LINEARE ALGEBRA UND ANALYTISCHE GEOMETRIE I (WS 12/13) BERNHARD HANKE 16.10.12 Die Vorlesung Lineare Algebra erstreckt sich u¨ber zwei Semester und befasst sich mit folgenden Themen: • L¨osung linearer Gleichungssysteme. Dies ist oft durch konkrete Fragestellungen mo- tiviert und hat Anwendungen in allen Wissenschaften, in denen es um die exakte Berechnung von Gr¨oßen geht. • Entwicklung der Theorie der Vektorr¨aume. Hier erarbeiten wir eine algebraische Theorie, die eng mit der L¨osungstheorie linearer Gleichungssysteme verbunden ist. Wir werden viele mathematische S¨atze beweisen, die fu¨r alle Vektorr¨aume gelten und daher in ganz verschiedenen Situationen Anwendung finden. • Theorie der linearen Abbildungen. Hier geht es um strukturerhaltende Abbildun- gen zwischen Vektorr¨aumen. Diese sind wichtig, um verschiedene Vektorr¨aume in vernu¨nftiger Weise in Beziehung zu setzen. • Matrixrechnung. Lineare Abbildungen k¨onnen vollst¨andig durch sogenannte Matrizen beschrieben werden. In dieser Vorlesung wird der Matrixkalku¨l einen breiten Raum einnehmen. • Analytische Geometrie. Aus mathematischer Sicht ist dies einer der attraktivsten und wichtigsten Aspekte der Vorlesung. Untersucht wird die Geometrie von Punkten, Geraden, Ebenen und ihrer h¨oherdimensionalen Verallgemeinerungen. Diese Objekte k¨onnen als L¨osungsmengen von linearen Gleichungssystemen aufgefasst werden. Die geometrische Vorstellung der Lagebeziehungen dieser Objekte im dreidimensionalen Raum wird dabei auf beliebige Dimensionen verallgemeinert. Die Beschreibung von geometrischen Operationen wir Spiegelungen und Drehungen mittels Matrizen spielt hier eine wichtige Rolle. 1. Lineare Gleichungssysteme, der Gauß’sche Algorithmus AufeinerAugsburgerSemesteranfangspartysolldasGetr¨ank Goaß’nMass“ gemixtwerden. ” Die Zutaten sind • Weißbier (5%), • Kirschlik¨or (30%), • Cola mit Rum (10%). Wir stellen uns folgende Fragen: • Welche Menge von jeder Zutat wird ben¨otigt, um ein ein Liter Getr¨ank mit einem Alkoholgehalt von 20% zu erhalten? • Gibt es mehrere L¨osungen dieses Problemes oder nur eine? Wie kann die Gesamtheit der L¨osungen beschrieben werden? 1 Wir bezeichnen die Menge von Weißbier (in Litern) mit w, von Kirschlik¨or mit k und von Cola mit c und erhalten folgendes Gleichungssystem: (I) w+k +c = 1 (II) 5w+30k +10c = 20. Fu¨r obigen Problem mu¨ssen wir außerdem w,k,c ≥ 0 voraussetzen. Subtraktion des Fu¨nffachen der ersten Gleichung von der zweiten und Division durch 5 fu¨hrt auf 5k +c = 3 und ein Tripel (w,k,c) ∈ R3 liegt genau in der L¨osungsmenge des Gleichungssystems, falls (w,k,c) ∈ {(4t−2,t,3−5t) | t ∈ R}. Hier haben wir k = t ∈ R als freien Parameter gew¨ahlt und daraus die Werte fu¨r c und w aus den vorhergehenden Gleichungen berechnet. Diese L¨osungsmenge beschreibt eine Gerade im Raum. Die zus¨atzliche Bedingung w,k,c ≥ 0 fu¨hrt auf t ∈ [1, 3]. Zwei m¨ogliche Rezepte sehen 2 5 also wie folgt aus: Man nehme • 1/2 Liter Kirschlik¨or, • 1/2 Liter Cola mit Rum, • 0 Liter Weißbier. oder • 3/5 Liter Kirschlik¨or, • 0 Liter Cola mit Rum, • 2/5 Liter Bier. Es gibt natu¨rlich noch viele andere L¨osungen (eine fu¨r jedes t ∈ [1/2,3/5]). Wir konzentrieren uns im folgenden nur auf das durch (I) und (II) gegebene lineare Glei- chungssystem ohne die zus¨atzliche Bedingung w,k,c ≥ 0. Es ist interessant, die L¨osungen der einzelnen Gleichungen (I) und (II) in einem r¨aumlichen Koordinatensystem mit Koor- dinaten w,k,c zu veranschaulichen. Jede der Gleichungen beschreibt eine Ebene in diesem Koordinatensystem. Die L¨osungsmenge beider Gleichungen entsteht durch den Schnitt dieser beidenEbenenunddieserdefinierteineGerade.WirerhaltenaufdieseWeiseeinegeometrische Veranschaulichung der L¨osungstheorie linearer Gleichungssysteme. Diese Betrachtung fu¨hrt auf den Begriff der Dimension. Die L¨osungsmenge jeder einzelnen derGleichungen(I)und(II)isteineEbeneundsomitzweidimensional,dennwirk¨onnenjeweils zwei Parameter frei w¨ahlen (und der dritte ist dann eindeutig bestimmt). Der Schnitt der beiden Ebenen, also die L¨osungsmenge des gesamten Gleichungssystems, ist eindimensional. Der Dimensionsbegriff spielt in unserer Vorlesung eine wichtige Rolle. Es ist klar, dass es bei obigem Gleichungssystem nicht auf die Namen der Variablen w,k,c ankommt. Es genu¨gt also, nur die auftretenden Koeffizienten in der sogenannten erweiterten Koeffizientenmatrix (cid:18) (cid:19) 1 1 1 1 5 30 10 20 zusammenzufassen. Jede Zeile dieser Matrix steht dabei fu¨r eine Gleichung. 2 Wir untersuchen also Gleichungssysteme der Form a x +···+a x = b 11 1 1n n 1 a x +···+a x = b 21 1 2n n 2 . . . . . . a x +···+a x = b m1 1 mn n m Dies sind m lineare Gleichungen in n Unbekannten x ∈ R mit Koeffizienten a ∈ R, b ∈ R, j ij i wobei 1 ≤ i ≤ m, 1 ≤ j ≤ n. Wir sprechen auch von einem linearen Gleichungssystem u¨ber R. Dieses Gleichungssystem heißt homogen, falls b = b = ··· = b = 0. Folgende Fragen 1 2 m liegen nahe: • Unter welchen Voraussetzungen sind derartige Gleichungssysteme l¨osbar? • Falls L¨osungen existieren, welche Struktur hat die L¨osungsmenge L ⊂ Rn? • Wie kann man L effektiv berechnen? Die lineare Algebra gibt auf diese und viele weitere Fragen sehr befriedigende Antworten. Im Allgemeinen ist es hilfreich, den geometrischen Gehalt obiger Gleichungen zu beleuchten. Als Illustration betrachten wir die Gleichung 2x +x = 1 1 2 u¨ber R. Diese Gleichung beschreibt eine Gerade durch die Punkte (1,0) und (0,1) im R2. 2 Die L¨osungsmenge der Gleichung 0x +0x = 0 ist der ganze R2 und die L¨osungsmenge der 1 2 Gleichung 0x +0x = 1 ist leer. Im Allgemeinen ist die L¨osungsmenge einer Gleichung 1 2 a x +···+a x = b 1 1 n n eine Hyperebene im Rn, falls mindestens ein a (cid:54)= 0, j = 1,...,n. Diese Hyperebenen sind j gewisse (n−1)-dimensionale Teilr¨aume“ im Rn (d.h. Geraden, falls n = 2, Ebenen, falls ” n = 3 etc.). Die L¨osungsmenge des gesamten Gleichungssystems ist der Schnitt solcher Hyperebenen (eine fu¨r jede Gleichung). Im Allgemeines sollte die L¨osungsmenge eines linearen Gleichungssystems aus m Gleichungen in n Unbestimmten die Dimension“ n−m haben. ” Was dies genau bedeutet, werden wir sp¨ater in der Vorlesung sehen. 