Studien der NRW School of Governance Maximilian Schiffers Lobbyisten am runden Tisch Einflussmuster in Koordinierungsgremien von Regierungen und Interessengruppen Studien der NRW School of Governance Reihe herausgegeben von Prof. Dr. Christoph Bieber, Universität Duisburg-Essen , Deutschland Prof. Dr. Andreas Blätte, Universität Duisburg-Essen , Deutschland Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte, Universität Duisburg-Essen , Deutschland Die Studien der NRW School of Governance sind eine praxisorientierte Schrif- tenreihe, die einen wichtigen Beitrag zur modernen Regierungsforschung leistet. Sie dokumentiert die Forschungsergebnisse der NRW School of Governance und bietet zugleich ein Forum für weitere wissenschaftliche Arbeiten aus ihrem the- matischen Umfeld. Das Interesse gilt der Komplexität politischer Entscheidungs- prozesse in den Bereichen Politikmanagement, Public Policy und öffentliche Verwaltung. Untersucht werden die praktischen Bemühungen rational handeln- der Akteure ebenso wie die Wirkungsweise institutioneller Koordinationsmecha- nismen auf der Landes- und Bundesebene. Mit dem Fokus auf ethische Aspekte werden aber auch neue, bisher vernachlässigte Fragestellungen des modernen Politikmanagements wie moralbegründete Argumentations- und Entscheidungs- vorgänge sowie ethische Beratungsorgane thematisiert. Die Reihe veröffentlicht Monographien und Konzeptbände, die frei eingereicht oder auf Anfrage durch die Herausgeber der Schriftenreihe verfasst werden. Auf eine sorgfältige theoretische Fundierung und methodische Durchführung der empirischen Analysen wird dabei ein besonderer Wert gelegt. Die Qualitätssicherung wird durch ein anonymisiertes Begutachtungsverfahren sichergestellt. Weitere Bände in der Reihe h ttp://www.springer.com/series/12350 Maximilian Schiffers Lobbyisten am runden Tisch Einflussmuster in Koordinierungsgremien von Regierungen und Interessengruppen Mit einem Vorwort von Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte Maximilian Schiffers Duisburg, Deutschland D iese Arbeit wurde von der Fakultät für Gesellschaftswissenschaften der Universität Duisburg-Essen als Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades Dr. rer. pol. genehmigt. Name der Gutachterinnen und Gutachter: 1. Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte 2. apl.-Prof. Dr. Manfred Mai Tag der Disputation: 10.04.2018 Studien der NRW School of Governance ISBN 978-3-658-23722-6 ISBN 978-3-658-23723-3 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-23723-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Vorwort der Herausgeber Mit dem Thema „Lobbyisten am Runden Tisch“ weckt Maximilian Schiffers große Neugierde. Bilaterale Austauschmuster kann man sich vorstellen, aber Runde Tische der Moderation zwischen so disparaten Akteuren aus organisierten Interessen und aus Regierungsvertretern? Sollte es den Regierungen im Bereich der Energiepolitik gelungen sein, die organisierten Interessen nicht nur gesetzge- berisch einzubinden, sondern deliberativ, vielleicht sogar kollaborativ zu beteili- gen? Faktisch ereignete sich die Energiewende nach der Katastrophe von Fukushi- ma durch einen abrupten Pfadwechsel, von oben verordnet. Eine Beteiligung an dieser Grundsatzentscheidung nach herkömmlichen Verfahren fand nicht statt. Bundeskanzlerin Merkel überraschte erklärungsarm mit dieser vollständigen Wen- de ihrer bisher verfolgten Energiepolitik, die sie kurz zuvor, im „Herbst der Ent- scheidungen“, mit einer Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke absicherte. Mit Runden Tischen bezieht sich Schiffers auf eine deutlich spätere Phase. Die fünf klug gewählten Beispiele – wie Klimaschutzplan NRW und Energie Innovativ Bayern – bieten Möglichkeiten, um nachzuweisen, ob es Einflussmus- ter in den entsprechenden Koordinierungsgremien gab. Antizipatives Politikma- nagement erhöht die Steuerungsergebnisse des Regierens. Denn die Rationalität des Regierens wird immer dazu führen, potentielle Widerstände frühzeitig einzu- binden. Idealerweise hybridisiert man die Entscheidungen, um nicht zu polarisie- ren. Wann, wer, wie, warum entschieden hat, verläuft sich in der Aura der In- transparenz mit einer fehlenden Zuordnung von Politikergebnissen – immer vorausschauend, dass Ergebnisse selten positiv angerechnet werden. Denn die neue formative Struktur der Politik bedeutet auch eine permanente Unfertigkeit der Politik. Jedes Problem ist hoch komplex, nie endend, so dass eine Transfor- mation in administrative Politik ratsam erscheint. Nichts ist sozialwissenschaftlich schwieriger zu konzeptionalisieren als Ein- fluss. Auch Schiffers will sich dieser