Leistungskatalog für den Bereich ambulante und teilstationäre erzieherische Hilfen im Kanton Basel-Landschaft Kay Biesel Lukas Fellmann Sarina Ahmed Basel, Januar 2015 Institut Kinder- und Jugendhilfe Thiersteinerallee 57 T +41 61 337 27 51 [email protected] 4053 Basel F +41 61 337 27 95 www.fhnw.ch Anmerkung des Amtes für Kind, Jugend- und Behindertenangebote: Der vorliegende Leistungskatalog ist in Reaktion auf Handlungsempfehlung 7 des Be- richts über die Kinder- und Jugendhilfe im Kanton Basel-Landschaft entstanden. Er zeigt die mögliche Leistungspalette ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen auf. Die Zuständigkeit für die Ausgestaltung und Finanzierung von ambulanten erzieheri- schen Hilfen hat sich nicht geändert, auch mit dem Vorliegen dieses Berichtes gilt: Die Gemeinden können familienstützende Massnahmen gewähren. Der Kanton finanziert hingegen nur stationäre erzieherische Hilfen (Heime und Pflegefamilien). Der vorliegen- de Leitungskatalog bildet die Grundlage zur Umsetzung der Handlungsempfehlung 6 des Konzepts Kinder- und Jugendhilfe, wonach eine Gleichstellung der Finanzierung von ambulanten und stationären erzieherischen Hilfen angestrebt wird. Inhaltsverzeichnis 1 Auftrag und Zielsetzung 3 2 Methodisches Vorgehen 5 3 Begriffsklärungen 8 3.1 Erzieherische Hilfen 8 3.1.1 Ambulante erzieherische Hilfen 9 3.1.2 Teilstationäre erzieherische Hilfen 10 3.1.3 Stationäre erzieherische Hilfen 10 3.2 Flexible, integrierte erzieherische Hilfen 10 4 Grundleistungen der Kinder- und Jugendhilfe in der Schweiz 12 5 Leistungsspektrum ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen 15 5.1 Typen und Formen ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen in Deutschland 15 5.2 Typen und Formen ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen in Österreich 18 5.3 Typen und Formen ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen in der Deutschschweiz 19 6 Leistungstypen ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen 26 6.1 Leistungstypen ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen 26 6.1.1 Entwicklungsbegleitung und Unterstützung von Familien 27 6.1.2 Entwicklungsbegleitung und Unterstützung von Kindern und Jugendlichen 29 6.1.3 Intensive flexible Entwicklungsbegleitung und Unterstützung für Jugendliche und junge Heranwachsende 30 6.1.4 Sozialpädagogische Tagesstrukturen 32 6.1.5 Übergangsunterstützung und -begleitung für junge Heranwachsende 34 6.1.6 Begleitete Besuche und Übergaben von Kindern 36 7 Mindeststandards für Anbieter ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen 38 7.1.1 Qualitätsdimension „Trägerqualität“ 38 7.1.2 Qualitätsdimension „Konzeptqualität“ 39 7.1.3 Qualitätsdimension „Leitungsqualität“ 40 7.1.4 Qualitätsdimension „Personalqualität“ 41 7.1.5 Qualitätsdimension „Einrichtungs- und Raumqualität“ 41 7.1.6 Qualitätsdimension „Kosten-Nutzen-Qualität“ 42 7.1.7 Qualitätsdimension „Qualitätsmanagement“ 43 7.1.8 Qualitätsdimension „Sicherung der Rechte von Klientinnen und Klienten“ 43 7.1.9 Qualitätsdimension „Beschwerdemanagement“ 44 8 Literatur 45 9 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 48 10 Anhang 49 Leistungskatalog ambulante und teilstationäre erzieherische Hilfen im Kanton Basel-Landschaft Hochschule für Soziale Arbeit FHNW 3 Kay Biesel/Lukas Fellmann/Sarina Ahmed Institut Kinder- und Jugendhilfe 1 Auftrag und Zielsetzung Im Jahr 2008 erhielt die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) des Kantons Basel- Landschaft vom Regierungsrat den Auftrag zur Einberufung und Leitung einer interdirektio- nalen Projektgruppe „Konzept Jugendhilfe Basel-Landschaft“. Die Projektgruppe sollte für den Regierungsrat einen Bericht über die Angebots- und Steuerungsstrukturen