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LIEBE Amour PDF

23 Pages·2012·0.17 MB·German
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LIEBE Amour Ein Film von Michael Haneke Frankreich/Deutschland/Österreich 2012 127 Minuten, Farbe französische Originalfassung mit deutschen Untertiteln Goldene Palme, Filmfestspiele Cannes 2012 Regie und Drehbuch: Michael Haneke. Kamera: Darius Khondji. Schnitt: Monika Willi, Nadine Muse. Musik: Franz Schubert, Ludwig van Beethoven, Johann Sebastian Bach. Ton: Guillaume Sciama, Jean-Pierre Laforce. Ausstattung: Jean-Vincent Puzos. Kostüm: Catherine Leterrier. Produktion: Les films du Losange, X Filme Creative Pool, WEGA-Film. Produzenten: Margaret Ménégoz, Stefan Arndt, Veit Heiduscha, Michael Katz Mit: Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva, Isabelle Huppert, Alexandre Tharaud, William Shimmell, Ramón Agirre, Rita Blanco, Carole Franck, Dinara Droukarova, Laurent Capelluto, Jean-Michel Monroc, Suzanne Schmidt, Damien Jouillerot, Walid Afkir, u. a. "Seit Sonntagabend sind sie die glorreichen sieben von Cannes: Mit dem Gewinn seiner zweiten Goldenen Palme nach 'Das weiße Band' (2009) gehört Michael Haneke nunmehr zum erlesenen Kreis der Doppelsieger des Festivals – neben Filmemachern wie Francis Ford Coppola, Shohei Imamura und den Brüdern Dardenne. Jurypräsident Nanni Moretti würdigte in seiner Verkündigung auch das Verdienst der beiden großartigen Hauptdarsteller Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant. Mit dem sorgfältig reduzierten Kammerspiel überzeugte Haneke auch bisherige Skeptiker – nicht zuletzt den italienischen Jurypräsidenten Nanni Moretti, der Haneke den Hauptpreis übergab. Der Österreicher betrat die Bühne mit seinen französischen Hauptdarstellern Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant, denen er besonders dankte. Moretti hatte bei der Preisvergabe den 'fundamentalen Beitrag' der Schauspieler unterstrichen und offenbarte in der Jury-Pressekonferenz, dass man LIEBE gern mehr Preise gegeben hätte, was aber das Reglement verbietet. Trintignant revanchierte sich, indem er Haneke als 'den besten lebenden Regisseur' lobte." (Die Presse) "Der 81-jährige Trintignant und die 85-jährige Riva, deren Karrierehöhepunkte aus einer Zeit stammen, als Wohnungseinrichtungen wie die von Georges und Anne noch üblich waren, spielen ihre todesnahen Rollen mit – wenn man das so sagen darf – atemberaubender Genauigkeit. Und geführt von einem Regisseur, dessen Werk sich von Film zu Film in immer gelassenere Höhen schraubt." (Die Zeit) "Alles an diesem Film ist dicht und nuancenreich. LIEBE hallt lange nach, weil er uns mit unserer eigenen Sterblichkeit und der von Angehörigen und Freunden in Berührung treten lässt; zugleich ist der Film selbst wie ein Gefährte für diese schwierige, letzte Reise." (taz Berlin) Alles stirbt, nur die Liebe nicht Bis dass der Tod sie scheidet: Mit Michael Hanekes ungewöhnlich liebevollem Sterbedrama LIEBE hat das Filmfestival in Cannes einen ersten Anwärter auf die Goldene Palme. Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva begeistern als altes, einander verschworenes Ehepaar. Es ist genau ein Jahr her, dass Dutzende Fimkritiker aus aller Welt weinend im Kino saßen. Andreas Dresen hatte sein rührendes, soeben zu Recht mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnetes Sterbedrama "Halt auf freier Strecke" im Cannes-Nebenwettbewerb "Un certain regard" gezeigt – und die Geschichte eines urplötzlich von einem Hirntumor heimgesuchten Familienvaters ließ beim Profi-Publikum des Festivals jede Distanz verloren gehen. Solche Szenen gab es in der Wettbewerbspressevorführung von LIEBE