17.10.12 Wir beschreiben den folgenden Algorithmus zur L¨osung linearer Gleichungssysteme, das sogenannte Gaußsche Eliminationsverfahren. Der U¨bersichtlichkeit halber fassen wir wieder die Koeffizienten a ∈ R des obigen Systems zur Koeffizientenmatrix ij a a ... a 11 12 1n a a ... a 21 22 2n A := (aij)1≤i≤m, 1≤j≤n := ... ... ... ... a a ... a m1 m2 mn mit m Zeilen und n Spalten zusammen. Wir sprechen auch von einer (m×n)-Matrix. Wir betrachten daneben auch die erweiterte Koeffizientenmatrix a a ... a b 11 12 1n 1 a a ... a b 21 22 2n 2 (A|b) := ... ... ... ... ... , a a ... a b m1 m2 mn m 3 also eine (m×(n+1))-Matrix. Wir werden sp¨ater Matrizen im Zusammenhang mit linearen Abbildungen noch genauer untersuchen. Hier dienen sie nur der bequemen Notation. Es ist klar, dass jede (m × (n + 1))-Matrix die erweiterte Koeffizientenmatrix genau eines lineares Gleichungssystems mit m Gleichungen und n Unbekannten ist. Wir betrachten nun die folgenden Operationen, genannt elementare Zeilenumformungen, auf der erweiterten Koeffizientenmatrix: • Vertauschung zweier Zeilen. • Addition des λ-fachen der i -ten Zeile zur i -ten Zeile, wobei λ ∈ R und 1 ≤ i ,i ≤ m, 1 2 1 2 i (cid:54)= i . 1 2 Diese ¨andern die L¨osungsmenge des zugrunde liegenden Gleichungssystems nicht: Proposition 1.1. Angenommen, die erweiterten Koeffizientenmatrizen (A|b) und (A(cid:48)|b(cid:48)) gehen durch elementare Zeilenumformungen auseinander hervor. Dann stimmen die L¨osungsmengen der entsprechenden linearen Gleichungssysteme u¨berein. Beweis. Dies ist offensichtlich bei der Vertauschung zweier Zeilen, denn dann werden einfach zwei Gleichungen vertauscht. Angenommen (x ,...,x ) l¨ost das System (A|b), und (A(cid:48)|b(cid:48)) 1 n gehe aus (A|b) durch Addition des λ-fachen der i -ten zur i -ten Zeile hervor. Dann lautet 1 2 die neue i -te Gleichung: 2 (λa +a )x +···+(λa +a )x = λb +b i11 i21 1 i1n i2n n i1 i2 Da (x ,...,x ) die i -te und die i -te Gleichung l¨ost, ist aber (x ,...,x ) auch eine L¨osung 1 n 1 2 1 n dieser neuen Gleichung. Damit ist die L¨osungsmenge des Gleichungssystems zu (A|b) in dem zu (A(cid:48)|b(cid:48)) enthalten. Die andere Inklusion zeigt man analog, denn (A|b) entsteht durch Addition des (−λ)-fachen der i -ten Zeile zur i -ten Zeile aus (A(cid:48)|b(cid:48)). (cid:3) 1 2 Die elementaren Zeilenumformungen sind deshalb nu¨tzlich, weil man mit ihrer Hilfe jedes lineare Gleichungssystem in Zeilenstufenform bringen kann. Definition. Ein lineares Gleichungssystem ist in Zeilenstufenform, falls die (nicht erweiterte) Koeffizientenmatrix A in Zeilenstufenform vorliegt: Entweder hat diese Matrix nur 0 als Eintr¨age oder es gibt ein 1 ≤ r ≤ m und eine Folge 1 ≤ j < j < ··· < j ≤ n mit den 1 2 r folgenden Eigenschaften: • Fu¨r alle 1 ≤ i ≤ r gilt a = 0, falls j < j . ij i • Fu¨r alle 1 ≤ i ≤ r gilt a (cid:54)= 0. iji • Es gilt a = 0, falls i > r. ij Insbesondere sind alle Zeilen unterhalb der r-ten Zeile gleich 0. Die von Null verschiedenen Elemente a , i = 1,...,r heißen Pivotelemente des Glei- iji chungssystems, bzw. der Koeffizientenmatrix. Proposition 1.2. Jedes lineare Gleichungssystem l¨asst sich durch elementare Zeilenumfor- mungen auf Zeilenstufenform bringen. Beweis. Falls die Koeffizientenmatrix A nur 0 als Eintr¨age hat, sind wir schon fertig. Andern- falls w¨ahlen wir einen minimalen Spaltenindex j , 1 ≤ j ≤ n, mit der Eigenschaft, dass es 1 1 einen Zeilenindex i ∈ {1,...,m} gibt mit a (cid:54)= 0. Wir vertauschen nun in (A|b) die erste 1 i1j1 mit der i -ten Zeile. Dann ist der j -te Eintrag der ersten Zeile ungleich 0 und alle Eintr¨age in 1 1 der Matrix A links von der j -ten Spalte sind gleich 0. Indem wir in (A|b) geeignete Vielfache 1 4 der ersten zur zweiten bis m-ten Zeile addieren, machen wir alle a zu Null, falls i > 1. ij1 Dieses Verfahren wiederholen wir fu¨r die Teilmatrix von (A|b) bestehend aus der zweiten bis zur m-ten Zeile. (cid:3) Ist ein lineares Gleichungssystem in Zeilenstufenform gegeben, so l¨asst sich dieses sehr einfach l¨osen. Angenommen es existiert ein b (cid:54)= 0 mit i > r. Dann ist die L¨osungsmenge leer. i Andernfalls bestimmen wir die L¨osungsmenge wie folgt: Fu¨r jede beliebige Wahl der n−r Zahlen x ∈ R fu¨r 1 ≤ j ≤ n, j (cid:54)= j ,j ,...,j ( freie Parameter“) existiert genau eine Wahl j 1 2 r ” der verbleibenden Komponenten x ,...,x , so dass (x ,...,x ) das Gleichungssystem l¨ost. j1 jr 1 n Denn durch die r-te Gleichung ist wegen a (cid:54)= 0 und a = 0 fu¨r j < j die Komponente x rjr rj r jr eindeutig durch die Zahlen x ,...,x ,b festgelegt: jr+1 n r 1 x = (b −a x −···−a x ) jr a r rjr+1 jr+1 rn n rjr Danach legt die (r−1)-te Gleichung die Komponente x der L¨osung eindeutig fest und so jr−1 weiter. Umgekehrt sind natu¨rlich durch jede L¨osung (x ,...,x ) des Gleichungssystems die 1 n Komponenten x , j (cid:54)= j ,...,j eindeutig bestimmt. Damit gilt: j 1 r Satz 1.3. Es sei wie oben ein lineares Gleichungssystem u¨ber R in Zeilenstufenform gegeben. Es sei L ⊂ Rn die L¨osungsmenge. Dann existiert eine eineindeutige Beziehung zwischen Elementen von Rn−r und von L: • Zu jedem (n − r)-Tupel (λ ,...,λ ) ∈ Rn−r k¨onnen wir die eindeutig bestimmte 1 n−r L¨osung (x ,...,x ) des Gleichungssystems berechnen, bei der die freien Parameter 1 n x , j (cid:54)= j ,...,j gleich λ ,...,λ gesetzt wurden. j 1 r 1 n−r • Umgekehrt bestimmt jedes n-Tupel (x ,...,x ) ∈ L eindeutig die Komponenten x , 1 n j j (cid:54)= j ,...,j , und damit die freien Parameter λ ,...,λ . 1 r 1 n−r Dieses Theorem erlaubt es, die L¨osungsmenge des Gleichungssystems in der sogenannten Parameterform anzugeben, bei der die L¨osungen in Abh¨angigkeit von den freien Parametern λ ,...,λ aufgeschreiben werden. 