der Kinder- und Jugendhilfe im Kanton Basel-Landschaft erstellen. Die Arbeitsergebnisse wurden dem Regierungsrat im September 2010 in Form des Berichts „Kinder- und Jugendhilfe im Kanton Basel-Landschaft: Bestandesaufnahme und Entwicklungsperspektiven“ (Projektgruppe "Konzept Jugendhilfe Basel-Landschaft" 2010) vorgelegt. Nach Beschluss des Regierungs- rates im Januar 2011 wurde im Frühjahr 2011 ein Konsultationsverfahren durchgeführt. Die Ergebnisse dieses Verfahrens wurden im Bericht „Kinder- und Jugendhilfe im Kanton Basel- Landschaft: Zehn Handlungsempfehlungen“ (Projektgruppe "Konzept Kinder- und Jugendhilfe Basel-Landschaft" 2012) zusammengefasst. Im Mittelpunkt des folgenden Berichts steht die Handlungsempfehlung 7 aus dem Bericht, „Leistungskatalog ambulante Kinder- und Jugendhilfe“: „Die Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion wird beauftragt, für die ambulante Kinder- und Jugendhilfe als Grundlage für die gesetzliche Verankerung […] einen Leis- tungskatalog mit Umfang der Leistungen, Qualitäts- und Strukturkriterien, Kosten und Anforderungen an die Anbieter für Angebote der ambulanten Kinder- und Ju- gendhilfe vorzulegen. Der Schwerpunkt soll dabei auf familiennahe und -unterstützende Leistungen gelegt werden“ (ebd., S. 5 u. 39). Im Rahmen eines Auftragsklärungsgesprächs im Februar 2014 zwischen dem Amt Kind, Jugend und Behindertenangebote (AKJB) und dem Institut Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW wurden Anpassungen an der Handlungsempfehlung 7 vereinbart. Die Bezeichnung „ambulante Kinder- und Jugendhilfe“ schliesst teilstationäre Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe aus. Der Katalog sollte jedoch familiennahe, -unterstützende und -ergänzende Leistungen bzw. „ein breites Spektrum […] von intensiven Formen bis hin zu eher niederschwelligen familienunterstützenden Diensten und Angeboten“ (ebd., S. 37) beschreiben. Sie sollen in den lebensweltlichen Kontexten von Familien reali- siert werden und Eltern bei der Erziehung und Förderung ihrer Kinder unterstützen. „Primär“ sollen sie „auf die (Wieder-)Herstellung der Kommunikations- und Handlungsfähigkeit der in Familien zusammenlebenden Personen“ und der „Sicherung der Alltagsbewältigung (z. B. in Krisenzeiten, Zeiten vorübergehender elterlicher Abwesenheiten etc.) zielen“ (ebd., S. 38). Beide Zielstellungen entsprechen der Idee und dem Konzept der Hilfen zur Erziehung bzw. Leistungskatalog ambulante und teilstationäre erzieherische Hilfen im Kanton Basel-Landschaft Hochschule für Soziale Arbeit FHNW 4 Kay Biesel/Lukas Fellmann/Sarina Ahmed Institut Kinder- und Jugendhilfe 1 der erzieherischen Hilfen (vgl. Macsenaere et al. 2014) . Deshalb wurde die Bezeichnung „ambulante Kinder- und Jugendhilfe“ aufgegeben und durch den Begriff „ambulante und teilstationäre erzieherische Hilfen“ ersetzt. Die Idee, Vorschläge zur Finanzierung von ambu- lanten und teilstationären erzieherischen Hilfen zu entwickeln bzw. Aussagen dazu zu tref- fen, welche Kosten mit ihrer Regelung in der kantonalen Sozialhilfegesetzgebung für Kanton und Gemeinden verbunden wären, wurde verworfen. Sie soll im Zuge des Gesetzgebungs- verfahrens weiterverfolgt werden. Der Leistungskatalog soll als Grundlage für die gesetzliche Verankerung sowie eine syste- matische und qualitätsorientierte Zulassung und Anerkennung von Anbietern von ambulan- ten und teilstationären erzieherischen Hilfen im Kanton Basel-Landschaft dienen. Entspre- chend der bereits bestehenden kantonalen Verordnung für stationäre Leistungen erzieheri- 2 scher Hilfen, soll er für die Erstellung einer kantonalen Verordnung für die Anerkennung und Bewilligung von Anbietern ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen herangezogen werden. Neben einer Definition der Leistungstypen „ambulante erzieherische Hilfen“ bzw. „teilstationäre erzieherische Hilfen“ und der Benennung von Angeboten, die diesen Leis- tungstypen jeweils zuzuordnen sind, umfasst der Leistungskatalog auch deren Struktur- und Qualitätsmerkmale. Zudem benennt er Mindeststandards, die von Anbietern erfüllt werden müssen, um mit dem Kanton Leistungsvereinbarungen über die Erbringung von ambulanten und teilstationären erzieherischen Hilfen abschliessen zu können. Diese Mindeststandards enthalten u. a. Hinweise zur Qualifikation der Mitarbeitenden, zum Methodenrepertoire, zu Konzepten und Leitbildern, zu Qualitätsdimensionen und Instrumenten des Qualitätsmana- gements. 1 In Deutschland werden Hilfen zur Erziehung seit der Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes in den Jahren 1990/1991 sorgeberechtigten Eltern gewährt, „wenn eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Er- ziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist“ (Wiesner 2014, S. 52). Hilfen zur Erziehung beinhalten „ein breites Spektrum individueller pädagogischer und therapeutischer Massnahmen“ (ebd.). Sie haben zum Ziel, die individuelle und soziale Entwicklung des Kindes zu fördern und soziale Benachteiligun- gen abzubauen bzw. zu vermeiden (vgl. § 1 SGB VIII). 2 Verordnung über die Kinder- und Jugendhilfe vom 3. Dezember 2013. In Kraft seit 1. Januar 2014. Leistungskatalog ambulante und teilstationäre erzieherische Hilfen im Kanton Basel-Landschaft Hochschule für Soziale Arbeit FHNW 5 Kay Biesel/Lukas Fellmann/Sarina Ahmed Institut Kinder- und Jugendhilfe 2 Methodisches Vorgehen Methodisch wurde das Projekt „Leistungskatalog für den Bereich ambulante und teilstationä- re erzieherische Hilfen“ in einem mehrschrittigen Vorgehen realisiert. Schritt 1: Bestimmung formaler und inhaltlicher Eckpunkte des Leistungskatalogs Auftraggeberin und Auftragnehmerin stimmten sich im Rahmen einer Sitzung (6. Mai 2014) über den Aufbau und Inhalt des Leistungskataloges sowie über eine Arbeitsdefinition zu „ambulanten und teilstationären erzieherischen Hilfen“ ab. Sie erörterten auf der Grundlage von Vorarbeiten der Auftragnehmerschaft folgende Fragen miteinander: Was sind erzieherische Hilfen? Was unterscheidet ambulante von teilstationären er- zieherischen Hilfen? Welche Leistungstypen zählen zu den ambulanten und teilstationären erzieherischen Hilfen? Welches sind primäre Zielgruppen ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hil- fen? Welche Indikationen führen zur Inanspruchnahme von ambulanten und teilstationären erzieherischen Hilfen? Welche Ziele sollen mit ambulanten und teilstationären erzieherischen Hilfen erreicht werden? Welche Wirkungen sollen mit ambulanten und teilstationären erzieherischen Hilfen erzeugt werden? Schritt 2: Sichtung und Analyse vorhandener Anbieter ambulanter und teilstationärer erziehe- rischer Hilfen in der Deutschschweiz, insbesondere in den Kantonen Basel-Landschaft und Basel-Stadt, sowie relevanter Fachliteratur In einem zweiten Schritt wurde eine Recherche zu Anbietern von ambulanten und teilstatio- nären erzieherischen Hilfen und ihren einschlägigen Angeboten in der Deutschschweiz durchgeführt. Die Recherche war an folgenden Fragestellungen orientiert: Welche Träger in der Deutschschweiz bieten ambulante und teilstationäre erzieheri- sche Hilfen an? Wie sind diese Trägerinstitutionen aufgebaut und organisiert? Welches sind die konkreten Angebote dieser Träger? Wodurch zeichnen sie sich aus (Leistungstyp, Zielgruppe, Ziele und angestrebte Wirkungen, Qualifikation des Perso- nals, fachliche Prinzipien, Methodeneinsatz, Leistungsumfang, Dokumentation und Berichtswesen, räumliche und sächliche Ausstattung, Qualitätssicherung usw.)