Monika Fick Lessing Handbuch Leben – Werk – Wirkung 4. Auflage Monika Fick Lessing-Handbuch Leben – Werk – Wirkung Vierte, aktualisierte und erweiterte Auflage J. B. Metzler Verlag Monika Fick ist Professorin für Neuere deutsche Literaturgeschichte an der RWTH Aachen, war 2008–2012 Präsidentin der amerikanischen Lessing Society und 2011–2016 Mitherausgeberin des Lessing Yearbooks. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem, säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-476-02577-7 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, unter Verwendung eines Bildes Lessings von Johann Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Heinrich Tischbein d. Ä., Alte Nationalgalerie Berlin Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Claudia Wild, Konstanz, in Kooperation mit primustype Hurler GmbH, Notzingen © 2016 J. B. Metzler Verlag GmbH, Stuttgart Druck und Bindung: Kösel, Krugzell www.metzlerverlag.de [email protected] Printed in Germany Inhalt Einleitung IX 4.2 Die wichtigsten Ausgaben des 19. und frühen Einleitung zur zweiten Auflage XII 20. Jahrhunderts 57 Einleitung zur dritten Auflage XV 4.3 Ausgaben nach 1945 58 Einleitung zur vierten Auflage XVII 5 Jugendkomödien und Komödientheorie 61 Siglen, Abkürzungen und praktische 5.1 Entstehung und Kontext 61 Hinweise XX 5.2 Lessings Konzept der »wahren Komödie«. Plautus-Abhandlungen und Abhandlungen zum »rührenden Lustspiel«. Verhältnis zur I Zeit und Person Commedia dell’ arte 64 5.3 Forschung zu den Jugendkomödien 68 1 Lessing-Bilder 2 5.4 Experimente: Damon, oder die wahre 1.1 Nachruf 1781 2 Freundschaft 69 1.2 Lessing der Kämpfer – 19. Jahrhundert 4 5.5 Selbstportrait als ›faustische‹ Monade: 1.3 Herold des Irrationalismus – Erste Hälfte Der junge Gelehrte 70 des 20. Jahrhunderts 5 5.6 Gellert rechts, La Mettrie links, Lessing 1.4 Das Lessing-Bild nach 1945 7 in der Mitten: Der Freigeist 74 2 Lessing im Kontext der Aufklärung: Philosophie 5.7 Die Juden 82 und Gesellschaft 13 5.8 Aufnahme und Wirkung der Jugend- 2.1 Die Prägekraft der Wolffschen Schulphilo- komödien 84 sophie 14 6 Samuel Henzi (Fragment) 86 2.2 Emanzipation von theologischen Vorgaben – 6.1 Entstehung, Quellen und Kontext 86 ein neues Menschenbild 19 6.2 Forschung: Politik vs. Tugend 88 2.3 Sensualismus und Materialismus 21 6.3 Analyse 88 2.4 Sinnlichkeit und Vernunft: Modelle 6.4 Aufnahme und Wirkung 93 der Synthese 26 7 Lyrik 94 2.5 Die Ständegesellschaft und das Bündnis 7.1 Entstehung und Kontext 94 zwischen Aufklärern und dem 7.2 Analyse 98 Absolutismus 29 7.3 Aufnahme und Wirkung 104 2.6 Lessing als Aufklärer 35 8 Frühe Literaturkritik (1748–1756) 107 2.7 Zur Biographie 40 8.1 Entstehung, Textmaterial und Kontext 107 3 Lessing und die Literatur im 18. Jahrhundert 51 8.2 Forschung 112 3.1 Gottsched und die Neubegründung der 8.3 Analyse 113 deutschsprachigen Literatur 51 8.4 Aufnahme und Wirkung 119 3.2 Die »Empfindsamkeit« 53 9 Gedanken über die Herrnhuter 121 9.1 Entstehung, Quellen und Kontext 121 9.2 Analyse: Kultur- und Wissenschaftskritik II Das Werk zwischen Rousseau und Haller 122 10 Rettungen 125 4 Ausgaben 56 10.1 Entstehung, Quellen und Kontext 125 4.1 Ausgaben des 18. Jahrhunderts 56 10.2 Forschung 128 VI Inhalt 10.3 Analyse 129 20.3 Analyse 274 10.4 Aufnahme und Wirkung 131 20.4 Aufnahme und Wirkung 281 11 Miß Sara Sampson 133 21 Bühnenpraxis und Schauspielkunst 283 11.1 V orbemerkung 133 21.1 Gottscheds Theaterreform 284 11.2 Entstehung, Quellen und Kontext 133 21.2 Lessings Bemühungen um Theater 11.3 Forschung 135 und Schauspielkunst 292 11.4 Analyse 139 22 Fragmente: Tragische Süjets 298 11.5 Aufnahme und Wirkung 143 23 Hamburgische Dramaturgie 303 12 Briefwechsel über das Trauerspiel 148 23.1 Entstehung und Kontext 303 12.1 Entstehung und Kontext 148 23.2 Forschung 307 12.2 Forschung 150 23.3 Analyse 311 12.3 Analyse: Der Trialog der Freunde 153 23.4 Aufnahme und Wirkung 324 13 Philotas 160 24 Zerstreute Anmerkungen über das Epigramm. 