1 n−r Da wir jedes lineare Gleichungssystem auf Zeilenstufenform bringen k¨onnen ohne die L¨osungsmenge zu ¨andern, haben wir somit eine effiziente Methode gefunden, beliebige lineare Gleichungssystem zu l¨osen. Als Beispiel betrachten wir das lineare Gleichungssystem 3x +x = 2 6 7 2x +4x +6x +5x = 3 2 4 5 7 2x +x +7x +8x +x +5x = 4 2 3 4 5 6 7 2x +4x +6x +3x +6x = 5 2 4 5 6 7 u¨ber R. Dieses hat die erweiterte Koeffizientenmatrix 0 0 0 0 0 3 1 2 0 2 0 4 6 0 5 3 (A|b) := . 0 2 1 7 8 1 5 4 0 2 0 4 6 3 6 5 5 Durch elementare Zeilenumformungen wird daraus die erweiterte Koeffizientenmatrix 0 2 0 4 6 0 5 3 0 0 1 3 2 1 0 1 , 0 0 0 0 0 3 1 2 0 0 0 0 0 0 0 0 deren (nicht erweiterte) Koeffizientenmatrix in Zeilenstufenform vorliegt. Die L¨osungsmenge L dieses Gleichungssystems ist in Parameterform gegeben durch λ (cid:12) 1 (cid:12) 3 −2λ −3λ − 5λ (cid:12) 2 2 3 2 4 (cid:12) 1 −3λ −2λ + 1λ (cid:12) 3 2 3 3 4 (cid:12) L = λ (cid:12) λ ,λ ,λ ,λ ∈ R ⊂ R7, 2 (cid:12) 1 2 3 4 λ3 (cid:12)(cid:12) 23 − 31λ4 (cid:12)(cid:12) λ (cid:12) 4 wobei wir die Elemente in R7 als Spaltenvektoren schreiben. 23.10.12 Aus unseren allgemeinen Betrachtungen u¨ber das Gaußsche Eliminationsverfahren erhalten wir folgende Aussage, die wir sp¨ater ben¨otigen. Korollar 1.4. Es sei ein homogenes lineares Gleichungssystem bestehend aus m Gleichungen mit n Unbestimmten gegeben. Falls m < n, so besitzt dieses Gleichungssystem mindestens eine L¨osung ungleich (0,...,0) ∈ Rn. Beweis. Ist das Gleichungssystem auf Zeilenstufenform gebracht, so muss es wegen m < n mindestens einen freien Parameter λ , 1 ≤ j ≤ n geben. Wenn wir fu¨r diesen einen Wert j ungleich 0 in R w¨ahlen, erhalten wir eine L¨osung des Gleichungssystems der geforderten Art. (cid:3) Es tauchen die folgenden theoretischen Fragen auf: • Ist die Zahl n−r der freien Parameter (d.h. die Anzahl r der Pivotelemente) durch das Gleichungssystem eindeutig festgelegt? Oder k¨onnte es sein, dass verschiedene Verfahren, das urspru¨ngliche Gleichungssystem auf Zeilenstufenform zu bringen, zu unterschiedlichen Anzahlen von Pivotelementen fu¨hren? • KannmanobigerZuordnung,dieein(n−r)-TupelvonfreienParametern(λ ,...,λ ) 1 n−r auf die entsprechende L¨osung des linearen Gleichungssystems abbildet, eine konkretere algebraische Struktur geben? Diese Fragen beantworten wir mit der Theorie der Vektorr¨aume. Innerhalb dieser Theorie k¨onnen wir unter anderem die algebraische Struktur kl¨aren, die hinter linearen Gleichungssy- stemen und ihren L¨osungen steckt. 2. Wiederholung einiger Grundbegriffe: Relationen und Abbildungen Definition. Es seien X und Y Mengen. Eine Relation zwischen X und Y ist eine Teilmenge R ⊂ X ×Y . Ist hier X = Y, so sprechen wir auch von einer Relation auf X. 6 Erfu¨llt ein Paar (x,y) ∈ X ×Y eine gegebene Relation R (d.h. (x,y) ∈ R), so schreibt man auch R(x,y) oder – noch h¨aufiger – xRy. Beispiel. • Es sei – X die Menge der H¨orer Lineare Algebra I“, ” – Y die Menge der Matrikelnummern an der Universit¨at Augsburg, – Z die Menge der Tutorgruppen zur Linearen Algebra I. Wir definieren Relationen – R := {(x,y) ∈ X ×Y | x hat Matrikelnummer y} ⊂ X ×Y. 1 – R := {(x,z) ∈ X ×Z | x ist in Tutorgruppe z} ⊂ X ×Z. 2 • Die Relation {(x,y) ∈ N×N | ∃α ∈ N mit x+α = y} ⊂ N×N auf N wird u¨blicherweise mit ≤“ bezeichnet. Erfu¨llt ein Paar (x,y) diese Relation, ” so schreibt man x ≤ y“. (Bei uns ist immer 0 ∈ N). ” Wir definieren nun Abbildungen als eine spezielle Art von Relationen: Definition. Eine Relation R ⊂ X ×Y zwischen X und Y heißt Abbildung oder Funktion von X nach Y, falls fu¨r jedes Element x ∈ X genau ein Element y ∈ Y existiert, so dass (x,y) ∈ R. In diesem Fall heißt X Definitionsbereich (oder Quelle) und Y der Wertebereich (oder Ziel) von R. Diese mu¨ssen bei einer Abbidung immer mit angegeben werden. Man kann sich eine Abbildung von X nach Y anschaulich als eine Vorschrift vorstellen, die jedem Element aus X (genau) ein Element aus Y zuordnet. Ist R ⊂ X ×Y eine Abbildung, so nennt man R auch den Graph dieser Abbildung. Diesen kann man u¨bersichtlich in einem X-Y-Diagramm darstellen. Abbildungen bezeichnet man in der Regel mit Kleinbuchstaben. Ist die Relation f ⊂ X×Y f eine Abbildung von X nach Y, so schreiben wir f : X → Y oder auch X → Y und ist in f dieser Situation (x,y) ∈ f, so schreiben wir f(x) = y, f : x (cid:55)→ y oder auch x (cid:55)→ y. Nach Definition sind zwei Abbildungen f,g : X → Y genau dann gleich (d.h. f und g sind durch die gleiche Teilmenge von X ×Y gegeben), falls f(x) = g(x) fu¨r alle x ∈ X gilt. Beispiel. • Von den Relationen {(x,y) ∈ {1}×N | y = 1} ⊂ {1}×N {(x,y) ∈ N×N | x = 1} ⊂ N×N {(x,y) ∈ N×N | y = 1} ⊂ N×N ist die erste eine Abbildung {1} → N, die dritte eine Abbildung N → N, aber die zweite keine Abbildung N → N. • Die Relation ≤ definiert keine Abbildung N → N. • Von obigen Relationen R und R ist die erste eine Abbildung, aber die zweite nur 1 2 dann, wenn sich jeder H¨orer zu einer (und nur einer) Tutorgruppe angemeldet hat. 7 Relationen und Abbildungen kann man gut durch (Pfeil-)Diagramme darstellen. Fu¨r jede Menge X gibt es eine besonders einfache Abbildung, die Identit¨at auf X: id : X → X, x (cid:55)→ x. X Sind f : X → Y und g : Y → Z Abbildungen, so bezeichnen wir die Komposition oder Hintereinanderausfu¨hrung von g und f mit g ◦f : X → Z x (cid:55)→ (g ◦f)(x) := g(f(x)). Ist f : X → Y eine Abbildung und A ⊂ X eine Teilmenge, so bezeichnet f| : A → Y, A a (cid:55)→ f(a), die Einschr¨ankung von f auf A. Definition. Es seien X und Y Mengen und f : X → Y eine Abbildung. • f heißt injektiv, falls fu¨r alle x,y ∈ X mit x (cid:54)= y immer f(x) (cid:54)= f(y) gilt. • f heißt surjektiv, falls fu¨r alle y ∈ Y ein x ∈ X mit f(x) = y existiert. • f heißt bijektiv oder eineindeutig, falls f injektiv und surjektiv ist. Beispiel. • Die oben definierte Abbildung R : X → Y ist injektiv, aber nicht surjektiv. Wenn 1 sich alle H¨orer zu einer Tutorgruppe angemeldet haben, ist die Abbildung R : X → Z 2 surjektiv (da alle Tutorgruppen mindestens einen Teilnehmer haben), aber nicht injektiv (da manche Tutorgruppen mehr als einen Teilnehmer haben). • Es sei (A|b) ein lineares reelles Gleichungssystem mit m Gleichungen und n Unbekann- ten in Zeilenstufenform. Es