Herausforderung auf direktem Wege nicht stellen. Seine Forschungsstrategie wählt den indirekten Weg von Einflussmarkie- rungen. Das erfolgt mit einer fast physikalisch exakten Messtechnik. Als moder- ner Sozialwissenschaftler erschafft er ein Laboratorium der Quantifizierung des Sozialen. Denn im Kern möchte er den Einfluss bestimmen, den ausgewählte Interessengruppen im politischen Kontext der Energiewendepolitik hatten. Schiffers sucht gänzlich andere Wege, um im Feld eines metrischen Lobby- ismus skalierte Ergebnisse zu präsentieren. Immer hat er zwei aufklärerische VI Vorwort der Herausgeber Richtungen zeitgleich in seinem vergleichenden Analyseraster vor Augen: das Aufdecken von Einflussmustern in der Interaktionspraxis der Koordinierungs- gremien (gemeint sind Verhandlungstechnik, Verhandlungsstile, Praktiken der Kommunikation) bei gleichzeitiger Rückbindung an den wissenschaftlichen Dis- kurs über Interessengruppeneinfluss (mittels congruence analysis). Selbst die ge- führten Interviews dienten nicht primär dazu, den Abstimmungsmechanismus und die Sondierungsergebnisse diskursiv zu erfragen. Vielmehr wurden auch die Interviews genutzt, um die entwickelte Skalierung messtechnisch abzusichern. Ich kenne keine vergleichbare Dissertation, in der eine so breite Anwendung von funktionalen Theorien der Politik nicht nur auftaucht, sondern im Feld auch eigenständig operationalisiert wird. Empirie und Theorie sind brillant verwoben. Das metrische Wir im Hin- blick auf die Quantifizierung des Sozialen feiert sich selbst. Stärker kann man eigentlich nicht eine wissenschaftliche Gemeinde beeindrucken, wenn man theo- retisch und methodologisch Einflussmessungen sozialwissenschaftlich vor- nimmt. Doch als Sozialwissenschaftler, die auch kultur- und geisteswissenschaft- liche Wurzeln haben, wissen wir, dass die Metriken sozialer Wertigkeiten auch immer als soziale und kulturelle Setzungen zu verstehen sind. Auch in Zahlen stecken Vorentscheidungen darüber, was als relevant oder als Einflussmuster gelten soll. Insofern: Die verfeinerte Messung fördert methodologische Akribie und grelle Genauigkeit. Andererseits verdeutlicht eine an sozialen Praktiken ausgerichtete Perspektive, was auch in traditioneller verstehender – nicht nur messender – Sozialwissenschaft möglich ist: Koordination erfordert formelle und informelle Gesprächsformate des Politikmanagements. Duisburg, im August 2018 Für die Herausgeber Univ.-Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte Direktor NRW School of Governance Danksagung Die Faszination am Thema Lobbying – als Einflussnahme von Interessengruppen auf die Prozesse der Politikgestaltung – ist leicht verständlich, bietet es doch auf den ersten Blick die Bestandteile eines guten Politik-Thrillers. Weitreichende Rich- tungsentscheidungen, machtvolle Akteure in informellen Konstellationen abseits der Öffentlichkeit, flankiert von medialen Debatten mit offen ausgetragenen Kon- flikten und spektakulären Kampagnen. Und alles vor dem Hintergrund der Asym- metrie der Interessenlandschaft zwischen starken business interests und tendenziell schwachen public interests im allgegenwärtigen Schatten des mutmaßlich Ge- heimen. Die politikwissenschaftliche Forschung übernimmt darin die Doppelrolle des puzzelnden Detektivs, um die Zusammenhänge analytisch zu rekonstruieren, und des Erzählers, um das ganze Bild zu kontextualisieren. Lobbyisten am run- den Tisch der Koordinierungsgremien von Regierungen und Interessengruppen sind gerade deshalb so relevant, weil dieser spezifische Ausschnitt den Blick auf den blinden Fleck der alltäglichen Arbeitsebene richtet. Deswegen sind es auch weniger diese Thriller-Eigenschaften, als vielmehr die Realität von Lobbying und Interessenvermittlung in der Praxis – die Strategien, die Einflussmuster und die Strukturen – die die eigentliche Quelle meiner Neugier und Leidenschaft am Thema sind. Dennoch bleibt der Zugang für wissenschaftliche Untersuchung aufgrund der Diskretion im Lobbying-Umfeld problematisch, weswegen im vorliegenden Buch eine indirekte Forschungsstrategie verwendet wurde. Indirekt waren auch die Wege und Umwege des Forschungsprozesses, der mich viereinhalb Jahre von Stipendiumsbeginn bis Abgabe der Dissertation be- gleitete. Die Publikation steht am Abschluss meines Dissertationsprojekts an der NRW School of Governance, Institut für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen, welches durch ein Promotionsstipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert wurde und mir diesen äußerst wertvollen und erfahrungsreichen Lernprozess ermöglichte. Großer Dank gebührt meinem Doktorvater Prof. Dr. Karl-Rudolf