Linienfiihrung elektl'ischer Bahnen Von Obel'ingenieul' Karl Trautvetter Hilfsarbeiter im Mlnisterlum der ijlfentllohen Arbeiten Berlin Verlag von Julius Springer 1920 ISBN-13: 978-3-642-47309-8 e-ISBN-13: 978-3-642-47760-7 DOl: 10.1007/978-3-642-47760-7 Aile Rechte vorbehalten. Copyright by Julius Springer in Berlin 1920. VOI"wort. Vorliegende Arbeit stellt cine Erganzung mcinN 1913 im gleiehen Verlag ersehienenen Schrift "Elektrische StraBen bahnen und straBen bahn ahnliche Vo rort- und trberlandbahnen" dall. Wie dort im Vorwort gesagt, war die Absicht, in gedrangter Form einen kurzen Leitfaden zu geben. l\fanche interessante Frage konnte deshalb nieht in del' wiin schenswerten Weise behandelt werden. Solche Fragen sind inzwischell in Fachkreisen lebhaft erortert worden; es sei hier nur erwahnt die Elektrisierung der Staatsbahnen, der Ausbau der groBstadtischen Schnellbahnen, der Vorschlag von SehnellstraBenbahnen, die Wechsel beziehungen von GroBstadtentwicklung und Bahnverkehr, die durch den Krieg entstandenen Tarifnote u. a. Infolge der Gemeinsamkeit vieleI' Fragen, z. B. der Stromversorgung odeI' der Linienverbindungen, fUr aUe Bahnarten, :Fernbahnen, Stadte bahnen, Vorort- und stadtisehe Bahnen, habe ieh es fiir riehtig gehalten, diese Grenzgebiete in vorliegender Arbeit mit zu behandeln. leh habe ihm deshalb den Titel "Linienfiihrung elektrischer Bahnen" gegeben, obwohl den brei1iesten Raum die Abhandlungen iiber StraBenbalmen einnehmen. Aus dem Tite1 diirfte hervorgehen, daB ·keine ersehopfende Darstellung aUer Bau-und Betriebsanlagen gegeben werden soIl, sondern nur ein saehlieher trberbliek, wie er fUr das Gesamtverstandnis erforder lieh ist. loh habe dabei besonders an Kommunen gedacht, die sich iiber diese Fragen unterrichten wollen, ehe sie die Errichtullg eines Bahn unternehmens beschlieBen. Aber auch allen Vcrkehrstechnikern diirfte ein derartiger handlicher und iibersichtlicher Leitfaden neben Sonder schriften recht willkommen sein. Die Zahl elektrisch betriebener Fernbahnneubauten ist so gering, daB ii.ber LinienfUhrung aHein nieht sehr viel Besonderes zu beriehten ist (dies solI vielleieht einer spateren Schrift vorbehalten bleiben), und liber LinienfUhrung del' Dampffernbahnen gibt es eille umfangreiche [V Vorwort. Literatur. Es ist aber nieht lUeine Absieht gewesen, alles Vorhalldelle hier noehmals wiederzugeben. In einem starken Quellenverzeiehnis ist die einsehlligliehe Literatur angegeben. Aueh Tertiarbahnen (Grubenbahnen, Waldbahnen, Seilbahl1en, Zahn stangenbahnen usw.) habe ieh hier ausgesehieden. Wer Abbildungen zu meiner neuen Sehrift vermiBt, benutze dazu mein erstes \Verk. Die gute Aufnahme, die dieseA gefunden hat, erhoffe ieh auch fUr vorliegende Arbeit. Berlin -Siidende, im August 1919 Karl Trautvetter. Inhaltsverzeichnis. A. Gcschichtliches. . B. Einteilung der elektrischen Balmen ... . . . . 2 C. Die offent.lich-rechtliche Stellung der dektrischcll Bahnen 4 D. Entwurfsfragen ........ . 6 1. Dampf oder Elektl'izitiit? . . 6 2. Wahl der Verkehrsart .... 9 3. Wahl der Reisegeschwindigkeit, 15 4. Wahl der Spurweite .. IS 5. Wahl der Gleisart . . . . . . 21 6. Wahl der Betriebsmittel ... 24 7. Wahl der Stromart und der Stromspannung 41 8. Stromerzeugung und Stromverteilung . 44 9. Lage der Wagenhallell und Werkstii.tten 55 E. Vorschriften und Bedingungen . 56 1. Die Eisenbahngesetzgebung . 56 2. Benutzung offentlicher Wege 57 3. Anspriiche der Anlieger 59 '.1" 1\fitbenutzung fremder Glei8e 60 5. Bahnkreuzungen. . . . . . 61 6. Kreuzung von Wasserwegen 65 7. Leitungsanlagen . . . . . . 