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Lesermodelle und Lesertheorien : Historische und systematische Perspektiven PDF

370 Pages·2014·2.43 MB·German
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Dem Leser Vorwort Die hier vorgelegte Arbeit versucht im Wesentlichen zwei Forschungs- desiderate aufzuarbeiten und Asymmetrien in der bisherigen Auseinander- setzung mit diesen Bereichen auszugleichen: - Es lässt sich ein markanter Kontrast beobachten zwischen (a) den Be- mühungen, Rezeptionsforschung und -theorie als wissenschaftlichen Ansatz theoretisch zu fundieren, und (b) der Situation, dass bis heute kein grundsätzlicher Versuch unternommen wurde, die aus diesen Po- sitionen (und nahezu allen anderen literaturtheoretischen Positionen) hervorgehenden Lesermodelle systematisch zu erfassen und hinsicht- lich Vergleichbarkeit herstellender Kategorien in Relation zueinander zu setzen. - Darüber hinaus zeigt sich ein nicht geringeres Ungleichgewicht zwi- schen (a) dem Aufwand, mit dem die Editionsphilologie eine metho- disch standardisierte oder zumindest explizit reflektierte Sicherung von Primärtexten als Vorbereitung der Textinterpretation betreibt, und (b) der philologischen und editionsphilologischen Aufmerksam- keit, die Sekundärtexten eingeräumt wird, wenn es sich um einen ebensolchen Umgang mit ihnen handelt. Während im Kernbereich dieser Dissertation Lesermodelle verglichen und hinsichtlich ihrer Funktionalisierbarkeit für eine historisierende Literatur- wissenschaft geprüft werden, formuliert der diesen Kern umschließende Teil der Arbeit eine theoretische Begründung und einen methodischen Entwurf der historisierenden Rezeptionsanalyse selbst. Diese soll als sys- tematische Quellensichtung, -sicherung und -reflexion verstanden werden und Rezeptionszeugnisse realer Leser für hermeneutische, aber auch im weitesten Sinne empirische Ansätze der historisierend ausgerichteten Lite- raturwissenschaft vorbereiten und fruchtbar machen. *** Ohne vielfältige Unterstützung hätte diese Arbeit in der nun vorliegenden Form nicht geschrieben werden können. Daher möchte ich meinen Kol- legen, Freunden und Kritikern danken: Lutz Danneberg und Fotis Janni- dis für ihre Erst- und Zweitbetreuung, Carlos Spoerhase für die unzähli- VIII Vorwort gen Diskussionen, die für die Konzeption der Arbeit maßgeblich waren, Katja Mellmann, Ulrich Joost, Ralf Klausnitzer, Andrea Albrecht, Jan- Noël Thon, Matthias Schaffrick und Maik Neumann für ihre Hilfe in De- tailfragen, Kerstin Krull, Renate Soltysiak und Silvia Röpke-Dönges für Schlüssel, Bücher, Räume und all das, was mir das Schreiben erleichterte, Frau Gerlof, Frau Rade und Frau Ebert für ihre editorische Beratung, den Gutachtern und Herausgebern der Reihe „Narratologia“ für ihre kon- struktiven Gutachten, dem bi-nationalen Doktorandennetzwerk PhD-Net: „Das Wissen der Literatur“ für seine Unterstützung und meine Zeit als visiting scholar in Princeton, Max Dudler für das Jacob-und-Wilhelm- Grimm-Zentrum, meinen Eltern, meinen Freunden und meiner Freundin für ihr Durchhaltevermögen und schließlich all meinen anderen, freiwilli- gen und unfreiwilligen Kritikern und Korrekturlesern. Der Studienstiftung des deutschen Volkes bin ich für ihre finanzielle und ideelle Förderung in besonderem Maße zu großem Dank verpflichtet. Inhaltsverzeichnis I EINLEITUNG Die theoriegeschichtliche Entwicklung literaturwissenschaftlicher Lesermodelle ......................................................................................................... 1 1 Theoriegeschichte des Lesers ..................................................................... 1 1.1 Vom Autor zum Text ............................................................................... 2 1.2 Vom Text zum Leser ................................................................................ 