Korte. Seine stets inspirierenden Betreuungsgespräche lieferten mir inhaltliche und persönliche Anregungen für die Leidenschaftsthemen, ohne den großen Kontext aus den Augen zu verlieren. Er verstand und förderte meine trial-and-error For- schungsstrategie, um den richtigen Umgang mit der Thematik zu finden. Dank seiner Ermutigung waren die trials zielführend und elaboriert, während die er- VIII Danksagung rors – als Freiheit, eigene Fehler zu machen und Umwege gehen zu dürfen – aufgrund seiner Geduld und seines Zuspruchs zu enormen Erfahrungs- und Wis- sensgewinn führten. Danken möchte ich zudem dem Team der NRW School of Governance für die kollegiale Beratung, den kritischen Austausch und für inspirierende Gesprä- che beim gemeinsamen Essen und Kaffee. Meinem Zweitbetreuer apl. Prof. Dr. Manfred Mai danke ich für den kontinuierlichen Input aus der politisch-adminis- trativen Praxis, wie auch den Mitgliedern der Prüfungskommission, Prof. Dr. Andreas Blätte und Prof. Dr. Christoph Bieber, nicht zuletzt für die kurzweilige und anregende Disputation. Die Kombination von inhaltlicher Freiheit und institutioneller Einbettung durch das Stipendium, die Graduiertenförderung der Fakultät und das strukturier- te Promotionskolleg der NRW School of Governance bildeten für mich eine ideale Betreuungssituation. Entscheidend war zudem der interdisziplinäre Aus- tausch auf den Doktorandenforen der Studienstiftung und ihre Veranstaltungs- förderung „Stipendiaten machen Programm“, um das Forschungskolloquium Qualitative Datenanalyse zu organisieren, aus der meine langjährige Methoden- und Schreibgruppe entstand. Danken möchte ich darüber hinaus meiner Familie und meinen Freunden – speziell meinen Eltern, meiner Schwester Lisa, Christoph Beischl, Bettina Heil- mann und Anja Jungermann – für ihre kontinuierliche Unterstützung und Ermun- terung, für Feedback und für Korrekturlesen. Ausgesprochen dankbar bin ich Susanna, meiner Lebensgefährtin und seit kurzem Ehefrau, für ihre Liebe, ihre aufopferungsvolle Unterstützung und als Sparring-Partnerin, die mir half, Struk- tur ins Gedankenchaos zu bringen. Zusammen zogen wir vom tiefen Süden in den Wilden Westen der Republik, der uns für eine weitere Etappe behält. Ich bin gespannt auf die nächsten zwölf Jahre mit Dir und alle kommenden, gemeinsa- men Kapitel. Duisburg, im August 2018 Maximilian Schiffers Inhalt Teil 1: Interessengruppeneinfluss in der Lobbying-Forschung: Forschungspuzzle und -gegenstand ....................................................... 1 1 Kooperative Politik als indirekte Herangehensweise zur Frage des Interessengruppeneinflusses: Zielsetzung und Projektskizze der Forschungsarbeit ........................................................................................ 3 1.1 Das Forschungspuzzle: Interessengruppeneinfluss als Perspektive des Forschungsprojekts ....................................................................... 8 1.2 Kurzdarstellung des Forschungsprojekts: doppelt-indirektes Analyseraster zum theoriegeleiteten Abbilden von Einflussmustern in Koordinierungsgremien von Regierungen und Interessengruppen in der Energiewendepolitik der Bundesländer................................... 12 1.3 Forschungsfrage, Forschungsziel und Arbeitsthesen ........................ 17 1.4 Ausgangspunkt einer indirekten Forschungsstrategie: Konzeption von Interessengruppeneinfluss als Politikkoordination ..................... 25 1.5 Leistungen und Grenzen des Forschungsprojekts: Anschlussfähigkeit zur Theorie und Anhaltspunkte für die politische Praxis ................................................................................ 29 2 Die Frage des Interessengruppeneinflusses und das Problem einer direkten Einflussabbildung ...................................................................... 33 2.1 Forschungsstand: Interessengruppeneinfluss in der vergleichenden Politikwissenschaft ............................................................................ 34 2.1.1 Theoretische und methodologische Konzeption von Interessengruppeneinfluss ............................................................. 34 2.1.2 Überblick über die Interessengruppen- und Lobbying-Forschung für USA, Europa und die vergleichende Perspektive .................... 37 2.1.3 Theoretische und methodische Herausforderungen der Interessengruppen- und Lobbying-Forschung .............................. 48 2.1.4 Direkte und indirekte Faktoren zur Bestimmung des Interessengruppeneinflusses.......................................................... 54 2.2 Forschungsdesiderat und Ansatzpunkt des Forschungsprojekts: Relevanz des politischen Kontextes und indirekte