? Zur Klärung dieser Fragen wurde eine Online-Recherche durchgeführt, wobei die Datenban- ken www.heiminfo.ch (Kinder- und Jugendheime in der Schweiz) und www.sodk.ch (Einrich- tungen, die der Interkantonalen Vereinbarung für Soziale Einrichtungen [IVSE] unterstellt sind) sowie die Suchmaschine www.google.ch verwendet wurden. Anhand der Datenbanken auf www.heiminfo.ch und www.sodk.ch konnten Einrichtungen der Kantone Basel-Stadt und Leistungskatalog ambulante und teilstationäre erzieherische Hilfen im Kanton Basel-Landschaft Hochschule für Soziale Arbeit FHNW 6 Kay Biesel/Lukas Fellmann/Sarina Ahmed Institut Kinder- und Jugendhilfe Basel-Landschaft identifiziert werden. Anschliessend wurde auf den Webseiten der Anbieter nach ambulanten und teilstationären Angeboten erzieherischer Hilfen gesucht. Darüber hinaus wurde relevante Fachliteratur gesichtet und analysiert, um weitere Hinweise zu Leis- tungstypen und Mindeststandards im Bereich ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen zu erhalten. Die Literaturrecherche war auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Schritt 3: Erhebung und Analyse lokaler Wissensbestände und fachlicher Prämissen lokaler Praxis Um die Recherche durch Wissensbestände und die Perspektive lokaler Schlüsselpersonen zu erweitern, wurden zusätzlich ExpertInneninterviews mit Fachpersonen von relevanten Trägern erzieherischer Hilfen durchgeführt. Interviewt wurden: die Gesamtleitung einer dezentral organisierten Einrichtung mit breitem Spektrum ganz unterschiedlicher Leistungen im Bereich Kinder-, Jugend- und Familienhilfe in Baden-Württemberg (D); die Leitung eines Anbieters von sozialpädagogischer Familienbegleitung im Kanton Basel-Landschaft und in den angrenzenden Gemeinden; die Leitung einer Einrichtung, die derzeit im Rahmen eines Modellprojekts im Kanton Bern die sozialpädagogische Grundversorgung in einem klar definierten Teilgebiet des Kantons gemäss der übergeordneten Prämisse Bedarfsorientierung mit Leistun- gen im Bereich erzieherischer Hilfen abdeckt. Aufgrund der Erkenntnisse aus diesen ExpertInneninterviews wurden Leistungstypen und Zielgruppen ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen weiter eingegrenzt und Mindeststandards mit Blick auf die Erbringung dieser Leistungen detailliert erfasst. Zudem wurden Hinweise, die auf notwendige Weiterentwicklungen im Bereich ambulanter und teilstationärer erzieherischer Hilfen hindeuteten, zur inhaltlichen Ausdifferenzierung des 3 Leistungskatalogs herangezogen. Schritt 4: Erarbeitung und Abstimmung eines Entwurfs für den Leistungskatalog mit der Auftraggeberin Auf Grundlage der Rechercheergebnisse und der Erkenntnisse aus den ExpertInneninter- views erarbeitete die Auftragnehmerin einen Entwurf des Leistungskatalogs. Dieser Entwurf wurde zwischen Auftraggeberin und Auftragnehmerin im Rahmen einer Sitzung am 2. Okto- ber 2014 diskutiert. An der Sitzung nahm auch der Stab Recht der Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD) Basel-Landschaft teil. Schritt 5: Überarbeitung des Entwurfs für den Leistungskatalog, Organisation und Durchfüh- rung eines Feedback-Workshops Der Leistungskatalog wurde anschliessend von der Auftragnehmerin unter Berücksichtigung der Änderungsvorschläge der Auftraggeberin überarbeitet und im Rahmen eines Feedback- 3 Die ExpertInneninterviews wurden in Anlehnung an die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet und mit Blick auf zentrale Aspekte sondiert. Leistungskatalog ambulante und teilstationäre erzieherische Hilfen im Kanton Basel-Landschaft Hochschule für Soziale Arbeit FHNW 7 Kay Biesel/Lukas Fellmann/Sarina Ahmed Institut Kinder- und Jugendhilfe Workshops am 18. November 2014 