Liebhaberstück Xenia Noreen Aidan Ebook-Version Goldfalcon Media 2013 Print-Version als 1.Auflage veröffentlicht von SWB-Verlag Stuttgart 2009 unter der ISBN: 978-3-938719-61-3 Freya und allen Mutigen gewidmet, die eingefahrene Pfade verlassen, um etwas Wundervolles zu schaffen Mit der Gemächlichkeit eines erfahrenen Liebhabers strich der Wind über meine nackte Haut. „Bin ich nicht schön genug?“ Gegen meinen Willen hatten meine Worte etwas Anklagendes, als ich mit beiden Händen demonstrativ über meinen Körper strich. „Bin ich nicht gut genug? Oder was? Worauf wartest du noch?“ Irgendetwas flatterte in den Kronen der Bäume. Ein Käuzchen? Eine Fledermaus? Ich beschloss, das als gutes Zeichen zu deuten. Ermutigt riss ich meine Arme in den Sternenhimmel und rief die Bitte, die so alt war wie die Geschichte der Weiblichkeit: „Bring mir den Mann meines Lebens!“ Eine Bitte, die ich schon so oft formuliert hatte, sei es in Tagträumen, Ritualen oder Stoßgebeten. So unerträglich oft, dass es mich wütend machte. Dass ich mich dem Ende meiner Geduld bedrohlich näherte. „Was ist nur los mit dir?“, hauchte ich. „Warum schickst du mir nicht endlich meinen Seelengefährten? Wie lange soll ich denn noch warten? Ist mein Leben lang etwa nicht schon lange genug für dich?“ Tief in meinem Inneren war mir schon klar, dass ich so nicht mit ihm reden sollte, dem keltischen Gott. Aber für den Aufwand, den ich trieb, konnte er sich doch auch endlich mal ein bisschen ins Zeug legen! Wo ich mir schon die Mühe machte, ein Ritual für ihn zu zelebrieren, nachts in der kleinen Lichtung eines Haselnusswäldchens in der Umgebung von Berlin. Wo der Schein meiner Ritualkerzen mich jederzeit der Peinlichkeit aussetzen konnte, von einem übereifrigen Forstbeamten entdeckt zu werden, wie ich nackt vor einem kleinen Altar aus zusammengeklaubten Steinen kniete und den Gott meiner Ahnen anrief. War das nicht ein bisschen göttliches Entgegenkommen wert? Lange hatte ich mir überlegt, welche Opfergaben ich darbringen sollte, bis mir die Idee mit Safran und Pfefferkörnern gekommen war, serviert auf einem Lorbeerblatt. Um zu symbolisieren, dass ich mit Köstlichkeiten aller Art den Mann zu verwöhnen gedachte, den der Gott mir schicken würde. Erst kürzlich hatte ich nämlich in einem Buch von Allan und Barbara Pease das Geheimnis entdeckt, wie eine Frau einen Mann glücklich machen kann, zusammengefasst unter der tiefsinnigen Formel: „Komm nackt und bring was zu essen mit!“ Nun, ich war nackt, und ich hatte die Symbole für Essen. Was konnte der Gott sich mehr wünschen? Vielleicht hätte ich doch noch ein Stück Schinken mitnehmen sollen. Nur um ganz sicher zu gehen. Und um auch die weiblichen Aspekte zu würdigen, hatte ich für die Göttin eine rote Rose sowie echtes Rosenöl dabei. Das ganz teure Zeug für dreißig Euro pro Milliliter, dargeboten auf einem Rosenblatt. Somit hatte ich mich in jeder Hinsicht spirituell korrekt verhalten. Verdiente ich da nicht endlich den Erfolg? Du warst nie bereit für ihn im Jetzt! Immer erst im Später-einmal-wenn-alles- andere-perfekt-ist. Und du kriegst es so, wie du es willst. Später einmal, wenn alles andere perfekt ist. Etwas in der Art glaubte ich zu hören im Wispern des Windes. Oder in den tiefen Bereichen meines Gehirns, die für die Selbstzerfleischung zuständig waren. Natürlich wollte ich zunächst meinen Wohnungswechsel nach Berlin durchziehen, erst mein Geschäft weiter aufbauen, denn erst dann wären die Umstände ideal für eine feste Beziehung. Das klang doch vernünftig, oder etwa nicht? Fluchend zerklatschte ich eine Stechmücke auf meinem Oberschenkel und legte schnell mehr von der Engelstrompetenräucherung auf die glimmende Kohletablette in dem sandgefüllten Keramikschälchen, damit der Qualm die Biester vertrieb. „Jetzt bin ich bereit!“, stellte ich klar. „Oh, Gott, bring endlich einen richtigen Mann in mein Leben! Aber bloß keinen dieser Vollidioten, die du mir bisher angeschleppt hast!