nicht. Dabei ist das Thema des neuen Films von Cannes-Stammgast und Palmen-Gewinner Michael Haneke ("Das weiße Band") ein ganz ähnliches. Aber der frankophile Österreicher Haneke ist normalerweise niemand, der große Emotionen ohne Abgründe oder Brutalität inszeniert. Umso erstaunlicher, von Haneke nun eine für seine Verhältnisse sehr sanftmütige Geschichte des Sterbens alter Leute präsentiert zu bekommen. Die Irritation im Kinosaal war mindestens ebenso groß wie der spontan aufbrandende Applaus. Der große Verstörer Haneke kann auch anders, so die Erkenntnis, aber er behält dabei seine Exaktheit, seine bisweilen kalte Beobachtungsgabe und sein Gespür für Tabuthemen. Und das macht LIEBE zum ersten echten Palmen-Anwärter in diesem Cannes-Jahrgang. Schatten auf dem Altersidyll Was geschieht mit unserer Liebe, wenn wir gemeinsam alt werden? Diese fast schon banale, aber eben doch elementare Frage ist das Grundthema von LIEBE: Georges und Anne, beide um die 80, aber noch recht rüstig, haben bereits ihr ganzes Leben miteinander verbracht. Ihre großzügige Altbauwohnung in Paris ist Spiegel einer interessanten, abwechslungsreichen und kulturell erfüllten Zweisamkeit, gefüllt mit vergilbten Sedimenten, aus der Mode gekommenen Möbeln, staubigen Büchern, alten Katalogen, einer antiken Stereoanlage und einem kleinen Konzertflügel. Anne war früher Pianolehrerin, und gemeinsam sehen wir sie und Georges stolz in einem Konzert von Alexandre sitzen: einst Schüler von Anne, heute ein Klassik-Star. Doch Haneke legt von Anfang an den Schatten kommender, sehr unguter Ereignisse über seine Geschichte. Eine Anfangssequenz, die wie aus einer Krimi-Serie entnommen wirkt, macht klar, dass das Altersidyll von Georges und Anne akut bedroht ist. Polizeibeamte brechen die Wohnung auf, schrecken vor einem offensichtlich unausstehlichen Gestank zurück und machen in einem verriegeltem Zimmer eine aufwühlende Entdeckung. Solche Horrorfilmelemente behält Haneke auch beim Rücksprung in die unmittelbare Vergangenheit bei. Es beginnt damit, dass Anne eines Nachts stocksteif im Bett sitzt und vor sich hin starrt. Georges wird davon wach und ist besorgt, doch Anne kann ihn beruhigen: alles in Ordnung. Anderntags wird es allerdings noch unheimlicher. Harmonisch wie wahrscheinlich jeden Morgen sitzen die beiden zusammen in ihrer etwas rumpeligen Küche, über Eck hinter einen kleinen Holztisch geklemmt. Georges isst sein Frühstücksei, als ihm auffällt, dass Anne geradezu katatonisch ins Leere starrt und partout nicht mehr ansprechbar ist. Alarmiert hastet er aus dem Zimmer, um sich etwas anzuziehen, Hilfe zu holen. Doch während er sich noch die Schuhe bindet, hört er Geräusche aus der Küche. Anne ist wieder zum Leben erwacht und erklärt ihren Ehemann für verrückt, es sei doch nichts gewesen! Der Arzt diagnostiziert dann bei Anne aber doch die Verstopfung einer Halsschlagader, und nach einem Schlaganfall, der sie halbseitig lähmt, sieht sich Georges damit konfrontiert, seine geliebte Frau, intellektuelle Gesprächspartnerin und Lebensfreundin auf ihrem letzten Weg begleiten zu müssen. Das Apartment wird nach und nach zum Hospiz, zu dem Freunde und Verwandte nur noch begrenzten Zugang haben. Allen voran Annes nervöse Tochter Eva (Isabelle Huppert), mit der Georges immer feindseliger umgeht, je schlechter es Anne geht. Auch ein Besuch von Ex-Schüler Alexandre gerät zum Debakel. Als er sich nach Annes Zustand erkundigt, wird er brüsk abgewiesen: Man möge doch lieber über etwas anderes reden. Auch eine Tagesschwester, die mit Anne etwas rüde umgeht, findet vor dem resoluten Georges keine Gnade. Mit aller Kraft auf dem letzten Weg Bis der Tod uns scheidet, so