mit Fehlern, Leerstellen und Widersprüchen 26 . Zum Vorgehen 33  Narration und Kognition 41 . Erzählung als Struktur: Platon und Aristoteles 42 . Morphologie: Goethe, Humboldt und die frühe deutsche Kompositionstheorie 46 . Vom organologischen zum semiotischen Modell 53 . Motivationale Beziehungen und Bedeutungsbeziehungen 57 . Muster, Modelle, Frames und Scripts: Der kognitive Umgang mit Inkohärenzen 59 . Erzähllogiken als Ausdruck kognitiver Strukturen 71  Narrationis contextus: Erzähllogik und narrative Kohärenz in der mittelalterlichen Dichtungstheorie 75 . Die Lehre von den ordines narrandi 77 . Wahrscheinlichkeit als strukturales Prinzip des Erzählens: Matthäus von Vendôme, Galfred von Vinsauf und Johannes von Garlandia 88 . Die Begehrensstruktur des verisimile 100 . Lateinische Theorie und volkssprachige Literaturpraxis 107  Kohärenz und Konnektivität 112 . Episodizität oder Narrative Progression im Zeichen kleiner Einheiten 115 . Diskursmarker und andere Formen des narrativen Anschlusses 120 . Metanarrative Formeln 151 . Unvermittelte Übergänge undharte Fügungen 162 VIII Inhalt  Logiken der Handlungsdarstellung 189 . Prototypisches und funktionales Erzählen: Rolandslied, Münchner Oswald, Herzog Ernst 208 . Der Vorrang der bezeichenunge: Orendel, König Rother, Rolandslied 236 . Logik der Motivierung 250  Raumwahrnehmung und Wahrnehmungsräume 259 . Amorphe Räume 265 . Bühnenraum und Raumdeixis 280 . Erzählte Raumwahrnehmung 293 . Raumdarstellung und virtuelle Mündlichkeit 299  Narrative Transgressionen 304 . Unscharfe Grenzen: Figuren und Figurenwissen 309 . Ebenenüberschreitung durch die Erzählperformanz 325 . Vom Ende her: Finalität als Denkfigur 335  Ergebnisse 345 Abkürzungen 353 Bibliographie 355 Quellen 355 Forschungsliteratur 360 Register 386 Autoren- und Werkregister 386 Registerder Forschungsliteratur 390 Sachregister 392 1 Einleitung: Erzählerische Ordnung oder Die Sehnsucht nach Zusammenhang UndalseinerjenerscheinbarabseitigenundabstraktenGedanken,dieinseinemLebenoft sounmittelbareBedeutunggewannen,fielihmein,daßdasGesetzdiesesLebens,nachdem mansich,überlastetundvonEinfaltträumend,sehnt,keinanderesseialsdasdererzäh- lerischenOrdnung!JenereinfachenOrdnung,diedarinbesteht,daßmansagenkann:‚Als dasgeschehenwar,hatsichjenesereignet!‘ RobertMusil,‚DerMannohneEigenschaften‘¹ Erzählen heißt ordnen.Wer erzählt, gibt den Teilen seiner Erzählung eine be- stimmteOrdnung.DasgiltsowohlfürdieWorte,dieSätze,dieAbschnitte,alsodie kleineren und größeren Einheiten der Erzählung, als auch für das, was ihre Aussagegehaltesind.Esbetrifftdas‚Wie‘desErzählensebensowiedas‚Wovon‘. EsgiltalsofürdasErzählenansichwiefürdasErzählte.ErzählenundErzähltes, DarstellungundDargestellteswerdeninderErzähltheoriesystematischalszwei Ebenenvon Erzählungoder auch als zwei Möglichkeiten, auf Erzählung zu bli- cken,voneinander unterschieden.² Schon die mittelalterliche Dichtungstheorie wusste,dassinderPraxisdaseinenichtohnedasanderegegebenseinkann.Ihre ausderantikenRhetorikübernommeneUnterscheidungzwischenordonaturalis und ordoartificialis –eine Unterscheidung,die die Rhetoriksowohlauf dieGe- staltung der dispositio als auch auf diejenige kleinerer Redeeinheiten wie argu- mentatioundnarratioangewandtwissenwollte–beruhtaufderEinsicht,dassbei der epischen oder dramatischen Darstellung das Dargestellte einer bestimmten Anordnungunterworfenwird. Unmittelbar nachvollziehen lässt sich die ordnende Kraft von Narration, wenn man sich die Erfahrung vergegenwärtigt, die man beim alltäglichen Er- zähleneinesErlebnissesodereinerBegebenheitmacht.Oftstelltmandabeifest, dass in der erzählenden Versprachlichung die Dinge einen Zusammenhang an- nehmen, den sie vor ihrer sprachlichen Äußerung – ob mündlich oder schrift- lich–sonichthatten.OdermandenkeandieErfahrung,diesichbeidemVersuch machen lässt, Trauminhalte wiederzugeben, die häufig durch eine besondere  RobertMusil:DerMannohneEigenschaften.Roman.Hrsg.vonAdolfFrisé.2Bde.Reinbekb.H. 1978,S.650.  