sei L ⊂ Rn die L¨osungsmenge dieses Gleichungssystems. Die Matrix A habe r von 0 verschiedene Zeilen. Dann ist die in Satz 1.3 definer- te Abbildung Rn−r → L, die jeder Wahl (λ ,...,λ ) von freien Parametern die 1 n−r entsprechende L¨osung in L zuordnet, bijektiv. Definition. Es sei f : X → Y eine Abbildung. • Fu¨r A ⊂ X heißt f[A] := {y ∈ Y | ∃a ∈ A mit f(a) = y} ⊂ Y das Bild von A unter f. Falls A = X, so nennen wir f[A] einfach das Bild von f, geschrieben Bildf oder imf. • Fu¨r B ⊂ Y heißt f−1[B] := {x ∈ X | f(x) ∈ B} ⊂ X das Urbild von B unter f. Eine Abbildung f : X → Y ist also genau dann injektiv (surjektiv, bijektiv), falls fu¨r alle y ∈ Y die Urbildmenge f−1[{y}] ⊂ X aus h¨ochstens (mindestens, genau) einem Element besteht. Der U¨bergang zum Urbild ist mit Mengenoperationen vertr¨aglich, d.h. ist f : X → Y eine Abbildung und sind A,B ⊂ Y, dann gilt • f−1[A∪B] = f−1[A]∪f−1[B] • f−1[A∩B] = f−1[A]∩f−1[B] 8 • f−1[A\B] = f−1[A]\f−1[B] . Beim U¨bergang zum Bild muss man aber aufpassen: Sind A,B ⊂ X, so gilt zwar immer noch f[A∪B] = f[A]∪f[B], aber im allgemeinen ist f[A∩B] eine echte Teilmenge von f[A]∩f[B] und f[X \A] eine echte Obermenge von f[X]\f[A]. Man mache sich dies an einfachen Beispielen klar! Ist f : X → Y eine Abbildung, so definiert A (cid:55)→ f[A] (U¨bergang zum Bild) eine Abbildung P(X) → P(Y), wobei P(X) := {A | A ⊂ X} die Potenzmenge von X ist, also die Menge aller Teilmengen von X. Analog definiert B (cid:55)→ f−1[B] (U¨bergang zum Urbild) eine Abbildung P(Y) → P(X). 24.10.12 Die Komposition von Abbildungen ist assoziativ: Sind f : X → Y, g : Y → Z und h : Z → T Abbildungen, so gilt h◦(g ◦f) = (h◦g)◦f. Fu¨r den Beweis mu¨ssen wir zeigen, dass fu¨r alle x ∈ X die Gleichung (h ◦ (g ◦ f))(x) = ((h◦g)◦f)(x) gilt. Aber die linke Seite ist gleich h((g ◦f)(x)) = h(g(f(x))) und die rechte Seite gleich (h◦g)(f(x)) = h(g(f(x))), also sind beide Seiten gleich. Proposition 2.1. a) Es seien f : X → Y und g : Y → X Abbildungen, so dass g ◦f = id . Dann ist f injektiv und g surjektiv. X b) Eine Abbildung f : X → Y ist genau dann bijektiv, falls es eine Abbildung g : Y → X gibt, so dass g ◦f = id , f ◦g = id . X Y Beweis. Zu a): Seien x,x(cid:48) ∈ X mit f(x) = f(x(cid:48)). Es folgt x = id(x) = g(f(x)) = g(f(x(cid:48))) = id(x(cid:48)) = x(cid:48). Damit ist f injektiv. Sei nun x ∈ X. Nach Annahme ist dann g(f(x)) = x und somit ist g surjektiv, denn f(x) ist ein Urbild von x unter g. Zu b): Aus a) folgt, dass f bijektiv ist, falls eine Abbildung g mit den Eigenschaften f ◦g = id und g ◦f = id existiert. Y X Es sei nun umgekehrt f bijektiv. Ist y ∈ Y, so gibt es also genau ein x ∈ X mit f(x) = y. Wir definieren g(y) := x. Dies definiert eine Abbildung g : Y → X. Die Eigenschaft, dass f ◦g(y) = y fu¨r alle y ∈ Y, folgt aus der Konstruktion von g, denn g(y) war ja gerade so gew¨ahlt, dass f(g(y)) = y. Fu¨r die Gleichung g ◦f = id sei x ∈ X beliebig. Wir betrachen X y := f(x) ∈ Y und beachten, dass dann (trivialerweise) x ∈ X die Gleichung f(x) = y