direkt und konsequent hat wohl noch kein Regisseur diese Hochzeitsformel in ein filmisches Requiem verwandelt. Mit aller Kraft bemüht sich Georges, das erlöschende Leben für Anne so angenehm wie möglich zu machen, er hievt sie, selbst schon etwas klapperig, in den Rollstuhl, wäscht sie, wechselt ihre Windeln, als sie das Bett nicht mehr verlassen kann. Denn Annes Kräfte und wache Momente schwinden schnell, und als Georges eines Tages versucht, ihr mit einer Schnabeltasse Wasser zuzuführen, gelangt er an die Grenzen seiner Liebe. Zu renitent und mit bockig verzerrtem Gesicht lehnt Anne die Flüssigkeit ab. Das einzige Wort, was sie mit enervierender Klage nurmehr von sich gibt, ist das französische "mal" – schlecht. Es tut weh. Und sie mag nicht mehr. Aber wie soll Georges mit diesem Todeswunsch umgehen. Kann er anders, als ihn seiner Geliebten zu erfüllen? Ist er es ihr nicht schuldig nach all den Jahren der engen Partnerschaft? Ist er nicht sogar der einzige, der diese Entscheidung treffen darf? Hanekes Film hätte nur halb so viel Wucht, hätte er nicht zwei französische Superstars als Hauptdarsteller, die in LIEBE beide ein beeindruckendes Alters-Comeback feiern. Emmanuelle Riva hatte ihren Durchbruch einst als verführerische Schönheit in Alain Resnais' "Hiroshima, mon Amour" und ist als 85-Jährige eine würdevolle, sehr attraktive Dame. Umso erschütternder wirkt ihr Verfall im Film. Jean-Louis Trintignant wurde in den fünfziger Jahren von Roger Vadim entdeckt, hatte eine Affäre mit Brigitte Bardot und wurde zu einem der Stars des französischen Kinos der Sechziger und Siebziger. Heute, 81-jährig, mit weißem Fusselhaar und tief eingekerbten Gesichtszügen, sieht der zarte Beau von einst aus wie Pablo Picasso in seinen letzten Jahren – kräftig, physisch präsent und unerbittlich, immer aber auch ein wenig undurchschaubar, wie so oft in seinen Rollen als zwielichtiger Lover, Mörder oder verschlagener Polizist in nahezu hundert Filmen, darunter auch Claude Lelouchs "Ein Mann und eine Frau" und Costa-Gavras' Polit-Thriller "Z". Zusammen zeigen diese beiden grandiosen Darsteller ohne Kitsch und Prätention, wie die große Liebe endet, wenn das Lebensende erreicht ist – unfairerweise bei dem einen Partner zuerst. Wie verzweifelt der Kampf darum ist, den anderen noch nicht zu verlieren, ihn aber unaufhaltsam schwinden zu sehen, davon erzählt LIEBE in langen, wohldurchdachten Einstellungen. Michael Haneke, der große Mahner des europäischen Kinos, hält seine manchmal zwanghaft wirkende Pädagogik hier wohltuend zurück. Er zeigt, und er zeigt auch drastisch, aber er malt hier seine Botschaft nicht auf Plakate. Gerührt ist man am Ende dann schon. Aber eher ernüchtert als in Trauer aufgelöst: Es ist wie es ist, irgendwann ist das Leben zu Ende. Wie man seinen Partner aus Jahrzehnten auf den letzten Etappen begleitet, daran zeigt sich letztlich, wie stark die Liebe des Lebens sein kann – und wie sehr sie alles um sie herum negieren und verdrängen kann. Allein, zu zweit, bis in den Tod. Der Spiegel Wenn die Sprache ihre Macht verliert und nur das Handeln bleibt. Haneke schaut dem Leben zu. Viel zu häufig wird auf dem falschen Weg nach der Liebe geforscht. Es führt nirgendwohin, zu fragen: "Was ist die Liebe?" Höchstens vielleicht in lyrische Sackgassen: "Es ist, was es ist ..." Man tut jedoch wahrscheinlich besser daran, bei der Welt anstatt der Sprache zu beginnen, zu fragen, was die Liebe tut. Oder, was sie die Liebenden tun lässt. Das mögen Kleinigkeiten sein, das mag eine bestimmte Weise sein, solche zu verrichten. Ein feuchtes Tuch auf die Stirn der Geliebten legen, den Blick lange genug halten, oder ihn früh genug senken. Es