Die Terminologie zur Beschreibung dieser grundsätzlichen Unterscheidung ist sehr unein- heitlich.EineZusammenstellungdereinflussreichstenBegriffsbildungenbietenMatíasMartínez/ MichaelScheffel:EinführungindieErzähltheorie.5.Aufl.München2003,S.26. https://doi.org/10.1515/9783110593105-002 2 Einleitung:ErzählerischeOrdnung BildlichkeitundbesondereVerknüpfungenausgewiesensind.³DieSchwierigkeit, dieesbereitenkann,einenTraumzuerzählen–‚richtig‘zuerzählen,so,wiewir ihn geträumt zu haben meinen –, ist die Schwierigkeit, die aus der Zumutung einer Ordnung an den Gegenstand entsteht, die ihm in seiner vorsprachlichen Formnichtodernurbedingtzukommt. Zwar wissenwirdank der Einsichtender Kognitionsforschungund der nar- rativen Psychologie heute, dass schon vorsprachliches Erleben sich narrativer MusterbedientunddasswiralleErfahrung,indemwirsiemachen,mittelsnar- rativer Strukturen machen. Diese relative Nähe von Erlebens- oder Erfahrens- struktureinerseitsundnarrativerStrukturandererseitserlaubtesauch,Erfahrung in Erzählung umzusetzen, und dabei spielt es keine Rolle, ob das Erzählte als ErzählungimliterarischenSinnezubezeichnenist–fürdasalltäglicheErzählen von Erfahrenem,ErlebtemoderGeträumtemgiltdasselbe.Dennochsind solche erzählungshaften Muster,derersich menschliche Erfahrungbedient,von denje- nigenverbalisierterErzählungenqualitativunterschieden.Daherwerdensieauch als ‚prä-‘ oder ‚protonarrativ‘ bezeichnet.⁴ Sie weisen Kennzeichen narrativer Ordnungauf,ohneschonErzählungundordnendesErzählenimvollenSinnezu sein. Erzählen heißt ordnen. Das festzustellen heißt auch, dass es kein Erzählen gibt, welches seine Bestandteile nicht in irgendeiner Weise anordnen würde. „ErzählerischeOrdnung“(RobertMusil)stelltsichnolensvolensein.DieUrsache dafür liegt in der spezifischen Zeitlichkeit von Erzählung und ihrer sich daraus ergebendensequentiellenGrundstruktur.⁵ErzählenkannimmernurinderForm eines zeitlichen Verlaufs stattfinden, immer nur in einem Nacheinander, nie in einemNebeneinanderoderZugleich.EinWort,einSatz,einGeschehnisfolgtin ErzählungendemanderenundkannvomHöreroderLeserauchnurso–ineinem Nacheinander – aufgenommen werden. Auch dort,wo von gleichzeitig Stattfin- dendemdieRedeist,kanndieserzählerischnichtsimultanwiedergegebenwer- den, sondern muss die Gleichzeitigkeit durch besondere erzähltechnische Ver- fahren eigens kenntlich gemacht werden. Insofern ist Erzählung immer eindimensional.IhrGrundprinzipistdasderReihenfolge.  Daslässtsich,biszueinemgewissenGrad,verallgemeinern:Bewusstseinsinhaltesindnierein sprachlich-linear.  Zur Begrifflichkeit siehe Donald E. Polkinghorne: Narrative Psychologie und Geschichts- bewußtsein.BeziehungenundPerspektiven.In:Erzählung,IdentitätundhistorischesBewußt- sein.DiepsychologischeKonstruktionvonZeitundGeschichte.Hrsg.vonJürgenStraub.Frank- furta.M.1998(stw1402),S.12–45,hierS.21–23.  SiehedazuvorallemPaulRicœur:ZeitundErzählung.3Bde.2.Aufl.München2007(Über- gänge18,1–3).

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