8 2 Das Forschungsvorhaben ............................................................................ 16 2.1 Der reale Leser in der historisierenden Rezeptionsanalyse ................ 16 2.2 Die pragmatische Umsetzung dieses Forschungsvorhabens ............. 17 II PROBLEMFELDER Historisierung, Fiktionalität und Kategorisierung ................................... 25 1 Probleme historisierender Interpretationskonzeptionen .................. 25 1.1 Methodische und historische Adäquatheit von Lesermodellen ........ 25 1.2 Historisierung und das Anachronismusproblem ................................. 29 1.3 Historisierung und das Fiktionalitätsproblem ...................................... 31 1.4 Mögliche Rezeptionsszenarien literarischer Texte ............................... 38 2 Probleme der Kategorisierung von Lesermodellen ............................ 45 2.1 Die Interdisziplinarität des Forschungsfeldes ...................................... 45 2.2 Die disziplinäre Beschränkung ................................................................ 49 2.3 Drei Differenzierungskategorien: Ontologie, Funktion, Epistemologie ............................................................................................. 54 III KATEGORISIERUNG Der reale Leser in Abgrenzung zu anderen literaturwissenschaftlichen Lesermodellen ................................................. 59 1 Ontologie literaturwissenschaftlicher Lesermodelle ......................... 59 1.1 Die ontologische Modellierung des realen Lesers als Problem ......... 61 1.2 Der ontologische Möglichkeitsrahmen: Reale, probabilistische, theoretische und fiktionale Lesermodelle .............................................. 66 X Inhaltsverzeichnis 1.2.1 Modelle nicht-realer Leser: Exemplarische Differenzierungen ............................................... 69 1.2.1.1 Unproblematische Differenzierung: Fiktionale Leser 69 1.2.1.2 Problematische Differenzierung: Leserfiktion ............ 74 1.2.2 Modelle realer Leser: Das Beispiel des Lesertyps ..................... 83 1.3 Die Beeinflussung der Leserkonzepte durch Theorie ......................... 93 1.4 Die (engen) Grenzen der Theoretisierbarkeit realer Leser ................. 104 2 Funktionen literaturwissenschaftlicher Lesermodelle ........................ 112 2.1 Die Funktion der Kontextrestriktion ..................................................... 112 2.2 Restriktionskategorien: Diastratische, diatopische und diachronische Kontextlimitationen ......................................................... 117 3 Epistemologie literaturwissenschaftlicher Lesermodelle .................. 125 3.1 Subjektivistische Lesermodelle ................................................................ 127 3.1.1 Subjektivität als Kontextbedingung des Verstehens ................ 133 3.1.2 Poststrukturalistische Lese(r)konzepte ....................................... 143 3.1.2.1 Derridas idiosynkratisches Lese(r)modell .................... 145 3.1.2.2 Barthes’ Modelle des lesenden und des schreibenden Lesers ......................................................... 151 3.1.2.3 De Mans Modell des vortheoretischen Lesens ........... 171 3.1.3 Resümee subjektivistischer Kritik ................................................ 180 3.2 Objektivistische Lesermodelle ................................................................. 186 3.2.1 Text- und Interpretationsobjektivismus ..................................... 186 3.2.2 Empirische Lesermodelle .............................................................. 194 3.2.3 Systemtheoretische Lesermodelle ................................................ 201 3.2.4 Hermeneutischer Objektivismus ................................................. 208 3.2.5 Resümee objektivistischer Verstehensmodelle .......................... 