können Handlungen sein, die niemand anderes tun sollte, Akte einer geteilten Intimität: Füttern, die nassen Bettlaken beiseite räumen, die Windel wechseln. Oder es kann das notwendige, das richtige Maß an Widerstand sein: Gehen, wenn man gehen sollte, schweigen, wenn es nichts zu sagen gibt, vielleicht sogar einmal zuschlagen. Der anmaßende Titel mag es suggerieren, doch Michael Haneke geht es in LIEBE (Amour) nicht um eine Definition des Begriffs der Liebe, sondern um eine Beobachtung ihrer Verwirklichung. Eine große Pariser Wohnung, im dritten oder vierten Stock. Weite Flügeltüren, holzvertäfelte Wände, weiße Gardinen, ein Konzertflügel. Zwei alte Menschen (Jean-Louis Trintignant, Emmanuelle Riva), seit langem verheiratet, und einer wird bald sterben. Alle ihre Handlungen, alle Formen ihrer Kommunikation und Interaktion sind für den Film von Belang. Handlungsraum und Figurenkabinett sind maximal beschränkt: Nur eineinhalb Mal verlässt Haneke die Wohnung, ab und an fuhrwerkt eine Krankenschwester herum oder wirbelt die entfremdete Tochter aus London (Isabelle Huppert) durch die elterlichen Räume. Der Rest, fast alles also, ist das Spiel zwischen Anne und Georges, ist die allmähliche Veränderung ihrer Zweisamkeit, wenn Anne vom aufrechten Gang in den Rollstuhl und zuletzt ins Krankenbett hinabsinkt. LIEBE ist ein Schauspielerfilm, einzig ermöglicht durch die aufopferungsvolle Performance seiner Hauptdarsteller, die sich mit manchmal quälerischem, jedoch nie exhibitionistischem Naturalismus in das Wirken des Alterns und des Todes hinein fühlen. Zwischen ihrem physisch intensiven Schauspiel und den resignierten, fast spröde daher gesagten Dialogen öffnet sich mit zunehmender Filmdauer ein weiter Graben. LIEBE erzählt so auch die Geschichte einer allmählichen Ablösung der Sprache von der Welt: Das Leiden, aber auch das Lieben bleibt, selbst wenn die Worte ihre Haftung verlieren. Am Ende, kurz vor dem Tod, ist die Sprache nur noch Klang, eine beruhigende Melodie. Georges und Anne haben ihr Leben in einer musikalischen Welt verbracht. Das eine Mal, als sie raus gehen, in die Stadt, gehen sie ins Konzert. Es ist, nach einer erschütternden Exposition, die hier nicht beschrieben werden soll, auch die erste Einstellung, in der wir das Ehepaar sehen könnten. Aber wie im Schlussbild von "Das weiße Band" (2009), sehen wir – die Leinwand wird zum Spiegel – einen mit Menschen gefüllten Saal. Nur eben diesmal eine Oper statt der Kirche. Irgendwo müssen auch die beiden sitzen, aber man kennt ihre Gesichter noch nicht. Es wird dunkel, die Musik setzt ein, der Film beginnt. Michael Haneke scheint diesmal seinen Kontrollwahn und seine schneidende intellektuelle Brillanz hintanzustellen, um stattdessen gänzlich von seinen Figuren ausgehend zu erzählen. Vorbei die Zeiten der hochkomplizierten, auch hochgradig arrangierten Narrative von "Caché" (2005) oder "Funny Games US" (2008). Eine unvermutete Bescheidenheit und Schlichtheit grenzt Liebe von den bekanntesten Werken des Österreichers ab. Was nicht heißen soll, dass Haneke seine präzise, unverkennbare Arbeit an Bildkomposition, Einstellungsdauer und Montagen gegen simple Dokumentation getauscht hätte. Er trifft weiterhin starke, entfremdende Entscheidungen, hält die Aufnahme eines leeren Zimmers viel länger als nötig, zerschneidet das Appartement in disparate Stücke, die sich erst sehr langsam zu einem erschlossenen Raum zusammenfügen, verweigert Einsichten und Gegenschüsse, um die Ambivalenz der Situation zu bewahren. Aber diese Entscheidungen scheinen nicht länger einer primär filmisch-formalistischen, sondern einer humanistisch aufgeladenen Logik zu folgen. Nur wenn Georges