67 8. Bergbauinteressen . . . . . 78 9. Bedingungen der Reichsp08t 81 10. Bedingungen der Landesverteidigung 82 11. Bahngrundrecht . 83 F. Wirtschaftliches . . 86 1. Verkehrsstatistik . 86 2. iilllagekosten 90 3. Einnahmen US 4. Ausgaben . . 97 5. Tarife lOS G. Betriebstechnisehe Grundlagen der Linienfiihrung 111 1. Bewegungswiderstande . HI It) Reibungswiderstandc ,....... Il2 b) Luftwiderstande. . . . . . . . . . . 112 c) Widerstand in Steigungen und Gefii.llen llS d) Widerstand in Bahnkriimmungen (Bogenwiderstand) ll3 e) Widerstand infolge Beschleunigung 114 f) Gesamtwiderstand . . , . . . . . . . . . . . . . 114 VI Inhaltsverzei ohnis. 2. Adhli.sion . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Zugkraft. Besohleunigung und Verzogerung. 116 4. Neigungsverhaltnisse . . . . . . . . . . . 117 5. Kriimmungsverhli.Itnisse . . . .' . . . . . 120 H. Verkehrsteohnisohe Grundlagen der Linienfiihrung 123 1. Der Weltverkehr. . . . . . 123 2. Der Inlandsverkehr. . . . . 124 a) Haupt. und Nebenbahnen 124 b) Stii.dtebahnen. . . 125 c) tTheriandbahnen 125 3. Der ortliche Verkehr. . . . 126 a) Verkebrspolitik und Wohnwesen 126 b) Verkehrszahlungen ... . . . 128 c) Die groBstii.dtischen Verkehrsmittel 130 IX) Stadt· und Vorortbahnen 130 fJ) Stadtschnellbahnen . . . . '.' 131 r) StraBenbahnen . . . . . . . . 132 ~) Sonstige groJ3stii.dtische Verkehrsmittel 133 ,i. Die Linienfiihrung der StraBenbahnen 134 a) Das StraJ3ennetz. . 134 b) Durchmesserlinien. . . . 136 c) Ringlinien . . . . . . . 137 d) Zusammengesetzte Linien 137 e) StraJ3eneinmiindungen und .kreuzungen 138 f) Platzanlagen . . . . . . . 141 g) Linienenden . . . . . . . . . . . . 142 h) Unterirdische Linienfiihrung . . . . . 145 1. Bautechnische Grundlagen der Linienfiihrung 147 1. Bodenverhiiltnisse . . . 147 2. Die StraJ3enbefestigung . 152 3. Der StraJ3enquerschnitt . 155 4. Die G1eislage . . . . . 158 a) In der StraBe ohne Abtrennung 158 b) In der StraJ3e auf besonderem Bahnstreifen 164 c) Auf besonderem Babnkorper an der StraBe oder getrennt von ihr 166 Quellennachweis . . , 170 Sachworterverzeichnis ... , ................ , .. 174 A. Geschichtliches. Das elektrische Bahnwesen ist noch jung an Jahren. Bis zum Jahre 1880 gab es nur Pferde- und Dampfstrallenbahnen. 1882 wurde die erste Umwandlung einer Pferdebahn in eine elektrische Strallenbahn vorgenommen, von Charlottenburg nach dem Spandauer Bock. 1879 hatte zum erstenmal Werner v. Siemens eine elektrische Bahn auf der Gewerbe-und Industrieausstellung in Berlin vorgefiihrt. 1881 wurde der Betrieb der ersten, dem offentlichen Personenverkehr dienenden elektrischen Bahn in Lichterfelde yom Bahnhof nach der Kadetten anstalt eroffnet. Der Bau elektrischer Bahnen, zunachst innerstadtischer Strallen bahnen, nahm einen unvergleichlichen Entwicklungsgang. 1884 erhielt Frankfurt a. M. elektrischen Betrieb, 1891 Halle, 1892 Gera, Bremen, 1893 Hannover, Dresden, Breslau, Essen, Chemnitz u. a. Die Stockung zwischen den Jahren 1884 und 1892 ist auf die mangelnde Erfahrung, falsche Spekulationen, ungiinstige wirtschaftliche Lage und auf die ungeklarten gesetzlichen Verhaltnisse zuriickzufiihren. Der bedeutende, mit den Jahren 1892 einsetzende Aufschwung ist zum grollen Teil durch die Einfiihrung des Kleinbahngesetzes (1. Okt. 1892) veranlallt worden. Die Zwischenzeit wurde in Amerika zu umfangreichen Anlagen nicht nur innerstadtischer Strallenbahnen, sondern auch von Vorort- und Vberlandbahnen benutzt. Von dort mullten sich deutsche Unternehmungen zunachst die I:.ehren