relevanten Stakeholdern vorgestellt. An diesem halbtä- gigen Workshop nahmen 16 Personen teil. Die Stakeholder äusserten sich bei dieser Gelegenheit zum Aufbau und zu den Inhalten des Leistungskatalogs, namentlich zu folgenden Fragen: Fehlen im Katalog Leistungstypen? Sind die Leistungstypen richtig voneinander abgegrenzt? Sind Zielgruppen im Katalog unberücksichtigt geblieben? Sind die im Katalog enthaltenen Mindeststandards realistisch gesetzt? Werden die Leistungstypen und Mindeststandards konkret genug beschrieben? Schritt 6: Finale Erarbeitung und Abgabe des Leistungskatalogs Auf der Grundlage der Ergebnisse aus dem Feedback-Workshop überarbeitete die Auftrag- nehmerin den Leistungskatalog und nahm im Rahmen einer Sitzung am 9. Dezember 2014 letzte Veränderungsvorschläge der Auftraggeberin entgegen. Leistungskatalog ambulante und teilstationäre Erzieherische Hilfen im Kanton Basel-Landschaft Hochschule für Soziale Arbeit FHNW 8 Kay Biesel/Lukas Fellmann/Sarina Ahmed Kinder- und Jugendhilfe 3 Begriffsklärungen Im Rahmen mehrerer Sitzungen verständigten sich Auftragnehmerin und Auftraggeberin über Grundleistungen der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. Kapitel 4) und über Arbeitsdefinitio- nen zu den Begriffen „erzieherische Hilfen“, „ambulante erzieherische Hilfen“ und „teilstatio- näre erzieherische Hilfen“. In der Auseinandersetzung über Aufgabe und Funktion erzieheri- scher Hilfen näherten sich beide Parteien einem gemeinsamen Begriffsverständnis an. Sie verständigten sich darüber, dass erzieherische Hilfen ein sozialstaatliches Angebot der Kinder- und Jugendhilfe seien, das Minderjährigen und deren Sorgeberechtigten (i.d.R. die 4 Eltern) offensteht, wenn erzieherischer Bedarf angezeigt ist und eine Erziehung zum Wohle des Minderjährigen von seinen Eltern oder anderen Personen des Familiensystems nicht gewährleistet werden kann (vgl. Moch 2011, S. 619). Der Fokus liegt dabei auf der Er- schliessung von Ressourcen und der Vermittlung von Kompetenzen zum Wohle des oder der Minderjährigen. Erzieherische Hilfen zielen darauf ab, Minderjährige (Kinder, Jugendliche und junge Heranwachsende) und ihre Familien oder Eltern bei der Bewältigung von Alltags- und Lebensführungsproblemen, von schwierigen und konfliktreichen Lebenssituationen und von besonderen Belastungen zu unterstützen. Sie sollen einerseits externe Ressourcen verfügbar machen, andererseits die Weiterentwicklung und Stärkung der im Familiensystem selbst vorhandenen Bewältigungspotenziale fördern. Auf diese Weise tragen erzieherische Hilfen dazu bei, die Kommunikations- und Handlungsfähigkeit der in Familien lebenden Personen (wieder-)herzustellen und deren Alltagsbewältigung sicherzustellen (vgl. Projektgruppe "Konzept Kinder- und Jugendhilfe Basel-Landschaft" 2012, S. 38). Erzieheri- sche Hilfen werden somit nicht dazu herangezogen, Minderjährige und ihre Familien zu sanktionieren oder zu disziplinieren (vgl. Wolf 2002, S. 631), sondern um ihre soziale Teil- habe zu sichern und zu ermöglichen (vgl. Kaufmann 2005, S. 75). Ausgehend von dieser Begriffsauffassung, werden im Folgenden die Begriffe „erzieherische Hilfen“, „ambulante erzieherische Hilfen“ und „teilstationäre erzieherische Hilfen“ weiter definiert. Sie werden ergänzt um die Begriffe „stationäre erzieherische Hilfen“ und „flexible, integrierte erzieherische Hilfen“. 