“ Schon wieder wurde ich gestochen. Trotz der Räucherung. „Und weil wir schon dabei sind: Er sollte mit seinem Geld gut auskommen. Ich habe keine Lust, wieder ständig angepumpt zu werden!“ Noch etwas? „Und diese Weicheier, die gleich den Notarzt brauchen, wenn sie sich den Finger in die Kühlschranktür klemmen, kannst du auch selber behalten!“ Pass auf, was du sagst! Du kriegst, auf was du dich konzentrierst! Egal, ob gut oder schlecht. Ich riss mich zusammen und formulierte es neu: „Du weißt schon, was für einen Mann ich meine! Einen starken Mann, intelligent, humorvoll.“ Schon besser! Angestrengt überlegte ich. Jetzt musste alles auf den Tisch. „Oh, ja, und er soll mich als Frau begehren und mich wahnsinnig lieben! Und…“, nun stockte ich, überrascht, wie schwer es mir fiel, es auch nur auszusprechen, „…und er soll mir erfüllten Sex schenken!“ Nun fing es an zu regnen. Zitternd vor Kälte entschied ich, dass es nun reichte, verabschiedete zügig Göttin, Gott und die vier Elemente und packte zusammen. Trotz des Regens, der sich nun zu einem kräftigen Guss entwickelte, kippte ich reichlich Wasser auf die Kohletablette, damit ja kein Funke übrig blieb, zog mich frierend an und stolperte in der Dunkelheit zum Auto. Dabei verlor ich einen Schuh an ein gieriges Matschloch. Schimpfend kämpfte ich mit dem Schlamm um mein Eigentum, bis ich zwar siegreich, aber völlig verdreckt und durchnässt am Auto ankam. Ich plumpste hinters Lenkrad und stellte meinen Korb auf den Beifahrersitz. Eine der Ritualkerzen fiel um und tropfte, bevor ich es verhindern konnte, durch die Maschen des Korbes Wachs auf den Autositz. Na toll! Irgendwie hatte sich mein Ritual nicht ganz so entwickelt, wie ich mir das vorgestellt hatte. „Nur über meine Leiche!“ Diese Worte hatte ich nur geflüstert, hatte sie leise zusammen mit einer wohldosierten Prise Drohung zwischen den Zähnen hervorgepresst. Leise genug, damit die Frau sie nicht hören konnte, die hinter mir angstvoll die Bettdecke knetete. Aber deutlich genug, dass der Typ vor mir sie verstanden hatte. Einen kurzen Moment lang huschte sogar etwas über sein jungenhaftes Gesicht, das nach Gewaltbereitschaft aussah. Nur zu! Er war klein und recht schmächtig. Nicht, dass ich etwa größer gewesen wäre, doch ich hatte letztes Jahr in der Volkshochschule einen Kurs in Selbstverteidigung belegt. Und war sehr wütend. Womit der Vorteil eindeutig bei mir lag. „Das werden Sie bereuen!“, stieß er hervor. „Ich werde jetzt den Chef holen, und dann werden Sie schon sehen, was Sie davon haben!“ Mit einem Ruck drehte er sich zur Tür und verschwand. In dem Bemühen, ein beruhigendes Lächeln auf meine Lippen zu zwingen, atmete ich tief durch und wandte mich um zu Frau Steinbauer. Ich strich ihr über die schweißfeuchten Haare. „Keine Angst, es wird alles gut!“ Mit etwas Glück war das Baby da, bevor dieser Idiot mit seiner Verstärkung anrückte, die er, so mitten in der Nacht, sicher erst mal aus dem Bett klingeln musste. Eine Träne der Erschöpfung rann über das Gesicht der jungen Frau. „Aber der Herr Doktor…“ „Der Herr Doktor“, unterbrach ich sanft, aber bestimmt, „ist noch sehr jung und hat keine Berufserfahrung. Ihr Kind kommt ganz normal.“ Ich schaute auf den Monitor rechts vom Bett. „Die Herztöne sind in Ordnung. Entspannen Sie sich!“ Was dringend nötig war, denn die Hektik, die der Assistenzarzt im ganzen Geburtsraum verbreitet hatte, setzte der werdenden Mutter so zu, dass die Wehenaktivität nun deutlich zu wünschen übrig ließ. „Sie lassen mich nicht allein?“ Kraftlos hob sie eine bleiche Hand. „Nein, natürlich nicht, Frau Steinbauer! Ich bleibe bei Ihnen.“ Behutsam setzte ich mich zu ihr auf die Bettkante und drückte ihre feuchten Finger. „Bitte nennen Sie mich Doris!“, wisperte sie. „Dann nennen Sie mich Xenia!“ „Xenia?“ Sie lächelte. „Das ist schön! Wenn ich das hier überstehe und es ein Mädchen wird, nenne ich es nach Ihnen, wenn Sie bei mir bleiben, das verspreche ich! Andreas wollte zwar eine Melanie, aber welcher Mann kann einer Frau in den Wehen schon etwas abschlagen?“ „Es wäre mir eine Ehre!“