alleine ist mit seiner leidenden Frau, zeigt sich ihr Elend in Großaufnahmen. Selbst die Tochter bekommt nur weite Winkel, so dass sich ihre innerliche Distanzierung von den Eltern auf die Leinwand und den Zuschauer überträgt. Es ist die Unzahl an beobachteten Kleinigkeiten, die dank seines deskriptiven Grundmodus die Substanz von LIEBE bilden. Zum Beispiel die Fenster: Nach vorne, auf die Straße hin, sind die Scheiben stets von leichtem, weißen Stoff verdeckt, das Großstadtleben ist entrückt. Nach hinten, auf den grauen Innenhof hinaus jedoch springt das Milchglasfenster ständig wie von Geisterhand auf. Einmal findet Georges Anne unter dem Sims, zusammengekauert, gerne wäre sie gesprungen. So hängt die Wohnung mit ihren Bewohnern zwischen Tod und Leben. Aber sie hängt nicht im Nichts, sondern an einem Ort, an dem Beobachtungen möglich sind, die eine von unzähligen Skizzen der Liebe im Handeln der Menschen erkennen lassen. critic.de Ein Kammerspiel mit dem Tod Michael Haneke präsentiert sich in Cannes mit LIEBE als souveräner Gestalter eines so unerbittlichen wie anrührenden Dramas über das Sterben im Alter Von einem der ganz Großen des französischen Kinos, von Jean-Louis Trintignant, hieß es anlässlich seines 80. Geburtstags vor zwei Jahren, er hätte sich endgültig vom Film zurückgezogen und würde sich nunmehr auf Theater und gelegentliche Lesungen beschränken. Michael Haneke gelang es dennoch, ihn für LIEBE, seinen ersten Film nach dem Gewinn der Goldenen Palme mit "Das weiße Band", zu einer Rolle zu überreden – schon deshalb galt der Film nicht nur in Cannes als mit Spannung erwarteter Coup. Es ist ein Part geworden, der Trintignant wie auch seiner kongenialen Partnerin in dieser Arbeit, Emmanuelle Riva, einiges an Courage abverlangt, denn LIEBE beschäftigt sich wie noch wenige Filme davor mit dem langsamen Verfall, dem Sterben im Alter. Die erste Szene, in der eine Wohnungstür von der Polizei geöffnet werden muss, macht den Ausgang dieser Geschichte eines unausweichlichen Endes evident: Anne liegt tot in einem blumengeschmückten Bett. In der Luft hängt der Gestank von Verwesung. Den Weg dorthin rekonstruiert Haneke mit der Präzision eines erfahrenen Meisters, in charakteristisch streng kadrierten Bildern und einer flüssigen Montage. Die kühle Form ist dem Geschehen in diesem Fall besonders angemessen, eine Haltung des Respekts angesichts einer Intimität, vor der sich dieser Film nicht verschließen kann – es auch gar nicht will. Georges und Anne sehen wir nur in einer Szene zu Beginn öffentlich, als Teil des Publikums eines Konzerts; der Rest des Films ist ein Kammerspiel in ihrer Wohnung – der kultivierte Lebensbereich eines bürgerlichen Paares, das sich seine Liebe im Alter bewahrt hat. Die Blicke, die diese beiden Menschen einander immer wieder zuwerfen, erzählen die eigentliche Geschichte des Films. Den Krankheitsverlauf entwirft Haneke in kleineren Ellipsen. Anne wirkt fallweise abwesend, dann erleidet sie einen Schlaganfall und bleibt halbseitig gelähmt. Das Miteinander des Paares ist plötzlich wie durch die Anwesenheit eines Dritten gestört: die Ahnung des nahen Todes. Außenstehende, selbst die eigene Tochter Eva (Isabelle Huppert), erlangen keinen Zutritt mehr in dieses Feld; die Welt schrumpft zur Wohnung, in der die beiden nicht nur physisch gefordert sind. Die Frage nach der angemessenen Ethik im Umgang mit Sterbenden ist in LIEBE natürlich bis zum dramatischen Finale, das noch für Diskussionen sorgen wird, ganz zentral. Das Kunststück dieses Films, in dem jeder Ton, jede Geste stimmt, ist es jedoch, dass er nie thesenhaft wirkt. Die Bilder sind Ausdruck von Gefühlslagen, die Riva und Trintignant