3.1 Erzieherische Hilfen Der Begriff „erzieherische Hilfen“ bezeichnet eine Gruppe von Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, die Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder unterstützen. Die Gewährung jeglicher erzieherischer Hilfen setzt einen erzieherischen Bedarf voraus, der im Vorfeld geprüft und festgestellt werden muss. Erzieherische Hilfen richten sich an Minderjährige, an Eltern oder an die ganze Familie. Sie unterstützen Minderjährige und ihre Familien oder Eltern bei der 4 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Text oft von „Eltern“ gesprochen. Dabei sind auch andere Personen gemeint, die Erziehungs- oder Sorgeaufgaben wahrnehmen. Leistungskatalog ambulante und teilstationäre erzieherische Hilfen im Kanton Basel-Landschaft Hochschule für Soziale Arbeit FHNW 9 Kay Biesel/Lukas Fellmann/Sarina Ahmed Institut Kinder- und Jugendhilfe Bewältigung von Problemen des Alltags oder der Lebensführung, von schwierigen und konfliktreichen Lebenssituationen sowie besonderen bzw. mehrfachen Belastungen. Erziehe- rische Hilfen unterscheiden sich von anderen Angeboten und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe dadurch, dass sie in der Regel mit intensiven Eingriffen in die Autonomie und Lebensführung von Kindern und deren Familien verbunden sind. Allerdings gibt es auch innerhalb der Gruppe der erzieherischen Hilfen teilweise erhebliche Intensitätsunterschiede, je nachdem, ob es sich zum Beispiel um ambulante, teilstationäre oder stationäre Angebote handelt. Ein Bedarf an erzieherischen Hilfen liegt vor, wenn Eltern (zu einem gegebenen Zeitpunkt) nicht über genügend Kompetenzen und Ressourcen verfügen, um den oder die Minderjähri- 5 ge angemessen zu erziehen, zu bilden und zu fördern. Erzieherische Hilfen werden Eltern gewährt, wenn diese bei der Erziehung, Bildung und Förderung ihres Kindes Unterstützung benötigen und wenn davon auszugehen ist, dass ohne Unterstützung die Entwicklung des Kindes innerhalb oder ausserhalb der Familie gefährdet wäre. Erzieherische Hilfen sollte 6 auch jungen Heranwachsenden im Alter von 18 bis zum vollendeten 21. Lebensjahr ge- währt werden, wenn davon auszugehen ist, dass solche Hilfen sie bei der Verselbstständi- gung unterstützen und ihre soziale Teilhabe in der Gesellschaft auf lange Frist sichern (vgl. § 28 SHG Basel-Landschaft). 3.1.1 Ambulante erzieherische Hilfen Ambulante erzieherische Hilfen zielen darauf ab, unter Berücksichtigung der jeweils gegebe- nen Lebensumstände und unter Einbezug relevanter Bezugspersonen Minderjährige und Familien bei der Bewältigung von Alltags- und Lebensführungsproblemen, von schwierigen und konfliktreichen Lebenssituationen sowie besonderen Belastungen zu unterstützen und zukünftigen Lebens- und Entwicklungsproblemen entgegenzuarbeiten. Sie können im Ideal- fall die Aufwachsbedingungen von Minderjährigen so weit verbessern helfen, dass Fremd- unterbringungen nicht oder seltener erforderlich werden. Ambulante erzieherische Hilfen sind als Setting dadurch gekennzeichnet, dass sie in den bestehenden Alltag der Minderjährigen und/oder ihrer Familien eingepasst sind. Der Leis- tungstyp integriert „Komm- und Geh-Strukturen“. Ambulante erzieherische Hilfen können 5 Bedingung für die Inanspruchnahme von Hilfen zur Erziehung ist in der Regel eine professionell durchgeführte Indikation durch eine dafür autorisierte Stelle. Im Kanton Basel-Landschaft sind die autorisierten indizierenden Stellen in der Ver- ordnung über die Kinder- und Jugendhilfe in § 25 aufgelistet. In der Verordnung über die Kinder- und Jugendhilfe vom 3. Dezember 2013 (in Kraft seit 1. Januar 2014) sind folgende Stellen für die Durchführung von Indikationen autorisiert: die Sozialdienste der Gemeinden; die Beratungsstelle der Stiftung Mosaik; die Sozialberatung der Birmann-Stiftung; die Kinder- und Jugendpsychiatrie im Falle einer kinder- und jugendpsychiatrischen Indikation; der Schulpsychologische Dienst im Falle einer sonderschulischen Indikation; das Amt für tageweise Aufenthalte behinderter Kinder und Jugendli- cher zur Entlastung der Erziehungsberechtigten, auf Antrag derselben. 