13.1 Entstehung und Kontext 160 Sinngedichte 329 13.2 Forschung 162 24.1 Entstehung, Quellen und Kontext 329 13.3 Analyse 165 24.2 Forschung 331 13.4 Aufnahme und Wirkung 170 24.3 Analyse 332 14 Briefe, die neueste Litteratur betreffend 173 24.4 Aufnahme und Wirkung 339 14.1 Entstehung und Kontext 173 25 Die Matrone von Ephesus 341 14.2 Forschung 174 25.1 Entstehung, Quellen und Kontext 341 14.3 Analyse: Die wichtigsten Themen 25.2 Forschung 342 und Kontroversen 179 25.3 Analyse 342 14.4 Aufnahme und Wirkung 186 25.4 Aufnahme und Wirkung 344 15 Faust-Fragmente 191 26 Emilia Galotti 345 15.1 Entstehung, Quellen und Kontext 191 26.1 Entstehung, Quellen und Kontext 345 15.2 Forschung 192 26.2 Forschung 347 15.3 Analyse 194 26.3 Analyse 360 16 Das Fabelbuch 195 26.4 Aufnahme und Wirkung 366 16.1 Entstehung, Quellen und Kontext 195 27 Fragmente eines Ungenannten und Fragmenten- 16.2 Forschung 199 streit 372 16.3 Analyse I: Die Fabelabhandlungen 202 27.1 Entstehung und Kontext 372 16.4 Analyse II: Die Fabeln 207 27.2 Forschung 383 16.5 Aufnahme und Wirkung 211 27.3 Analyse I: Die Gegensätze des Heraus- 17 Das Theater des Herrn Diderot 213 gebers 389 17.1 Entstehung und Kontext 213 27.4 Analyse II: Die Kontroverse mit 17.2 Forschung 216 Goeze 392 17.3 Analyse 217 27.5 Aufnahme und Wirkung 399 17.4 Aufnahme und Wirkung 222 28 Ernst und Falk 403 18 Sophokles. Erstes Buch. Von dem Leben 28.1 Entstehung, Quellen und Kontext 403 des Dichters 225 28.2 Forschung 412 18.1 Entstehung und Kontext 225 28.3 Analyse 417 18.2 Analyse 228 28.4 Aufnahme und Wirkung 423 19 Laokoon: oder über die Grenzen der Malerei 29 Die Erziehung des Menschengeschlechts 427 und Poesie 232 29.1 Entstehung, Quellen und Kontext 427 19.1 Entstehung, Quellen und Kontext 232 29.2 Forschung 430 19.2 Forschung 244 29.3 Analyse 437 19.3 Analyse 249 29.4 Aufnahme und Wirkung 442 19.4 Aufnahme und Wirkung 256 30 Nathan der Weise 445 20 Minna von Barnhelm 262 30.1 Entstehung, Quellen und Kontext 445 20.1 Entstehung, Quellen und Kontext 262 30.2 Forschung 449 20.2 Forschung 269 Inhalt VII 30.3 Analyse 458 III Anhang und Register 30.4 Aufnahme und Wirkung 466 31 Spinoza-Gespräche 471 Zeittafel 520 31.1 Entstehung, Quellen und Kontext 471 Bibliographie 527 31.2 Forschung 480 Werkregister 578 31.3 Analyse 484 Sachregister 582 31.4 Aufnahme und Wirkung 486 Namenregister 587 32 Lessing und die jüdische Aufklärung 490 32.1 Kontexte 491 32.2 Forschung 499 32.3 Analyse 503 Einleitung IX Einleitung Lessing konnte sich von der Zeit seines Wirkens an bis vermeiden: die Unterwerfung des Autors unter einen heute einer unbestrittenen und kontinuierlichen Wert- ihm fremden ästhetischen Anspruch oder die Fest- schätzung erfreuen. Signifikant sowohl für den Autor legung auf eine nur vordergründige soziale und politi- als auch für die Rezeption erscheint es, dass gerade die sche Relevanz. Das Bild vom Menschen in seiner Viel- Hochachtung zum Problem geworden ist. Sie will nicht schichtigkeit rückt in den Mittelpunkt. so recht zu dem Bild vom kritischen Schriftsteller, kom- Es scheint an der Zeit, das Wissen über Lessing vor promisslosen »Selbstdenker« und