holen. Heute weist Deutschland elektrische Bahnen jeder Art auf, die den besten auslandischen an die Seite gestellt werden konnen. Die Entwicklung des Strallenbahnbaues halt zunachst in Deutsch land noch an, wahrend in Amerika in den letzten Jahren ein Riickgang festzustellen ist, der hauptsachlich auf die immer hoher werdenden Ab gaben 2;urUckgefiihrt werden mull. Wir werden spater sehen, dall diese Gefahr auch dem deutschen Strallenbahnwesen droht. Die neueste Entwicklungsstufe der Strallenbahnen stellen die elek trischen Vberlandstrallenbahnen dar. Nachdem aHe Groll- und Mittel stii.dte mit innerstadtischen Strallenbahnen zum grollen Teil versorgt sind, haben sich fiir die Anlage von Vorort- und Vberlandbahnen, Tuutvetter, Linienfl1hrung. 1 2 Einteilung der elektrischen Balmen. begiinstigt durch die neuzeitlichen Dberlandzentralen-Bauten mit ihrer iiberallhin reichenden Stromversorgung zu niedrigen Preisen, neue Wirkungsgebiete aufgetan. Mit der Einfiihrung des elektrischen Betriebes auf den Londoner Untergrund-Stadtbahnen im Jahre 1897 beginnt die Entwicklung der modernen Stadtschnellbahilen. Das niichste noch zu ero h.ernde Feld fiir elektrische Bahnen sind die Vollbahnen. Es konnte zuniichst wundernehmen, daB die Elektrisie rung der Vollbahnen so auBerordentlich langsam vor sich geht. Dies ist einmal dadurch begriindet, daB der Umbau. auBerordentlich umfang reicher Dampfanlagen hohe Kosten, viel Zeit, viel Erfahrung und viel Umsicht erfordert, um Storungen im Betrieb, Fehlschlage und finanzielle Verluste zu vermeiden, wogegen es wesentlich einfacher ist, neue Bahnen, insbesondere Kleinbahnen, gleich von vornherein elektrisch einzurichten, das andere Mal durch die vielen Stromsysteme, die fiir Vollbahnbetrieb in Betracht kommen, von denen noch keines die Alleinherrschaft er rungen hat. B. Einteilung der elektriscben ·Babnen. Nach ihrer ()ffentlich-rechtlichen Stellung unterscheidet man in PreuBen: Hauptbahnen (Vollbahnen, Primiirbahnen), Nebenbahnen (Sekundiirbahnen, Vizinalbahnen, Bahnen unter. geordneter Bedeutung) und Kleinbahnen (Tertiiirbahnen, Lokalbahnen). Zu den Kleinbahnen gehOren auch nebenbahnahnliche Kleinbahnen, StraBenbahnen und PrivatanschluBbahnen. Die Bezeichnungen "Hauptbahn" und "Nebenbahn" sind fiir ganz Deutschland durch Vereinbarungeinheitlich geregelt. Fiir "Kleinbah nen" haben die Einzelstaaten besondere Bestimmungen getroffen. So unterstehen sie in Bayern den Gesetzen und Verordnungen, die fiir Eisen bahnen erlassen sind, in Sachsen der Vollbahnverordnung vom 26. Juni 1851, in Wiirttemberg dem Eisenbahngesetz vom 18. April 1843, in Baden dem Eisenbahngesetz vom 23. Juni 1900, in Hessen dem Eisen bahngesetz vom 29. Mai ~884. In auBerdeutschen Staaten gibt es iihnliche Gesetze und Verordnungen, wenn auch die Bezeichungen der Bahnarten oder ihre gesetzlichen Grenzen hiiufig andere sind. Nach Besitzverhiiltnissen kann man unterscheiden: Staatsbahnen, Reichseisenbahllen, Kommunalbahnen (Provillzialbahnen, Kreisbahnen), stiidtische Bahnen und Privatbahnen (Industriebahnen, Grubenbahnen, Forstbahnen). Einteilung der elektrisohen Bahnen. 