in reichhaltigen Schattierungen einbringen. Panik der Endlichkeit Keinen Moment lang verirrt sich hier jemand in Sentimentalitäten: Selbst als Anne einmal im Fotoalbum blättert und von der Schönheit des Lebens spricht, gibt Georges' Blick bloß eine tiefe Verunsicherung, ja Panik wider. Der Standard Atemberaubender Blick aufs Sterbenmüssen Michael Hanekes Palmen-Anwärter LIEBE in Cannes zeigt die Liebe eines gealterten Ehepaars – sanft, aber mit unerbittlicher Genauigkeit. Mancher wird jetzt sagen: Das ist doch gar kein richtiger Haneke. Gar kein Rätselstück wie seine böse deutsche Kindergeschichte "Das weiße Band" (Goldene Palme 2009), wo man so eifrig kriminalistisch auf Tätersuche gehen konnte. Auch kein Suspense wie in dem Paris- Thriller "Caché" (2005), wo bereits titelgemäß vieles lange im Verborgenen blieb. Und da wir schon bei Titeln sind: "Code: unbekannt" (2001) – das sollte eigentlich über allen Michael- Haneke-Filmen stehen. Aber hier, in LIEBE? Liegt alles so offen da. Zumindest in gewisser Weise. Sogar ein Code wird ausdrücklich bekannt gegeben, in einer Geschichte, die Georges (Jean-Louis Trintignant) seiner Frau Anne (Emmanuelle Riva) am Krankenbett erzählt. Als er etwa zehn war, schickten die Eltern ihn ins Sommerferienlager. Mit seiner Mutter hatte er einen Geheimcode ausgemacht. Wenn er lauter Blumen auf die Postkarten nach Hause malte, sollte das bedeuten: Alles toll. Sterne dagegen sollten vom Gegenteil künden. Er malte lauter Sterne. Die Geschichte geht noch ein bisschen weiter, aber schon hier hat sie ihren ersten dramaturgischen Zweck erfüllt. Macht auch nichts, denn Anne ist mit einem Lächeln eingeschlafen. Anne, die er zu Hause pflegt, weil sie Georges das Versprechen abverlangt hat, sie nicht noch einmal ins Krankenhaus zu bringen – wie zuletzt nach der Operation wegen des eher kleinen Schlaganfalls. Und der ging so: Georges und Anne sitzen am Frühstückstisch, und plötzlich schaut Anne ins Leere, gefühlte Minuten lang. Dann ist der Augenblick vorbei und Anne wohlauf, als sei nichts geschehen. Nur dass sie sich an ihre Absence absolut nicht erinnern kann. Ein – wie man so schön seltsam sagt – rüstiges Musiklehrer-Ehepaar sind sie am Anfang, liebevoll miteinander mit niemals nachlassender Aufmerksamkeit, und sie kehren zurück vom Schubert-Klavierabend eines ihrer längst berühmten Schüler. Selber waren sie früher vielleicht auch mal ordentlich bekannt, aber nun sind sie alt, sehr alt geworden. Wie ihre Wohnung mit den vergilbenden Tapeten, dem stumpfen Parkett, den in so vielen Regalen schief stehenden Langspielplatten und Kunstbänden – und am Fenster zur Stadt da draußen, ziemlich fern, steht der Flügel. Mit atemberaubender Genauigkeit Auch die Liebe zu ihrer längst erwachsenen Tochter Eva (Isabelle Huppert), die tapfer unglücklich verheiratet in London lebt und selber viel auf Konzertreisen geht, ist ein bisschen gealtert mit den Jahren – oder sollte es umgekehrt sein? Eva jedenfalls kann nicht verstehen, warum Georges Anne nicht in eine Klinik gibt, und ihr Mann Geoff (William Shimell) macht dann schon mal der Ordnung halber ein besorgtes Gesicht. Nein, für diese Liebe zwischen ihren Eltern hat Eva sogar noch weniger Verständnis als das Concierge-Ehepaar, das für Georges die Einkäufe erledigt. "Wie soll das weitergehen?", fragt Eva ihren Vater ungeduldig. "Es geht so weiter wie bisher", antwortet Georges in aller Ruhe, "bis es irgendwann zu Ende ist." So geht dieser Film mit dem so schlichten wie selbsterklärenden Titel LIEBE, so leise, so ökonomisch, so präzise, so großartig inszeniert, bis er irgendwann zu Ende ist. Er erzählt von jenem Lebensabschnitt namens Alter, in dem die