Einzelgänger passen. dem Hintergrund dieser Tendenzen zusammenzufas- Man empfindet ein Unbehagen so viel Übereinstim- sen und neu zu ordnen, das neue Instrumentarium auf mung gegenüber und möchte Lessing, den Mutigen mit die Erschließung seines Werks anzuwenden, zumal da der Bereitschaft zum Dissens, für die »Streitkultur« ret- Lessing als eine Schlüsselfigur der Aufklärung in ten. Der Zwiespalt zeichnet sich bereits zu Lessings Deutschland anzusehen ist. Hier hat das Handbuch Lebzeiten ab. Einerseits ist er ein berühmter Autor, der, seinen Platz. Es bietet zunächst umfassende Informa- wo er auch hinkommt, ausgezeichnet und geehrt wird, tionen zum Kontext, die Darstellung ist auf breiter andererseits hat er Schwierigkeiten, eine angemessene Quellenbasis angelegt. Der Einbezug vielfältiger Quel- Stellung zu finden, Geldsorgen überschatten sein Le- len dient der Verlebendigung der historischen Zusam- ben. Seit den sechziger Jahren löst man das Dilemma, menhänge, in denen das jeweilige Werk steht. Die In- indem man die Rezeption als doppelbödig zu enthüllen halte, um die Lessing stritt, die Probleme, mit denen er sucht. In Deutschland sei Lessing als undeutscher rang, sollen anschaulich werden, zugleich soll die Dia- Dichter verdächtigt worden, der Respekt vor seiner lektik von Kritik und Zeitgebundenheit hervortreten. Leistung sei Lippenbekenntnis geblieben, hinter dem Die Schärfe von Lessings Kritik hängt unlöslich mit ih- sich die Ablehnung seiner spezifischen intellektuellen rer Präzision zusammen, sie ist auf die Streitfragen des Qualitäten verberge. Man habe unangemessene ästhe- 18. Jahrhunderts bezogen und steht in den – philoso- tische Normen an ihn herangetragen, um ihn als phischen wie literarischen – Traditionen dieses Jahr- »Dichter« zu desavouieren und sein kritisches Potential hunderts. Wenn somit umfassende Information und zu verdecken. Hierbei ist man allerdings der Gefahr dabei Veranschaulichung historischer Problemstellun- nicht entgangen, dass das Wort vom »engagierten Kri- gen intendiert sind, so fußt die Darstellung zugleich tiker« selbst zur gängigen Münze wurde, die, einmal auf dem Bewusstsein, dass jede Rekonstruktion zu- geprägt, den Blick auf die Inhalte verstellte. Heute gleich Konstruktion ist, dass das Anschaulich-Machen scheint ein gelassenerer Standpunkt gefunden. Die For- zugleich Perspektivierung bedeutet. Unmittelbar schungslage ist zum einen durch den Pluralismus der schlägt sich dieses Bewusstsein darin nieder, dass der Ansätze gekennzeichnet, zum anderen entdeckt man Weg, auf dem das Wissen zustande gekommen ist, im- mehr und mehr die Vielfalt im Gegenstand. Dahinter mer nachgewiesen und festgehalten wird – auch auf steht die Tendenz zur Historisierung. Lessing wird ein- die Gefahr hin, dass die Quellenbelege manchmal den geordnet in die Diskussionen und geistigen Auseinan- Lesefluss unterbrechen. Darüber hinaus liegt allen dersetzungen seiner eigenen Zeit, wodurch der »Plura- Einzelkapiteln ein perspektivierender gedanklicher lismus« der Themen und Gebiete, mit denen er sich be- Leitfaden zugrunde. Ausgangspunkt ist die These von schäftigte, hervortritt. Den Rahmen für diesen Willen der Aufwertung der sinnlichen Natur des Menschen in zur Konkretisierung bildet die Revision der Aufklä- der Epoche der Aufklärung. Dabei kristallisiert sich als rungsforschung, die unter dem Stichwort »anthropolo- die entscheidende Frage die mögliche Durchdringung gische Fragerichtung« stattgefunden hat. Ein Weg zeigt von Sinnlichkeit und Vernunft, Gefühl und Reflexion