3 Viele Bahnen sind im Besitz von gemischten Verbiinden. Die genauen Verhiiltnisse lassen sich in der Regel'nicht ohne weiteres aus dem Namen des Unternehmens erkennen. Nach dem Verkehrszweck trennt man: Personenbahnen, Giiterbalmen, Bahnen mit Personen- und Giiterverkehr. Nach dem Verkehrsgebiet konnen wir unterscheiden: Weltverkehrslinien, Inlandslinien und ortliche Bahnen. Unterklassen dieser sind: Stadtbahnen (innerstiidtische Bahnen, StraBeRbahnen, Lokal bahnen), Vorortbahnen, Oberlandbahnen (Kreis bahnen, Stadte bahnen [interurbane Bahnen], Fernbahnen), Touristenbahnen. Nach der Linienfiihrung bezeichnet man Bahnlinien als: Radial- und Diagonalbahnen, Ringbahnen, Strandbahnen, Waldbahnen, Feldbahnen. Nach den Geliindeverhiiltnissen als: Flachlandbahnen, Hiigellandbahnen, Gebirgsbahnen (Bergbahnen, Steilbahnen). Nach der Spurweite als: Normalspurbahnen (Vollspurbahnen), Breitspurbahnen, Schmalspurbahnen. Nach der Lage zur StraI3enhohe als: StraBenbahnen, Unterpflasterbahnen, Untergrundbahnen, Tunnelbahnen, Hochbahnen, Schwe be bahnen. Nach der Kraftquelle als: Rollbahnen (Handbahnen), Pferde bahnen, Dampfbahnen, . Elektrische Bahnen und andere (Gas, Benzol, Benzol-elektrisch, PreI3luft, Schwerkraft). Nach der Stromart als: Gleichstrombahnen, Wechselstrombahnen (einphasiger oder einfacher Weohselstrom, Einphasenbahnen ), 1* 4 Die offentlieh-reehtliehe SteUung der elektrisehen Bahnen. Drehstrombahnen (dreiphasiger Wechselstrom), Bahnen mit gemischter Stromart. Nach der Stromubertragungsart als: Bahnen mit Oberleitung (oder dritter Schiene), Bahnen mit unterirdischer StromzufUhrung, Akkumulatorenbahnen, Bahnen mit gemischtem Strombezug. Nach den Betriebsmitteln als: Bahnen mit Triebwagen (Motorwagen), Bahnen mit Lokomotivbetrieb, Bahnen mit gemischten Betriebsmitteln. c. Die ijftentlich-rechtliche Stellung der elektrischen Bahnen. Man -hat zu unterscheiden zwischen Bahnen, fUr die maBgebend ist das Eisenbahngesetz vom 3. November 1838 und solchen, fUr die das Kleinbahngesetz gilt. Die stadtischen StraBenbahnen bilden in PreuBen eine Klasse der Kleinbahnen. Fur ihre rechtliche Stellung ist maBgebend "das Gesetz uber Kleinbahnen und PrivatanschluBbahnen vom 28. Juli 1892". § 1 des Gesetzes lautet: "Kleinbahnen sind die dem offentliehen Verkehr dienenden Eisenbahnen, welehe wegen ihrer geringen Bedeutung fiir den allge meinen Eisenbahnverkehr dem Gesetz iiber die Eisenbahnuntemehmungen vom 3. November 1838 nieht unterliegen. Insbesondere sind Kleinbahnen der Regel naeh solehe Bahnen, welehe hauptsiiehlieh den ortliehen Verkehr innerhalb eines Gemeindebezirkes oder benaehbarter Gemeindebezirke vermitteln, sowie Bahnen, welehe nieht mit Lokomotiven betrieben werden. Ob die Voraussetzung fiir die Anwendbarkeit des Gesetzes vom 3. November 1838 vorliegt, entseheidet auf Anrufen der Beteiligten das Staatsministerium." Weiter heiBt es in der Ausfiihrungsanweisung vom 13. August 1898: "Unter den zum Betrieb mit Masehinenkraft eingeriehteten Kleinbahnen sind naeh ihrer Zweekbestimmung und Ausdehnung zwei Klassen zu unterseheiden. Die eine umfa13t die stadtisehen Stra13enbahnen und solehe Untemehmungen, welehe trotz der Verbindung von Naehbarorten infolge ihrer hauptsiiehliehen Be stimmung fiir den Personenverkehr und ihrer bauliehen und Betriebseinriehtungen einen den stiidtisehen StraBenbahnen ahnliehen Charakter haben." Es gehOren hierher also zunachst die rein stadtischen StraBenbahnen und die straBenbahnahnlichen Vorortbahnen. Die Stellung der straBenbalmahnlichen Dberlandbahnen ist nicht so eindeutig bestimmt. Dieselbe Ausfiihrungsanweisung besagt femer: "Der zweiten Klasse sind die jenigen Kleinbahnen zuzureehnen, welehe dariiber hinaus den Personen-und Giiter verkehr von Ort zu Ort vermitteln und sieh naeh ihrer Ausdehnung, Anlage und Einriehtung der Bedeutung der naeh dem Gesetze iiber die Eisenbahnunterneh. mungen vom 3. November 1838 konzessionierten Nebeneisenbahnen niihern (ne be n bahniihnliehe Klein b ahnen)."