Realität des Sterbenmüssens unausweichlich wird. Von einer Fürsorge auch, die dem verbrauchten Begriff entschieden ins Transzendente entwächst. Vom Entschluss, füreinander da zu sein bis zum Ende – warum auch nicht, wenn man schließlich schon vorher füreinander da war? Der 81-jährige Trintignant und die 85- jährige Riva, deren Karrierehöhepunkte aus einer Zeit stammen, als Wohnungseinrichtungen wie die von Georges und Anne noch üblich waren, spielen ihre todesnahen Rollen mit – wenn man das so sagen darf – atemberaubender Genauigkeit. Und geführt von einem Regisseur, dessen Werk sich von Film zu Film in immer gelassenere Höhen schraubt. Wird jemand Michael Haneke die zweite Goldene Palme nehmen können? Die Frage ist im Augenblick, wo dieser Film unerbittlich sanft in den Herzen und Köpfen der Zuschauer implodiert, nicht so wichtig. Und was passiert eigentlich ganz am Anfang, noch bevor die beiden vom Konzert kommen und der Film diese Wohnung nie wieder verlässt? Schon wichtiger. So wichtig wie die vorletzte Szene und die letzte, die eher ein Bild ist, das in der Geschichte des Kinos so wenig altern wird wie die Bilder, die in Georges und Annes Wohnung hängen. Aber das alles sollte jeder eines Tages mit eigenen Augen sehen. Die Zeit Michael Haneke frappiert mit seinem dichten Wettbewerbsbeitrag LIEBE Das Wochenende an der Croisette kühl, der Wind zaust die Palmkronen, die Wolken hängen dicht und erinnern an die Wolken auf den Landschaftsmalereien, die sich die Kamera in Michael Hanekes Wettbewerbsbeitrag LIEBE aus der Nähe anschaut. Die Ölbilder von Stränden, dramatischen Himmeln und den Kräften der Natur ausgelieferten Menschen schmücken die Wohnung von Georges (Jean-Louis Trintignant) und Anne (Emmanuelle Riva). Es ist eine bürgerliche Wohnung irgendwo in Paris, drei große, helle Zimmer, ein Flügel, Bücherregale und eben die Bilder. Nach der Hälfte des Films kennt man die Wohnung so gut, dass man den Weg zur Toilette blind finden würde. Alles an diesem Film ist dicht und nuancenreich. Georges und Anne sind ein altes Paar; seine Routinen geraten aus den Fugen, nachdem Anne eines Morgens am Frühstückstisch für zwei, drei Minuten auf Georges' Ansprache nicht reagiert hat; ein leichter Schlaganfall, wie sich herausstellt; später folgt ein weiterer. Trintignant und Riva machen ihre Sache überaus überzeugend; allein wie Riva die Verschlimmerung ihres Zustands darstellt, von der leichten Lähmung ihrer rechten Körperhälfte über die Bettlägrigkeit bis zum weitgehenden Verlust ihrer kognitiven Fähigkeiten, ist frappierend. Haneke schaut auf den Alltag der beiden, man sieht, wie Georges seiner Frau gut zuredet, nachdem sie eines Nachts ins Bett gemacht hat, später, wie eine Krankenschwester dem im Off stehenden Georges das Wechseln der Windel erläutert und auch, wie er Anne mit einer Schnabeltasse Wasser einzuflößen versucht. Sie wehrt sich, er redet auf sie ein, wird immer ungeduldiger, schließlich ohrfeigt er sie. Wenn die Kamera an den Bücherwänden der Wohnung entlangfährt oder am Flügel verharrt, hat man den Eindruck, es gebe Ausflüchte aus diesem Eingesperrtsein in den schwach werdenden Körper: die Versenkung in ein Buch, der Blick auf die Landschaftsmalereien, die Musik oder eine Geschichte aus Kindertagen, die Georges am Krankenbett erzählt. Der Trost durch Kunst und Fiktion mag flüchtig sein, doch ohne ihn wäre es noch viel schlimmer. LIEBE hallt lange nach, weil er uns mit unserer eigenen Sterblichkeit und der von Angehörigen und Freunden in Berührung treten lässt; zugleich ist der Film selbst wie ein Gefährte für diese schwierige, letzte Reise. taz Berlin

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