sich hier, in der Vergangenheit betretene Sackgassen zu heraus. Hinter den Synthese-Entwürfen, so der Leit- X Einleitung gedanke weiter, steht eine tiefgreifende Erschütterung, gereicht dem Stallmeister zur Ehre. Er ist ein Beweis, nämlich der Umbruch im Bereich des Religiösen, der daß sein Herz noch einer aufrichtigen Anhänglichkeit Prozess der Säkularisation. Denn Affekte und sinn- fähig war. Sie nennen dies Mädchen eine feile Dirne. liche Regungen erhielten im Rahmen der überlieferten Dazu hat sie die Noth Fremden gemacht. Wissen Sie, religiösen Überzeugungen eine eindeutige Orientie- was die Liebe sie lehrte, dem Stallmeister seyn?‹« rung, sie galten als die treibenden Kräfte zum Guten (Daunicht 1971, 439 f.). Grenzüberschreitende Radi- wie zum Bösen. Noch Lessings Vater legte ihre Wir- kalität in der Hinwendung zum Einzelnen verbindet kung so fest: Die Affekte können den Menschen zur sich mit der Affirmation bestehender Normen. Lessing höchsten religiösen Liebe entflammen oder zur nied- verteidigt die Ausgestoßenen, indem er Quellen des rigsten Begierde verführen (Disputation: De affectibus, allgemein anerkannten »Guten« in ihnen aufdeckt. 1712). Wo sich jedoch die Verankerung in den einzel- Um die Vielseitigkeit Lessings hervortreten zu las- nen religiösen Überlieferungen und Glaubenslehren sen und zugleich Zusammenhänge zwischen dem löst, werden die Affekte im Guten wie im Schlimmen scheinbar Disparaten transparent zu machen, werden zum Problem. Das Telos der Lenkung und Kultivie- die Werke in chronologischer Reihenfolge bespro- rung des Gefühls muss neu gefunden werden. – Wenn chen. Lediglich da, wo die Befolgung der Chronologie die Akzentuierung der sinnlichen Natur des Men- eine nicht mehr sinnvolle Aufsplitterung bedeutet schen, seiner Erlebnisfähigkeit und Emotionalität von hätte, werden Werkgruppen zusammengefasst: die Ly- einem sehr gegenwärtigen Erkenntnisinteresse gelenkt rik, die frühe Literaturkritik, die Rettungen, die theo- ist, so setzt die Betonung der rationalen Sinnstiftungs- retischen Äußerungen zur Schauspielkunst, die dra- Modelle der Aufklärungszeit der Aktualisierbarkeit matischen Fragmente. Die intendierte Nähe zum Ge- Grenzen. Lessing bezieht den Einzelnen auf ein Gan- genstand forderte eine möglichst umfassende Berück- zes, in dem Zusammenhang und Ordnung herrschen, sichtigung des Oeuvres; seit den enzyklopädischen wie unergründlich auch immer. Moralische Normen Monographien vom Beginn des 20. Jahrhunderts werden kaum angetastet, ein Konsens herrscht über (Oehlke, E. Schmidt) werden hier viele Werke erst- das, was im zwischenmenschlichen Bereich (nicht in mals wieder im Rahmen einer Gesamtschau vor- der Beziehung zum Göttlichen) gut und böse ist, wie gestellt. Dennoch ist Vollständigkeit nicht erreicht Altruismus sich bewährt und Egoismus sich auswirkt. und nicht beabsichtigt. Viele Jugendkomödien und Gestritten wird darüber, auf welchem Weg der Mensch die Komödienentwürfe, philologische und kunsthis- jeweils dazu gelangen kann und welchen Anteil sein torische Studien, das Notizbuch der italienischen Rei- psychisches Innenleben daran hat. »Gott« ist für Les- se, der Komplex der Collectaneen, (religions-)philoso- sing, auch wenn er den christlichen Glauben aufgibt, phische Schriften vor der Veröffentlichung der Reima- keine leere Metapher, der Tod nicht die letzte Grenze rus-Fragmente, die Herausgeber- und Übersetzer- für das Individuum. Die Ständegesellschaft wird als et- tätigkeit Lessings finden nur insoweit Beachtung, als was Gegebenes akzeptiert, Kritik übt