214 3.3 Interaktionistische Lesermodelle .............................................................. 216 3.3.1 Literaturdidaktische Forderungen ............................................... 217 3.3.2 Phänomenologische Grundlagen................................................. 219 3.3.3 Hermeneutische Grundlagen ....................................................... 222 3.3.4 Semiotische Idealisierungen .......................................................... 232 3.3.5 Rezeptionstheoretische Modellierungen .................................... 235 3.3.6 Resümee interaktionistischer Modelle ........................................ 244 IV ERGEBNISSE Theorie-Reflexion und Vorbereitung historisierender Interpretationspraxis .......................................................................................... 249 1 Ergebnisse der ontologischen, funktionalen und epistemologischen Kategorisierung ......................................................... 249 Inhaltsverzeichnis XI 1.1 Methodologische Reflexion .............................................................. 249 1.2 Inhaltliche Ergebnisse ............................................................................... 250 2 Erweiterung dieser Ergebnisse: Epistemologische Vorzüge realer Lesermodelle ........................................................................................ 256 V PRAXIS UND PRAXEOLOGIE Die Anwendbarkeit von Lesermodellen in der historisierenden Literaturwissenschaft ......................................................................................... 265 1 Anwendungsbeispiel A: Nicht-reale Lesermodelle in der historisierenden Interpretation .................................................................. 265 1.1 Der implizite Leser in der Theorie ......................................................... 269 1.2 Der implizite Leser in der interpretativen Praxis ................................. 282 1.3 Resümee: Praktische Kritik theoretischer Lesermodelle .................... 293 2 Anwendungsbeispiel B: Reale Lesermodelle in der historisierenden Rezeptionsanalyse .......................................................... 298 2.1 Systematik: Varianten historisierender Rezeptionsforschung ............ 298 2.2 Konkrete Anwendungsbeispiele und Anwendungsmöglichkeiten einer realleserbasierten historisierenden Rezeptionsanalyse .............. 313 Literaturverzeichnis ................................................................................................. 325 Personenindex ........................................................................................................... 359 I EINLEITUNG Die theoriegeschichtliche Entwicklung literaturwissenschaftlicher Lesermodelle Doch schließen wir, ehe wir ins Interpretieren kommen. Jacques Derrida: Dissemination1 1 Theoriegeschichte des Lesers2 Für die Wissenschaftsgeschichte der Literaturtheorie können drei Phasen angenommen werden: Eine autorbezogene (hermeneutische), eine textbe- zogene (formalistische oder strukturalistische) und eine leserbezogene (re- zeptionstheoretische) Phase. Mit etwas gutem Willen zur Generalisierung3 lassen sich diese auch als in dieser Reihenfolge historisch aufeinander auf- bauend und voneinander abgrenzend rekonstruieren. Neben Terry Eagle- ton und Fotis Jannidis (et al.) geht auch Oliver Jahraus von dieser Trias aus.4 Er argumentiert, man könne das Methodenspektrum insgesamt als System einzelner Positionen rekonstru- ieren, wobei die Relationen zwischen den Positionen sich als Defizit und Defi- zitauffüllung bezüglich einer unterschiedlichen Objektkonstitution bestimmen –––––––––––– 1 Derrida [1972] 1995: 448. 