erfu¨llt. Nach Konstruktion von g haben wir also g(f(x)) = g(y) = x. (cid:3) In der Situation der letzten Proposition, Teil b), bezeichnet man die Abbildung g mit f−1 : Y → X und nennt diese Abbildung die Umkehrabbildung von f. Man beachte, dass dann f−1 zwei Bedeutungen hat, einmal als Umkehrabbildung wie eben, und einmal als Vorschrift, die fu¨r jede Teilmenge B ⊂ Y die Urbildmenge f−1[B] ⊂ X berechnet. Dies wird an der Gleichung f−1[{y}] = {f−1(y)} fu¨r alle y ∈ Y deutlich. Sind X und Y Mengen, so bezeichnen wir mit YX oder auch mit Abb(X,Y) die Menge aller Abbildungen X → Y. Die Schreibweise YX kommt daher, dass man das n-fache kartesische 9 Produkt Xn = X ×X ×···×X (n Faktoren) mit der Menge aller Abbildungen {1,2,3,...,n} → X identifizieren kann, wobei (x ,...,x ) ∈ Xn der Abbildung φ : {1,...,n} → X mit φ(i) := x entspricht. Allgemeiner 1 n i ist folgender Gesichtspunkt nu¨tzlich: Sind I und X Mengen, so k¨onnen wir die Menge XI aller Abbildungen I → X als die Menge der geordneten Tupel in X auffassen, die mit Hilfe der Elemente aus I indiziert sind. Konkret entspricht dann eine Abbildung Φ : I → X einer Familie (x ) , wobei wir x := φ(i) setzen. i i∈I i 3. Reelle Vektorra¨ume Definition. Ein reeller Vektorraum oder auch R-Vektorraum besteht aus einer Menge V, einem Element 0 ∈ V und zwei Verknu¨pfungen (d.h. Abbildungen) • + : V ×V → V, • · : R×V → V, genannt Addition und Skalarenmultiplikation, so dass folgende Axiome erfu¨llt sind: Fu¨r alle u,v,w ∈ V und alle λ ∈ R gilt • (u+v)+w = u+(v +w) (Assoziativit¨at der Addition), • v +w = w+v (Kommutativit¨at der Addition), • 0+v = v (neutrales Element fu¨r die Addition), • es existiert ein z ∈ V mit v +z = 0 (additive Inverse), • 1·v = v (neutrales Element der Skalarenmultiplikation), • (λ+µ)·v = λ·v +µ·v (erstes Distributivgesetz), • λ·(v +w) = λ·v +λ·w (zweites Distributivgesetz), • (λ·µ)·v = λ·(µ·v) (Assoziativgesetz der Skalarenmultiplikation). Die Elemente eines Vektorraumes nennt man Vektoren, die Elemente von R in diesem Kontext Skalare. Ist v ∈ V, so gibt es genau ein dazu inverses Element z ∈ V. Denn ist z(cid:48) ∈ V ebenfalls invers zu v, so rechnen wir z = 0+z = z +0 = z +(v +z(cid:48)) = (z +v)+z(cid:48) = (v +z)+z(cid:48) = 0+z(cid:48) = z(cid:48). Das eindeutig bestimmte additive Inverse zu v wird im Folgenden mit −v bezeichnet. An- statt u+(−v) schreiben wir wie u¨blich u−v. In Vektorr¨aumen gelten noch einige weitere Rechenregeln, die wir in den Tutorien besprechen. Beispiel. • R ist mit den Verknu¨pfungen + (Addition) und · (Multiplikation) selbst ein R- Vektorraum. • Die einelementige Menge {0} mit den Verknu¨pfungen 0+0 := 0 und λ·0 := 0 fu¨r alle λ ∈ R ein reeller Vektorraum, genannt Nullvektorraum. Diesen bezeichnen wir auch mit dem Symbol 0. • Die Menge Rn ist mit den komponentenweisen Verknu¨pfungen (x ,...,x )+(y ,...,y ) := (x +y ,...,x +y ) 1 n 1 n 1 1 n n λ·(x ,...,x ) := (λx ,...,λx ) 1 n 1 n und dem Nullelement 0 := (0,...,0) 10
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