Lessing inner- sie zum Kontext eines repräsentativen Werks gehören halb seiner Lebenswelt an konkreten Entwicklungen. und zu ihm hinführen (Ausnahmen: Sophokles, Dide- Perspektivierung: Hinter den Analysen steht ein rot-Übersetzung). Es wird dann jeweils vorab ein Bild von Lessings kritischem Potential, das sich mittels Überblick über die wichtigsten Texte gegeben, darü- einer von Alexander Daveson überlieferten Anekdote ber hinaus wird der Zugang zu den herangezogenen am besten skizzieren lässt: »In Braunschweig war ein Werken, insbesondere den Übersetzungen, durch das Stallmeister, der ein wüstes ausschweifendes Leben Register erschlossen (Einträge unter »Übersetzun- führte. Er trank, spielte und –. Er […] gerieth in Schul- gen« und »Theatralische Bibliothek: Auszüge«; die den, und brachte sich endlich durch einen Pistolen- Stichworte »Italienreise« und »Notizbuch der italie- schuss selbst ums Leben. In seiner Tasche fand man ei- nischen Reise« leiten zu weiterführenden Literatur- nen Brief, voll der zärtlichsten Ausdrücke, an ein – angaben). Der Briefwechsel diente als Grundlage für Freudenmädchen. Sie allein war es, um derenwillen er das biographische Portrait, ist aber nicht zum Gegen- die Welt ungerne verließ. – Als man von diesem Man- stand einer Untersuchung gemacht worden. ne sprach, seine Lebensweise tadelte, und besonders Die Werkanalysen sind nach einem fünfteiligen den Umstand rügte, dass er seine letzten Augenblicke Schema aufgebaut. Den Auftakt (1) bildet die chrono- dem Andenken einer feilen Dirne widmen konnte, logische Orientierung, jedes Kapitel eröffnen Angaben nahm Lessing die Partei des unglücklichen Stallmeis- zum Erstdruck und zur Druckgeschichte, die sich al- ters. ›Gerade dieser Zug, sagte er, gerade dieser Brief, lerdings auf das Notwendigste beschränken. Zur Er- Einleitung XI gänzung wird auf die Bände des Deutschen Klassiker- hang, Theodizee-Gedanke) mittelbar aus, die Verdeut- verlags verwiesen (Werke und Briefe in 12 Bänden, hg. lichung der Handlungskonstruktion ist deshalb ein von Wilfried Barner zusammen mit Klaus Bohnen wesentlicher Schritt der Interpretation (z. B. Miß Sara u. a., Frankfurt a. M. 1985 ff. = Sigle B), die zur Text- Sampson, Minna von Barnhelm, Nathan der Weise). grundlage dienen und in denen die Editionsgeschichte Den Schluss der Werk-Präsentationen (5) bildet die genau aufgerollt wird. Es folgt (2) die Darstellung der Darstellung der zeitgenössischen Rezeption, die in der Entstehung, des Kontextes und der Quellen, welcher Regel bis zu Goethe hin verfolgt wird. – Die Kapitel Teil wiederum in sich untergliedert ist. Hier werden, sind so angelegt, dass jedes in sich geschlossen und für zugeschnitten auf das jeweilige Werk, die für ein his- sich lesbar ist, weshalb Wiederholungen nicht ganz zu torisches Verständnis notwendigen Informationen ge- vermeiden waren. Zugleich werden grundsätzliche geben, Informationen zur Gattungstheorie, zu literari- epochale Zusammenhänge und Voraussetzungen an schen Traditionen und Formen, zu den Bedingungen derjenigen Stelle erörtert, an der sich der unmittelbars- des Literaturbetriebs, zur ästhetischen Theorie, zur te Bezug zum Werk ergibt (z. B. die religionsphiloso- Zeitgeschichte, Theatergeschichte und Kunstgeschich- phischen Strömungen im Kapitel zum Fragmenten- te, zu Philosophie und Theologie, zur politischen streit, die politischen Theorien in den Kapiteln zu Theorie, zu gesellschaftlichen Formationen (wie den Samuel Henzi und Ernst und Falk). Freimaurer-Bünden). Den Werkinterpretationen geht Lücken sind