2 Der Singular (bzw. Kollektivsingular) „Leser“ wird hier verkürzend verwendet, um entwe- der eine einzelne Rezeptionsinstanz oder aber eine Gruppe von Rezeptionsinstanzen zu be- schreiben. Ihr ontologischer Status ist dabei irrelevant. Es kann sich also sowohl um einen realen (historischen oder zeitgenössischen) als auch um ein Modell eines nicht-realen Le- sers handeln. Immer wenn die Rede von einer spezifischen Modellierung ‚des Lesers‘ ist, soll diese entsprechend konkret benannt werden, wie z. B. mit „realer Leser“, „impliziter Leser“, „theoretischer Leser“ usw. 3 Dieser ist notwendig, da sich beispielsweise schon Ende des 18. Jahrhunderts Bedeutungs- konzeptionen finden lassen, die nicht bloß den Autor und seine Intention als relevante In- stanz der Textbedeutung setzen, sondern gerade für das Verstehen der Heiligen Schrift ebenso den zeitgenössischen Leser im Sinne eines sensus auctoris et primorum lectorum funktio- nalisieren (vgl. hierzu das Kapitel III.3.2.4 und Danneberg 1998, bzw. Danneberg 2007: bes. 6–10). 4 Vgl. Eagleton 1988: 40 und Jannidis/Lauer/Martínez/Winko 2003a: bes. 8–30. 2 I Einleitung lassen. Die methodische/methodologische Einzelposition lässt sich unter dieser Blickrichtung als je spezifische Schwerpunktkonstellationen zwischen Autor-, Text- und Leserpolorientierung beschreiben. Darüber hinaus setzen alle Positi- onsverschiebungen gegenüber der Hermeneutik als deren Kritik an. Auf die Hermeneutik reagieren so der Strukturalismus, die Rezeptionsästhetik, der Post- strukturalismus und die empirischen und konstruktivistischen Positionen. (Jahr- aus 1994: 6) Die These, dass sich sowohl die zweite (textbezogene) als auch die dritte (leserbezogene) Phase der Theoriebildung dezidiert in Abgrenzung zu der hier als erste Phase angenommenen autorzentrierten Hermeneutik definie- ren, soll im Folgenden anhand der historischen Genese einzelner literatur- theoretischer Positionen überprüft werden. Bevor dies durch eine Fokus- sierung der jeweiligen Übergangsbewegungen zwischen den drei Phasen rekon- struiert werden soll, muss noch festgehalten werden, was im Zitat von Jahraus unerwähnt bleibt, aber konstitutiv für die literaturtheoretische Entwicklung ist: Die jeweils angenommenen Phasen ersetzen sich nicht alternierend, sondern entstehen in einem kumulativen Prozess der Aneig- nung und Abgrenzung. 1.1 Vom Autor zum Text Der Übergang von der ersten (autorbezogenen) zur zweiten (textbezoge- nen) Phase der literaturwissenschaftlichen Theoriegeschichte wurde als Verwissenschaftlichung des Fachs verstanden und als solche auch von den Vertretern dieser Bewegung normativ eingesetzt.5 Besonders deutlich wird dieser Übergang in der Abschwächung der romantischen Hermeneutik nach dem Tod Diltheys 1911. Schon 1916 erschienen erste formalistische Frühschriften,6 gefolgt von der Gründung der Prager Schule (1926) vor allem durch Roman Jakobson, der zwei Jahre später mit dem ‚anderen‘ führenden Formalisten Jurij Tynjanov gemeinsam die bekannten Thesen über die „Probleme der Literatur- und Sprachforschung“ veröffentlichte (Jakobson/Tynjanov [1928] 1995: 63–66). Diese „gelten mit Recht als ein –––––––––––– 5 Rekonstruierend hierzu Günther 1973: bes. 8f., der in vier Thesen die Besonderheiten des tschechischen Strukturalismus als Wissenschaft hervorhebt. 6 So u. a. von Lev Jakubinskij. Genauer stellt dies Holenstein 1995: 11 dar. Einige Gedanken, die später für die Übernahme formalistischer Axiome in die Konstanzer Rezeptionstheo- rien wichtig wurden – insbesondere der Gedanke der Ostranenie als genuin künstlerische Verfremdungstechnik – finden sich bereits in dem 1917 erstpublizierten Aufsatz von Vic- tor Shklovsky (Shklovsky [1917] 1965). Darin bezieht er sich teilweise recht stark auf die Ausarbeitungen von Jakubinskij (vgl. 10–12). Der Aufsatz bildete das erste Kapitel seiner später veröffentlichten, weitaus bekannteren Monographie „O Teorii Prozy“ (Shklovsky 1925).

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