6 Im fachlichen Diskurs wird hingegen für eine Verschiebung der Grenzen zwischen Jugendalter und Erwachsenenleben plädiert und das 25. Lebensjahr als das neue 21. Lebensjahr ausgewiesen (vgl. Zeller 2014, S. 154). Der zeitliche Hori- zont bis zum 21. Lebensjahr entspricht insofern nicht mehr der Realität des heutigen Übergangs ins Erwachsenenleben. Er wurde aber aufgegriffen, weil er an die derzeitige Sozialhilfegesetzgebung des Kantons Basel-Landschaft anschluss- fähig ist. Leistungskatalog ambulante und teilstationäre erzieherische Hilfen im Kanton Basel-Landschaft Hochschule für Soziale Arbeit FHNW 10 Kay Biesel/Lukas Fellmann/Sarina Ahmed Institut Kinder- und Jugendhilfe also sowohl im direkten sozialen Umfeld der LeistungsempfängerInnen (z. B. am Wohnort der Familie; an den Spielorten des Kindes usw.) als auch in Räumlichkeiten des Leistungs- anbieters (z. B. in Beratungsräumen) erbracht werden. Ambulante erzieherische Hilfen können sich an Eltern oder an Minderjährige richten. Sie können familien- oder kindzentriert und auf die Einzelperson oder auf Gruppen ausgerichtet sein. Je nach individuellen Gegebenheiten ist der Beratungsanteil hoch. Im Unterschied zu institutionalisierten Beratungsangeboten wie z. B. der Mütter- und Väterberatung oder der Jugend-, Ehe- und Familienberatung ist der Zugang zu diesen Angeboten aber weniger niederschwellig. 3.1.2 Teilstationäre erzieherische Hilfen Teilstationäre erzieherische Hilfen zielen darauf ab, die individuelle und soziale Entwicklung von Minderjährigen zu fördern und Eltern in der Wahrnehmung ihrer elterlichen Verantwor- tung partiell zu entlasten und gleichzeitig auf einen Förderbedarf des Kindes zu antworten. Konzeptionell sind teilstationäre erzieherische Hilfen dadurch gekennzeichnet, dass sie auf Minderjährige fokussiert sind und regelmässig an einigen Stunden pro Tag in einer Einrich- tung des Trägers erbracht werden. Es kann sich um Gruppen- oder Einzelangebote handeln. Übernachtungen in der Einrichtung sind nicht vorgesehen. 3.1.3 Stationäre erzieherische Hilfen Stationäre erzieherische Hilfen haben zum Ziel, die individuelle und soziale Entwicklung von Kindern ausserhalb ihrer Familien zu fördern. Solche Hilfen sind dann angezeigt, wenn Eltern in ihrem Alltag mit massiven Problemen und Konflikten konfrontiert und nicht mehr in der Lage sind, in ihrer häuslichen Lebensumgebung für ihr Kind angemessen zu sorgen. Konzeptionell sind stationäre erzieherische Hilfen dadurch gekennzeichnet, dass sie über Tag und Nacht in einer Heimeinrichtung oder in einer anderen betreuten Wohnform erbracht werden. Auch die Familienpflege zählt zu den stationären erzieherischen Hilfen (vgl. Schnurr 2014, S. 3). 3.2 Flexible, integrierte erzieherische Hilfen Ziel flexibler, integrierter erzieherischer Hilfen ist es, zeitnah und unkonventionell auf die Bedarfslagen von Kindern und ihren Familien reagieren zu können. Es soll gewährleistet sein, dass bereits bestehende Typen und Formen erzieherischer Hilfen nicht darüber be- stimmen, welche Unterstützung Minderjährige und ihre Eltern erhalten. Damit verbunden ist der Anspruch, zwischen verschiedenen stationären, teilstationären und ambulanten erziehe- rischen Hilfen im Bedarfsfall flexibel wechseln zu können. Flexible, integrierte erzieherische Hilfen sind als Reaktion auf die in Deutschland kritisch beobachtete Spezialisierung im Bereich erzieherischer Hilfen in der Kinder- und Jugendhilfe entstanden. Das Konzept basiert auf der Annahme, dass komplexe Bedarfs- und Problemlagen individuelle Antworten der Kinder- und Jugendhilfe, sprich passgenaue und massgeschneiderte Hilfearrangements benötigen.
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