gleichwohl zu verzeichnen. Gerade (3) ein Forschungsbericht voraus; dieser fehlt lediglich was die Rezeptionsgeschichte anbelangt, findet das dann, wenn sich keine Deutungstradition gebildet hat. Prinzip der Quellenorientierung Grenzen. Ausgewer- Die Integration von Forschungsberichten ist eine Kon- tet wurde im Wesentlichen das Material, das in neue- sequenz aus der eingeschlagenen Perspektivierung. ren Editionen und Dokumentsammlungen zugäng- Der vornehmste Zweck dieser Übersichten ist es, auch lich ist. Damit bleibt ein wesentliches Forschungsdesi- andere Perspektiven aufzuzeigen, die Divergenz der derat bestehen: die systematische Auswertung der in möglichen Ansätze und die Verschiedenheit der Er- Wolfenbüttel gesammelten Materialien zur zeitgenös- gebnisse bewusst zu halten. Sodann dienen sie dazu, sischen Rezeption. Die Lessing-Akademie beherbergt das erreichte Diskussionsniveau zu bestimmen und eine Dokumentation aller Lessing-Bezüge in einem die (noch ungelösten oder unlösbaren) Probleme he- umfänglichen Spektrum von Zeitschriften zwischen rauszupräparieren, denen sich die Analyse zu stellen 1749 und 1789; die Erwähnungen sind in Kopien, die hat. Die Analysen selbst (4) wachsen aus der Auffäche- 54 Ordner füllen, festgehalten. Auch die Wirkung im rung des Kontextes hervor. In immer neuen Variatio- Ausland, insbesondere in Frankreich, ist noch nicht nen werden die Pole umkreist: »Anschauung« und aufgearbeitet. – Ebenfalls verzichtet wurde auf eine »Erkenntnis«, Gefühlsimpuls und rationales Ziel, das Darstellung der Editionsgeschichte, auf eine wissen- Individuum in seiner kreatürlichen Bedingtheit und schaftsgeschichtlich orientierte Beschreibung der die Ordnung des Ganzen, Sinnlichkeit und Moralität, Werkausgaben. Hier kann wiederum auf die Arbeit Natur und (göttlicher) Geist. Als vornehmste Felder, der Lessing-Akademie verwiesen werden, wo eine auf denen diese Fragen aufgeworfen werden, zeichnen Werkkonkordanz im Entstehen ist. – Schließlich: Ob- sich ab: Theater und Drama (Dramen; Schauspiel- gleich dem Thema »Theater im 18. Jahrhundert und kunst); theoretische Reflexion über Möglichkeiten Lessings Theaterkonzeption« ein Kapitel gewidmet ist, der Dichtung (Fabelbuch; Abhandlungen zum Epi- ist das andere Thema, nämlich »Lessing auf dem Thea- gramm), speziell der Tragödie (Poetik des Mitleids; ter«, nicht behandelt worden. Eine angemessene Dar- Hamburgische Dramaturgie); Literaturkritik (z. B. »Li- stellung hätte einen Zusatzband notwendig gemacht. teraturbriefe«); Philosophie (Spinoza-Gespräche) und Danken möchte ich insbesondere Oliver Schütze, Theologiekritik (Fragmentenstreit; Erziehungsschrift). Metzler-Verlag, der die einzelgängerische Arbeit im- Wenn die Frage nach der Koordination von »Denken« mer wieder in den Dialog überführte, sodann Edel- und »Empfinden« auf den Inhalt der besprochenen traud Schnappauf, Lessing-Museum in Kamenz, die Werke zielt, so tritt bei den Dramenanalysen die Frage mir seltenes Quellenmaterial zugänglich machte. nach der Form als ein weiterer Leitgedanke hinzu, Klaus Bohnen und Arno Schilson danke ich dafür, »Form« in einem weiten Sinn verstanden (als dramati- dass sie mir großzügig Einsichtnahme in das Manu- scher Plan, Konstruktion der Handlung). In der for- skript ihrer Editionen gewährten (B 7, B 10). Last not malen Organisation, so die Prämisse, prägen sich die least gilt mein Dank Meike Adam und Carola Dah- philosophischen Postulate (Ordnung, Zusammen- men, die das Namenregister erstellten.
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